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No heartbeat before coffee
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eBook296 Seiten4 Stunden

No heartbeat before coffee

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Über dieses E-Book

Während eines Einsatzes gegen einen dunklen Hexenclan wird Diana, kampferprobte Spezialistin des Instituts für "Research and Identification of Paranormal Activities", mit einem tödlichen Fluch belegt. Rettung aus ihrer aussichtslosen Lage erhält sie ausgerechnet von einem Werwolf. Obwohl auch er in ihrer Weltsicht zum Feind zählt, bleibt ihr nichts anderes übrig, als Jamie zu vertrauen. Und als wäre ihr Leben nicht verzwickt genug, zieht er sie stärker an, als sie sich selbst eingestehen will. Gleichzeitig wird Seattle von einer brutalen Mordserie erschüttert, sodass Diana ihre persönlichen Probleme in den Hintergrund stellt, um sich voll und ganz der Aufklärung des Falles widmen zu können. Doch ihre Kollegen dürfen weder von ihren Gefühlen für Jamie erfahren noch, welchen Preis sie für ihr Überleben gezahlt hat...
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum16. Juni 2016
ISBN9783959912495
No heartbeat before coffee

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    Buchvorschau

    No heartbeat before coffee - Maria M. Lacroix

    Eins

    Qualm kratzte in meinen Lungen. Durch die dichten Rauchschwaden hindurch konnte ich kaum etwas erkennen. Hinter einer Ecke ging ich in Deckung und wechselte so leise wie möglich das Magazin meiner Browning Hi-Power . Ich unterdrückte den Hustenreiz, um den Hexen nicht meine Position zu verraten. Wie viele von ihnen lebten überhaupt noch?

    Diese verfluchte Operation war mächtig schiefgegangen. Wir hatten nur ihren Versammlungsort stürmen und sie verhaften wollen. Sie hatten als Erste das Feuer eröffnet. Buchstäblich. Zwei der Jungs vom CPU verbrannten innerhalb weniger Sekunden bei lebendigem Leib – per Verwünschungen aus einigen Metern Entfernung. Danach war das restliche Team in Panik geraten und hatte angefangen, auf die Hexen zu schießen. Ein paar von ihnen waren weg-, ein paar auf uns zugerannt. Im Kugelhagel fielen sie wie die Fliegen. Keine Ahnung, ob sie sich in einer Art Trance befunden oder den Weg ›Suicide by Cop‹ gewählt hatten. Auf jeden Fall entgingen sie dadurch einem langen Gerichtsprozess mit fast sicherem Todesurteil. Jap, bei Hexen, die Todeszauber betreiben, kennen unsere Gesetze keinen Spaß.

    Mein Herz hämmerte in meiner Brust. Tief durchatmen war bei dem Qualm nicht drin. Das Feuer hatte sich innerhalb kürzester Zeit ausgebreitet, inzwischen stand das ganze Haus in Flammen. Ich trug eine Feinstaubmaske, gehörte bei uns – warum auch immer – zur Standardausrüstung, doch die hielt keine giftigen Gase, sondern nur leichte Rauchpartikel ab. Niemand hatte mit so einem Brand gerechnet. Lange durfte ich mich hier drin nicht mehr aufhalten, wenn ich nicht an einer Rauchgasvergiftung sterben wollte. Aber ich war mir ziemlich sicher, dass ich die Anführerin des Clans in die Ecke gedrängt hatte. Die würde mir nicht entkommen, bei Gott!

    »Diana!«

    Das klang nach Greg, meinem Teamkollegen.

    »Wo zum Teufel steckst du?«

    Er war auch Vampirjäger, wie ich. Ja, genau, Vampirjäger. Mit Hexen hatten wir normalerweise nichts am Hut. Falls ich die Scheiße hier überlebte, würde ich dem Anzug tragenden Sackgesicht, der auf die grandiose Idee gekommen war, Stellen zu kürzen und Departements zusammenzulegen, meine Meinung geigen. Falls ich diese Scheiße überleben sollte.

    »Cunningham!«, rief einer der CPU-Jungs. Greg und er fingen an zu diskutieren, dass es nicht mehr lang dauerte, bis die ganze Bude über unseren Köpfen zusammenbrach. Greg brüllte ihn an, dass er nicht ohne mich gehen würde. Fuck!

    Mit einem frustrierten Grummeln schob ich mich an der Wand hoch. Ich hasste es, die Bösen entkommen zu lassen. Aber die Jungs hatten recht. Nicht mehr lange und das Dach stürzte ein, abgesehen davon, dass ich mittlerweile ernsthafte Probleme hatte, Luft zu bekommen. Das verdammte Miststück war wahrscheinlich sowieso längst weg.

    Es war dieser Gedanke, der mich leichtsinnig und unaufmerksam werden ließ. Und dazu das Bedürfnis, so schnell wie möglich aus dem brennenden Haus zu gelangen. Ich sah sie nicht kommen. Plötzlich stand sie neben mir und verpasste mir eine Rechte, die sich gewaschen hatte. Ich stürzte zu Boden, behielt meine Waffe aber in der Hand. Jahrelanges Training. Den Lauf richtete ich rasch nach oben, doch die Hexe war wieder in den Rauchschwaden verschwunden. Vielleicht hatte sie die Gelegenheit beim Schopf gepackt und war abgehauen.

    »Diana«, rief Greg wieder aus einem anderen Teil des Hauses. Es klang von weiter weg als eben.

    Bring dich selbst in Sicherheit, du Idiot! Aber ich hätte ihn auch nicht zurückgelassen und er wäre sicher sauer, wenn ich ihm einfach so unter der Nase wegsterben würde, ohne vorher ein Lebenszeichen von mir gegeben zu haben. Ich an seiner Stelle wäre jedenfalls ziemlich angepisst.

    Aus Reflex holte ich tief Luft, um zu antworten, und wurde von einem heftigen Hustenanfall durchgeschüttelt. Ein weiterer Schlag traf mich und schleuderte meinen Kopf zur Seite. Von wegen die Gelegenheit beim Schopf gepackt und abgehauen. Die verdammte Hexe setzte sich auf mich und packte mich am Schopf.

    »Au! Bitch!«, rief ich, als sie ihre Finger in meine Haare krallte und daran zerrte. Ich warf sie von mir, wobei sie mir ein ganzes Büschel ausriss. Doch Schmerzen spürte ich im Moment nicht, die kämen später. Miststück. Ich rechnete mit einem weiteren Angriff, stattdessen trat sie einen schnellen Rückzug an.

    »Diana Cunningham«, rief die Hexe und hielt meine ausgeris­senen Haare in die Höhe.

    Verflucht, woher kannte sie meinen vollen Namen? Ach ja, den hatten ja Greg und der CPU-Typ eben durch das Haus gebrüllt. Klasse gemacht, Jungs!

    »Ich verfluche dich. Ich verfluche dich zum Tode!« Zwischen ihren Fingern begannen meine Haare zu dampfen und zu versengen, als würde sie ein Feuerzeug darunter halten, was sie aber nicht tat. Fuck. Nicht gut. Ganz und gar nicht gut. Ich brachte meine Pistole in Position und schoss, verfehlte sie jedoch. Wegen ihrer Schläge war mir schwindelig und aufgrund des Rauches verschwamm meine Sicht. Mit Tränen in den Augen lässt sich nicht gut zielen.

    »Ich wünsche dir den gleichen Tod an den Hals, wie deinem ärgsten Feind«, hörte ich sie kreischen. Zu sehen war sie in dem Qualm nicht mehr. »Möge dein Herz bei Sonnenaufgang zu schlagen aufhören!«

    Ich schoss wieder in die Richtung, aus der ich die Stimme vermutete. Doch genau über mir krachte ein Stück der Decke herunter. In letzter Sekunde rollte ich mich weit genug weg, sprang auf und rannte aus dem Zimmer. Die Hexe zu erwischen, war aussichtslos. Es war ihr Haus, sie kannte sich hier viel besser aus und war jetzt wahrscheinlich wirklich geflohen.

    Irgendwie schaffte ich es nach draußen. Ich glaube, ich konnte mich nur deshalb retten, weil eine Wand bereits halb eingestürzt war und ich so ins Freie kam. Beschwören könnte ich es im Nachhinein aber nicht mehr. Im Garten hinter dem Haus fiel ich ins Gras, riss die Maske von meinem Gesicht und hustete mir die Seele aus dem Leib.

    Sobald es mir besser ging, bemerkte ich, dass ich unter dem Sternenhimmel völlig alleine war. Keine Sanitäter, keine Feuerwehr, keine Kollegen, die zu mir geeilt kamen und halfen. Die befanden sich alle vor dem Haus. In der Ferne hörte ich Sirenen, aufgeregtes Rufen, Befehle wurden gebrüllt. Mein Name fiel ein paar Mal. Das brennende Haus befand sich wie eine Barriere aus Flammen zwischen uns.

    Ich rappelte mich auf, damit ich ums Haus herum nach vorne gehen und medizinisch versorgt werden konnte, als mir in dem Moment die Worte der Hexe erst richtig bewusst wurden.

    Sie hatte mich mit einem Todesfluch belegt. Nach einjähriger Vorbereitungsarbeit hatten wir heute deren Hauptsitz gestürmt, weil der Clan immer auffälliger und ihre Taten von Mal zu Mal grausamer geworden waren. Daher war ich mir sicher, dass die Hexe keine leeren Verwünschungen ausgestoßen hatte, zumal sie uns eine Kostprobe ihrer Fähigkeiten gegeben hatte. Bei ihren Flüchen handelte es sich nicht um im Zorn ausgesprochene, inhaltslose Drohungen. Der Fluch war echt.

    Wie mein ärgster Feind sollte ich sterben. Aber noch lebte ich.

    Vampire waren meine schlimmsten Feinde.

    Zu Sonnenaufgang.

    Ich schaute auf meine Hände und sah, dass sie heftig zitterten. Ich zitterte so stark, dass die Waffe, die ich umklammerte, vor meinen Augen als verschwommener Schemen erschien. Vor meinem Blick breitete sich Dunkelheit aus.

    Das Nächste, woran ich mich erinnerte, war, wie ich mutterseelenallein nachts durch den Wald lief. Ich hatte einen Filmriss. Inzwischen nahm ich meine Umgebung wieder bewusst wahr, fühlte mich aber taub. Nur zwei Gedanken kreisten unaufhörlich in meinem Kopf.

    Du wurdest verflucht.

    Du wirst sterben.

    Es war nur eine Frage der Zeit, eine Sache von wenigen Stunden …

    Durch die Baumkronen hindurch erkannte ich in dieser Novembernacht einen sternenklaren Himmel. Mein Atem bildete Kondenswölkchen. Es musste klirrend kalt sein, doch auch das spürte ich nicht. Wie weit war ich schon gelaufen? Wie spät war es? Das Haus hatten wir gegen neun Uhr abends gestürmt. Wie viel Zeit blieb mir noch?

    Bei dem Gedanken setzte wieder die Panik ein. Da war mir das Gefühl der Taubheit lieber, doch innerhalb der letzten … keine Ahnung – Stunden? – wechselten sich Panik und Stumpfheit fröhlich miteinander ab. Und zu allem Überfluss war mein Zeitgefühl vollkommen im Eimer. Ich hatte keine Ahnung, wann die Sonne aufgehen würde, wie lang ich noch zu leben hatte.

    Resigniert ließ ich mich auf einen umgekippten Baumstamm sinken. So konnte es nicht weitergehen. Ich konnte doch nicht darauf warten, dass mich der Sonnenaufgang dahinraffte. Wie einen Vampir.

    »Wirklich zum Schreien komisch, du verdammtes Scheiß-Hexen-­Miststück … Fuck!«

    Jetzt erinnerte ich mich. Statt nach vorne zu meinen Kollegen zu gehen, war ich in den Wald gelaufen, der an den verwilderten Garten hinter dem Haus grenzte. Die Jungs hätten mir nicht helfen können. Sollten sie lieber denken, ich wäre in den Flammen umgekommen, statt den Rest der Nacht zu versuchen, mich zu retten, nur um mir am Ende dann doch beim Sterben zuzusehen.

    Nein, verdammt! Das war eine beschissene Art, abzutreten.

    In dem Moment fiel mir wieder die Waffe auf, die ich zwischen meinen verkrampften Fingern hielt. Und plötzlich zeigte sie mir eine ganz neue Möglichkeit auf.

    Ich musste ja nicht wie so ein verfluchtes Hinrichtungsopfer auf meinen Tod warten.

    Spur

    Rennen. Weicher Erdboden unter seinen Pfoten. Düfte. Erde, tote Blätter, Moos, Baumrinde. Wind strich durch sein Fell.

    Ruhe.

    Weitab von der lauten Stadt. Nur die Geräusche des Waldes. Der Mond schien hoch über seinem Kopf, die Nacht sang.

    Er roch … Beute. Nahm Witterung auf und rannte. Der Geruch brachte ihn zu einem kleinen Geschöpf. Dort hockte es, so nah. Es hatte ihn bemerkt, floh, schlug einen Haken. Doch er sprang und erwischte es. Ein Biss durch die Kehle und es war tot. Er schmeckte Blut, Fleisch. Er legte den Kopf in den Nacken und heulte sein Vergnügen in die Welt.

    Freiheit.

    Nach der kleinen Zwischenmahlzeit streifte er weiter durch den Wald. Er roch einen Menschen. Doch der war so weit von ihm entfernt, dass er nie etwas von seiner Anwesenheit erfahren würde. Wenn er jetzt umkehrte.

    Menschen mied er.

    Er kehrte nicht um.

    Roch seltsam. Nach Ruß, nach Angst. Aber darunter verbarg sich ein zarter Duft. Kaum wahrnehmbar und doch …

    Langsam trottete er in Richtung des Geruchs. Vorsichtig. Man kann ihnen nicht trauen. Sie sind gefährlich. Ein Windstoß streifte ihn und trug den Duft mit sich. Wie eine Nebelwolke umhüllte er ihn. Er blieb stehen, witterte. In seinem Kopf entstand eine Karte des Waldes. Er wusste genau, wo sich dieser Mensch befand.

    Als er ihn erreichte, blieb er im Unterholz und beobachtete ihn. Weiblich. Roch gut. Sehr gut sogar, wenn man an dem Geruch von Verbranntem vorbei schnupperte. Nach Leben und Energie. Seife und Shampoo mischten sich mit ihrem natürlichen Duft.

    Sie saß auf einem umgefallenen Stamm und starrte auf etwas in ihren Händen. Ihre Schultern waren vornüber gekippt. Sie wirkte verunsichert, besorgt. Neben dem Ruß und ihrer eigenen Note, roch er außerdem Metall und einen scharfen, chemischen Pulvergeruch. Eine Waffe.

    Er sollte umkehren.

    Sie hob die Arme. Zähne kratzten gegen Metall.

    Er verließ sein Versteck und rannte mit langen Schritten auf sie zu. Sie sprang auf, ihr zarter Duft mischte sich mit dem von frisch ausgestoßenem Angstschweiß. Bevor er sie erreichte, feuerte sie einen Schuss ab.

    Laut, zu laut. Der Knall schmerzte, machte ihn taub. Etwas zischte nur Millimeter an seinem Körper vorbei und versengte ihm die Haare seines Fells. Kurz blieb er wie angewurzelt vor ihr stehen, bevor er wütend wurde.

    Sie hatte auf ihn geschossen.

    Adrenalin rauschte durch seinen Körper. Unwillkürlich sträubte sich sein Fell. Zornig knurrte er, legte die Ohren an und sprang. Gemeinsam schlugen sie auf dem Waldboden auf, die Waffe flog aus ihrer Hand und landete Meter entfernt im Laub.

    Ihre Hände krallten sich in sein Fell, als sie versuchte, ihn abzuwehren. Vergeblich. Sie war kräftiger als sie aussah, doch nicht kräftig genug. Mit den Pfoten drückte er sie in die Erde, hob die Lefzen und knurrte laut. Der scharfe Geruch von Stressschweiß stieg ihm in die Nase, reizte ihn.

    Statt sich weiter zu wehren, ließ sie von ihm ab, bot ihm die Kehle dar und schloss die Augen. Seltsam.

    Doch ihr unterwürfiges Verhalten beruhigte ihn. Zur Warnung knurrte er weiter, ließ es aber ausklingen und beschnupperte ihren Hals. Als seine feuchte Nase über ihre Haut streifte, zuckte sie zusammen. Hartes Narbengewebe zog sich von der linken Seite ihres Halses über das Schlüsselbein hinunter zur Schulter.

    Seinen Blick vermied sie. Sie hatte Angst. Zu Recht. Man schießt nicht auf einen Werwolf. Dummer Mensch.

    Nachdem er von ihr heruntergestiegen war, trottete er zur Waffe und fing an, ein Loch zu buddeln. Es dauerte einen Moment, bis sie sich aufsetzte und beobachtete, wie er die Waffe vorsichtig zwischen die Zähne nahm, in das Loch warf und es wieder zuscharrte. Er drehte sich um und sah sie an. Sie hatte ihre Knie an den Körper gezogen, umschlang die Beine mit den Armen und sah zurück, einen fragenden Ausdruck in ihren Zügen. Ihr helles Gesicht erschien in der Dunkelheit und umgeben von dichten dunklen Locken nahezu weiß.

    Aufgrund der hockenden Position, war ihr Kopf niedriger als seiner. Er stand aufrecht, den Schwanz und die Ohren als Zeichen seiner Dominanz nach oben gerichtet. Mit einem leisen Knurren und Schnaufen macht er seinen Unmut deutlich, doch ihrem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, hatte sie keine Ahnung, was er ihr mitzuteilen versuchte.

    Zeit, sich in einen Menschen zurückzuverwandeln.

    Spur

    Manchmal, wenn alles zu viel wird, wenn der Verstand mit dem Begreifen der Ereignisse nicht hinterher kommt, schaltet man ab. In diesen Momenten hört man auf zu empfinden. Die Sinne funktionieren einwandfrei, zum Teil sogar schärfer, als wenn das Hirn sie erst einmal interpretieren müsste. Man sieht, hört und riecht nur noch. Um den Verstand nicht zu verlieren, ist man darauf angewiesen, das Hirn auszustellen und auf Durchzug zu schalten.

    In diesem Zustand befand ich mich, während ich einen riesigen Wolf dabei beobachtete, wie er sich nach und nach in einen Menschen wandelte. Im ersten Moment hatte ich nicht begriffen, was vor sich ging. Nachdem sich das massige Vieh hingelegt hatte, fingen zunächst seine Gliedmaßen unter lautem Knacken und Krachen an, sich unnatürlich zu verformen. Als würde jemand alle Gelenke in seinem Körper aus- und wieder einrenken lassen. Es hörte sich furchtbar an und sah schmerzhaft aus, doch mein Verstand war wie leer gefegt. Ich beobachtete ihn, ohne etwas dabei zu fühlen. Weder Angst noch Mitleid noch sonst irgendetwas. Ich sah nur zu und wunderte mich.

    Ich zählte keine Minuten – hatte also keine Ahnung, wie lang die ganze Prozedur dauerte –, doch dort, wo sich ein Wolf auf den Waldboden gelegt hatte, lag nun ein Mann. Er stand auf, streckte stöhnend seine Glieder und humpelte die paar Schritte zu mir herüber. Er sah aus wie jemand, der Schmerzen hatte, dessen ganzer Körper wund war. Seine Bewegungen erinnerten mich an mich selbst, wenn ich unter einem mordsmäßigen Muskelkater litt. Dennoch war er eine wahre Augenweide.

    Unter anderen Umständen hätte ich den Anblick genossen. Ich wusste, wie viel Arbeit hinter einem gestählten Körper steckte und rechnete es jedem hoch an, der sich die Mühe machte, fit zu bleiben. Für meinen Job verbrachte ich selbst täglich mindestens vier Stunden beim Sport. Zwei Stunden Muskeltraining und zwei für Cardio.

    Er musste zwischen eins achtzig und eins fünfundachtzig sein – da ich noch auf dem Boden saß und zu ihm hochblickte, konnte ich das nur grob abschätzen. Lange, athletische Beine gingen in schmale Hüften über. Abgesehen von dem dünnen Streifen Haare, der über den Unterleib bis zu seinem Bauchnabel reichte, waren sein flacher, durchtrainierter Bauch und die muskulöse Brust unbehaart. Seltsam, in Anbetracht der Tatsache, dass er eben noch ein voll behaarter Wolf gewesen war.

    Dass er nackt war, nahm ich nur am Rande wahr und kümmerte mich nicht weiter darum. Die Muskeln seiner breiten Schultern und kräftigen Arme waren perfekt definiert und passten zum Rest seines Körpers. Weder zu massig noch zu schmächtig. Jap, der Kerl war fit. Dass mir diese ganzen Banalitäten in meiner derzeitigen Lage durch den Kopf gingen, zeigte, wie sehr mein Verstand auf ›Stand-by‹ stand.

    Bei mir angekommen, quälte er sich wieder auf den Boden, setzte sich – wie ich – mit dem Rücken gegen den Baumstamm gelehnt hin und stellte seine Beine auf.

    »Was immer es ist …«, sagte er. »Es gibt für alles eine Lösung. Das Leben ist zu kostbar, um es einfach so wegzuwerfen. Wir finden schon einen Weg, okay?«

    Keine Ahnung, womit ich gerechnet hatte, damit jedenfalls nicht. Fassungslos sah ich ihn an, blickte in diese dunklen, warmen Augen und fragte mich, welcher Film hier gerade lief. Strähnen seines dunklen Haares hingen ihm in die Stirn und streiften seinen Nacken. Ich musterte sein Gesicht – männlich, markant, jugendlich – und schätzte ihn auf Anfang dreißig, also ein paar Jährchen älter als ich. Sein Blick war warm und freundlich, aber gleichzeitig auch aufmerksam und forschend.

    »Verstehst du, was ich sage?«, fragte er geduldig, ohne mir das Gefühl zu geben, mich für minderbemittelt zu halten.

    Mir wurde bewusst, dass mein Mund offen stand. Ich klappte ihn zu. »Ähm, ja. Ich kann dich gut verstehen.«

    »Ich denke, du stehst unter Schock, wofür ich mitverantwortlich sein dürfte. Aber keine Sorge, das vergeht wieder.«

    »Das brauchst du mir nicht zu erklären. Ich weiß, dass ich unter Schock stehe und der irgendwann wieder vergeht. Das werde ich aber nicht mehr erleben«, erwiderte ich gereizt. »Und um dein Gewissen zu beruhigen: Du kannst nichts dafür, ich stand schon unter Schock, bevor du aufgetaucht bist. Zu dem ganzen restlichen Mist sorgst du nur gerade für einen mordsmäßigen What-the-fuck-Moment.«

    Kaum war ich fertig, bereute ich es, ihn so angeschnauzt zu haben. Er konnte nichts dafür, dass ich verflucht worden war. Es war nicht seine Schuld. Doch statt zurückzuschnauzen oder mich meinem Schicksal zu überlassen, lächelte er verständnisvoll. Um seine Augen herum bildete sich ein Netz aus kleinen Lachfältchen. Es war eines von diesen Lächeln, die ansteckend wirkten und die Stimmung des Gegenübers automatisch mit anhoben. Ich könnte wetten, dass dieser Kerl allein mit diesem Lächeln massenweise Frauenherzen zum Schmelzen brachte. Der bräuchte sicher nur einen Raum zu betreten und alle lägen ihm zu Füßen. Ich bewunderte solche Leute, denn ich war nicht so. Ich hatte nicht diese entspannende, lockernde Wirkung auf Menschen. Im Gegenteil. In meiner Gegenwart fühlten sich viele Leute unbehaglich. Die Wahl zur Miss Sympathie würde ich nie gewinnen. Himmel, ich würde ja nicht einmal nominiert werden. Nicht dass ich auf so etwas besonders viel Wert legte. Wichtiger als Nettigkeit war mir Effizienz. Ich sah von diesem unverschämt attraktiven Gesicht weg und schaute auf meine Hände.

    »Entschuldige«, sagte ich. »Meine Nacht war bisher echt beschissen und als ich dachte, es könne nicht schlimmer werden, bist du aufgetaucht. Vor meinem inneren Auge sah ich schon die Zeitungsartikel, in denen darüber berichtet wird, wie ein älteres Ehepaar mit Mops bei einem Waldspaziergang meinen halb verwesten Kopf und ein paar Knochen gefunden hat. Mein Hirn hat das Memo noch nicht bekommen, dass du jetzt ein Mensch bist.«

    Der Mann neben mir lachte. Ein angenehm dunkler, durch­dringender Laut, tief aus seiner Brust. »Ein älteres Ehepaar mit Mops?«

    Ich sah ihn wieder an. »Na, es sind immer die Rentner, die solche gruseligen Funde machen. Oder noch schlimmer, spielende Kinder. Nie hört man, dass ein Mitglied der Hells Angels oder so aus Versehen über ein Opfer gestolpert ist und das der Polizei meldet.«

    »Verstehe«, sagte er breit lächelnd. Das Netz seiner Lachfältchen weitete sich noch mehr aus. »Dann sag mal deinem Hirn, dass ich kein Mensch, sondern ein Werwolf bin, es aber trotzdem wieder hervorkommen darf. Ich beiße nicht.«

    »Werwolf …«, murmelte ich tonlos.

    »Normalerweise sage ich das vor Menschen nicht so offen heraus. Aber ich schätze, vor dir wäre es witzlos, das zu leugnen. Sobald du den Schock überwunden hast, hättest du dir das selbst zusammengereimt. Dich deswegen umzubringen, nachdem ich dich davon abgehalten habe, dir das Hirn wegzupusten, wäre noch witzloser.« Mit einem Schulterzucken schien er das so für sich stehen zu lassen. »Also, was könnte so furchtbar sein, dass du den Tod als letzten Ausweg siehst? Eigentlich wirkst du auf mich nicht so, als wärst du deines Lebens überdrüssig.«

    »Bevor du aufgetaucht bist, habe ich fünf Mal angesetzt und mich fünf Mal dagegen entschieden, zu schießen. Abdrücken ist nicht so einfach, wie es aussieht.« Während ich sprach, fühlte ich nichts. Der Zustand der Taubheit hielt an und ich hoffte, er würde bis Sonnenaufgang bleiben. »Kurz bevor du mich angesprungen hast, hatte ich die bescheuerte Idee, mich selbst abzuknallen, endgültig verworfen. Sterben werde ich so oder so. Da kann ich die Zeit, die mir noch bleibt, genauso gut auch absitzen.«

    »Bist du krank?«, fragte er sanft.

    Ich stieß ein bitteres Lachen aus. »Nicht ganz. Ich wurde verflucht.«

    Auf seinen fragenden Ausdruck hin, umriss ich

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