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Charlotte: Liebesroman
Charlotte: Liebesroman
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eBook383 Seiten7 Stunden

Charlotte: Liebesroman

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Über dieses E-Book

Seit Kindertagen kennen sich Charlotte und Alexander. Seit damals, als Charlotte im Gutspark des Barons von Ahlheim im mecklenburgischen Retzow Alexander aus einem Baum direkt vor die Füße fiel. Alexander war sofort fasziniert von dem furchtlosen Mädchen, das sich von Stift und Zeichenpapier nie trennte und davon träumte, eine berühmte Malerin zu werden. Und auch Alexander hatte kühne Träume: Er wollte einmal Arzt werden, um Menschen zu heilen - dem strengen Vater zum Trotz. Zwischen der Tochter aus einer Pächterfamilie und dem Sohn des Gutsherrn Baron von Ahlheim entwickelt sich eine zarte Freundschaft. Doch Charlottes Träume zerschellen jäh, als der Baron sie fälschlich der Wilderei bezichtigt und ins Gefängnis werfen lässt.
Mit ihrer bezaubernden Liebesgeschichte versetzt uns Rena de Fries ins Mecklenburg der Jahrhundertwende. Vom Anfang bis zum überraschenden Schluss zieht Charlottes Geschichte den Leser in ihren Bann.
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum21. Mai 2014
ISBN9783735709394
Charlotte: Liebesroman
Autor

Rena de Fries

Ich bin Jahrgang 1957, geboren in Mecklenburg, verheiratet und habe zwei erwachsene Kinder. Nach meiner Ausbildung zur Damenmaßschneiderin, zog ich 1978 nach Berlin (Ost) und arbeitete dort nach Weiterbildungen, als Sekretärin, und als Assistentin des Geschäftsführers. Da ich immer schon gern Geschichten erzählte, entschloss ich mich, diese auch aufzuschreiben. Deshalb absolvierte ich von Oktober 2001 bis Oktober 2003, einen Fernlehrgang für Belletristik, an der Schule des Schreibens, an der Axel Anderson Akademie in Hamburg. Seit 2001 lebe ich in Altlandsberg, im Landkreis Brandenburg. Im August 2005 habe ich meine Tätigkeit aufgegeben und widme mich nun meiner Autorentätigkeit. Die Autobiographie - Mütter weinen nachts - ist mein erstes Buch, es erschien im März 2006. Derzeit schreibe ich an einem Roman.

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    Buchvorschau

    Charlotte - Rena de Fries

    Mathias

    Inhalt

    Erstes Kapitel

    Zweites Kapitel

    Drittes Kapitel

    Viertes Kapitel

    Fünftes Kapitel

    Sechstes Kapitel

    Siebentes Kapitel

    Achtes Kapitel

    Neuntes Kapitel

    Zehntes Kapitel

    Elftes Kapitel

    Zwölftes Kapitel

    Dreizehntes Kapitel

    Vierzehntes Kapitel

    Fünfzehntes Kapitel

    Sechzehntes Kapitel

    Siebzehntes Kapitel

    Achtzehntes Kapitel

    Neunzehntes Kapitel

    Zwanzigstes Kapitel

    Einundzwanzigstes Kapitel

    Zweiundzwanzigstes Kapitel

    Dreiundzwanzigstes Kapitel

    Vierundzwanzigstes Kapitel

    Fünfundzwanzigstes Kapitel

    Sechsundzwanzigstes Kapitel

    Siebenundzwanzigstes Kapitel

    Achtundzwanzigstes Kapitel

    Neunundzwanzigstes Kapitel

    Dreißigstes Kapitel

    Einunddreißigstes Kapitel

    Zweiunddreißigstes Kapitel

    Quellenangabe

    Anmerkung der Autorin

    Impressum

    Erstes Kapitel

    Der Weg zog sich an den Feldern und Wiesen am Rande des Dorfes entlang. Noch war die Luft feuchtkalt und schmeckte nach frischer Erde, aber die Sonne, die durch den letzten Dunst der Morgendämmerung brach, begann schon zu wärmen. In wenigen Augenblicken würde der Tag die Nacht gänzlich vertrieben haben und die Hitze des August die Luft und den Boden, die Häuser und alles, was sich um sie bewegte, wieder zum Leuchten bringen. Doch noch bewegte sich kaum etwas. Charlotte fühlte sich sicher, dass sie ungesehen bliebe, als sie, wie schon so oft, auf das Gutshaus zulief.

    Knapp vor der ein Meter fünfzig hohen Mauer aus rotem Backstein, die das Anwesen derer von Ahlheim begrenzte und am Pförtnerhäuschen endete, brachen drei Spatzen aus dem Schlehdorngestrüpp am Wegesrand hervor, schossen im Sturzflug über Charlotte hinweg und tschilpten lautstark, als ahnten sie ihre Pläne und schimpften sie dafür. Charlotte schaute ihnen kurz nach, um dann auf die kleine schmiedeeiserne Pforte zuzugehen, die unter den herabhängenden Zweigen voller Blüten fast verborgen war. Vorsichtig drückte sie die Tür auf, trat hinein, um sie sofort wieder hinter sich zu schließen. Sie hielt lauschend den Atem an. Alles war still, leiser Wind strich durch die Bäume und trug das Gezwitscher erwachender Vögel und das ferne Muhen von Kühen heran.

    Hatte der Pförtner ihr Eindringen bemerkt? Sie schob sich durch die Büsche, lief gebückt unter Rhododendren und Blasensträuchern halb um das Gelände herum und blieb stehen.

    Fast jeden Morgen vor Schulbeginn und manchmal auch am späten Abend stand sie hier und genoss den Anblick des Herrenhauses. Eine sorgfältig geharkte Zufahrt führte zunächst in eine Allee, gesäumt von Kastanien und Linden, die schließlich vor einem mit blühenden Blumen bepflanzten Rondell endete.

    Ohne den Blick von dem Gebäude abzuwenden, hockte sie sich unter eine der Kastanien in der Nähe des Tors, zog aus ihrer Kittelschürze einen Skizzenblock hervor, benetzte einen abgenutzten Kohlestift mit der Zunge und begann mit flinken Strichen, den Block auf den geschlossenen Knien ablegend, das Gutshaus mit der höher steigenden Morgensonne festzuhalten.

    Charlotte lächelte. Die von Ahlheims waren gewiss sehr wichtige Leute, denn sie bekamen laufend Besuch. Ein Gespräch, welches sie gestern zwischen der Baronin und einer Dame, die sie zuvor noch nie hier gesehen hatte, auf der Gartenterrasse belauschte, tauchte in ihrer Erinnerung auf. Sie tranken Tee und unterhielten sich über die neugestaltete, von Säulen getragene Terrasse.

    »Es war sehr klug von Ihnen, die Holzwände entfernen und alles öffnen zu lassen. Einfach perfekt. Wie luftig es jetzt hier draußen ist«, konnte Charlotte die fremde Frau hören. »Diese wunderbaren hellen Möbel aus Korbgeflecht inmitten der vielen Blumenstöcke und Palmen. Ich muss Ihnen wirklich gratulieren, liebste Alice. Ich beneide Sie. Und dann das brillante Herrenhaus. Ich liebe es. Der zweigeschossige Putzbau mit dem bewohnbaren Halbkellergeschoss sieht geradezu edel aus. Nie habe ich einen eindrucksvolleren Mittelrisalit auf Säulen gesehen. Exzellent. Ich muss schon sagen, meine Liebe: Diese Symmetrie der Fenster, die harmonischen Proportionen sowie der Giebel und die Seitenflügel verleihen dem Bauwerk eine majestätische und anmutige Ausstrahlung zugleich. So ähnlich oder zumindest annähernd sollte meine neue Villa in Berlin aussehen.«

    Charlotte konnte nicht hören, was die Baronin erwiderte, aber innerlich musste sie in ihrem Versteck über diese gestelzten Worte, die sie ohnedies nicht verstanden hatte, lachen. Für sie war es einfach ein Prachtbau.

    Sie hatte den Gutshof bereits mehrmals gezeichnet. Aber es gab so viel Interessantes zu entdecken, dass sie nicht müde wurde, ihn aus immer neuen Perspektiven zu skizzieren. Oft, so auch heute, fügte sie sich selbst mit ins Bild: als Baronesse, als Tochter des Hauses. Sie trug ein Kleid aus duftender Spitze und fuhr in einer Kutsche spazieren, die von vier schwarzen Pferden gezogen wurde.

    Abschätzend betrachtete sie die Zeichnung. Ein sehnsüchtiges Lächeln huschte über ihr hübsches, von Sommersprossen überzogenes Gesicht. Sie und eine Baronesse. Welch ein Witz! Charlotte wusste ebenso gut wie ihr Großvater, dass sie bei ihrer Herkunft bestenfalls als Dienstmädchen in so ein vornehmes Haus hineinkommen könnte.

    Als sie das Bild einsteckte, lag das Gutshaus bereits in vollem Sonnenlicht. Höchste Zeit für sie, ihr Versteck aufzusuchen. Wenn sie sich zu lange bei der Einfahrt aufhielt, könnte man sie entdecken. Das Gesinde würde schon bald mit der Arbeit in den Pferdeställen am Rande des Anwesens beginnen und sie musste daher aufpassen, nicht einer Magd oder einem Knecht in die Arme zu laufen.

    Im Schatten der Bäume der Auffahrt lief sie in Richtung Herrenhaus. Am Rondell blieb sie eine kurze Weile lauschend in der Hocke sitzen, um danach, im Zickzack und hinter blühenden Sträuchern versteckt, auf die Linde zuzulaufen, die rechts neben der großen Freitreppe vor dem Haus stand. Der fast fünf Meter hohe, knotige Baum besaß dicke, weit ausschweifende Äste sowie eine üppige Krone. Großvater hatte einmal gesagt, die Linde sei älter als der Herrensitz und dieser stehe immerhin schon fast zweihundert Jahre.

    Es war ein Fehler gewesen, Großvater auf den Baum anzusprechen, denn er mochte es nicht, wenn sie sich auf dem Gut herumtrieb. Es sei kein Ort für arme Mädchen. Außerdem hatte Charlotte den Fehler begangen, ihm von den vielen vornehmen Gästen zu erzählen, die sie auf dem Hof beobachtet hatte. Dadurch wurde sein Zorn noch heftiger. Er packte sie am Oberkörper, um sie zu schütteln. »Du hältst dich gefälligst von diesen Leuten fern, verstanden? Das sind ehrlose Menschen und somit kein Umgang für dich!«

    Sie streckte ihre Arme in die Höhe, zog sich an einem verholzten Trieb hoch und erklomm geübt Ast um Ast, bis sie sich im Bereich des Wipfels auf einer dicken Astgabel fallen ließ. Diese uralte Linde war ihr liebster Beobachtungsposten. Von hier aus konnte sie das Rondell vor dem Gutshof, wo die Kutschen hielten, sowie die Scheunen, Ställe und Speicher rechts und links neben dem Haus ausgezeichnet überblicken. Oftmals fragte sie sich, was die Herrschaften wohl sagen würden, wenn sie wüssten, dass sie und ihr stattliches Anwesen von ihr, Charlotte, heimlich auf Papier festgehalten wurden.

    Zeichnen gehörte zu ihren größten Leidenschaften. Ihre Bilder entführten sie in eine Phantasiewelt, beflügelten ihre Vorstellungskraft. Bereits mit fünf Jahren hatte sie damit begonnen, alles, was sie bewegte, auf dem Sandboden unter ihren Füßen und auf Papierschnitzeln festzuhalten. Ob niedergeschlagen oder glücklich – stets spiegelte sich ihre Stimmung in ihren Darstellungen wider. War sie traurig, schuf sie finstere Landschaftsbilder, fühlte sie Freude in sich, zeichnete sie ihre Umgebung in hellen, freundlichen Tönen.

    Ihren Mitschülerinnen zeigte Charlotte ihre Zeichnungen nie. Sie verbarg ihre Begabung wie einen kostbaren Schatz, weil sie befürchtete, von ihnen dafür ausgelacht zu werden. Deren bösen Spott kannte sie zur Genüge.

    Sie ärgerte sich, wenn die Glocken des Kirchturms sie mahnten, zum Schulhaus zu gehen. Zeitweise ging sie gar nicht zum Unterricht, blieb stattdessen im Baum sitzen und hoffte darauf, Alexander zu treffen.

    Manchmal meldete sich deshalb für einen Augenblick ihr schlechtes Gewissen. So wie heute, wo sie die Schule ganz meiden wollte. Großvater Wilhelm würde ihr am Abend, wenn er von der Feldarbeit heimkam, dafür eine Strafpredigt halten, das war gewiss. Finge sie an sich zu rechtfertigen, würde Tante Gertrud sich wieder einmischen. Ständig drohte sie damit, sie des Hauses zu verweisen. In der Scheune sei genügend Platz für ein faules Mädchen wie sie, das nur ihre Kritzeleien im Kopf habe, schimpfte sie dann.

    Bei diesem Gedanken huschte ein gequältes Lächeln über Charlottes Gesicht. Sie rückte ein Stück nach hinten, um sich in eine bequemere Sitzposition zu schieben. Dabei ging sie gern zur Schule. Aber nur wenn Direktor Wolters, der Schulleiter, Unterricht gab. Sie mochte den breitschultrigen mittelgroßen Lehrer mit den strahlenden blauen Augen, dessen Haar in einem tiefen Kupferton schimmerte. Für Charlotte war er der liebenswürdigste Mann überhaupt. Er und Großvater waren befreundet und manchmal schenkte er ihr Hefte zum Zeichnen. Außerdem achtete er vor Schulbeginn und in den Hofpausen darauf, dass die anderen Schüler sie in Ruhe ließen.

    Direktor Wolters wohnte mit seiner Frau und dem gemeinsamen Sohn im oberen Stockwerk des aus rotem Backstein gebauten Gebäudes. In der unteren Etage befanden sich zwei Schulräume, in denen jeweils drei Klassen zusammen unterrichtet wurden.

    Wenn er sich nicht in der Schule aufhielt, hatte Charlotte einiges zu leiden unter ihren Mitschülerinnen.

    Einige von ihnen kamen aus besser gestellten Familien und sie spürte, dass diese Mädchen aus diesem Grund Spaß daran fanden, sie, die keine Eltern hatte, arm war und beim Großvater wohnte, zu demütigen. Besonders Erna, die Tochter des Bäckers, und ihre Freundinnen Gerda und Ruth nutzten jede Gelegenheit, um sie zu kränken. Ob auf dem Schulhof oder im Klassenraum, sie erfanden immer neue Gemeinheiten, mit denen sie sie erniedrigen konnten.

    Erst gestern, als Fräulein Minkwitz, ihre Lehrerin, sich anderen Schülern zuwandte, um deren Aufgaben zu kontrollieren, waren Fanny und Gerda hinter ihrem Rücken leise aufgestanden und hatten ihr schmerzhafte Kopfnüsse verpasst. Oft gelang es auch anderen Kindern, von Erna angestachelt, ihre Schiefertafel zu bespucken oder sie an ihren Zöpfen zu ziehen.

    Charlotte seufzte. Sie war keine Petze und sie wusste auch, dass Großvater sich immer furchtbar ärgerte, wenn sie von den Ereignissen in der Schule berichtete. Erst im Frühjahr dieses Jahres war er zum Schulhaus gekommen, um sich über die rüde Behandlung seiner Enkeltochter zu beschweren. Ruth hatte unter der Schulbank unbemerkt ihre Schnürsenkel verknotet, sodass sie beim Aufstehen der Länge nach hinfiel und sich dabei den rechten Arm brach.

    Trotz Großvaters Auftritt und einiger Tadel, die Erna und ihre Freundinnen im Anschluss erhalten hatten, wurde Charlotte weiterhin schikaniert. Nur dass die Mädchen jetzt genauer aufpassten, nicht erwischt zu werden – was die Sache für Charlotte nicht besser machte.

    Nun tat sie immer so, als würden die Beleidigungen der Mädchen an ihr abprallen. Sie erzählte dem Großvater nicht mehr davon, weil sie ihn liebte und nicht wollte, dass er sich ihretwegen so aufregte.

    Und bei Tante Gertrud brauchte sie sich ohnehin nicht zu beschweren. Gertrud empfand keinen Funken Zuneigung für sie, das spürte sie. Ständig warf sie Großvater vor, er würde sie verwöhnen.

    Allerdings stand Lene, die Küchenmagd, auf ihrer Seite. Sie konnte sich noch genau daran erinnern, wie Lene und Gertrud sich wegen Charlottes abgetragenem Schulkleid stritten. Es war ihr einziges und wies etliche geflickte Stellen auf, kratzte an ihrem schmächtigen Leib und saß viel zu locker um Brust und Taille.

    »Gertrud, du solltest dich schämen, das Kind in derart abgerissenen Kleidern herumlaufen zu lassen. Ständig wird sie deshalb von den betuchten Gören in der Schule gehänselt. Selbst der Hausierer, der wöchentlich auf dem Hof vorbeikommt, trägt nicht so zerlöcherte Schuhe wie das Mädchen.«

    Nicht zum ersten Mal stiegen Charlotte bei der Erinnerung an diese Worte Tränen in die Augen. Obwohl Lene auf dem Hof sehr hart arbeiten musste, nahm sie sich manchmal die Zeit, um Charlottes Bekleidung auszubessern oder ihr aus Gertruds abgelegten Sachen etwas Neues zu nähen.

    Nur Alexander schien sich an ihrer Aufmachung nicht zu stören. Im Gegenteil. Er hatte einmal zu ihr gesagt, dass schöne Kleider und das Getue darum nur Blödsinn seien und die Mädchen darin ihm manchmal wie dumme Puppen vorkämen. Ihm würde es viel besser gefallen, wie sie in den Bäumen herumkletterte. Und dann hatte er von ihrer Haut gesprochen und von ihren Haaren. Wie eine Prinzessin sehe sie aus, das hatte er wirklich gesagt. Dabei hatte sie Sommersprossen und ihre Korkenzieherlocken lösten sich ständig aus ihrem Zopf!

    Im Geiste konnte sie Alexanders von ehrlicher Bewunderung erfüllte Stimme hören. Alexander. Immer wenn sie an ihn dachte, bekam sie ein merkwürdiges Kribbeln im Bauch und ihr Herz fing schneller zu schlagen an. So wie jetzt, als sie an ihre erste Begegnung mit ihm zurückdachte. Sie saß in ihrem Versteck im Baum und zeichnete den Marstall, der ganz dicht bei der Linde stand. Plötzlich klang eine Stimme zu ihr hoch:

    »Was tust du dort oben?«

    Er stand am Fuße des Baumes und schaute zu ihr herauf. Sie erkannte ihn sofort. Es war der Sohn der Gutsbesitzerfamilie. Oft wurde er von seinem Hauslehrer begleitet, einem großen kräftigen Mann, mit breiten Koteletten, akkurat getrimmtem Schnurrbart und einem kantigen Gesicht. Er drückte sich immer sehr ausführlich und langatmig aus, bestimmt hatte er in seinem ganzen Leben noch keinen Satz falsch gesprochen.

    Manchmal hatte Charlotte in ihrem geheimen Ort das Gefühl, dass er alles vorlas, was er dem jungen Baron an Pflanzen und Vögeln im Park erklärte. Wenn sie den beiden nachschaute, musste sie oft an sich halten, um nicht laut loszulachen. Was für ein Unterschied zu Direktor Wolters. Wenn er mit der Klasse auf Entdeckungstouren ging, hingen alle Kinder an seinem Mund und folgten aufmerksam seinen Ausführungen.

    Aber unverkennbar stieß jener eifrige Lehrer bei dem jungen Baron auf taube Ohren. Sein Zögling schnitt hinter seinem Rücken Grimassen und schoss, sobald er sich unbeobachtet glaubte, mit einem eigenhändig gebastelten Katapult lieber auf das Federvieh, als dessen Brutverhalten zu studieren. Charlotte vermutete, dass dieser Lehrer das Benehmen des Burschen nicht ungewöhnlich fand, denn reiche Kinder neigen nun einmal zu ausgefallenen Verhaltensweisen.

    Charlotte antwortete ihm nicht. Vielleicht geht er ja einfach weiter, hoffte sie.

    »Bist du stumm?«, fragte er mit spottender Stimme.

    Sie fühlte sich ertappt. Mit Sicherheit weiß er, dass ich hier fast täglich sitze, durchfuhr es sie. Nun wird er mich bei den Herrschaften verpetzen und ich bekomme zuhause Ärger. Bei diesem unerfreulichen Gedanken beschloss sie, ihren Aussichtsposten zu verlassen. Sie begann, den Baum herabzuklettern. Plötzlich verfing sich ihr Kleid an einem Ast. Ohne einen Augenblick nachzudenken, drehte sie sich rückwärts, um sich zu befreien. Und da geschah es. Sie verlor den Halt und landete direkt vor seinen Füßen.

    Schmerzhaft verzog sie das Gesicht. Bei dem ungeschickten Aufprall hatte sie sich Schürfwunden an Händen und Knien zugezogen. Sie spürte, wie sie rot wurde. Voller Kampfgeist fuhr sie ihn schroff an:

    »Bist du verrückt? Mich so zu erschrecken. Ich hätte mir sämtliche Knochen brechen können!«

    Er hatte schnell seinen Schreck darüber, dass sie so plötzlich vor ihm lag, überwunden und zuckte nun leicht grinsend mit den Schultern.

    »Tut mir leid. Das wollte ich nicht.«

    Einen Augenblick stand er unschlüssig da und sah zu ihr hinunter. Dann streckte er ihr die rechte Hand hin.

    »Komm, ich helfe dir auf.«

    Nach kurzem Zögern griff Charlotte zu und ließ sich auf die Beine ziehen. Nachdem sie festen Boden unter den Füßen spürte, schaute sie ihn verlegen an. Kein vernünftiges Wort fiel ihr ein. Außerdem brannten die Schürfwunden entsetzlich.

    Er zog ein weißes Taschentuch hervor, benetzte einen Zipfel davon mit Spucke und begann ihr eine Blutspur vom rechten Arm abzuwischen. Augenblicklich trat sie zurück. Verwirrt schaute sie ihn an.

    »Was soll das?«

    Er gab keine Antwort. Stattdessen befeuchtete er nochmals das Tuch. Dann wischte er ihr wie selbstverständlich über die Stirn.

    »Du hast dir bei deinem Höhenflug Schrammen zugezogen«, sagte er belustigt.

    »Lass das! Die paar Kratzer werden mich nicht umbringen«, zischte sie und schlug ihm abweisend auf die Hand. Noch nie hatte ein Junge sie angefasst. Schon gar nicht so ein feiner Pinkel, schoss es ihr durch den Kopf.

    Scheinbar unbeeindruckt von ihren grimmigen Worten zog ein breites Lächeln über sein Gesicht. Und um die Sache für sie noch schlimmer zu machen, blieben seine Augen an ihrem zerrissenen Kleid hängen. Wie Nadelspitzen kribbelten diese Blicke auf ihrem Körper. Sie schluckte heftig. Jetzt bloß nicht in Tränen ausbrechen. Er wird mich genau wie die Kinder in der Schule mit meinen Kleidern aufziehen, bangte sie. Ihr Herz flatterte vor Angst und sie wünschte sich, unsichtbar zu sein. Doch er hielt ihr nochmals die Hand hin.

    »Ich heiße Alexander«, sagte er gelassen, um dann spöttisch hinzuzufügen: »Dass ich hier wohne, weißt du ja bereits. Und wer bist du?«

    Obwohl ihr Herzschlag sich beruhigte, blieb sie innerlich angespannt. Wenn er meinen Namen weiß, wird er mich erst recht verpetzen, überlegte sie. Doch während sie abschätzend sein Gesicht betrachtete, spürte sie aus einem unerklärlichen Grund, dass sie ihm vertrauen konnte.

    »Ich bin Charlotte Büttner.«

    »Woher kommst du?«

    »Von unten, am Rande des Dorfes. Ich wohne dort mit meinem Großvater und Tante Gertrud. Wir bewirtschaften einen kleinen Bauernhof.«

    »Oh, genau wie mein Vater. Besitzt ihr auch einen Wald zum Jagen und Seen zum Fischen?«

    Charlotte lachte verärgert auf.

    »Was weißt du schon! Mein Großvater arbeitet für den Baron. Uns gehört gar nichts. Tante Gertrud sagt immer, eines Tages, wenn Großvater nicht mehr lebt, müssen wir aus dem Haus ausziehen, weil es uns nicht gehört.«

    Sie verscheuchte ein paar Fliegen, die summend ihren Kopf umkreisten. Dann fuhr sie verbittert fort:

    »Im Grunde sollte es mich nicht interessieren, was aus dem Kasten wird, ich gehe sowieso aus Retzow fort. Weit weg von Tante Gertrud, die mich auf den Tod nicht ausstehen kann und sich jeden Tag neue Schikanen für mich ausdenkt. Aber wer weiß, vielleicht bekommt Großvater so viel Geld zusammen, um deinem Vater unser Zuhause abzukaufen. Er hat mir einmal gesagt, Gertrud dürfe nie erfahren, wie viel Geld er dafür schon gespart hat, weil sie sich damit sonst ein schönes Leben machen würde.« Sie schlug mit den Händen um sich.

    »Verdammte Fliegenplage«, schimpfte sie. Dann blickte sie erschrocken auf, weil aus der Ferne das Schlagen der Kirchturmuhr zu hören war.

    »Oh, die Schule fängt an«, murmelte sie schuldbewusst. »Wenn mir jetzt keine passende Ausrede einfällt, gibt es Ärger.«

    »Wann kommst du wieder?«, fragte Alexander, der wie gebannt Charlottes Worte aufgenommen hatte. Noch nie war ihm so ein offenherziges Mädchen begegnet. Die Mädchen, die mit ihren Eltern oft zu Besuch kamen, taten immer so geziert, außerdem würde von denen keine auf einen Baum klettern. Er musste sie unbedingt wiedersehen.

    Charlotte musterte ihn, bevor sie antwortete. Er war der erste Junge, der mit ihr freundlich sprach.

    »Morgen, zur selben Zeit. Großvater und Gertrud dürfen nie erfahren, wo ich mich vor Schulbeginn aufhalte.« Fragend fügte sie hinzu: »Du verpetzt mich doch nicht bei deinen Eltern, oder?«

    »Warum sollte ich?«, fragte er schlicht. »Meine Eltern glauben, dass ich noch im Bett liege. Mein Vater mag es gar nicht, wenn ich zu dieser Zeit draußen bin.«

    Knackendes Geäst unterbrach sie in ihren Gedanken. Alexander. Er kam den Baum hoch. Nachdem er schnaufend auf einem gegenüberliegenden Ast Platz genommen hatte, zog er einen Apfel aus der Hosentasche.

    »Hier, mehr war nicht zu bekommen. Meine Mutter schläft noch und im Salon stand bis jetzt noch kein Frühstück. Ich kann nicht lange bleiben, weil mein Vater schon aufgestanden ist. Hoffentlich hat er nicht mitbekommen, dass ich mich rausgeschlichen habe.«

    Hungrig griff Charlotte nach dem Apfel. Als sie hineinbiss und ihre Augen über seine Sachen streiften, konnte sie sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. »Tolle Aufmachung«, kicherte sie mit vollem Mund.

    Alexander schaute an sich herab. »Heinrich hatte nichts anderes. Ich bin froh, dass er sein altes Zeug nicht weggeschmissen hat. Die Sachen sind mir zwar zu groß, aber nicht auszudenken, wenn ich meinem Vater in meinen eigenen Sachen über den Weg laufe und alles schmutzig ist vom Klettern.«

    Charlotte nickte zustimmend. Wenn Alexander hinter seinem Lehrer im Park herlief, trug er im Gegensatz zu ihren Mitschülern immer einen Matrosenanzug, weiße Kniestrümpfe und schwarze, knöchelhohe Stiefel. Er sah so merkwürdig darin aus, kein richtiger Junge, aber auch kein Erwachsener. Alexander sagte aber einmal, er müsse solche Kleidung tragen, weil alle Jungen aus vermögendem Hause in seinem Alter dies tun. Aber damit konnte er natürlich nicht auf Bäume klettern. Irgendetwas ging bei den Klettertouren immer kaputt. Wie gut, dass er Heinrich hatte!

    Während Charlotte weiter ihren Apfel aß, betrachtete Alexander aufmerksam ihre neue Zeichnung. »Unglaublich, wie genau du unser Haus wieder hinbekommen hast. Ich könnte das nicht. Mit deinem Talent wirst du bestimmt einmal eine große Künstlerin.«

    Charlotte freute sich. Sie wusste, dass er sie niemals anlog. Es waren immer besondere Augenblicke, die sie gemeinsam auf dem Baum verbrachten. Dann betrachteten sie ihre Zeichnungen oder beobachteten das Geschehen auf dem Gutshof. Aber oft redeten sie nur und stellten sich vor, wie ihre Zukunft aussehen könnte.

    Alexander würde Arzt werden. Wie Rudolf Virchow. Sein Lehrer hatte ihm schon oft von diesem berühmten Mediziner erzählt. Wenn er zu erläutern begann, wie Virchow durch seine pathologischen Studien vielen Krankheiten auf den Grund gekommen war, leuchteten seine Augen zwischen den dicken Koteletten. Alexander wusste, dass sein Lehrer selber gern Arzt geworden wäre, seine Eltern aber ihm diesen Wunsch aus finanziellen Gründen nicht erfüllen konnten. Das Familienbudget ermöglichte lediglich eine Lehrerausbildung. Er sagte ihm allerdings auch, dass er ihn, Alexander, für sehr klug hielt und davon überzeugt sei, dass seine Zielstrebigkeit einmal dazu führen würde, Arzt zu werden. Seither sezierte Alexander heimlich tote Vögel und Mäuse, um deren Inneres zu erforschen. Und er träumte davon, sich wie Virchow einmal dafür einzusetzen, dass auch arme Menschen medizinisch versorgt werden. Sein Vater durfte von seinen Plänen nichts wissen. Er betrachtete ihn schon jetzt als den neuen Besitzer des Gutes.

    Charlottes Zukunftsträume waren längst nicht so beeindruckend oder spannend. Sie wollte nur eins: fort. Fort von Tante Gertrud und ihren Gemeinheiten. Sie stellte sich vor, nach Amerika zu gehen, wo Gertrud sie nie vermuten würde. Es gab da nur ein Problem: Amerika hieße, Opa Wilhelm und Alexander zu verlassen.

    Charlotte seufzte. Sie hatte den Apfel aufgegessen und ließ den Stiel, der als Einziges übriggeblieben war, nach unten fallen. Obwohl sie nicht sehen konnte, wohin er fiel, blieb ihr Blick wie träumerisch an einem imaginären Punkt da unten hängen.

    »Woran denkst du?«, unterbrach Alexander ihre Gedanken.

    »Ist deine Mutter gelegentlich streng zu dir? Schimpft sie dich mit bösen Worten?«

    Alexander lachte. »Aber nein. Maman liebt mich.« Er sah sie an. Dann fragte er in seiner ruhigen, nachdenklichen Art: »Hattest du wieder Ärger zuhause?«

    Charlotte nickte. Plötzlich brannten Tränen in ihren Augen. Schniefend zog sie die Nase hoch. Alexander rutschte näher an sie heran. Unbeholfen fasste er nach ihrer linken Hand.

    »War es wieder deine Tante? Warum geht sie so mit dir um?«

    »Sie hasst mich und will mich am liebsten loswerden. Gestern war es besonders schlimm.«

    »Was ist passiert?«

    Charlotte glitt im Geiste zu dem gestrigen Abend zurück und schien plötzlich alles noch einmal zu erleben. Sie vergaß fast ihren Zuhörer und sprach, als würde sie laut denken.

    Alles hatte mit Huldas Übelkeit begonnen. Wilhelm, Gertrud, Hulda und sie saßen beim Abendbrot. Der Geruch nach gebratenen Eiern hing in der Luft, als die siebzehnjährige Magd plötzlich aufsprang, fluchtartig die Diele verließ und sich vor der Tür übergab. Danach kam sie an die Tafel zurück, legte ihren Kopf auf die verschränkten Arme und seufzte: »Ist mir übel!«

    Charlotte sah Gertrud erbleichen. Sie stürzte sich auf Hulda, zerrte sie vom Tisch weg und schlug ihr ins Gesicht. Zweimal. Erst links, dann rechts.

    »Du Hure«, zischte sie. »Du schmutzige Hure! Und das unter meinem Dach!«

    Charlotte saß wie versteinert am Tisch und sah der Szene erschrocken zu. Sie versuchte zu verstehen, was da vor sich ging. Auf Huldas Wangen zeichneten sich rote Male von Gertruds Ohrfeigen ab, ihre Augen sprühten vor Zorn.

    »Du hast kein Recht, mich eine Hure zu nennen. Burkhard und ich werden heiraten. In drei Wochen schon und dann kannst du zusehen, wie du ohne mich klarkommst.«

    Sie ging einen Schritt auf Gertrud zu. Ihre blassen Lippen verzogen sich zu einer Grimasse der Abscheu.

    »Ich bin froh, von hier wegzukommen. So muss ich endlich nicht mehr mit ansehen, wie du mit Charlotte umgehst. Maria würde sich im Grab umdrehen, wenn sie wüsste, dass du ihre Tochter wie den Dreck unter deinen Füßen behandelst.«

    Wilhelm fuhr auf. Heftig schob er seinen Stuhl zurück und stellte sich zwischen die beiden Streitenden.

    »Ihr werdet auf der Stelle damit aufhören! Ich dulde nicht, dass ihr Maria mit in euren Streit hineinzieht. Sie ist tot und kann sich nicht mehr wehren.«

    Charlotte starrte auf ihren leeren Teller. Warum ist Hulda nicht still und hört endlich auf, Gertrud zu reizen, dachte sie verzweifelt. Sie kannte ihre Tante. Selbst Wilhelms Machtwort würde sie nicht mehr davon abhalten, weiterzuzetern.

    »Maria war um keinen Deut besser! In der Wirtschaft, wo sie bediente, trieb sie es doch mit jedem! Nennt man so etwas nicht Flittchen oder Hure? Und nachdem sie hier im Dorf wegen ihres Bastards niemand mehr ansah, hat sie sich davongemacht und mir ihr Balg aufgehalst.«

    Charlotte hielt sich mit beiden Händen die Ohren zu und rannte davon. Weinend stolperte sie aus dem Haus und ließ sich in der Scheune ins Stroh fallen. Gertruds abfällige Worte über ihre Mutter dröhnten noch in ihren Ohren und schnürten ihr den Hals zu. Sie rollte sich zusammen und weinte hemmungslos. Die Schimpfworte der Dorfkinder hämmerten in ihrem Kopf: Bastard, Hurenkind. War ihre Mutter wirklich eine Hure gewesen?

    Alexander sah Charlotte an. Er wusste zwar nicht, was eine Hure war, vermutete aber etwas sehr Schlimmes hinter dem Wort, wenn Charlotte sich darüber so aufregte. Er schob sich noch näher an sie heran und legte zaghaft den Arm um ihre Schultern. Er konnte ihren Atem spüren, warm und nach Apfel riechend. Dann bewegten sich seine Lippen sanft auf sie zu und er hauchte ihr einen zarten Kuss auf die Wange. So wie es seine Mutter jeden Abend tat, wenn er im Bett lag.

    Nachdem er den Kopf zurückgezogen hatte, schaute Charlotte ihn verwirrt an. Sie errötete bis unter die Haarwurzeln, ihr Herz klopfte heftig. Noch nie im Leben hatte jemand sie geküsst. Ein warmer Strom durchfloss sie und von einer nie gekannten Zuneigung für ihn erfüllt streckte sie die Hand aus und streichelte zaghaft sein Gesicht.

    Alexanders schmales Antlitz leuchtete vor Scham. Etwas passierte in seinem Innern. Sein Herz klopfte schnell und alles brannte ihn ihm. Er verstand es nicht. Er war dreizehn Jahre alt und vermutete, dass es mit diesem Mädchen zusammenhing. Er schaute ihr fest in die Augen und sagte schüchtern:

    »Es macht nichts, dass du ein Hurenbalg bist. Sobald wir erwachsen sind, werden wir heiraten und allen zeigen, wie egal uns ihre Meinung ist.«

    Zweites Kapitel

    Aufrecht, die Hände auf dem Rücken verschränkt, stand Baron Bertram von Ahlheim in der Bibliothek am Fenster und beobachtete mit versteinertem Gesicht seinen Sohn Alexander, der soeben aus dem Dickicht des Parks aufgetaucht war.

    Der Freiherr, achtundvierzig Jahre alt, stattlich und schlank, war eine attraktive Erscheinung. Das dichte, erst von wenigen silbernen Fäden durchzogene Haar und der streng gestutzte Backenbart hielten jedem Vergleich mit dem Deutschen Kaiser und König von Preußen, Wilhelm II., stand, dessen Porträt über dem Kamin in seinem Arbeitszimmer hing. Die stechenden eisgrauen Augen, in denen sich ein gewisses Maß an Arroganz widerspiegelte, die große Nase und die vollen Lippen sowie seine aufrechte Haltung ließen den aufmerksamen Beobachter sofort erahnen, dass er einen Tyrannen vor sich hatte. Selbst preußisch diszipliniert bis ins

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