Seewölfe - Piraten der Weltmeere 302: Die Friesenfalle
Von Roy Palmer
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Rezensionen für Seewölfe - Piraten der Weltmeere 302
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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 302 - Roy Palmer
10
1.
Jaulend strich der Wind um das scheunengroße Gemäuer hinter dem Deich von Norderney, in dem gelacht und getrunken, geflucht und gespielt wurde. An den Fensterläden rüttelte er, zerrte an den Dachpfannen, eilte weiter, trieb Schneisen in den kniehohen Strandhafer, fauchte zwischen den tiefer im Inselinneren errichteten Gemäuern hindurch und raste nach Süden über das Wattenmeer weg zum Festland hinüber.
Zu dem Heulen des Windes gesellte sich das Rauschen der See. Hohe Brandungswellen liefen gegen Strand und Deich an und brachten die kleinen Boote an den Piers, die wie dürre Finger in die Nacht hinausragten, zum Tanzen.
Schweren Schrittes verließ Onno Osten das Wirtshaus hinter dem Deich und rammte die Bohlentür hinter sich zu. Er spuckte aus, wischte sich mit der Hand über den Mund, versenkte beide Hände tief in den Hosentaschen und stapfte zum Deich hoch, wobei er leicht ins Wanken geriet.
Doch es war nicht der rauhe Wind, der sein Gleichgewicht etwas unsicher werden ließ – es waren das viele Bier und die Schnäpse, die er getrunken hatte.
Gezecht und gelärmt hatte er mit seinen Freunden, was ihn mit unbändiger Freude erfüllte. Nachdem er noch rasch seinen Schlenderschluck zu sich genommen hatte – wie die Friesen dies nannten – trieb es ihn nun mit Macht nach Hause zu Herma, seiner Frau, der er von seinem Glück zu berichten gedachte.
Gut den Ablauf eines Stundenglases lang, also eine halbe Stunde, stand er wie festgenagelt oben auf dem Deich und blickte starr nach Norden, auf die See hinaus. Manchmal lehnte er sich etwas vor, dann wieder zurück, aber nie geriet er völlig aus der Balance.
Der eisigkalte Januarwind pfiff ihm mitten ins Gesicht und versuchte, seine mächtige Gestalt zu packen. Aber nichts konnte einen Mann wie Onno umwerfen, leichter war es, einen Baum zu fällen. Er war über sechs Fuß groß und hatte schrankbreite Schultern. Sein wuchtiger Kopf saß scheinbar halslos auf dem stiernackigen Oberkörper, sein leicht fliehendes Kinn führte zu dem dünnlippigen Mund hinauf, der nichts von dem ausdrückte, was in seinem Hirn vor sich ging.
Es arbeitete hinter Onno Ostens Stirn, und hin und wieder zuckte es in seinem breiten, von einem feinen Netz roter Äderchen durchzogenen Gesicht. Doch der Schnaps und das Bier hatten seinen Geist umnebelt, er brauchte seine Zeit, um zu einem vernunftsmäßigen Schluß dessen zu gelangen, was er sah.
Schließlich stieß er einen Laut aus, der einer Mischung aus Grunzen und Seufzen glich, und seine winzigen blauen Augen verengten sich zu Schlitzen.
„Sturm wird’s geben", brummte er, dann wandte er sich um und verließ den Deich. Auch diese bedeutungsschwere Erkenntnis wollte er Herma mitteilen, falls sie von dem Schlechterwerden des Wetters noch nichts bemerkt hatte – was er nicht annahm.
Schweigend durchquerte er den wilden Hafer. Der vom Regen des Tages aufgeweichte Untergrund schmatzte unter seinem groben Schuhwerk. Ohne auch nur ein weiteres Wort zu sich selbst zu sagen, wanderte er auf die trostlose Ansammlung von Häusern zu, die die Menschen von Norderney stolz „das Dorf" zu nennen pflegten.
Fast war Onno schon an dem ersten, größten Gebäude vorbei, da hob er seinen Blick – und blieb wie vom Donner gerührt stehen.
Es waren nicht die wenigen Lichter, die aus einigen Fenstern, deren Läden noch nicht verschlossen waren, ins Freie fielen. Es war der fahle Schein des Mondes, der ihm zu der grausigen Entdeckung verhalf.
Hätten die Wolken in diesem Augenblick den Mond verdeckt, wäre Onno auf das, was sich hier seinen Augen darbot, wahrscheinlich nicht aufmerksam geworden. So aber blieb er stehen und starrte wie gebannt auf das Tor des großen Hauses. Seine Lippen bewegten sich plötzlich heftig und schienen ein Wort formen zu wollen, doch es drang nur Unverständliches aus seinem Mund.
Das, was vom Balken über dem Tor herabbaumelte, mochte beim ersten Hinsehen wie ein Sack voll Lumpen wirken, aber Onno begriff trotz seiner Trunkenheit, daß der Schein trog. Er überwand seinen inneren Widerstand und näherte sich mit linkischem Schritt der reglosen Gestalt. Dann berührte er ihr Bein.
Er wollte sich nicht nur davon überzeugen, daß der, der da hing, ein offensichtlich toter Mensch war. Er wollte auch wissen, um wen es sich handelte. Fast zuckte er zusammen, die Erkenntnis traf ihn wie ein Hieb.
„Klusmeier", murmelte er.
Er ließ das Bein des Toten los, drehte sich um und ging davon. Er wandte nur noch einmal den Kopf und blickte über die Schulter zurück zu dem Unglücklichen, dann strebte er seinem Heim zu, entschlossen, sich nicht mehr aufhalten zu lassen, durch nichts auf der Welt. Gleich drei Neuigkeiten an diesem Abend, und das auf der unwirtlichen Insel, die nur selten etwas Interessantes bot, wenn man von den Aktivitäten ihrer Bewohner absah.
Onno Osten stieß fast gegen die Tür seiner Behausung, so eilig hatte er es. Er brauchte wieder eine ganze Weile, um die Tür zu öffnen, und er bemerkte nichts von dem, was innen vorging, konnte nichts wissen und nicht ahnen, zumal er im Moment viel zu aufgeregt war.
„Herma", sagte er mit undeutlicher, dumpfer Stimme, aber Herma schien nicht zu hören, da sie nichts erwiderte.
Es muß wohl an dem verdammten Sturmwind liegen, dachte Onno.
Herma Osten lag unbekleidet auf ihrem Ehebett. Der Mann, der sich lächelnd über sie beugte, war so groß wie Onno, und auch seine Schultern waren so breit wie die ihres Mannes. Aber sonst unterschied ihn so manches von Onno, nicht nur die strohblonden Haare, die er lang trug und nicht stoppelkurz wie jener, sondern vor allen Dingen das, was in seinem Kopf geschah, wenn er zu denken begann, und auch alles andere, was er als echter Kerl von Norderney vorzuweisen hatte.
Er war der bedeutendste und reichste Mann der Insel, der Kopf der Sippe, die hier das Wort führte. Es erfüllte Herma mit Stolz, daß er schon seit einiger Zeit ein Auge auf sie geworfen hatte. Sie hatte alles darangesetzt, ihn zu sich ins Haus zu locken, und er hatte sich nicht zweimal bitten lassen.
Jetzt war er da und bemühte sich um sie, wie es Onno nur höchst selten tat. Eine Woge der Wonne durchlief sie. Am liebsten hätte sie vor Glück laut aufgeschrien, aber sie bezwang sich, denn sie befürchtete, daß man es in den anderen Häusern trotz des Sturmwindes vernehmen könnte.
Plötzlich hielten sie inne, denn sie hatten beide das Rumoren an der Haustür gehört. Herma richtete sich halb auf.
Der Mann wollte sie auf das Bett zurückdrücken, doch sie hob in einer beschwörenden Geste die rechte Hand und raunte ihm zu: „Das kann nur Onno sein. Gleich ist er hier und – mein Gott, Groot-Jehan, er darf uns nicht zusammen erwischen."
Lüder Groot-Jehan lachte leise. „Hab doch nicht solche Angst. Vielleicht ist er viel zu besoffen, um noch klar etwas zu erkennen. Ich verstekke mich hier im Zimmer, und wenn er eingeschlafen ist, machen wir weiter."
„Nein, Groot-Jehan! Das – das kann ich ihm nun doch nicht antun! stieß sie entsetzt hervor. „Das ist nicht recht!
„Ach? Meinst du das wirklich im Ernst? fragte er spöttisch. „Ja. Alles hat seine Grenzen.
Sie stand auf und wollte zur Tür eilen, besann sich aber gerade noch rechtzeitig genug ihres Zustandes.
Während sie in aller Eile ihre Kleidungsstücke zusammenraffte, trat Lüder Groot-Jehan hinter sie, griff nach ihren Schultern, beugte sich über sie und küßte ihren Hals.
„Ich bin verrückt nach dir", sagte er leise.
„Ich doch auch", flüsterte sie und stöhnte verhalten auf.
„Zum Teufel mit Onno."
„Sag das nicht. Er gehört doch – zu uns",