Der Henker 8 – Monster
Von Uwe Voehl
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Der Henker, Band 8: Monster
Uwe Voehls legendäre Miniserie "Der Henker" ... endlich als E-Book erhältlich!
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Buchvorschau
Der Henker 8 – Monster - Uwe Voehl
Monster
Band 8
Monster
von Uwe Voehl
© Zaubermond Verlag 2013
© Der Henker
by Uwe Voehl
Titelbild: Mark Freier
eBook-Erstellung: story2go | Die eBook-Manufaktur
http://www.zaubermond.de
Alle Rechte vorbehalten
1. Kapitel
Häuser sind Gebäude, tote Materie. Sie können sich nicht von selbst bewegen.
Aber meine Freundin Rita starrte das verfallene Haus an der Themse fassungslos an. »Es hat sich bewegt, Udo«, stammelte sie. »Das Haus hat sich bewegt, als atme es …«
»Das ist der Nebel«, sagte ich. »Er hat dich genarrt.«
Ich hatte nichts gesehen, weil ich zur Themse geblickt hatte. Der Fluss lag unter der milchigen, wabernden Decke des Nebels verborgen. Das Tuckern eines Motorbootes wehte vorbei. Wahrscheinlich gehörte es zur Flusspolizei.
»Es hat sich bewegt!«, wiederholte Rita. Sie drängte sich schutzsuchend an mich, machte aber nicht etwa den Vorschlag umzukehren.
Das Haus wirkte verlassen. Es schien schon jahrelang unbewohnt zu sein. Die wenigen Fensterscheiben, die noch heil waren, bedeckte eine undurchdringliche Schmutzschicht. Fensterläden hingen nur noch halb in den Angeln. Eine einsame Gardine flatterte träge im Nebel und wirkte wie der Körper eines Gespenstes.
»Ich fürchte, man hat uns reingelegt«, sagte ich. »Hier ist weit und breit keine Bar in Sicht.«
Ich irrte mich.
Rita sah das Schild über dem Eingang zuerst. »Udo, dort!«
Eine Steintreppe führte gut drei Meter in die Tiefe und endete vor einer geschlossenen Tür in dem Gebäude. Darüber befand sich eine halb zerschlagene Neonlichtreklame, aus der nur mit Mühe der Name der Bar zu entziffern war: TIEFSEE-BAR.
Ich war zwar nicht gekommen, um mir einen Drink zu genehmigen, aber ich hatte doch damit gerechnet, auf ein geöffnetes Etablissement zu treffen. Diese Bar hatte sicherlich seit Jahren keinen Besucher mehr gesehen.
Dennoch erklang plötzlich ein Geräusch aus dem Inneren. Es hörte sich an wie ein um ein Vielfaches verstärkter Seufzer.
Gleich darauf setzte eine Melodie ein. Ich glaubte, Frank Sinatras »Fly me to the Moon« herauszuhören. War die Bar etwa doch geöffnet?
Die Tür jedenfalls war nicht abgeschlossen. Ich stieß sie auf. In dem Raum dahinter war es dunkel. Die Musik war nun deutlicher zu vernehmen.
»Vielleicht ist das hier gar nicht der richtige Eingang«, sagte ich.
»Aber wir sind doch um das ganze Gebäude herumgegangen«, sagte Rita. »Da gab es nirgendwo einen anderen Eingang.«
Zögernd trat ich ein. Der Nebel schien mir in das Dunkel folgen zu wollen. Ich tastete an der Wand nach einem Lichtschalter, fand aber keinen.
Ich holte mein Feuerzeug hervor und knipste es an. Der schwache Lichtschein erreichte noch nicht einmal die Wände. Irgendwie hatte ich das Gefühl, einen riesigen, gefräßigen Schlund betreten zu haben.
Ein knarrendes Geräusch war zu hören, und die Tür, durch die wir eingetreten waren, fiel ins Schloss. Rita und ich sahen uns bedeutungsvoll an.
»Eigentlich müssten wir jetzt Angst haben, nicht wahr?«, lächelte Rita. Dennoch wirkte sie leichenblass. Sie drückte die Türklinke herunter. »Zu!«, stellte sie fest.
»Wir sind also eingesperrt«, sagte ich. »Zumindest können wir diesen Weg nicht mehr als Ausgang benutzen. Aber sehen wir doch mal, wo es hier weitergeht.«
Es befand sich noch eine zweite Tür in dem Raum. Je näher wir ihr kamen, desto deutlicher vernahmen wir die Musik. Es war tatsächlich Frank Sinatra. Ich hoffte immer noch, dass wir doch auf eine ganz normale Bar stoßen würden, wenn nur die Tür nicht zugefallen wäre. Es war eine Sache, die mich beunruhigte.
»Ich habe das Gefühl, dass wir die falsche Garderobe anhaben«, sagte Rita. Sie trug ein enganliegendes Abendkleid, in dem sie sich kaum bewegen konnte. Sollten wir auf Geister stoßen, würde Rita diese wohl kaum mit ihren Reizen beeindrucken können.
Und ich war jemand, der an Geister glaubte. Nicht an harmlose Gespenster, an Poltergeister, sondern an Wesen, die einen töten konnten, wenn man sich nicht in acht nahm.
Dazu kam, dass wir nicht von uns aus die Tiefsee-Bar aufgesucht hatten. Vielmehr war dies einer ominösen Nachricht zuzuschreiben, die ich vierundzwanzig Stunden vorher erhalten hatte.
»Wenn wir flüchten müssen, musst du dich eben ausziehen«, ging ich auf Ritas letzte Bemerkung ein.
»Ich kann mir vorstellen, dass dir das gefallen würde«, gab sie zurück.
Ich hatte die zweite Tür erreicht. Sie ließ sich mühelos öffnen. Plötzlich ging das Licht an.
»Interessant«, sagte ich. Unser Raum entpuppte sich als Garderobe. Hinter einem Tisch hingen ordentlich auf Bügeln Mäntel und Jacken.
Und die Tür, die ich, als das Licht angegangen war, geöffnet hatte, führte in die eigentliche Bar. Aus versteckten Lautsprechern klang Sinatras Stimme, als singe er live. Lichtorgeln versprühten dazu gelbe und blaue Blitze, die sich in den Spiegeln brachen. Auf den Tischen und dem Tresen befanden sich die verschiedensten Drinks. Es war alles, wie es in einer Bar zu sein hat.
Nur die Menschen fehlten.
Ich begab mich an die Bar.
Rita folgte mir zögernd. »Das ist unheimlicher als diese Dunkelheit«, sagte sie. »Alles wirkt, als hätten hier eben noch Menschen gesessen.«
Sogar Zigarettenrauch hing noch in der Luft, und in einigen Aschenbechern lagen glühende, nur halb gerauchte Zigaretten. Die Musik klang plötzlich verzerrt, und ich spürte, wie der Boden unter mir vibrierte, als habe jemand unsere Anwesenheit registriert. Als habe das Haus sie registriert!
Das Licht flackerte und erlosch schließlich ganz. Aber im letzten Augenblick vor dem Dunkelwerden hatte ich noch etwas gesehen: eine große, dunkle Gestalt, die der Spiegel über der Bar reflektiert hatte.
Dann war es so finster, wie zuvor in der Garderobe. Nur die Musik spielte noch, jedoch war sie so verzerrt, dass sie nicht mehr an Sinatra erinnerte. Ich ergriff Ritas Arm und zog sie mit mir, dem Garderobenraum zu. Irgendwo lachte jemand, als beobachte man jeden unserer Schritte. Der vibrierende Boden schien sich unter unseren Schritten immer heftiger zu bewegen. Ich stieß gegen einen Stuhl und stolperte. Rita klammerte sich an mich. Ihre Finger krallten sich schmerzhaft in meinen Arm. Ich konnte nur noch ahnen, wo sich die Tür zum Ausgang befand. Von irgendwoher erreichte uns ein heftiger Luftzug, der den Geruch fauligen Fisches mit sich brachte.
Kam er von der Themse her, und zeigte er den Weg, der in die Freiheit führte?
Ich änderte die Richtung und ging dem Luftzug entgegen. Trotz der plötzlichen Kühle fühlte ich an einer Stelle meines Körpers eine pochende Hitze. Ich spürte sie direkt über dem Herzen, dort, wo sich in der Innentasche meines Jacketts die Henkersmaske befand.
Mit ihr hatte es eine besondere Bewandtnis, wie ich es seit den Geschehnissen in dem Heidedorf Bensdorf wusste. Der Geist eines verstorbenen Henkers steckte in ihr, und wann immer ich die Maske überstülpte, verbündete sich dieses Wesen mit meinem Geist.
Jetzt meldete es sich wieder, erinnerte an sich.
Und obwohl ich ahnte, mich in dieser Finsternis einer Gefahr auszusetzen, zögerte ich instinktiv, die Kräfte der Maske zu beschwören. Es war etwas Ambivalentes darum, so, wie auch jede Todesstrafe immer etwas Doppeldeutiges hat: Man richtet, indem man sich selbst auf die Stufe des Tötens begibt.
Also ignorierte ich die Maske, obwohl es mir nicht leichtfiel.
Irgendetwas lauerte in dieser Finsternis, irgendein Grauen lag in dem Geruch, den der Luftzug mitführte. Ich ging weiter und hatte plötzlich das unbestimmte Gefühl, mich gar nicht mehr in dem Barraum zu befinden. Die Atmosphäre war kühl und feucht.
»Udo, die Wand!«, sagte Rita.
Ich tastete seitwärts, und meine Finger glitten über raue, feuchte Steinwände. Offensichtlich hatten wir ohne unser Wissen in der Dunkelheit einen Durchgang benutzt, den wir zuvor nicht bemerkt hatten.
Oder, dachte ich, der sich erst mit dem Einsetzen der Finsternis geöffnet hatte!
Jedenfalls hatten wir uns höchstens ein Dutzend Schritte vorwärts bewegt. Wenn wir also umkehrten, mussten wir wieder in den Barraum gelangen.
Aber ich dachte nicht daran. Ich ging den einmal eingeschlagenen Weg weiter, folgte dem Luftzug.
Etwas streifte meine Beine, etwas Borstiges, Nachgiebiges.
Auch Rita schrie leise auf. »Was war das?«, flüsterte sie. »Hast du es auch gespürt?«
»Fühlte sich an wie eine zu groß geratene Spinne«, versuchte ich zu scherzen. Gleichzeitig griffen klebrige Fäden nach meinem Gesicht.
Wie Spinngewebe!
Aber so große Spinnen gab es doch nicht, dass mein Scherz sich als Wahrheit erweisen sollte! Oder etwa doch?
Ich wischte die Fäden beiseite und tastete mich weiter vorwärts. Es ging etwas bergab. Ich vermutete, dass dieser Gang vielleicht direkt an der Themse endete. Vielleicht war das auch eine Erklärung für den Fischgeruch.
Das Beben des Bodens verebbte nach und nach. Es war nur noch ein leichtes Zittern zu spüren. Dafür wurde der Wind, der uns entgegenblies, allmählich stärker. Und der Fischgeruch immer unerträglicher.
Die Maske des Henkers pochte in meiner Tasche. Ich hörte förmlich die Schreie der Kreatur, die danach lechzte, aus ihrem Gefängnis der Untätigkeit befreit zu werden. Und nur ich konnte sie daraus befreien. Aber ich dachte nicht daran.
Noch nicht.
Ich stolperte fast eine Treppe hinunter,