Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Revanche
Revanche
Revanche
eBook219 Seiten2 Stunden

Revanche

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Tobias Ristow lebt allein in einer komfortablen Terrassenhauswohnung, die er nach dem Abitur von seinem Vater, wie er dachte, generös zur Verfügung gestellt bekommen hat. Dabei war sein Vater ihm gegenüber immer abweisend, bevorzugte die beiden älteren Halbbrüder. Als Ristow damals Unterschriften unter einige Formulare und Verträge setzte, ahnte er nicht, dass dies weitreichende Folgen haben würde. Anders als seine Halbbrüder muss er nicht gleich in der väterlichen Firma antreten, er genießt als "Träumer" der Familie Freiräume, die er weidlich nutzt, bevor er dann doch schließlich Arbeit beim Vater aufnimmt. Beziehungen zu Frauen scheitern an seiner Unentschlossenheit in Lebens- und Liebesdingen, bis er die attraktive, aber kapriziöse Lea Berner kennenlernt und sich eine neue Chance eröffnet. Doch die Sehnsucht nach seinem geliebten Onkel Fritz und die Suche nach den eigenen Wurzeln lässt ihn tiefer in die rätselhaften Verflechtungen der eigenen Familiengeschichte vordringen: Der Bruder seines Vaters verschwand spurlos im selben Moment, in dem seine Mutter bei einem mysteriösen Autounfall ums Leben kam; Ristow war damals sieben Jahre alt. Der Mutterverlust war schrecklich, man sperrte ihn weg in ein Internat, die Suche nach Onkel Fritz hat er dennoch nie aufgegeben. Jetzt, kurz vor seinem 50. Geburtstag, reist er an den Ort, an dem er den Onkel wähnt, um ihm die Frage zu stellen, die ihn seit Jahren umtreibt: War sein Vater sein leiblicher Vater, oder doch vielleicht Fritz?
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum30. Aug. 2019
ISBN9783627022785
Revanche

Mehr von Claire Beyer lesen

Ähnliche Autoren

Ähnlich wie Revanche

Ähnliche E-Books

Sagen für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Revanche

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Revanche - Claire Beyer

    Coverbild

    Tobias Ristow lebt allein in einer komfortablen Terrassenhauswohnung, die er nach dem Abitur von seinem Vater zur Verfügung gestellt bekommen hat. Im Gegenzug setzte er auf Wunsch seines Vaters Unterschriften unter einige Formulare, ohne zu ahnen, welch weitreichende Folgen dies für ihn haben würde. Als Träumer der Familie spielt er in der väterlichen Firma eine nebengeordnete Rolle, anders als seine Halbbrüder, die vom Vater bevorzugt werden. Als er die attraktive, aber kapriziöse Lea kennenlernt, deren Sohn Raphael nach anfänglicher Skepsis immer mehr Vertrauen zu ihm fasst, kommt neuer Schwung in sein Leben. Doch die alten Fragen lassen ihn nicht los: Was hatte es mit dem rätselhaften Autounfall seiner Mutter auf sich? Warum verschwand sein geliebter Onkel Fritz damals spurlos? Tobias macht sich auf die Suche nach den eigenen Wurzeln, die ihn bis nach Madeira und durch Nordfrankreich führt, und dringt tiefer in die rätselhaften Verflechtungen der eigenen Familiengeschichte vor.

    TitelabbildungVerlagslogo

    Inhalt

    Wenn, wie an diesem Morgen …

    »La Maison Rouge« werden die drei kleinen Häuser …

    Ich hatte jedes Zeitgefühl verloren …

    Ich habe einen Mann getötet …

    Raphael sah sich unwillkürlich um …

    Frankreich, 1916 …

    Raphael ging zum Schreibtisch …

    Monate zuvor war Tobias Ristow …

    Der Start vom Flughafen Funchal …

    Nach seinem Einzug saß Tobias …

    Zwei Jahre hatte er im Lebensstil …

    Am Wochenende nach Ritas Brief …

    Er wechselte die Fakultät …

    Heute lachte kaum noch jemand …

    Der Junge war sieben Jahre alt gewesen …

    Einen Stapel Auftragszettel …

    Ristow sah auf seinem Handy …

    Fledermäuse und irgendwelche Nachtvögel …

    Die Firma. Das Große …

    Ristow schloss die schwere Eingangstür …

    Sein Freund und Studienkollege …

    Als Ristow in die Wohnung zurückkam …

    Wohin er reisen würde …

    Ristow war auf dem Weg nach Laupheim …

    »Ja und ja«, sagte Fred …

    »Das Elsass«, dozierte Raphael …

    Die Gästewohnung, ursprünglich die Räume von …

    Ein Glas und noch eins …

    Ihr Ziel war Laon …

    Raphael vergaß angesichts …

    Wir sind fast am Ziel …

    Am deutschen Soldatenfriedhof …

    Raphael hatte die Blumen gepflückt …

    Spektakulärer Panoramablick …

    Schau mal nach oben …

    Wäre es ihnen möglich gewesen …

    In Kirchen finde ich die Fenster …

    Bis fast vor die Tore von Paris …

    Während die Hitze Paris fest im Griff hatte …

    Ristow und der wieder gesundete Raphael …

    Wilhelm Ristow betrachtete die schlafende Lea …

    Der Neckar fing den warmen Regen …

    Am Flughafen von Funchal warteten …

    Raphael hatte einen Schlüssel …

    Ristow führte auf Madeira …

    Nicht im Lorbeerwald …

    Ristow setzte sich auf den äußersten Rand …

    Aber der Schreiber ist halbwegs in seinem Bild

    Und bewegt sich darin zugleich als Maulwurf und Adler

    Tomas Tranströmer

    Für Bruder Franz

    Wenn, wie an diesem Morgen, ihre Schritte so massiv durch die Kellerdecke drangen, würde es Ärger geben. Mehr noch als Worte setzte seine Mutter ihre Absätze als Waffe gegen ihn ein. Klackklackklack, ein gewaltiges Stakkato, das der Choreografie ihrer Wut folgte. Er sprang auf und stellte sich für einen Moment vor seinen Schreibtisch, auf den ein Sonnenstrahl durch das Kellerfenster fiel. Raphael mochte seine Behausung, obwohl sie keine acht Quadratmeter maß und außer in den Morgenstunden kaum Licht hereinkam. Wären da nicht diese Schritte, einen besseren Platz zum Leben hätte er sich nicht vorstellen können.

    Vor seinem Verschwinden hatte Raphaels Vater den Kellerraum für sich beansprucht, wahlweise als Werkstatt, Bücherzimmer oder Büro. Längst war alles leergeräumt und nur eine Werkbank und einige graue Kabel, die aus der Wand hingen, zeugten noch von seinem überstürzten Aufbruch ohne Wiederkehr.

    Schnell zog sich der Junge an, warf sich die Schultasche über die Schulter, eilte die Treppe hinauf, duckte sich und floh an der Tür seiner Mutter vorbei hinaus ins Freie.

    Kein Frühstück. Kein Pausenbrot. Und Geld hatte er auch keines. Sie schuldete ihm sein Taschengeld seit Ewigkeiten, er wusste selbst nicht mehr genau, seit wann. Shit, shit, shit, shit. Mit diesem Rhythmus betrat er das Schulgebäude. Und verließ es wieder, noch bevor er es zum Klassenraum geschafft hatte.

    Er überlegte, ging dann zum Terrassenhaus. Tobias Ristow war nicht da, aber Fred Immermann ließ ihn wortlos in die Wohnung. Raphael setzte sich an den Schreibtisch und nahm die Aufzeichnungen des Meldereiters August Ristow aus dem Ersten Weltkrieg zur Hand und begann zu lesen.

    *

    »La Maison Rouge« werden die drei kleinen Häuser auf dem Weg von Festieux zum strategisch wichtigen Fort de la Malmaison genannt. Sie waren als »Lieu d’amour«, als »Ort der Liebe« bekannt. Ich wurde in den Gefechtsstand gerufen. Der Unteroffizier unserer Einheit, ein Bayer mit rotem Bart, teilte mich dazu ein, am Abend die Offiziere zu den roten Häusern zu begleiten, um dort für die Pferde zu sorgen. Sie sollten bei etwaigen Trommelfeuern oder sonstigem Lärm beruhigt werden, so der Bayer. Mit meinem Leben musste ich dafür garantieren.

    Die Leiber der Pferde dampften vom scharfen Ritt und wärmten die kalte Luft der Boxen. Ich trocknete ihnen den Schweiß, legte raue Decken über sie, sprach mit ihnen. Diese ehrliche und gute Arbeit liebte ich und freute mich schon am Morgen auf meine Aufgabe, auch wenn die Offiziere oftmals bis spät in die Nacht in dem Etablissement blieben und sich danach, mitunter stockbesoffen, kaum auf den Tieren halten konnten. Seit Tagen – oder waren es Wochen? – gab es keine Kampfhandlungen. Beide Seiten belauerten sich, jeder hatte Angst vor dem ersten Schuss, der ersten Granate, dem ersten Angriff. Der Stellungskrieg lag in tiefer Agonie. Doch die Soldaten hockten schussbereit in ihren Gräben.

    Ich beförderte tagsüber die Eilnachrichten zu den Gefechtsständen und zurück, ritt mein Pferd dabei über einen Zufluss zur Aisne. Es war eine verbotene Abkürzung, denn dort gab es nur eine schmale Behelfsbrücke mit lückenhaftem Geländer. An diesem Tag scheute das Tier vor seinem eigenen Spiegelbild und wir beide stürzten hinab. Glück im Unglück, dass der Bach zu diesem Zeitpunkt wenig Wasser mit sich führte, denn bei Normal- oder gar bei Hochwasser wurden die Nebenarme der Aisne, wie sie selbst, zum reißenden Strom. Ich schimpfte meinen Weggefährten einen Ochsen, und wirklich, so ein Pferd kann schuldbewusst dreinschauen. Gott sei Dank sah keiner, wie wir uns triefend nass ans Ufer hievten. Wäre das bekannt geworden, hätte es mich wieder in den Schützengraben gebracht.

    Mein klatschnasses Pferd musste gleich getrocknet werden – und ich ebenfalls. Doch als ich wieder aufsaß, machte mich ein undefinierbares Gefühl stutzig. Ich erkannte die Brücke eindeutig als das Versteck des Tornisters. Das Holz der Brückendielen hatte es mir verraten. Grau und rissig und einzigartig in dieser Gegend. Der sterbende Kamerad hatte mir sein Geheimnis anvertraut.

    Kriegsbeute. Goldbarren und -münzen. Gib sie zurück, schienen seine Augen zu sagen, ich möchte nicht als Dieb sterben. Ich hatte es ihm in die Hand versprochen.

    Ich stieg dennoch nicht ab, das Pferd ging vor. Auch musste ich vorsichtig sein und die schützende Nacht für mein Vorhaben wählen, den Tornister auszugraben. Jetzt musste ich mich um mein Pferd kümmern, ohne dass mein Sturz einem der höheren Dienstgrade zu Ohren kam. Mir fiel der Stall der Maisons Rouges ein. Zu dieser Tageszeit war dort nicht mit Offizieren zu rechnen.

    Ich kam nicht zur üblichen Stunde zu den drei roten Häusern und war überrascht, jemanden anzutreffen. Es war ein junges Mädchen mit Haube, eine Küchenmamsell oder ein Hausmädchen der Frauen, die in den Häusern ihrem Gewerbe nachgingen. Sie schüttete Karottenreste in einen Trog und bemerkte mich erst, als ich mich beinahe hinter ihr befand. Sie erschrak so sehr, dass ihr die Blechschüssel aus den Händen fiel. Ihren langen Rock samt karierter Schürze raffend, rannte sie mit hochrotem Kopf an mir vorbei, hinaus aus dem Stall.

    Das war meine erste Begegnung mit Simone.

    Überhaupt war es das erste weibliche Wesen in Nähe der Front, das ich zu Gesicht bekam. Denn jene Damen, zu denen es die Offiziere zog, verließen die roten Häuser nie. Fast so verwirrt wie das inzwischen verschwundene Mädchen stieg ich vom Pferd, trocknete meinen Gefährten mit geübten Handgriffen, und ließ dabei die Blechschüssel nicht aus den Augen. Dann entkleidete ich mich schnell, legte Uniform und Wäsche auf einen Strohballen, schlang eine raue Decke um meinen Körper und zog mich in eine der leeren Pferdeboxen zurück. Ein leises Geräusch ließ mich aufhorchen und ich spähte um die Ecke. Am Tor zum Stall blitzte eine weiße Haube auf. Gleich darauf stand das Mädchen im Innern und schaute sich suchend um. Vorsichtig trat ich aus meinem Versteck. Die Decke notdürftig unter die Achseln geklemmt, hob ich die Schüssel auf und streckte sie ihr entgegen. Sie reagierte schnell, war mit wenigen Schritten bei mir, riss die Schüssel an sich, wobei ich vor lauter Überraschung meine schützende Decke fallen ließ. Schon am Tor, drehte sich das Mädchen noch einmal um, ich glaubte, sie lachen zu sehen, war aber viel zu verlegen, um etwas zu erwidern. Soldat August nackt im Stall, präsentiert seine abgemagerte Gestalt einer jungen Frau. Gott im Himmel, dachte ich, das kann doch nicht wahr sein, und floh zurück in die Box.

    An den Tagen und Abenden darauf war alles wie zuvor. Ich ritt, an mein Pferd geschmiegt, ausgestattet mit den wichtigen Botschaften, den Chemin des Dames entlang, kam erleichtert wieder ins Fort zurück, nahm am Abend die Pferde der Offiziere bei den roten Häusern in meine Obhut und verbrachte die halben Nächte im Stall. Dort beschäftigten mich die Gedanken um das Mädchen oder den versteckten Tornister, manches Mal auch um beide gleichzeitig. Dann, ich war auf meinem Strohballen eingeschlafen, schrak ich hoch. Das Mädchen stand vor mir. Ich hatte keine Vorstellung, wie lange sie mich schon beobachtet hatte. Unsicher, wie ich mich verhalten sollte, blieb ich einfach liegen, schaute sie an. Schaute, ob sie ein Messer zog. Das war an anderer Stelle vorgekommen, ich wusste davon. Aber das Mädchen lächelte nur, zeigte auf sich und nannte ihren Namen. Ich stand auf, verneigte mich vor ihr: August, ich bin August. Auguste, wiederholte sie, setzte sich und zog mich an sich.

    Simone. Eine Liebe im Krieg. Im Feindesland. In Unzeiten.

    Wir perfektionierten nach und nach unsere sprachlose Kommunikation, stießen an Grenzen. Wie sagt man Unsagbares. Eine Hand aufs Herz, ein Streicheln über die Wangen, eine lange Umarmung. Ihre Lippen berühren, ihre Haare, ihren Schoß, ihre geschlossenen Lider küssen. Mon amour, mon amour. So brachten wir uns Worte bei. Lachten über die Aussprache des anderen.

    Bis wir vom rotbärtigen Unteroffizier entdeckt wurden. Er hatte eine Flasche Schnaps aus den Satteltaschen seines Pferdes geholt und ließ im hinteren Teil des Stalls Wasser. Wir hatten uns geliebt und lagen engumschlungen auf unserem Strohbett. Der Bärtige starrte auf uns, starrte auf Simone, in deren dunklen Locken sich Halme verfangen hatten. Dann wandte er sich wortlos dem Tor zu. Hastig kleideten wir uns an. Ich fror. Der lüsterne Blick des Bärtigen verhieß nichts Gutes. Simone war in großer Gefahr. Was mit mir passieren würde, war mir in diesem Moment gleichgültig. Ich begleitete sie zu den roten Häusern, wo sie eine kleine Kammer bewohnte. Ihr Weinen verfolgte mich die ganze Nacht.

    Simone musste verschwinden. Möglichst weit weg von den Maisons Rouges. Aber wie? Mir fiel der Tornister ein. Ich nahm die Taschenlampe, eine neue Daimon 414, einen Spaten, sattelte mein schläfriges Pferd und gab ihm vor dem offenen Stalltor die Sporen. Kaum hatte ich die Brücke erreicht, sprang ich ab, ließ meinen Gefährten stehen, er würde nicht weglaufen. Nach nur wenigen Versuchen fand ich das Versteck. Der Regen hatte es fast schon freigelegt. Mit dem Tornister auf dem Rücken ritt ich im Galopp zurück. Trotz tiefster Dunkelheit. Ich musste mich beeilen, denn die Offiziere würden bald aufbrechen und als ihre Vorhut musste ich vorausreiten. Es war noch ruhig, als ich am Stall ankam. In den drei roten Häusern brannten die Petroleumlampen, hin und wieder tauchten Silhouetten hinter den Fensterscheiben auf. Mein Gefährte durfte nach einem kräftigen Abreiben des verschwitzten Leibs seinen Schlaf fortsetzen. Ich verkroch mich in eine leere Box, öffnete den verschmutzten Tornister. Wie alle anderen auch bestand der Außenstoff aus grauer, fester Baumwolle. Innen war er mit einem leinenweißen Bezug ausgelegt. Das eingenähte hölzerne Kreuz, das der Stabilisierung dienen sollte, war gebrochen, doch das nierenförmige Kochgeschirr aus Stahlblech war da, ebenso etwas Wäsche und Ersatzstiefel. Im Außenfach fand ich Patronen. Ich breitete das Inventar vor mir aus, sah aber unter dem Schein der Taschenlampe nichts, was auf geraubtes Kriegsgut hinwies. Erst als ich in einen der Stiefelschächte griff, kam die Beute zum Vorschein. Drei Goldbarren und etliche Münzen. Hastig stopfte ich alles wieder zurück, packte das Stiefelpaar in den Tornister und versteckte ihn unter Stroh und Heu in einem Loch in der Wand, denn aus den Häusern drangen bereits Stimmen zu mir herüber.

    Die Offiziere gingen jeden Abend zu den roten Häusern. Außer bei Kampfhandlungen oder an Sonntagen, weil sich dann im Laufe des Abends der Garnisonspfarrer zeigte und über die gelichteten Reihen hinweg predigte. Einzig ein Zitat ist mir davon in Erinnerung geblieben: »Gott halte es mit den besten Kanonen.«

    Wenn ich also das Mädchen retten wollte, dann an diesem Sonntagabend, nur sonntags konnte es gelingen, davon war ich überzeugt, das redete ich mir ein. Trotzdem war ich verzweifelt, denn als einfacher Soldat musste ich am Gottesdienst teilnehmen, jedes Fernbleiben wurde geahndet. Nur eine List würde mir noch helfen, Simone zu retten, aber auch die blieb mir versagt, denn für diesen Abend wurde ich als Wachposten während der Predigten eingeteilt. Gott war bei den Kanonen, nicht bei mir.

    In diesen Tagen blieb es an der Front ruhig. Die Soldaten harrten in den Gräben im Schlamm und Dreck aus. Die Offiziere hatten sich zu den hinteren Linien zurückgezogen. Ihre Unterkünfte waren mit Teppichen und Tapeten ausgestattet, zum Teil gar mit richtigen Betten und Waschschüsseln. Von Simone gab es kein Zeichen, keine Spur. Ich ritt wieder auf dem Chemin des Dames, übergab Depeschen oder Briefe aus der Heimat und abends ging es zu den Maisons Rouges. Ich ritt vorbei an den Toten, die am Ufer der Aisne ihre ewige Ruhe gefunden hatten. Sie, die Vergessenen. Vielleicht im Fluss, vielleicht im Massengrab, das man in der Nähe des Ufers angelegt hatte. Und wenn sie noch auf dem Boden gelegen hätten, ich hätte sie nicht mehr wahrgenommen. Verroht wie ein Tier war ich. Alle Empfindungen, alles Mitleid,

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1