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Infernale (Band 2) - Rhapsodie in Schwarz: Romantischer Jugendthriller ab 14 Jahre
Infernale (Band 2) - Rhapsodie in Schwarz: Romantischer Jugendthriller ab 14 Jahre
Infernale (Band 2) - Rhapsodie in Schwarz: Romantischer Jugendthriller ab 14 Jahre
eBook383 Seiten5 Stunden

Infernale (Band 2) - Rhapsodie in Schwarz: Romantischer Jugendthriller ab 14 Jahre

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Über dieses E-Book

Das packende Finale des spannenden Jugendbuch-Zweiteilers! Abermals liefert Firelight-Autorin Sophie Jordan eine fesselnde Geschichte, die sich kritisch mit Moral und Vorurteilen in der heutigen Gesellschaft auseinandersetzt. Natürlich kommen auch Romantik und Action nicht zu kurz – ein außergewöhnliches Lesevergnügen!
Ich hatte geglaubt, Mörderin genannt zu werden und alles zu verlieren – meine Zukunft, meinen Freund, meine Freunde – wäre das Schlimmste, was mir passieren konnte. Aber ich habe mich getäuscht. Herauszufinden, dass sie recht haben? Herauszufinden, dass ich genau das bin?
Das ist noch viel schlimmer.
Seit Davy positiv auf das Mördergen (HTS) getestet wurde, hat sie alles verloren: ihre Familie, ihre Freunde, ihre Zukunft – und was am schlimmsten ist, sich selbst. Denn obwohl sie verzweifelt dagegen angekämpft hat, ist sie doch zu dem geworden, was sie nie sein wollte: eine Mörderin.
Eine Widerstandsgruppe und ihr Anführer Caden geben ihr ein neues Ziel. Und Caden weckt Gefühle in ihr, zu denen sie glaubte, nie mehr fähig zu sein. Aber die Schuldgefühle lassen Davy einfach nicht los ...
Infernale – Rhapsodie in Schwarz ist der zweite und finale Band der Reihe. Der erste Band lautet Infernale.
SpracheDeutsch
HerausgeberLoewe Verlag
Erscheinungsdatum13. Feb. 2017
ISBN9783732008094
Infernale (Band 2) - Rhapsodie in Schwarz: Romantischer Jugendthriller ab 14 Jahre
Autor

Sophie Jordan

Sophie Jordan grew up in the Texas hill country, where she wove fantasies of dragons, warriors, and princesses. A former high school English teacher, she’s the New York Times, USA Today, and international bestselling author of more than fifty novels. She now lives in Houston with her family. When she’s not writing, she spends her time overloading on caffeine (lattes preferred), talking plotlines with anyone who will listen (including her kids), and streaming anything that has a happily ever after.

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    Buchvorschau

    Infernale (Band 2) - Rhapsodie in Schwarz - Sophie Jordan

    Titelseite

    Für Kari Sutherland –

    sie hat mit mir fünf Bücher bewältigt und mir dabei unglaublich viel beigebracht.

    Ein Danke ist nicht einmal annähernd genug.

    TEIL 1

    WIDERSTAND

    Bekanntmachung des Präsidenten

    Abschnitt 1: Finanzierung der Internierungslager

    a) Innerhalb der nächsten achtundvierzig Stunden nach Veröffentlichung dieser Mitteilung wird der Wainwright Behörde in Abstimmung mit dem Finanzministerium und dem Amt für Haushaltswesen zum Zwecke der Verwaltung und zum Ausbau von Internierungslagern eine Summe von 1,27 Milliarden US-Dollar bereitgestellt, um die Eintracht dieses Landes zu sichern und es weiterhin vor der von HTS-Trägern ausgehenden Gefahr zu schützen, deren genetische Veranlagung gewalttätige Ausbrüche begünstigt …

    KAPITEL 1

    Der Mann, den ich getötet habe, lässt mir keine Ruhe.

    Er besucht mich nachts. Als er das erste Mal den Weg in meine Träume fand, hielt ich das für einen Einzelfall. Einen plötzlichen, lästigen Albtraum, der mit der Nacht verblassen und nie wiederkehren würde.

    Aber er kehrt wieder. Der Traum und er. Und allmählich muss ich mir eingestehen, dass er mich nie wieder verlassen wird. Braune Augen. Einschusswunde. Schwarzrotes Blut. Er wird immer bei mir bleiben.

    Diese Erkenntnis sinkt langsam, schrecklich. So wie die Fänge eines Raubtiers sich unerbittlich und tief ins Fleisch bohren. Ich kann nicht ausweichen. Ich kann sie nicht abschütteln. Ich bin gefangen. Hoffnungslos von ihrem Kiefer umschlossen.

    Sonderbarerweise hatte ich geglaubt, Mörderin genannt zu werden und alles zu verlieren – meine Zukunft, meinen Freund, meine Freunde – wäre das Schlimmste, was mir passieren konnte. Aber ich habe mich getäuscht. Das war es nicht. Herauszufinden, dass sie recht haben? Herauszufinden, dass ich genau das bin?

    Das ist noch viel schlimmer.

    Nachts ist er nicht mehr als ein Schatten in der Ecke des Zimmers. Ein dunkler, regloser Schatten, die Ränder unklar wie verwischte Bleistiftstriche.

    Ich setze mich im Bett auf, ziehe die Knie an den Oberkörper. Sean liegt neben mir, seine Brust hebt und senkt sich langsam, er ahnt nichts von unserem nächtlichen Besucher. Ich schätze, er ist auch nur mein nächtlicher Besucher. Es gibt niemanden, der Sean heimsucht. Für ihn ist die Vergangenheit vergangen. Nichts mehr als das. Ich bin neidisch auf seine Fähigkeit, einfach mit den Dingen abzuschließen. Zu akzeptieren, wie er ist. Was er ist.

    Meine Aufmerksamkeit wandert zurück zu dem toten Mann. Ich spüre, wie der mir vertraute Blick über mich schweift. Betrachte ihn, wie er mich betrachtet, während das gleichmäßige Summen der Zikaden in den Container dringt. Bei seinem Anblick kommt alles zurück. Der Moment, in dem der Direktor von Mount Haven mir keine andere Wahl ließ und von mir verlangte, dass ich jemanden töte. Obwohl … Harris hat mir eine Wahl gelassen. Könnte man sagen, wenn es zählt, dass er stattdessen Sean getötet hätte. Entweder ich erschoss diesen Unbekannten – einen namenlosen Träger – oder Sean starb. Das waren meine beiden Möglichkeiten. Egal, wie ich mich entschied, am Ende war jemand tot. Und mein Schicksal besiegelt.

    Sean schläft unbekümmert weiter, sein Körper wie eine fein ausgearbeitete Marmorstatue, die dunklen Tätowierungen an Arm und Hals bilden einen extremen Kontrast zur helleren Haut. Ich suche in seinem Anblick, in seiner vertrauten, beruhigenden Anwesenheit nach Erleichterung. Schließlich habe ich seinetwegen diesen Mann umgebracht. Damit Sean weiterleben kann. Aber es funktioniert nicht. Unfähig, ihn länger zu betrachten, unfähig, die Erinnerung länger zu ertragen, wende ich mich ab.

    Denn das ist Sean für mich geworden. Eine Erinnerung an den schlimmsten Moment meines Lebens. Ich bereue es nicht, ihn verschont zu haben. Trotzdem ändert das nichts daran, dass ich jetzt eine Mörderin bin.

    Als wir gerade aus Mount Haven ausgebrochen und in diesem Container direkt an der Grenze zu Mexiko angelangt waren, hätte es nicht wunderbarer sein können. Sean. Ich. Wir waren wunderbar. Händchen halten, streicheln, küssen. Wie zwei Teenies, die sich gerade erst kennengelernt haben.

    Und in gewisser Weise waren wir das ja auch. Wir schliefen jede Nacht eng umschlungen ein, unsere Körper wie zwei Löffel. Hinter den geflüsterten Wörtern und Küssen verbarg sich kein Druck. Sein Geruch, seine warme Berührung reichte mir vollkommen. Mit ihm zusammen zu sein erfüllte mich mit einer fast betäubenden Hoffnung – dem Glauben daran, dass alles wieder gut werden würde. War das wirklich erst ein paar Tage her? Wie schnell alles zu Staub zerfallen konnte.

    Meine Fingernägel bohren sich in meine Handflächen, hinterlassen kleine weiße Halbmonde im Fleisch. Ich heiße den Schmerz wie eine verdiente Strafe willkommen. Dann rolle ich mich auf die Seite, tue so, als wäre die Gestalt nicht länger in der Ecke, würde mich nicht länger beobachten. Braune Augen. Einschusswunde. Schwarzrotes Blut.

    Ich tue so, als wäre Sean nicht plötzlich jemand, den ich nicht länger ansehen, berühren oder lieben kann.

    Ich schließe die Augen und sage mir, dass es irgendwann funktionieren wird. Dass es, wenn ich nur lange genug so tue, Wirklichkeit werden wird.

    Ich bin als Erste auf, fühle mich gerädert und mir tut alles weh, weshalb ich extralang dusche. Ich lasse den Kopf hängen und mir das Wasser auf den Nacken niederprasseln. Sicher war es nicht gerade hilfreich, dass ich wach geblieben bin, aber die Angst vor einer erneuten Heimsuchung des Mannes mit den braunen Augen war einfach zu groß. Dabei waren mir eigentlich meine acht Stunden Schlaf immer das Wichtigste.

    Zu Hause musste Mom mich morgens immer zwei- bis dreimal schütteln, um mich zu wecken. Ich habe mein Bett geliebt. Die Daunendecke. Die vielen Kissen und Stofftiere aus meiner Kindheit. Die Art, wie das Sonnenlicht durch die transparenten rosa-grünen Vorhänge fiel. Komisch, wie sehr man diese Kleinigkeiten vermissen kann. Was ich geben würde, um eins dieser alten Stofftiere wieder in den Arm zu nehmen! Um wieder dieses Mädchen zu sein. Manchmal machte Mom samstags Arme Ritter mit Würstchen. Der Geruch erfüllte das ganze Haus und lockte mich aus den Federn. Es fällt mir nicht leicht, zu akzeptieren, dass diese Zeit vorbei ist. Selbst das Essen an meiner früheren Privatschule Everton war köstlich. Damals habe ich das nicht zu schätzen gewusst. Mir fehlt die Salatbar und das Pfannengemüse, das man selbst zusammenstellen konnte.

    Gils Kopf taucht hinter der Sofalehne auf, seine Haare stehen in alle Richtungen ab. Er reibt sich die Augen, während ich Müsli in eine Schale fülle. Es gibt keine Milch, aber ich habe mich schon daran gewöhnt, es trocken zu essen.

    Ein Buch fällt zu Boden. Gil muss beim Lesen eingeschlafen sein. Es ist eine vergilbte, abgewetzte Ausgabe von Der Hobbit. Gestern Nacht hat er Sabine die Haupthandlung nacherzählt. Sie saß vor ihm wie ein kleines Mädchen: Die Arme um die Beine geschlungen, vor und zurück wippend, die Augen weit aufgerissen, während er ein Bild von Hobbits, Drachen und allerhand anderen mystischen Wesen vor ihren Augen entstehen ließ. Auch Sean hatte mit einem betrübten Lächeln zugehört, als er von ihnen zu mir blickte.

    »Tut mir leid.« Ich zucke zusammen, als ich die Packung wieder auf den Tisch stelle. »Ich wollte dich nicht wecken.«

    Blinzelnd greift Gil nach seiner Brille auf der umgedrehten Kiste, die uns als Couchtisch dient. Kaum ist er nicht mehr blind, betrachtet er mich. »Kein Problem, ich wollte sowieso aufstehen.«

    Ich verzichte darauf, nach dem Grund zu fragen. Ist ja nicht gerade so, als hätten wir eine Menge zu tun. Sean überwacht das Geschehen unten am Fluss. Gelegentlich leistet Gil ihm Gesellschaft oder löst ihn ab. Im Moment warten wir eigentlich nur auf Samstag, denn dann werden wir die Grenze überqueren. Abgesehen von einem alten Kartenspiel und der staubigen Hobbit-Ausgabe haben wir in einer der hintersten Ecken des Containers noch ein Dame-Spiel gefunden. Das spielen wir oft, selbst wenn Gil fast immer gewinnt. Darin liegt aber die eigentliche Herausforderung, der Reiz zu spielen, weil wir alle hoffen, ihn doch einmal zu schlagen. Und weil die Zeit sich eben sehr zieht.

    Ich kaue laut, während Gil sich einen der schon harten Bagels aus der Tüte fischt und hineinbeißt. Die Auswahl an Essen ist beschränkt. Als wir ankamen, haben wir ein paar Nahrungsmittel vorgefunden. Das meiste waren Lebensmittel, die generell nicht verfallen oder zumindest nicht allzu schnell Schimmel ansetzen.

    »Ich hatte nicht gedacht, dass mir irgendwas aus Mount Haven fehlen würde«, murmelt er und wischt sich die Krümel von den Lippen.

    Ich nicke. »Das Essen.«

    »Ich habe noch nie so gut gegessen wie dort. Also, wenn du von riesigen Slushies und tütenweise Chips von der Tankstelle mal absiehst.«

    Ich nicke erneut, tue so, als wäre ich seiner Meinung. Als hätte ich davor auch nicht gut gegessen. Aber das habe ich. Wir waren in den besten Restaurants. Japanisch. Chinesisch. Italienisch. Und meine Mom ist eine gute Köchin, selbst wenn sie nur ein- oder zweimal pro Woche selbst gekocht hat. Ihre Lasagne war so dick, dass man seine Gabel darin verlieren konnte. Dad hat allein bei ihrem Anblick fast zu sabbern angefangen. Mir zieht es schmerzhaft die Brust zusammen, unweigerlich frage ich mich, ob ich meine Familie je wiedersehen werde.

    Sean und Sabine stoßen zu uns. Wir bewegen uns in geselliger Stille, jeder mit der Vorbereitung seines nicht gerade ansprechenden Frühstücks beschäftigt.

    Sabine ist kein Morgenmensch. Wenn man ihr vor zehn Uhr ein Wort entlockt, kann man sich glücklich schätzen. Sie reißt die Verpackung eines Pop-Tarts auf und setzt sich gegenüber von mir an den Tisch. Sie schüttelt sich das lange, braune Haar aus dem Gesicht, ringt sich ein Lächeln ab und beißt dann in das Gebäck. Krümel fallen auf den Tisch, die sie einfach auf den Boden fegt.

    Sean macht in einer der Wasserkannen Kaffee. Schon bald erfüllt der unverkennbare Geruch den Container. Sean bietet mir eine Tasse Kaffee an und ich nehme sie entgegen. Nach dem ersten bitteren Schluck greife ich zum Zucker und gönne mir einen großzügigen Löffel voll. Dann noch einen. Vielleicht kann ich eines Tages ja mal wieder einen Latte genießen. Vielleicht gibt es die ja dort, wohin wir fliehen. Vielleicht. In meinem Leben wimmelt es von Vielleichts. Noch zahlreicher als die Vielleichts sind jedoch die Nie-mehr-wieders.

    Ich seufze gegen den Rand der Keramiktasse, dankbar für das Koffein, das sich langsam bemerkbar macht.

    »Gut?«, fragt Sean.

    »Ja. Danke.«

    Sabines Blick wandert zwischen uns hin und her. Eine stumme Prüfung. Spekulation. Ich weiß, dass sie sich fragt, was mit uns los ist. Was mit mir los ist.

    Sean schnappt sich die abgenutzte Karte, das Fernglas und seinen Notizblock. Die Karte knistert in seiner Hand, er sagt: »Bis später.« Er schaut uns nacheinander an, sein Blick verharrt am längsten auf mir. »Ich würde mich über etwas Gesellschaft freuen.«

    Ich nicke, was sich abgehackt und unnatürlich anfühlt. »Klar. Ich komme gleich nach.« Als gäbe es etwas im Wohncontainer, das mich aufhält.

    Die Tür schließt sich hinter ihm.

    Gil steht auf. »Ich hoffe, es macht euch nichts aus, aber ich werde mal eins der Betten in Beschlag nehmen und noch ein bisschen schlafen. Dieses Sofa taugt nix.«

    Er verschwindet, das Linoleum quietscht unter seinen nackten Füßen. Ich bin seit fast einer Woche hier und bringe es noch immer nicht über mich, auf diesem ekligen Boden barfuß zu laufen.

    »Also, was ist los mit Sean und dir?«

    Ich schaue auf. Sabine hat sich einen weiteren Pop-Tart vorgeknöpft. Sie kaut sehr intensiv und oft.

    Trotz unserer nicht gerade sterneverdächtigen Ernährung, bestehend aus Pop-Tarts und trockenem Müsli, sieht sie gut aus. Besser als bei unserem ersten Treffen in Mount Haven. Sie hat Farbe im Gesicht, ihr Blick ist hell, aufmerksam.

    »Was meinst du?«

    Sie verdreht die Augen. »Du kannst ihn kaum ansehen.«

    Ist es wirklich so offensichtlich? Wir kommen doch prima miteinander klar, lächeln viel. Ich spiele meine Rolle überzeugend. Dachte ich zumindest. »Bei uns ist alles gut. Völlig in Ordnung«, schwindle ich. Weil ich es nicht wahrhaben will. Weil es nicht wahr sein kann. Es geht einfach nicht. Was auch immer los ist, ich krieg das wieder hin. Zwischen uns ist bald alles wieder gut. Mit mir ist bald wieder alles gut.

    »Klar.« Sie zieht einen Mundwinkel hoch. »Als wir hier angekommen sind, konntet ihr die Finger nicht voneinander lassen. Als wärt ihr in den Flitterwochen.«

    Mein Gesicht wird warm. »Ach, es ist nichts weiter. Ich will gerade einfach nur über die Grenze. Wenn wir erst drüben sind, bin ich wieder entspannter.«

    Sabine zuckt mit der schmalen Schulter. »Wir schaffen es oder wir schaffen es nicht. Ich an deiner Stelle würde die verbleibende Zeit mit Sean so gut nutzen, wie es geht. Eben weil wir geschnappt oder sogar getötet werden könnten. Carpe diem, du weißt schon.« Sie sagt das ganz sachlich. So läuft das jetzt. Unser mögliches Ableben ist kein besonderes, sondern nur noch ein alltägliches Thema. Geschnappt oder getötet. Zu diesem Zeitpunkt ein und dasselbe.

    Ihr Lächeln verschwindet, sie starrt mich geradeheraus an, in ihren Augen ein grelles Funkeln. Fast, als wäre sie sauer auf mich. Wie soll ich ihr denn erklären, was in meinem Kopf los ist? Dass ich seit unserer Ankunft hier versuche, damit klarzukommen, dass ich diesen Mann getötet habe. Dass es schwierig ist, Sean so nah zu sein. Sehr schwierig.

    Beim Aufstehen murmle ich etwas davon, dass ich das Bett machen muss, und gehe nach hinten. Ein Problem von Orten, die nur siebzig Quadratmeter groß sind, ist, dass man sich nirgendwo verstecken kann. Nicht voreinander. Und nicht vor Geistern.

    Auch in dieser Nacht wache ich mit einem Ruck auf. Ich setze mich auf, öffne die Augen und schaue mich nach ihm um. Nach dem Mann, den ich getötet habe. Er ist nicht da. Ein erleichtertes Keuchen entweicht mir.

    »Davy?« Sean ist bei mir, setzt sich ebenfalls auf. Ich blinzle kurz in das leere Zimmer, lege mich dann wieder hin und umklammere mit zu Fäusten geballten Händen das Laken vor meiner Brust. Ich starre an die Decke, konzentriere mich auf das Netz aus dünnen Rissen im Lack.

    Sean kuschelt sich an mich, legt leicht seine Hand auf meinen Arm.

    »Schlecht geträumt?« Seine tiefe Stimme brummt durch die Dunkelheit.

    Ich nicke. Das ist leichter, als ihm zu erklären, dass ich aus Angst davor aufgewacht bin, der Mann, den ich getötet habe, könnte sich erneut dazu entschließen, mich heimzusuchen.

    »Ist alles in Ordnung?«

    Meine Stimme schneidet papierdünn durch die Luft. »Ja.«

    »Wieso habe ich das Gefühl, das sagst du nur, weil du meinst, dass ich das hören will?«

    Weil ich das hören will. Weil ich will, dass es wahr ist.

    Ich drehe mich zu Sean. Er ist so nah, dabei fühlt er sich meilenweit entfernt an. Als hätte ich ihn in der Vergangenheit zurückgelassen. In Mount Haven, wo sie versucht haben, mehr aus uns zu machen als die Mörder, die wir laut unserer DNA sind. Etwas noch Schlimmeres. Dabei ist Sean gar nicht weit weg. Er ist genau hier. »Du brauchst dir keine Sorgen um mich zu machen.«

    »Ich werde mir immer Sorgen um dich machen, Davy. So ist das, wenn man jemanden mag.«

    »Ich weiß. Ich mag dich ja auch.« Ich bin mir nur nicht sicher, ob ich noch mit dir zusammen sein kann. So jedenfalls nicht. So, wie du es dir wünschst. So, wie du es verdienst.

    Nach einer Weile nimmt er die Hand weg. Sofort atmet etwas in mir auf und das finde ich schrecklich. Ich finde es entsetzlich, dass ihm nicht entgangen ist, wie ich mich von ihm zurückgezogen habe. Sabine ist es aufgefallen. Er wäre ein Trottel, wenn er das nicht mitbekommen hätte. Am liebsten würde ich in Sabines Zimmer direkt gegenüber umziehen. Aber das wäre ja das absolute Warnsignal, dass etwas nicht stimmt. Dass ich ein Problem habe.

    »Gute Nacht, Davy.«

    »Gute Nacht«, erwidere ich.

    Ich werde mich schon wieder fangen. Wir werden uns wieder fangen. Probleme werden doch ständig gelöst. Ich höre einfach auf, in Seans Nähe komisch zu sein, und dann nimmt alles andere ganz automatisch auch wieder seinen gewohnten Gang.

    Ein wunderschöner Adler segelte durch die endlose Weite des Himmels, als er einen Pfeil zischen hörte. Der Adler kreischte, denn die Spitze durchbohrte seinen Körper. Tödlich verletzt stürzte er zu Boden, sein Lebenselixier versickerte im Sand. Er blickte auf den Pfeil, der in seiner Seite steckte, und musste erkennen, dass der Schaft mit seinen eigenen Federn bestückt war – sein Tod war von ihm selbst verschuldet.

    Die Fabeln des Äsop, Der Adler und der Pfeil

    KAPITEL 2

    Gil kümmert sich ums Abendessen, wozu ich nur so viel sagen möchte: Ich hätte nichts dagegen, wenn ich nie wieder ein Erdnussbutterbrot in die Hand nehmen müsste. Ich habe richtig Sehnsucht nach einer warmen Mahlzeit. Nach Pommes. Himmel, nach Pizza.

    »Wie mir das Essen meiner Mutter fehlt«, sagt Sabine, zupft ein Stück von ihrem Brot und steckt es sich in den Mund. »Sie hat Schnitzel gemacht. Und Sauerbraten. So richtig, versteht ihr?« Sie legt den Kopf schief. »Was meint ihr, werde ich je wieder deutsches Essen auf dem Teller haben?«

    »In Deutschland vielleicht«, schlägt Gil vor.

    Sabine lacht gespielt. »Ja, sicher. Ich glaube, da stehen meine Chancen besser, zu meiner Familie nach Garden City, Idaho zurückzukehren, als es bis nach Deutschland zu schaffen.« Viel hat Sabine bisher nicht von ihrer Familie erzählt. Ich weiß, dass sie eins von sechs Kindern ist – und das einzige mit HTS. Ihr Vater hatte darüber nachgedacht, mit ihr zu fliehen, wollte dann aber den Rest der Familie nicht zurücklassen. Nicht ihretwegen. Ich vermute, sie kann seine Entscheidung nachvollziehen, trotzdem wird die Gewissheit wehtun, geopfert worden zu sein.

    »Aber da, wohin wir unterwegs sind …« Gil schüttelt den Kopf. »Ich bezweifle, dass du je wieder eine Bratwurst sehen wirst. Hat deine Mutter dir denn nie kochen beigebracht?«

    »Sie hat es versucht, aber ich habe nicht aufgepasst. Mir war Robotertechnik wichtiger.«

    »Das wusste ich ja gar nicht.« Gils Gesicht hellt sich auf.

    »Ich war nicht besonders gut, aber die AG an der Highschool hat mir echt Spaß gemacht.«

    »Du musst ziemlich gut gewesen sein, sonst hätten sie dich nicht nach Mount Haven geholt.«

    »Das war, weil ich Deutsch und ganz passabel Französisch spreche. Was mir in Mexiko jetzt auch nicht gerade eine Hilfe sein wird.« Sie greift nach den Joghurts und knickt sich einen ab. Dabei scheint sie zu spüren, wie unsere Blicke auf ihr lasten. Sie schaut auf und zuckt mit den Schultern. »Außerdem hab ich einen Einserschnitt.«

    »Oh.« Gil verdreht die Augen. »Das könnte natürlich auch den Ausschlag gegeben haben.«

    Sabine streift sich langsam eine lange Strähne ihres blonden Haars hinters Ohr, lächelt nacheinander erst Gil und dann Sean und mich verhalten an.

    »Ich hätte jetzt gern etwas von der Lasagne, die meine Mutter immer macht«, sage ich, weil mir endlich mal etwas einfällt, was ich zur Unterhaltung beitragen kann. Ich bin wild entschlossen, meine Ängste abzuschütteln und mich vor meinen Freunden normal zu verhalten. Denn sie sind meine Freunde. Die Einzigen, die mir geblieben sind. Ich muss mir Mühe geben.

    »Enchiladas«, fügt Sean hinzu und beißt in sein Brot. Gil hat zwei für ihn gemacht. Gar nicht mal unklug, wenn man bedenkt, dass er mit einem Bissen eine halbe Scheibe verschlingt.

    »Es wird vermutlich eher kein Problem sein, die zu bekommen. Wenigstens gutes mexikanisches Essen sollten wir kriegen.« Sabine nimmt sich noch einen Becher Joghurt, reißt den Deckel ab und leckt ihn sauber.

    »Hoffentlich«, sage ich.

    »Soll das ein Witz sein?« Gil schüttelt den Kopf. »Ich rechne mit richtigem mexikanischen Essen, so wie es meine abuela früher gekocht hat. Ich kann die chicharrónes gar nicht erwarten.«

    Ich kann mir ein Grinsen nicht verkneifen. »Und wenn wir die nicht kriegen? Lassen wir den Deal platzen, bleiben für immer hier und essen bis an unser Lebensende Erdnussbutter und Joghurt.«

    »Großartige Aussicht«, murmelt Sabine und wirft die leeren Becher in den nächstgelegenen Mülleimer.

    »Wartet es nur ab. In einem Monat haben wir alle Heißhunger auf Erdnussbutter und Joghurt.« Sean stupst mir leicht gegen die Schulter. Ich lächle ihn an, was mir nicht einmal schwerfällt.

    Sabine rümpft die Nase. »Das glaube ich eher nicht.«

    Ich versuche, mir vorzustellen, wo wir in einem Monat sein werden, aber ich sehe nur grau. Ich habe nur ein unscharfes Störbild vor Augen, wenn ich an die Zukunft denke. Es gibt kein klares Bild und das ist immer noch ungewohnt. Noch vor ein paar Wochen konnte ich mir meine Zukunft bis ins kleinste Detail ausmalen. Abschlussprüfungen. Abschlussball. Zac und ich zusammen in New York. Juilliard.

    Gil steht auf und bringt seinen Teller zur Spüle. »Ich knöpfe mir noch einmal das Radio vor.«

    Sabine stöhnt. »Der Empfang ist unterirdisch.«

    Er zuckt mit den Schultern. »Ich habe heute schon etwas gehört.«

    Er setzt sich auf einen Stuhl am kurzen Ende der Küchenzeile und dreht am Radio herum. Sabine nimmt sich den dritten Joghurtbecher. Keine Ahnung, wo sie das alles hinsteckt, aber wenigstens sieht sie nicht mehr ganz so ausgemergelt wie in Mount Haven aus.

    Statisches Rauschen erfüllt den Raum, während Gil nach einem Sender sucht.

    Ich sehe Sean an. »Meinst du, sie suchen nach uns?« Weiter muss ich das gar nicht ausführen, er weiß, dass ich die Leute von Mount Haven meine. Diese Sorge lastet schon die ganze Zeit auf mir – vermutlich auf uns allen. Aber scheinbar verzichten wir bewusst darauf, dieses Thema anzusprechen. Forschend betrachte ich Sean.

    »Ich bezweifle, dass sie jemanden vom Personal losschicken, um nach uns zu suchen. Ganz sicher werden da draußen einige Bescheid wissen, nach wem sie Ausschau halten müssen, aber bestimmt niemand aus Mount Haven selbst. Eher Agenten von der Behörde und der Grenzschutz.«

    »Vermutlich stehen wir auf irgendeiner Liste«, meldet sich nun Gil zu Wort, obwohl er hoch konzentriert lauscht, während er am Sendersuchknauf dreht. »Wahrscheinlich ist jede Tankstelle zwischen hier und Austin mit unseren Fotos gepflastert. Und im Internet kann man uns sicher auch sehen.«

    Sabine schnaubt und kratzt auch diesen Becher aus. »Was meinst du? Dass es eine hochoffizielle Liste von der Regierung gibt mit den meistgesuchten Trägern oder so was?«

    Ich würde schätzen, dass es genau so eine Liste gibt. Und wir darauf stehen. Mein Bauch zieht sich zusammen. Ich muss daran denken, dass jeder Agent der Wainwright Behörde Fotos von uns hat und sie sich einprägen kann. Wenn wir dieses Land erst verlassen haben, werden wir nie wieder zurückkehren können.

    »Vielleicht sollten wir unser Aussehen verändern«, schlägt Sean vor. »Natürlich bleiben wir immer zwei Jungs und zwei Mädchen, aber vielleicht lässt sich ja sonst was machen.«

    Ich nicke, frage mich aber, wie wir das hier draußen anstellen sollen, schließlich sind wir mitten im Nirgendwo. Mit einem wissenden Grinsen steht Sabine auf und geht zum Badezimmer.

    Gil konzentriert sich weiter auf das Radio, dreht am Knauf, Millimeter für Millimeter. Hin und wieder schallt ein Fetzen Texmex-Musik aus dem Lautsprecher. Ich verziehe das Gesicht. Es gibt also immer noch Musik auf der Welt. Aus irgendeinem Grund finde ich das sonderbar. Fast schon falsch. Was ein sehr merkwürdiger Gedanke für mich ist. Bin ich wirklich an einem Punkt angelangt, an dem es sich für mich falsch anfühlt, Musik zu hören?

    »Hey.« Sean stupst mich an. »Iss dein Brot auf. Du brauchst die Energie.«

    Ich ringe mir ein Lächeln ab und beiße noch einmal hinein, kämpfe dann mit der zähflüssigen Erdnussbutter.

    Sean betrachtet mich, seine Brauen zusammengezogen, sodass dazwischen eine tiefe Sorgenfalte entsteht. Er sieht mich gar nicht mehr anders an. Als fürchte er, dass das Nächste, was er sagt oder tut, der Tropfen sein könnte, der das Fass zum Überlaufen bringt.

    Da kehrt Sabine zurück, ein paar Schachteln in der Luft schwingend. »Ich habe gerade erst begriffen, wieso die hier unterm Waschbecken sind. Diese Schleuser haben wirklich an alles gedacht.«

    »Was ist das?«, fragt Gil.

    »Haarfärbemittel.« Sie liest vor, was auf den Schachteln steht. »Mokkabraun, Muskatnuss und Nachtschwarz.« Sie schaut von mir zu Sean mit einer hochgezogenen Augenbraue. »Wer zuerst?«

    Sean und Gil sehen schweigend zu, wie Sabine mir mit der Küchenschere die Haare schneidet. Schnell fräst sie sich mit scharfen Schnitten durch die dichten Strähnen. Gil reißt immer weiter die Augen auf, je mehr lange Strähnen wie Löwenzahnsamen durch die Luft fliegen.

    Wir waren uns einig, dass ein Kurzhaarschnitt mein Erscheinungsbild verändern würde, aber die Entscheidung fiel hauptsächlich aus Sorge, dass das Färbemittel sonst nicht reichen könnte. Die Anleitung empfiehlt zwei Schachteln für lange Haare und weil wir von jeder Farbe nur eine Schachtel haben, darf Sabine die Friseurin spielen.

    Seans Gesichtsausdruck ist neutral, aber er beobachtet mich aufmerksam, schaut mir ins Gesicht – nicht auf die immer kürzer werdenden Haare. Wartet er darauf, dass ich zusammenbreche?

    Es sind doch nur Haare. Hält er mich für so zerbrechlich? Ich schüttle den Kopf, höre aber sofort wieder auf, weil Sabine warnend zischt.

    Also halte ich still und betrachte mich selbst im Spiegel, während Sabine langsam den Hinterkopf bearbeitet. Ich verfolge meine Wandlung seltsam distanziert. Merkwürdigerweise spüre ich so etwas wie Erleichterung. Als würde eine Last von mir abfallen. Als würde ich mit jeder Strähne, die zu Boden fällt, ein Stück meines alten Ichs hinter mir lassen und so Raum für ein neues Leben schaffen.

    Meine Haare umrahmen nun dicht mein Gesicht und reichen bis kurz über die Ohrläppchen. Meine Augen stechen hervor und wirken riesig, weil mein Kopf ohne die voluminöse Haarpracht viel kleiner ist. Auch die Markierung sticht hervor: das dunkle Band mit dem eingekreisten H deutlicher denn je zu erkennen.

    »Ich glaube, das ist einigermaßen gerade«, murmelt Sabine, die Stirn in vielen angestrengten Falten, so konzentriert ist sie bei der Sache. Sie steckt sich die Schere quer zwischen die Zähne und hockt sich vor mich, greift nach den Haarspitzen rechts und links von meinen Ohrläppchen und zieht daran, um zu testen, ob sie gleich lang sind.

    »Ist doch egal«, sage ich. »Sind doch nur Haare.«

    »Oh, du siehst ziemlich scharf aus so.« Sie grinst mich an.

    Ich schnaube.

    »Okay?« Sabine dreht sich zu Sean und Gil um, erwartet ihr Urteil.

    Sean betritt das Bad und plötzlich wird es mir zu eng, ich werde fast klaustrophobisch. Er zieht leicht an einer Strähne im Nacken. »Die hier ist noch etwas zu lang.«

    Sabine lehnt sich hinüber und schneidet sie ab. »Gut … Dann kommen wir jetzt zum lustigen Teil.«

    Sie schüttelt die Plastikflasche mit der dunklen Färbung für ein paar Sekunden, ohne mit dem Grinsen aufzuhören.

    »Dir macht das viel zu viel Spaß«, beschuldige ich sie.

    Sie nickt. »Das kannst du wohl glauben. Vielleicht ist das ja meine Berufung. Wenn

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