Himmelblau und rosarot
Von Annabelle Benn
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Buchvorschau
Himmelblau und rosarot - Annabelle Benn
Himmelblau und Rosarot
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Der vierte Brief
Blumenau ist ein fiktiver Ort im Berchtesgadener Land, zwischen Traunstein und Salzburg gelegen. Die Stadt Rennen ist ein Synonym und Pseudonym einer reell existierenden Stadt. Da alle Personen und Handlungen ebenfalls frei erfunden sind, bietet sich ein Pseudonym an.
Alle Personen, Handlungen und Ereignisse sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
Inhalt
1 Rückkehr
2 Wiedersehen
3 Erinnerungen
4 Heiße Liebe
5 Neuland
6 Das Erbe
7 Goldbraun und gottgleich
8 Ein kleines Feuer
9 Salzwasser
10 Ein großes Feuer
11 Im siebten Himmel
12 Der vierte Brief
Epilog
Bayrisches Glossar
Liebe Leserinnen und Leser,
Blumenau, Juni 2010
1 Rückkehr
Es war warm, still und dunkel. Die Scheinwerfer des Taxis entfernten sich immer weiter, bis sie um die Kurve verschwanden. Nur hoch oben am Himmel leuchteten der Mond und die Sterne, und selbst die sahen hier anders aus als in China.
Erschöpft zog sie ihren Koffer die leicht ansteigende Auffahrt zum Rosenweg 3 hinauf. Laut ratterte er über die Pflasterfugen, ansonsten war nach wie vor nichts, aber auch gar nichts zu hören. Es war so unwirklich still, dass die Stille einen eigenen Klang annahm. Bettina blieb stehen, um diese wohltuende Ruhe zu genießen. Nach einer Weile machte sie den nächsten Schritt Richtung Haustür. Da sprang der Bewegungsmelder an und gab den Blick frei auf die zahlreichen Blumentöpfe, in denen blaue, weiße und rosarote Hortensien in ihrer ganzen Pracht blühten.
Tante Toni musste sich auch nach Omas Tod darum gekümmert haben.
Unter einem dieser Töpfe mit einer blauen Blume sollte der Schlüssel liegen, hatte in dem Brief gestanden, aufgrund dessen sie hierher zurückgekommen war. Der Schlüssel ihrer Oma, nahm sie an; denn ihren hatte sie vor fünfzehn Jahren mit dem Schwur, nie mehr hierher zu kommen, in die Isar geworfen.
Leider waren die Blumen frisch gegossen. Die Töpfe waren schwer wie Elefantenfüße und Bettina brauchte all ihre Kraft zum Anheben. Sie war sportlich und gut trainiert, aber nach der über 24-stündigen Reise und 36 Stunden ohne Schlaf war sie am Rande der Erschöpfung.
Anders als vor fünfzehn Jahren war ihr das Glück hold, denn unter dem dritten Topf lag der Schlüssel. Sie hob ihn auf und schluckte schwer. Jetzt gab es kein Zurück mehr. Sie würde den Schlüssel ins Schloss stecken, umdrehen und das Haus ihrer Kindheit und Jugend zum ersten Mal seitdem alles kaputt gegangen war, betreten. Hoffentlich erwartete sie darin nicht das heillose Chaos! Denn, soweit sie wusste, hatte in dem Haupthaus seitdem niemand mehr gewohnt. Vielleicht hatte Oma einen so großen Bogen darum gemacht, wie sie es von ihrer Einliegerwohnung aus nur machen konnte.
Bettina musste so lange still gestanden und gezögert haben, dass der Bewegungsmelder wieder ausging und nur der Mond und die zahllosen Sterne die Nacht erhellten. Unweigerlich blickte sie nach rechts. Ein unheilvoller Schauer lief ihr über den Rücken.
Scham. Ein schlechtes Gewissen. Und – noch etwas.
Schnell sah sie wieder zu der massiven Eichentür und trat in das große, bei Tageslicht helle, Haus. Andernorts hätte man es vielleicht als Villa bezeichnet, hier jedoch war es einfach ein durchschnittlich großes Haus. Ohne nachzudenken, streckte sie die Hand nach links und schaltete das Licht an. Sie schnupperte. Es roch herrlich frisch und rein nach Lavendel, ganz und gar nicht muffig.
Sie ließ ihr Gepäck in dem großen Eingangsbereich fallen, holte ihren Kulturbeutel, Pyjama und handgroßen Teddy heraus und machte sich auf den Weg in den ersten Stock, in dem ihr Mädchenzimmer lag.
Im Treppenhaus hingen Fotos und Bilder aus einer anderen, aus einer heilen Zeit.
Hastig ging sie daran vorbei. Doch sie konnte den Erinnerungen nicht entkommen; auch nicht, als sie in ihr früheres Badezimmer trat, in dem frische Handtücher, Seife und weitere grundlegende Kosmetikartikel für sie bereit lagen. So, als hätte das Haus nur auf ihre Rückkehr gewartet …
Ein müdes Lächeln huschte über ihr Gesicht, als sie den Wasserhahn aufdrehte. Er war mit azurblauem Kunststoff überzogen. Ihre Finger fuhren die Unterseite entlang und über das verschmorte Plastik … Mit sechzehn oder siebzehn hatte sie hier einen Liebesbrief, oder eher eine schriftliche Erklärung für sein Verhalten, verbrannt. Die Flammen hatten die Armaturen versengt. Warum hatte sie sich über den Brief so geärgert? Weil sie zornig gewesen war. Zornig auf die Situation, auf seinen Widerwillen, etwas daran zu ändern, auf seinen unterstellten Mangel an Liebe. Aber, immerhin: Ein echter Liebesbrief, aus Papier und Tinte. Denn viele Liebesbriefe, ob nun auf Papier oder auf einem Bildschirm, hatte sie seit seinen nicht mehr bekommen. Eigentlich so gut wie – gar keine.
Unweigerlich wanderte ihr Blick wieder nach rechts, zu dem Bauernhof, der hundert Meter hinter den Mauern des Hauses lag. Nein, jetzt nicht daran denken! Nicht jetzt und nie mehr. Man musste die Vergangenheit ruhen lassen.
Sie drehte das warme Wasser an und wusch sich die restlichen Partikel der Großstadtluft Shanghais und des Flugzeuges aus ihrem braunen, langen Haar und von ihrer Haut. Dann schleppte sie sich in ihr altes Mädchenzimmer. Sie erstarrte. An den Wänden hingen noch immer Poster von U2, Slash und River Phoenix. Helden ihrer Jugend. River Phoenix war inzwischen tot, U2 machten mittlerweile grässliche Musik und Slash war – alles andere als für ihren heutigen Geschmack attraktiv. Schlichtweg widerwärtig! Mit ein paar flinken Gesten riss sie die verblichenen Bilder von der Wand und fiel in ihr Bett. Dort erwartete sie das nächste Relikt der 90er Jahre: eine Zudecke, auf der hinter einem dunkelblauen Palmenstrand blutrot die Sonne unterging. Doch das war jetzt egal, denn es duftete herrlich nach Tannenwald.
Schwer wie ein Stein kuschelte sie sich hinein und schlief tief und fest.
2 Wiedersehen
Als sie am nächsten Morgen erwachte, tastete sie nach dem Lichtschalter, fand ihn jedoch nicht. Verwundert und ein wenig verärgert richtete sie sich auf. Wo war sie? Warum war es so dunkel?
Da fiel es ihr wieder ein. Sie seufzte und ließ sich zurück ins Bett fallen, rollte nach rechts und ertastete die Nachttischlampe in ihrem alten Mädchenzimmer.
Sie befand sich zu Hause, daheim, weil ihre Oma vor zwei Wochen gestorben war und sie in ihrem Testament erwähnt hatte. Nachdem ihr Projekt zur Markteinführung eines Blutdrucksenkungsmedikaments vorgestern erfolgreich abgeschlossen worden war, war sie der notariellen Nachricht gefolgt. Aller Wahrscheinlichkeit nach würde sie das große Haus mitsamt der Ländereien erben, denn sie stand an erster Stelle in der Erbfolge. Für Bettina stand fest, dass sie das Haus nicht behalten würde. Der Notartermin war für morgen um 10:00 Uhr angesetzt. Hoffentlich hatte sie die weite Reise nicht umsonst gemacht!
Sie verlor mindestens eine ganze Woche. Eine Woche, in der ihre Kollegen und Konkurrenten, denn das waren sie trotz all des Getues und Geredes von Teamwork, einen erheblichen Vorsprung erlangen konnten. Seit Jahren hatte sie keinen Urlaub genommen und von den Ländern, in denen sie stationiert war, wenig mehr als ihren Arbeitsweg und die wichtigsten