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Enemy or Lover
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eBook332 Seiten4 Stunden

Enemy or Lover

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Über dieses E-Book

Wie verzweifelt muss ein Mensch sein, der ständig krank ist und dem aus genau diesem Grund gekündigt wird? Wie muss man sich fühlen, wenn man an die Wohnung gefesselt ist und seine letzten sozialen Kontakte verliert? Ohne seinen Lebensgefährten Roman hätte Marten längst das Handtuch geschmissen und aufgegeben, denn die Ärzte finden für seine Erkrankungen keine Ursachen. Eine Besserung der Lage ist daher nicht in Sicht. Aber Liebe heilt ja bekanntlich alle Wunden …
SpracheDeutsch
Herausgeberdead soft verlag
Erscheinungsdatum11. Okt. 2016
ISBN9783960890362
Enemy or Lover

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    Buchvorschau

    Enemy or Lover - Sandra Busch

    Enemy or Lover

    Ein Roman von Sandra Busch

    Impressum

    © dead soft verlag, Mettingen 2016

    http://www.deadsoft.de

    © the author

    Cover: Irene Repp

    http://www.daylinart.webnode.com

    Bildrechte:

    © closeupimages – fotolia.com

    1. Auflage

    ISBN 978-3-96089-035-5

    ISBN 978-3-96089-036-2 (epub)

    Inhalt:

    Wie verzweifelt muss ein Mensch sein, der ständig krank ist und dem aus genau diesem Grund gekündigt wird? Wie muss man sich fühlen, wenn man an die Wohnung gefesselt ist und seine letzten sozialen Kontakte verliert?

    Ohne seinen Lebensgefährten Roman hätte Marten längst das Handtuch geschmissen und aufgegeben, denn die Ärzte finden für seine Erkrankungen keine Ursachen. Eine Besserung der Lage ist daher nicht in Sicht.

    Aber Liebe heilt ja bekanntlich alle Wunden …

    1. Kapitel: Entlassen

    Entlassung ist ein Wort mit einem faden Beigeschmack. Meistens wird es mit Negativem verbunden, wie der Verlust einer Erwerbstätigkeit oder einer Mitgliedschaft. Doch man kann ebenso in die Freiheit oder aus der Verantwortung entlassen werden. Und bedeutet entlassen werden nicht auch stets einen Neuanfang?

    „Marten, ich weiß nicht, wie ich es dir sagen soll." Mit diesem Satz eröffnet Görres das Gespräch, während er fahrig seine Brille mit einem Taschentuch putzt. Ich sitze meinem leicht übergewichtigen Chef mit den graumelierten Haaren im schlicht eingerichteten Büro gegenüber. Das letzte Mal, als eine Unterhaltung zwischen uns furchtbar formell auf mich wirkte, war bei meinem Bewerbungsgespräch. Es endete mit meiner Einstellung. Was mag mich heute erwarten? Ich bin nervös und wische mir verstohlen die feuchten Hände an der dunklen Anzugshose ab. Görres kommt mir ungewöhnlich ernst vor und scheint sich in seiner Haut nicht recht wohl zu fühlen. Je länger ich hier sitze und wir uns anschweigen, desto stärker wird meine Gewissheit, dass er mir etwas ausgesprochen Unangenehmes mitteilen muss. Görres setzt an, als ob er etwas sagen will, stattdessen schiebt er mir endlich ein Blatt Papier über den Tisch hinweg zu. Angespannt und mit vor Nervosität leicht schwitzigen Händen nehme ich es entgegen und lese, wobei ich meinen Augen immer weniger traue.

    „Du … du kündigst mir?" Völlig aus der Fassung suche ich in Görres’ Gesicht erfolglos nach einem Anzeichen von schlechtem Humor. Zu meinem großen Schrecken bleibt Görres ernst. Es ist kein blöder Scherz.

    „Ich würde dich sehr gerne behalten, Marten, aber ich kann es mir finanziell nicht leisten. So leid es mir tut … Du bist zu oft krank. Ich kann unmöglich dich bezahlen, dazu ständig eine Aushilfe … Verständnisheischend sieht Görres mich an. Sein Blick fleht um Vergebung. Er ahnt sicherlich, dass seine Worte wie ein eisiger Guss auf mich wirken. „Außerdem zieht mein Sohn in wenigen Tagen wieder bei uns ein. Zunächst werde ich ihn auffangen müssen. Zumindest, bis er etwas für sich gefunden hat.

    Mir ist bekannt, dass die Fennemanns einen Sohn haben, der ihnen offenbar eine Menge Kummer bereitet hat, denn sie reden nicht über ihn. Und ich habe nie nachgefragt, weil ich gemerkt habe, dass ihnen das Thema unangenehm ist, und ich niemandem zu nahe treten wollte. Kennengelernt habe ich Fennemann Junior jedenfalls bis heute nicht, sondern habe nur ein lachendes Kindergesicht von diversen Fotos vor Augen.

    Jetzt hocke ich starr auf dem gepolsterten Stuhl. Ein Teil von mir kann Görres voll und ganz verstehen. Der andere Teil glaubt zu träumen.

    „Die Kündigung betrifft nur unser Arbeitsverhältnis, Marten. Glaube mir: Nichts hat mir bislang mehr wehgetan. Ulrike und ich würden uns trotzdem über deine Besuche freuen. Und wir sind weiterhin für dich da, wenn du Sorgen hast, eine Umarmung benötigst oder etwas Schönes mit uns teilen möchtest." Er schaut mich ängstlich an, als ob er auf einen wütenden Ausbruch wartet.

    Mühsam ringe ich nach Worten. „Ihr habt in den letzten Jahren ungemein viel für mich getan. Mir Geborgenheit und eine Art Familie geschenkt, murmle ich. „Ich habe sehr gerne für euch gearbeitet.

    Görres seufzt. „Ich verstehe nicht, dass die Ärzte keine Lösung für deine gesundheitlichen Probleme finden. Es muss ja eine Ursache haben, dass dir ständig übel ist, du Bauch- oder Kopfschmerzen bekommst."

    Ich kann lediglich resigniert mit den Schultern zucken. Ich begreife es ja selbst nicht, dabei habe ich einen regelrechten Ärztemarathon hinter mir, bei dem mir mein Lebensgefährte Roman treu zur Seite stand.

    „Sobald es dir besser geht, Marten, bekommst du einen neuen Arbeitsvertrag. Das ist ein Versprechen."

    Plötzlich liegen wir uns in den Armen und heulen uns gegenseitig die Hemden nass.

    „Ich wünschte, du wärst mein Sohn, Marten, flüstert Görres mir in den Kragen. „Ulrike und ich sind weiterhin für dich da, vergiss das nicht. Die Kündigung tut mir ehrlich leid. Ich wünschte, ich müsste das nicht tun.

    Nach dem niederschmetternden Gespräch packe ich meine Sachen und gehe. Steif wie eine Marionette.

    *

    Wie betäubt sitze ich auf einer Parkbank. Mit einer Hand lockere ich meine sorgfältig gebundene dunkelviolette Krawatte, in der anderen befindet sich die Kündigung, als wäre sie an den Fingern festgeklebt.

    Mit der Tatsache, dass ich mit meinen vielen Fehlzeiten für das Institut nicht länger tragbar bin, hat Görres leider recht. Eine Aushilfe kostet zusätzlich Geld und ist nie vernünftig eingearbeitet. Tja, und Ulrike kann ihm nicht großartig helfen, da sie halbtags als Schulsekretärin tätig ist.

    Vor rund drei Jahren war ich agil und munter. Ich habe regelmäßig Sport getrieben, mich einigermaßen gesund ernährt und nur gelegentlich genascht. Ich war fit, gesund und vital. Ärgerlicherweise scheine ich seit einiger Zeit an Krankheiten nachzuholen, was es nachzuholen gibt. Ständig plagen mich Erkältungen, Magenkrämpfe und Erbrechen. Häufig habe ich Kopfschmerzen und werde von Erschöpfung regelrecht überrollt.

    Zuletzt habe ich mich für eine weitere Woche krankmelden müssen, weil ich nichts bei mir behalten konnte. Mein Lebensgefährte Roman hat mich unverzüglich auf Schonkost umgestellt, was bloß bedingt geholfen hat. Es brauchte drei Tage kompletten Fastens und anschließendes zaghaftes Nagen an Zwieback, bis es mir besser ging. Heute ist der erste Tag, an dem ich nach der letzten Krankmeldung zur Arbeit gegangen bin. Und das mit Augenringen, die jeder Leiche, die im Bestattungsinstitut Fennemann unter die Erde gebracht wird, Konkurrenz machen.

    Es ist viel zu kalt, um regungslos auf einer Parkbank zu sitzen, noch dazu mit offenem Mantel. Der Winter ist zwar dem Frühling gewichen, doch leider spielt der Wettergott heute nicht mit. Der Himmel ist wolkenverhangen, auf den Wegen spiegeln sich Pfützen und vom letzten Regenschauer perlen Tropfen auf den Tulpen und Narzissen in den zahlreichen Beeten. Ein paar unvermeidliche Tauben picken in meiner Nähe am Boden herum, wobei ich beim besten Willen nicht erkennen kann, was genau ihr Interesse weckt.

    Verdammt!

    Ich war siebzehn, als meine Eltern bei einem Verkehrsunfall starben. Ein Lkw hatte die Straßenbahn, in der sie nach einem Shoppingtrip saßen, von den Schienen geworfen. Der Fahrer war mit Telefonieren beschäftigt gewesen, seine Lebensgefährtin hatte gerade mit ihm Schluss gemacht. Damals suchte ich nach einem Ausbildungsplatz. Aus dieser Situation heraus wurde mein Wunsch geboren, Bestatter zu werden. Mein Großvater war mit einem Enkel, den er fortan betreuen sollte, ein bisschen überfordert. Dabei gab er sein Bestes und pflegte zu mir ein tolles kumpelhaftes Verhältnis. Da ich nicht aus der geerbten Eigentumswohnung meiner Eltern ausziehen wollte und mein Opa an seinem eigenen kleinen Zuhause hing, arrangierten wir uns zu beider Zufriedenheit. Nach der Arbeit fuhr ich bei ihm vorbei, aß dort eine warme Mahlzeit, die er vorbereitet hatte, und besprach mit ihm alles Wichtige. Bis ich volljährig wurde, wurde ich zusätzlich vom Jugendamt betreut, das sich zum Glück nicht großartig in meinen Tagesablauf einmischte. Offenbar waren die Beamten mit dem Arrangement zwischen mir und meinem Opa ganz zufrieden.Ansonsten glänzte ich durch Selbständigkeit.

    Nach der Ausbildung folgten neun Monate Wehrdienst, der kurz danach zu meinem größten Ärger ausgesetzt wurde. Hätten sich das die blöden Politiker nicht ein bisschen früher überlegen können? Na ja, ich hakte die Sache ab und machte mich lieber auf die Suche nach einer Festanstellung, um meinem Großvater mit seiner kleinen Rente nicht auf der Tasche zu liegen. Görres Fennemann war mir in guter Erinnerung geblieben, da er mit mir sehr einfühlsam umgegangen war, als er meine Eltern beerdigt hatte. Aus diesem Grund bewarb ich mich bei dem freundlichen Mann um einen Arbeitsplatz als Bestattungsfachkraft und bekam tatsächlich eine Zusage. Görres wurde für mich eine Art Vaterfigur und seine Frau Ulrike eine Ersatzmutter.

    Über vier Jahre habe ich für die Fennemanns gearbeitet: Kundentermine vereinbart, beraten, Trauerkapellen reserviert, Überführungen arrangiert sowie Särge und Urnen verkauft. Ich organisierte auf Wunsch Sargträger und Blumenschmuck, leitete Behördliches in die Wege, tat passende religiöse Sprüche auf oder empfahl Steinmetze in der näheren Umgebung. Der Job hat mit dem Tod zu tun, trotzdem bin ich ihm mit Freuden nachgegangen. Was bringt einem Angehörigen mehr Seelenfrieden, als einem geliebten Menschen eine schöne letzte Ruhestätte zu schenken? Zudem schafft er einen Ort, an dem er den Verstorbenen besuchen kann.

    Vor drei Jahren schlief mein Opa friedlich ein, Görres bettete ihn ebenfalls zur letzten Ruhe. Und dann lernte ich vor zwei Jahren Roman kennen. Roman, dem ich heute irgendwie beibringen muss, dass ich arbeitslos bin.

    Ich bin Görres nicht böse, da ich nachvollziehen kann, dass es den Fennemanns finanziell unmöglich ist, mir ein Gehalt zu zahlen und nebenbei dauernd eine Aushilfe anfordern zu müssen. Nichtsdestotrotz ist es für mich ein gewaltiger Schock. Fünfundzwanzig Jahre alt, Dauerwehwehchen und arbeitslos. Gut, dass meine Eltern das nicht erleben müssen. Ich blinzle Tränen fort. Entlassen zu werden bedeutet, dass man die Chance für einen Neuanfang hat. Seltsamerweise bin ich darauf wenig erpicht.

    Nach Stunden raffe ich mich auf, verlasse die Bank und begebe mich auf den Heimweg. Die Kündigung halte ich weiterhin wie ein vollgeschnäuztes Taschentuch in den Fingern, unfähig, das Schriftstück einzustecken.

    *

    „Schaaaaahaaaatz? Bist du das?"

    Eine vollkommen überflüssige Frage, da sonst niemand einen Schlüssel zu unserer Wohnung hat.

    „Ja", antworte ich, hänge meinen Mantel an die Flurgarderobe und gehe mit diesem schicksalhaften Papier in der Hand in die Küche hinüber, in der Roman herumwirbelt. Mein Freund hat sich eine Küchenschürze umgebunden und bricht Nudelplatten passend für eine Auflaufform in Stücke.

    „Es gibt Lasagne", eröffnet er mir fröhlich den heutigen Speiseplan.

    „Klingt lecker. Du warst beim Friseur?"

    Romans Haare sind deutlich kürzer als heute Morgen.

    „Genau. Gefällt es dir?" Roman fährt sich durch den weißblonden Schopf. Der Friseur hat ihm eine Stirntolle wie in den fünfziger Jahren verpasst, allerdings steht das Roman mit den strahlend blauen Augen prima.

    „Es ist genau das Richtige für dich."

    „Sag mal, Marten, bekomme ich gar keinen Kuss?" Roman hält mir auffordernd die Wange hin. Ein bisschen reuig umarme ich ihn, wobei die Kündigung leise in seinem Rücken knistert, gebe ihm einen Kuss auf die Schläfe und einen weiteren auf den Mund, bevor ich mich an den Tisch setze. Still beobachte ich, wie Roman mit routinierten Griffen die Lasagne in den vorgeheizten Ofen schiebt.

    „Du bist heute spät dran. Gab es Probleme bei einem Trauerfall?"

    Ein Glas Mineralwasser findet den Weg zu mir.

    „Etwas Ähnliches", murmle ich.

    Selbstverständlich fällt meine gedrückte Stimmung auf. „Was ist los?" Roman nimmt die Schürze ab und setzt sich zu mir.

    „Görres hat mir gekündigt." Ich kämpfe mit der Verzweiflung und lege das offizielle Schreiben mit dem Briefkopf des Beerdigungsinstituts auf den Tisch.

    Entgeistert starrt Roman mich an. „Nein!"

    „Kein Joke." Unglücklich streiche ich mit dem Finger über die Kündigung.

    „Ich denke, ihr seid wie Vater und Sohn? Wie kann er dir einfach kündigen?" Roman verleiht seiner Empörung lautstark Ausdruck.

    Ich fühle mich genötigt, meinen ehemaligen Arbeitgeber und Ersatzvater zu verteidigen. „Für Görres wird es eng. Im Prinzip hat er mich jeden Monat bezahlen müssen, obwohl ich nicht gearbeitet habe. Zumindest bis das Krankengeld einsetzte. Ich komme ihm zu teuer. Und sein richtiger Sohn zieht in den nächsten Tagen bei ihm ein."

    „Aha! Das schwarze Schaf kehrt in den Schoß der Familie zurück und der Mohr hat seine Schuldigkeit getan. Die eigenen Gene, wie verkorkst sie auch sein mögen, sind fortan wichtiger."

    Ich schüttle den Kopf. „Hör auf, Roman. Görres hat mich länger behalten, als es ein anderer Arbeitgeber getan hätte. Die letzten Monate war ich kaum im Institut."

    Roman legt eine Hand auf die meine. „Dafür kannst du nichts, Schatz. Du bist ja nicht absichtlich krank."

    „Natürlich nicht."

    „Wer weiß, wozu es gut ist. Ständig diese Toten …"

    Es ist lieb, dass er mich trösten will. Aber ich mag diesen Job wirklich. Mit einem matten Lächeln entgegne ich: „Das kann dir ebenfalls passieren. Auf deiner Station kann genauso jemand versterben."

    Roman arbeitet als Krankenpfleger im Städtischen Klinikum, genauer gesagt auf der Station für Kinder- und Jugendmedizin.

    „Es ist eher selten, dass bei uns ein Patient verstirbt. Heute hatten wir die Einlieferung eines vierjährigen Diabetikers. So klein und schon so süß. Ein anderer hat eine entzündete Bauchspeicheldrüse … Das ist in dem Alter dermaßen selten, dass er quasi eine Sensation ist. Die Ärzte lieben medizinische Fälle wie diesen. Roman verdreht die Augen. „Und einer hat schlimmes Asthma. Der keucht, wenn er nur blinzelt. Na, vielleicht wäre der etwas für deinen Görres.

    „Pfui, Roman. Du redest von einem Kind."

    Mein Freund grinst schief und kommt um den Tisch herum. „Schatz, sei nicht traurig. Ich werde dich mit meiner Liebe füttern und deine Wehwehchen mit meinen heilenden Händen pflegen."

    Wenn es bloß Wehwehchen wären …

    „Morgen gehst du gleich zum Arbeitsamt. Es gibt genügend andere Beerdigungsinstitute, gestorben wird ja immer. Da findest du ganz schnell etwas Neues. Und wenn nicht in der Branche, dann halt in einer anderen. Die schulen beim Arbeitsamt ja mit Vorliebe um."

    Es ist wie Balsam, dass Roman unerschütterlich an mich glaubt und mich zu unterstützen versucht. Dabei kann er die Familie Fennemann nicht leiden, die mich nahezu adoptiert hat. Woran das liegt, kann ich mir nicht erklären. Görres und seine Frau Ulrike haben Roman nie anders als herzlich behandelt, aber aus irgendeinem Grund wird Roman mit ihnen einfach nicht warm.

    Was wiederum mich bedrückt, ist die Tatsache, dass ich mittlerweile eine Last für Roman geworden bin. Unsere Beziehung spielt sich beinahe ausschließlich zu Hause ab, da ich mich meistens zu elend fühle, um irgendetwas mit meinem Liebsten zu unternehmen. Wenn die Ärzte doch endlich etwas finden würden! In diesem Fall gäbe es wenigstens einen Punkt, an dem man ansetzen könnte.

    „Geh duschen, Schatz. Das Essen ist gleich fertig und ich habe aus dem Verleih eine DVD mitgebracht. Wir schauen uns den Film im Bett an und trinken ein Glas Rotwein dazu. Was meinst du?"

    „Du bist fantastisch."

    Wir küssen uns und sofort werde ich ruhiger. Roman ist von sanfter und zärtlicher Natur. Unser Sex ist zwar nicht welterschütternd, dafür intensiv und erfüllend. Vanillasex nennt Roman es zufrieden. Schlicht und ergreifend Sex ohne großartige Verrenkungen oder zirkusmäßige Akrobatik. Gelegentlich denke ich mir trotz der ganzen Romantik ein bisschen ketzerisch, dass mich ein wenig Power im Bett nicht umbringen würde, wohl wissend, dass Roman dafür einfach nicht der Typ ist. Wir sind gleichaltrig, beide fünfundzwanzig, und damit sind die Ähnlichkeiten zwischen uns bereits beendet. Roman ist blond und blauäugig, ich dagegen habe kastanienbraune Haare und grasgrüne Augen. Roman fährt total auf Bill Kaulitz von Tokio Hotel ab, aus meinen Lautsprecherboxen dröhnt David Guetta. Während ich gerne in einen Club zum Tanzen gehe, kuschelt Roman lieber auf dem Sofa. Das ist nicht weiter tragisch, da ich mich gut darauf einlassen kann und ich mag das Schmusen und einander in den Armen liegen wie verrückt, da ich keineswegs ein beinharter Macho bin. Wegen des Schichtdienstes, dem Roman in seinem Beruf leider nicht entkommt, bin ich an manchen Abenden ohnehin allein und gehe daher gelegentlich ohne ihn aus. Zumindest war das so, als ich noch fit genug dafür war. Zum Glück ist Roman nicht eifersüchtig, obwohl er natürlich ab und an nachfragt, was ich in dieser Zeit getrieben habe. Es ist schön, von einem Menschen nicht nur geliebt zu werden, sondern zudem sein Vertrauen zu besitzen.

    Unsere Beziehung läuft super, obwohl ich häufig ein schlechtes Gewissen wegen meiner mangelhaften Gesundheit habe. Doch mein Freund pflegt mich stets mit einem beruhigenden Lächeln und beteuert dauernd, dass es ihm nichts ausmacht und man in einer Beziehung eben auch die Tiefs gemeinsam meistern müsste. Gerne hätte ich die Möglichkeit gehabt, Roman meinen Eltern vorzustellen. Die hatten an meinem frühen Outing schwer zu knabbern, weil sich der Klischee-Schwule jede Nacht durch ein anderes Bett poppt. Roman hätte sie beruhigt und sie hätten sich bestimmt für mich gefreut, dass ich einen tollen Partner gefunden habe.

    Kennengelernt haben wir uns beim Bäcker. Ich hatte Bock auf Croissants und habe mich nach einer langen Partynacht an einem Samstagmorgen viel zu früh aus dem Bett bewegt. Das Schicksal stellte uns nebeneinander in die Schlange, die sich regelmäßig vor der Verkaufstheke bildet. Roman ist der Schlüssel aus der Tasche gerutscht, wir haben uns zeitgleich danach gebückt und sind mit den Köpfen zusammengedonnert. Danach sind wir schnell ins Gespräch gekommen und haben spontan beschlossen, unser Frühstück in die Bäckerei zu verlegen. An einem der kleinen Tische verspeisten wir Ei, Croissant und Schinkenbrötchen, während wir uns angeregt miteinander unterhielten. Keine zwei Monate später zogen wir zusammen. Roman hauste in einer WG und ich hatte Platz genug in meiner Eigentumswohnung. Das war eine Premiere, dass ich mein Leben richtig mit einem Mann teile. Noch nie zuvor ist jemand bei mir eingezogen, bis dahin hatte ich eher kleine Flirts und lockere Beziehungen gehabt. Obwohl wir recht verschieden sind, fügte sich Roman perfekt in meinen Alltag ein. Er lacht und weint mit mir, versteht es, zu trösten und anzupacken, wo es nötig ist. Wie selbstverständlich übernimmt er einen Teil der Hausarbeiten und macht häufig sogar viel mehr, wenn ich krank bin oder im Beerdigungsinstitut länger zu tun habe.

    Nein, hatte!

    Jetzt ist ja meine Arbeit dort vorbei. Ich bin irre glücklich, Roman an meiner Seite zu haben, und liebe ihn wie am ersten Tag. Ohne ihn wäre ich eine völlig leere Hülle. Ganz besonders heute.

    Ich verlasse die Küche, lege die Kündigung während eines kurzen Abstechers zum Schreibtisch auf einem wachsenden Papierstapel ab und marschiere ins Bad. Zunächst dusche ich ausgiebig und trockne mich hinterher sorgfältig ab. Mittlerweile hege ich nämlich die Befürchtung, dass mir der leiseste Lufthauch eine Erkältung bescheren könnte. Was Krankheiten, Keime und Viren angeht, werde ich langsam paranoid. Wer wie ich etliche Stunden auf dem Klo gesessen oder sich wahlweise darüber gebeugt hat, wird mich sicherlich verstehen können.

    „Schatz, Essen ist fertig!"

    Die perfekte Hausfrau ruft zu Tisch. Ich grinse, ziehe mir rasch eine bequeme Jeans und ein Sweatshirt über und eile in die Küche zurück.

    Die Lasagne ist hervorragend. Roman hat ein Händchen fürs Kochen. Zu dem Gericht trinken wir einen mittelklassigen Rotwein, was wir uns bloß selten gönnen. Denn entweder habe ich Bauchkrämpfe oder derartige Kopfschmerzen, dass ich meinen Schädel am liebsten gegen die Wand schlagen würde, um dem ein Ende zu bereiten. Heute fühle ich mich körperlich recht wohl, weshalb ich mich verwegen an den Wein herantraue. Als wir nach dem Ende des Films Fack ju Göhte nebeneinander im Bett liegen und uns in den Armen halten, verlangt Roman eine genaue Wiedergabe des Gesprächs zwischen Görres und mir. Und danach versucht er mich auf zärtliche Weise auf ganz andere Gedanken zu bringen. Ich bin wirklich froh, dass ich ihn habe.

    *

    Zwei Tage später schiebe ich den Einkaufswagen an den Regalen des Supermarktes vorbei. Es ist ein komisches Gefühl, nach rund zwei Jahren den Wocheneinkauf ohne meinen Liebsten zu erledigen. Bislang hat Roman den Einkauf übernommen, weil der das zeitlich besser gehändelt bekam, oder wir sind am Wochenende gemeinsam losgezogen. Ich lege eine Packung Eier aus Bodenhaltung in den Wagen, wo sich bereits frischer Dill befindet. Da ich kein großer Koch bin, habe ich Eier in Senfsoße für das Mittagessen geplant. Roman hat heute Frühdienst, daher wird er bestimmt ausgehungert zu Hause erscheinen. Zwei Dosen Senf gesellen sich zu dem graugrünen Eierkarton mit dem Aufdruck eines glücklichen Huhns. Ich besorge Aufschnitt, Mineralwasser, vergesse auch das Toilettenpapier nicht und suche nach dem Rasierschaum, der sich nicht an gewohnter Stelle finden lässt. Nachdem ich endlich sämtliche benötigten Produkte zusammengesucht habe, stelle ich mich hinter einem kahlköpfigen älteren Mann in ausgeleierter Jogginghose an der Kasse an. Der Kerl will gleich sechs Paletten Hundefutter kaufen. Ich hoffe inständig, dass der Mann tatsächlich einen Hund hat und die Dosen nicht selbst leerlöffelt. So wie der Typ ausschaut, würde ich es ihm zutrauen.

    Endlich kann ich zahlen und die Einkäufe nach Hause schleppen. Einen Wagen besitzen wir nicht. In der Stadt sind ohnehin keine Parkplätze zu bekommen und wir wohnen recht zentral, sodass wir unsere Ziele problemlos mit den öffentlichen Verkehrsmitteln erreichen können. Obwohl ich nicht weit zu laufen habe, muss ich die beiden Taschen viermal absetzen, um zwischendurch zu verschnaufen. Ängstlich horche ich in mich hinein, ob sich vielleicht gleich ein Schwindelanfall oder Übelkeit einstellt, doch lediglich mein Puls rast.

    Das reicht schon. Früher hätte ich diese Taschen rennend nach Hause gebracht und wäre nicht einmal nennenswert aus der Puste gewesen. Ich fühle mich wie ein alter Opa, denke ich ärgerlich. Wie soll das erst werden, wenn ich wirklich älter bin?

    Zum Glück wohnen wir im Erdgeschoss, darum muss ich nur wenige Stufen bis zu unserer Wohnung bewältigen. Erleichtert schließe ich die Tür auf und trage die Einkäufe in die Küche. Bevor ich alles ausräume, checke ich mein Smartphone. Eine Nachricht von Roman entdecke ich darauf, der sich nach meinem Befinden erkundigt und mitteilt, dass er meine Unterlagen für das Arbeitsamt in den Behördenbriefkasten geworfen hat. Ein Jahr lang kann ich Arbeitslosengeld I erhalten, was sechzig Prozent meines bisherigen Einkommens ausmacht. Wenn ich innerhalb des Jahres keinen neuen Job ergattere, darf ich mich zu den Hartz IV-Beziehern gesellen. Was für eine Karriere!

    Während ich frustriert die Einkäufe forträume, die Eier und Kartoffeln koche, frage ich mich, was ich eigentlich unternehmen soll. Wenn ich mich irgendwo bewerbe und gleich zu Anfang wegen einer Erkrankung fehle, werde ich nie einen dauerhaften neuen Job bekommen. Wie ich erfahren musste, sind vertragliche Probezeiten zwischen drei und sechs Monaten gang und gäbe. Da fliege ich mit meinen Unpässlichkeiten ganz sicher gleich wieder raus. Außerdem will ich viel lieber bei Ulrike und Görres weiterarbeiten. Und Görres selbst hat beteuert, mich erneut einstellen zu wollen. Ich muss bloß gesund werden – und bleiben. Finde den Fehler …

    Ich öffne unseren Doppel-Abfallbehälter, um die Kartoffelschalen zu entsorgen, da stutze ich. Halb unter einem Küchentuch verdeckt liegt in dem Mülleimer für sonstige Abfälle eine Medikamentenschachtel, die nicht mir gehört. Ich gebe die Schalen in den Biomüll und fische danach neugierig geworden die Schachtel hervor.

    Bisoprolol, lese ich mit einem Stirnrunzeln. Dem Beipackzettel entnehme ich, dass es sich um einen Betablocker handelt. Die Schachtel kann einzig

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