Dance with me Heiße Rhythmen, heiße Liebe: Salsa, Swing, Tango
Von Annabelle Benn
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Buchvorschau
Dance with me Heiße Rhythmen, heiße Liebe - Annabelle Benn
Salsa
Salsa
Kapitel 1
Ich lebe meinen Traum. Tanzen. Salsa. Heiße Rhythmen, heiße Männer, heiße – nun ja, zumindest heiße Gedanken.
Hier stehe ich, mitten in einem großen Theater, und fühle mich wie ein kleines Mädchen. Damals wollte ich unbedingt Prima Ballerina werden. Nun, Ballerina bin ich, Liliana Nelson, nicht geworden. Und hier ist es nicht unbedingt so, wie ich es mir mit meinen vier Jahren vorgestellt habe. Es ist nicht gerade wie Schwanensee oder der Nussknacker. Aber für mich ist es genau so aufregend wie damals, als mich meine Mutter zum ersten Mal mit ins Met, und zwar in Romeo und Julia, mitgenommen hat. Ich – mit nur sechs Jahren! - sah Julia und Romeo sterben und war verwirrt. Und traurig, trostlos traurig sogar. Ziemlich sicher rührt mein Hang zu Dramatik und Romantik daher. Ich weiß noch, dass ich ganz aufgeregt neben meiner Mutter in dem weichen Plüschsitz saß. Ich konnte genau so wenig sehen wie jetzt. Ich hatte mein weinrotes Samtkleidchen, meine heißgeliebten weißen Lackschühchen mit weißen, durchbrochenen Kniestrümpfen an.
Lange ist das her, aber ich erinnere mich noch so genau daran, als ob es gestern gewesen wäre. Sogar an das glänzende Programmheft, das sie mir kaufte und das noch nach Druckfarbe roch. Der Besuch des (günstigeren) Matinées war mein Geburtstagsgeschenk und schon Wochen vor der Vorstellung war ich ganz aufgeregt. Wir hatten nicht viel Geld und das Programmheft war teuer, aber ich wollte es unbedingt haben. Ich bekam es, vielleicht, weil ich schwor, es für immer und alle Zeiten aufzuheben. Und das habe ich getan, bis jetzt. Das Heft liegt in der Schachtel, in der ich alle mir wichtigen Erinnerungsstücke aufbewahre.
Die aufgeregte und gleichzeitig feierliche Stimmung von hier erinnert mich an damals, auch wenn sonst fast alles anders ist. Ich bin kein Kind mehr, ich bin nicht mehr in New York sondern in Miami, das hier ist keine Ballettvorstellung sondern der Latin-Cup, der nicht nur Tänzer aus der ganzen Welt anzieht, sondern auch im Fernsehen übertragen wird. Einige der Tänzer sind Laien, einige richtig professionell; doch das ist egal, denn alle, die hier mittanzen, sind wirklich Weltklasse.
Das wilde Durcheinander-Geschnattere, die geballte Energie und natürlich die Musik, obgleich natürlich auch diese vollkommen anders ist. Dennoch rollt sie wie ein Zauber in mich, reißt mich mit, bewegt mich, gibt mir das Gefühl zu schweben und mich ganz von allen Sorgen und Gedanken zu lösen. Sie bewegt nicht nur meine Füße und Hüften, sondern auch meine Seele.
Leider habe ich viele Jahre gar nicht mehr getanzt. Wegen Russell, meinem Exmann. Erst nach unserer Scheidung habe ich wieder damit begonnen und dadurch ein völlig neues Lebensgefühl bekommen. Denn: ja, tanzen ist Leben. Mein Leben. Auch wenn ich niemals mit den Halbgöttern, die bald über die Bühne wirbeln werden, mithalten kann. Doch darum geht es gar nicht.
Da vorne ist mein Platz! Endlich! Ich lasse ich mich darauf plumpsen. Der Sitz hier ist, anders als im Met damals, hässlich dunkelgrün, aus billigem, abgewetztem Hart-Plüsch und hat eindeutig seine besten Jahre schon hinter sich. Die Ränder sind aus Metall, und wenn ich mich anlehne, tut mein Rücken weh.
Irgendwo in dem sich allmählich beruhigenden Getümmel schwirren meine Freunde Nicole und Lisa herum. Wir sind zusammen in Nicoles Auto hierhergekommen. Ziemlich spät, wie ich hinzufügen muss, weil Lisa mit ihren langen, blonden Haaren mal wieder nicht die „richtige Frisur hinbekam. Normalerweise ist es nicht so schlimm, doch heute können wir deswegen nicht beieinander sitzen. Aber was sagt sie bloß lapidar dazu? „Das ist Kuba-Zeit!
Der Wettbewerb ist schon in vollem Gange! Wir haben doch glatt die ersten Tänze verpasst und das bei dem Eintrittspreis von 45 Dollar pro Person!
So ist das eben hier in Miami, Südflorida. Ein bisschen Kuba, ein bisschen Latino, ein bisschen USA. Ich liebe diese Mischung, genau so sehr wie die Musik, die immer lauter wird und mich beinahe vom Sitz reißt.
In den USA liebt man ja kaum etwas so sehr wie Klimaanlagen. Warum das so ist, werde ich nie verstehen. Draußen ist es heiß, hier drinnen ist es eiskalt. Was soll das? Wer friert schon gerne? Und wer schleppt gerne den halben Kleiderschrank mit sich herum, nur um für alle Klimazonen der Stadt, die man an einem normalen Tag bereist, gewappnet zu sein? Ich bin ausgerüstet und so wühle ich in meiner großen Tasche, in der sich zwei Paar Schuhe, mindestens so viele Wasserflaschen, Essen auch ein dünner Pulli befindet. Denn das kleine Bolero-Jäckchen, das ich anhabe, wärmt mich überhaupt nicht. Dafür sieht es sehr süß aus und passt ganz wunderbar zu meinem schwarzen Kleidchen, in dem ich mich gleich eine Kleidergröße schlanker fühle. Meine langen, hellbraunen Haare trage ich offen, so dass sie mein Gesicht sanft umrunden. Außerdem kann ich jetzt, so mitten drin und ganz allein, eine Strähne um meinen Finger drehen. Schnell erinnere ich mich, dass ich dabei wirke wie ein unsicherer Teenager, und lasse es wieder bleiben. Aber Tatsache ist, dass ich mich ein bisschen einsam und unwohl fühle. Ich will Nicole schreiben, doch der Akku von meinem Handy ist leer und natürlich befindet sich mein Ladegerät nicht in den Untiefen meiner Beinahe-Reisetasche. Ich schaue mich unsicher um, aber niemand scheint von mir, der Frau ohne Begleitung, großartig Notiz zu nehmen. Ich entspanne mich also und schaue nach vorne auf die Bühne.
Gerade wird ein schneller Cabaret-Stil Salsa gespielt. Hola, da geht die Post ab! Ich mag diesen Tanzstil besonders gern, weil sehr viele Hebefiguren und andere schwierige Tanztricks darin vorkommen.
Die wunderbar durchtrainierte, schlanke und perfekt gestylte Frau auf der Bühne dreht sich gerade scheinbar unendlich lange. Das Publikum geht voll mit, alle klatschen und rufen wie wild und die Jury macht eifrig Notizen.
Die relativ große Frau in einem grün-blauen Kleid aus unzähligen glitzernden Pailletten fasziniert mich besonders. Ihre Haare sind, wie es für den Salsa typisch ist, streng nach hinten gekämmt und hochgesteckt. Auch im Haar befinden sich viele Glitzersteinchen und ihre Ohrringe und Armbänder funkeln bei jeder Bewegung im Scheinwerferlicht. Ihr Gesicht ist stark geschminkt, dennoch sieht man, dass sie schwitzt. Genau wie ihr, bolivianischer?, Tanzpartner, der hautenge schwarze Hosen und ein weißes Hemd trägt.
Gerade kickt und schwingt sie ein perfekt gestrecktes Bein über seinen dunkelhaarigen Kopf. Doch nur halb. Mit einer Hand schnappt er sich ihre Fessel, zieht sie so hoch und wirft die ganze Frau über seine Schultern. Scheinbar mühelos streckt sie dabei auch noch die Beine mitten in der Luft in einen vollkommenen Spagat und scheint schwerelos zu schweben.
Mein Blut rast wie Feuer durch meine Venen und mein aufgeregtes Dauergrinsen erreicht meine Ohren.
Der nächste Tanz beginnt, wieder ein Cabaret. Auf der Bühne schlingt eine andere Tänzerin gerade ihren Arm um den Nacken ihres Partners. Beide sehen nicht nur umwerfend aus, sondern sind auch gleich groß und von ähnlicher Statur. Allein rein optisch sind sie schon ein Traumpaar. Wenn man aber erst sieht, wie die beiden tanzen! Bis hierher spüre ich die Erotik und Liebe, die zwischen den beiden hin- und hersprüht. Gerade drehen sie sich zueinander und sehen sich an. Ich bin mir sicher, dass sie den neuen Tanz bestimmt mit einem kleinen, süßen Kuss beginnen. Doch da werde ich enttäuscht, denn stattdessen spielen sie Katz und Maus mit vielen Drehungen und Hebefiguren.
Schwungvoll streckt sie ihr formvollendetes rechtes Bein nach hinten hinauf bis zu den Schultern. Er zieht sie bestimmend an ihrer Hand zu sich heran. Mit einem verschlagenen Blick und einem unglaublich erotischen Funkeln in seinen dunklen Augen blickt er zu den Zuschauern, während er eine Hand mit höchster Dramatik über ihren hautengen Body gleiten lässt.
Schüchtern, ein bisschen verlegen und mit einer stillen Hoffnung auf sein Versprechen, doch nur sie allein zu lieben sieht sie ihn von unten herauf an.
Die Musik wird ruhiger und damit auch ihr Tanz. Ihre Lippen berühren sich beinahe, bei der zärtlichen und einfühlsamen Szene, die sie jetzt spielen.
Die Trompeten und Hörner setzen ein und die Musik kulminiert in einem Crescendo.
Nur er – er küsst sie nicht!
Stattdessen dreht er sie von sich weg, bis sie an den gegenüberliegenden Enden der Bühne sind. Es ist romantisch und lustig zugleich und die Zuschauer sind ganz begeistert davon.
Doch jetzt kommt noch mehr!
In ihren halsbrecherisch hohen Stilettos, die wegen der unzähligen Strasssteinchen funkeln und glitzern, streckt sie ihm verführerisch lockend einen Zeh entgegen und verlagert ihr Körpergewicht auf das andere Bein. Sie streckt ihre Hand und spreizt ihre Finger. Sie macht auf frech und er auf interessiert. Nur, dass das alles sehr schnell und mit höchster Präzision vonstattengeht.
Mit einer schnellen Bewegung zieht er sie an sich, dreht sie blitzschnell um die eigene Achse und keine Sekunde später liegt sie über seinem Knie, ihr Rücken durchgebogen, ihre Hochsteckfrisur Millimeter über dem Boden. Sie tut noch überrascht, doch schon zieht er sie wieder zu sich nach oben und küsst sie – endlich! Alle klatschen und jubeln wir verrückt und mein Herz schlägt immer wilder.
Vor dem nächsten Paar gibt es eine ein-minütige Pause, denn die Jury braucht Zeit zum Ausfüllen der Formulare. Unzählige gertenschlanke Mädchen mit Glitzer auf den Augenlidern stehen herum und blockieren in ihren kaum vorhandenen Kostümen und Teamjacken die Durchgänge. Ich schaue ihnen beim Aufwärmen zu und wie sie ihre aufgestaute Nervosität mit spontanen Sprüngen und Spagaten abzubauen versuchen.
Die meisten von ihnen sind wohl Anfang zwanzig. Bei Wettbewerben auf diesem Niveau nehmen fast nur junge Leute teil. Ein Profitänzer tanzt normalerweise mit fünf Jahren sein erstes Turnier; wer erst mit zehn beginnt, hat man schon fast keine Chance mehr.
Ich? Ich bin 38 und habe erst nach dieser zermürbenden Scheidung von Russell mit dem Salsa-Tanzen angefangen. Ich hätte hier nicht den Hauch einer Chance, aber deswegen bin ich auch nicht hier. Nein, ich bin hier, weil ich zusehen, die Musik und die Energie spüren und weil ich später selbst tanzen will. Das reicht mir vollkommen. Ich bin einfach nur glücklich, dass ich hier bin.
Kapitel 2
Die Tanzveranstaltung ist ein Spektakel mit vielen Lasern, einer großen Videowand, Nahaufnahmen, lauter Musik und heißen Rhythmen. Die schlanken, ästhetischen Körper der Tänzer stecken in bunten Kostümen, auffallend geschmückt mit Pailletten und Federn. Die Tänzerinnen sind überwältigend schön, mit langen Hälsen und Beinen bis in den Himmel. Und die Männer erst – maskulin, selbstsicher, dominant. Aufrechte Haltung, gestählte Körper und die angeborene Kunst, eine Frau mit einem bloßen BIick oder einem leichten Fingerzeig in die Knie zu zwingen und völlig willenlos zu verführen.
Ich kann gar nicht mehr verstehen, wie ich mir so lange überlegt habe, ob ich ein Ticket kaufe oder nicht. Lag es wirklich nur an den 45 Dollar oder traue ich mich immer noch nicht ganz, richtig zu leben und das zu tun, was mir Spaß macht? Ich muss mehr ausgehen, mehr aus mir rausgehen, mehr Leben wagen! Ja, das muss ich und jetzt und hier verspreche ich es mir, hoch und heilig.
Das hier, das ist la vida pura: das pure Leben!
Jeder Muskel, jedes Gelenk der Tänzer ist so beweglich und geschmeidig wie mein Körper es in meinen kühnsten Träumen niemals sein wird. Sie stecken so voll Kraft und sind doch gleichzeitig so anmutig. Die Besten von ihnen benützen ihre Körper, Hände und Gesichter um eine Geschichte zu erzählen, die tiefer geht, als Wörter es jemals könnten.
Ja, aus jeder Pore der atemberaubenden Tänzer triefen Erotik, Verführungskünste und Können. So verleihen sie sich selbst und ihren Geschichten Ausdruck, verzaubern die Zuschauer und entführen sie in eine andere Welt.
Ich schaue mich in der großen Halle um und sehe viele vertraute Gesichter, sowohl auf der Bühne als auch im Publikum. Das ist meine Salsa-Welt. Von grottenschlecht bis wunderbar ist unter den Zuschauern, die später selbst tanzen wollen, alles vertreten. Doch wir gehören zusammen, denn uns verbindet die Leidenschaft für den Tanz, die Musik und all die mit Worten nicht erzählbaren Geschichten. Allein dadurch strahlen alle eine einzigartige Schönheit aus.
Ich bin gerne von schönen Menschen umgeben, muss ich zugeben. Dann fühle ich mich selbst auch toll und begehrenswert.
„Ist der Platz frei?", dringt da eine tiefe, warme Stimme mit leicht südamerikanischem Akzent von hinten an mein Ohr. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass die Frau, die neben mir gesessen hatte, weggegangen war.
Automatisch schaue ich mich sofort um, ob nicht ein bekanntes Gesicht in der Nähe ist, der oder die neben mir sitzen möchte. Da ist zwar niemand, dennoch zögere ich. Diese Stimme … Langsam drehe ich mich um und schaue dem Mann, dem sie gehört, direkt in die Augen.
Irgendwie schaffe ich es, „Nein!" zu fiepen.
Der – Adonis, anders kann man das gar nicht bezeichnen – trägt eine engsitzende schwarze Hose, ein weißes, ebenso enganliegendes Hemd mit kurzen Ärmeln, das sich verführerisch an seinen wohl definierten Oberkörper schmiegt. Er ist ziemlich groß, bestimmt 190. Er schlängelt sich mit einem Nicken und Lächeln an mir vorbei und nimmt neben mir Platz. Neben mir! Dabei streift sein Knie meins. Kalt ist mir an dieser Stelle nicht mehr.
„Entschuldigung." Wieder diese warme, weiche Stimme mit ihren ganz eigenen, tiefen Schwingungen, die mich sofort tief innen berühren.
Es stört mich gar nicht, dass er mich berührt hat, wenn auch unabsichtlich.
„Macht doch nichts, sage ich. „Wir sind hier ja wie die Sardinen zusammengepfercht!
Sardinen? Zusammengepfercht? Habe ich das gerade wirklich gesagt? Leider ist auf meine intellektuellen Fähigkeiten nicht immer Verlass, besonders dann nicht, wenn in meinem Bauch kleine Schmetterlinge aus ihren Kokons krabbeln und ihre Flügel ausfalten. Und das tun sie gerade.
Ich lächle also verlegen und er lächelt zurück. Dabei scheint sein ganzes ebenmäßiges Gesicht zu leuchten. Er ist unglaublich schön. Seine Haut ist von Natur aus leicht dunkel, wie ein guter Milchkaffee. Seine Augen sind fast schwarz, so wie zartschmelzende Zartbitter-Schokolade. Sie sind von dichten, langen Wimpern umrandet. Seine griechische Nase verleiht ihm zusätzlich einen unwiderstehlich männlichen Ausdruck.
Ich kann mich nicht erinnern, jemals einen so vollkommenen Mann aus nächster Nähe gesehen zu haben.
„Hallo, ich bin Alvarez", sagt er und streckt mir seine gepflegte Hand entgegen. Ich bin richtig aufgeregt, was für mich sehr ungewöhnlich ist. Normalerweise bringt mich nichts so schnell aus der Fassung.
„Hallo, freut mich!", antworte ich und nehme seine Hand ein wenig zu schnell; so, als