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Durch Schatten gehen: Roman nach einer wahren Begebenheit
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Durch Schatten gehen: Roman nach einer wahren Begebenheit
eBook402 Seiten6 Stunden

Durch Schatten gehen: Roman nach einer wahren Begebenheit

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Über dieses E-Book

Seit vielen Jahren verfolgt die Autorin aus fachlichem Interesse die Diskussion zum Thema "Burnout Depression". Die öffentliche Auseinandersetzung mit dieser Erkrankung wurde im vergangenen Jahrezehnt oft oberflächlich geführt, das Krankheitsbild wenig differenziert besprochen. Dies ging oft auf Kosten von Begriffsgenauigkeiten und der sachgerechten Erfassung der Erkrankung. Der immer noch anhaftende Beigeschmack nach dem Motto: "Naja, jeder fühlt sich mal überlastet oder erschöpft-aber muss man das gleich an die große Glocke hängen und sich so gehen lassen?" hält sich hartnäckig.
Mit diesem Missverständnis aufzuräumen, ist das Anliegen des Buches.
Der wahre Bericht einer vom Burnout Betroffenen wurde hier zum Anlass genommen um sich mit der Krankheit auf differenzierte Weise auseinanderzusetzen und die zutiefst traurigen und verzweifelten, nicht immer für Außenstehende nachvollziehbaren Emotionen zu beschreiben.
So wird die Romanfigur Britt über den Zeitraum eines Jahres, von dem Dezembertag an, als ihr Mann ihr eröffnet sich von ihr zu trennen bis zum Dezember des Folgejahres begleitet. Die Autorin schildert, wie Britt ihre stationären Klinikaufenthalte erlebt, wie ihre Umwelt auf die Erkrankung reagiert, wie Britt oft einfach nur noch resignieren kann. Die Kälte und das Unverständnis des Ehemanns finden genauso ihren Platz wie die Hilfsbereitschaft eines alten Schulfreundes, der sich mehr als nur Freundschaft von Britt wünscht. Eine frühere Liebe zu einem Egomanen aktualisiert sich noch einmal, um dann eine Verarbeitung und einen endgültign Abschluss zu finden.
Eingestreut werden immer wieder Reminiszenzen und Rückblenden in ihre Ehezeit und so muss Britt nach und nach erkennen, dass sie viele Signale der nahenden Trennung übersehen hatte. Bevor Britt das Ende ihrer Ehe versöhnlich verstehen und akzeptieren kann, geht sie durch tiefe emotionale Abgründe.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum13. Mai 2020
ISBN9783347060111
Durch Schatten gehen: Roman nach einer wahren Begebenheit

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    Buchvorschau

    Durch Schatten gehen - Birgit Treckeler

    1 Eiskalter Mittwoch

    Ein weiterer bitterkalter Abend in diesem Dezember. Schnee, Eisregen und Minusgrade begleiten uns nun schon seit Wochen, tagaus, tagein. Und auch tief drinnen in mir breitet sich diese Eiseskälte immer weiter aus, ergreift zunehmend Besitz von mir. Die Decke, die ich um mich geschlungen habe, kann die Kälte nicht vertreiben. In mir toben Aufregung, Unruhe, Erschöpfung und Angst – obwohl ich doch so dringend zur Ruhe kommen müsste. Das geht jetzt schon wochenlang so, Tag für Tag, Nacht für Nacht.

    Ich bin allein, meine Tränen fließen. Immer in solchen unbeobachteten Momenten bin ich offenbar unfähig, mit dem Weinen wieder aufzuhören. Mein Blick ist leer, mal starre ich die Wand an, mal die Zeiger der Uhr. Ich zerknülle das Taschentuch, werfe es achtlos zu den anderen nassgeweinten, die sich am Boden sammeln. Richte mich schwerfällig auf, sitze einfach nur da. Für viele Monate werde ich dem Weinen keinen Einhalt mehr gebieten können. Die Tränen, sie werden laufen und laufen, ganz ohne mein Zutun. Und einfach herabfallen.

    Ich hülle mich noch tiefer in die Decke ein, doch sie wärmt mich nicht. Lady und Ovambo, meine beiden Collies, werfen mir einen raschen besorgten Blick zu, als ich mich rege, gerade so, als wollten sie sich vergewissern, dass ich in Ordnung bin.

    Es ist Mittwochabend. Der Fernseher läuft im Hintergrund, ohne Ton, wirft seine gespenstischen Bilder in das ansonsten dunkle Zimmer. Ich warte auf Eberhard. Er ist gerade in einer Einzelsitzung mit unserem Paartherapeuten. Und es hängt so viel ab von diesem einen Gespräch – für mich, für ihn, für unser ganzes weiteres Leben. Denn dass es um nichts weniger als das geht, ist mir in den vergangenen Wochen mehr und mehr zur Gewissheit geworden.

    Die Vorstellung, dass in wenigen Tagen Weihnachten ist, verdränge ich bereits seit geraumer Zeit. Wie soll das nur aussehen in dieser Situation? Das Fest der Liebe feiern, unser Traditionsessen genießen, das wir jedes Jahr stets gemeinsam zubereitet haben, uns gegenseitig beschenken, während unsere Ehe in den letzten Zügen liegt? Es erscheint mir grotesk – und passt zugleich auch irgendwie in diese surreale Zeit.

    21.30 Uhr. Sein Auto fährt die Auffahrt hoch. Für einen kurzen Moment erhellen die Scheinwerfer den Raum. Mit untrüglichem Gespür machen unsere Hunde unter hunderten von Autos, die sich dem Grundstück nähern, auf Anhieb den Wagen ihres Herrchens aus. Und so sind sie auch bereits ungestüm und voller Vorfreude auf dem Weg zur Haustür, die Eberhard soeben öffnet.

    Noch ist er nicht in meinem Blickfeld, und doch ist mir jede seiner Bewegungen vertraut. Nach so vielen gemeinsamen Jahren kennt man einander blind: Er legt – wie immer – die Schlüssel aufs Bord, stellt die Schuhe ins Regal, hängt die Jacke an die Garderobe, schaltet das Handy ab, ehe es seinen gewohnten Platz auf der Kommode findet. Endlich betritt er den Raum. Unwillkürlich umfängt mich Angst. Mir ist kalt. Bitterkalt. Von den Hunden nimmt er diesmal kaum Notiz. Mich beschleicht eine düstere Vorahnung. Er setzt sich mir gegenüber in den Sessel, schaut mich eindringlich an.

    „Du weinst? Was ist los?" In seiner Stimme schwingt ein Unterton, der mir gar nicht gefällt.

    „Ich kann nicht mehr, Eberhard, bricht es aus mir heraus, die Stimme schon ganz heiser vom vielen Weinen, „ich kann einfach nicht mehr! Ich beginne hemmungslos zu schluchzen.

    Doch anstatt mich in die Arme zu nehmen, mir zu versichern, dass alles wieder gut wird, lehnt er sich noch tiefer in den Sessel zurück, entfernt sich noch weiter von mir.

    Er atmet tief ein, so als brauche er Mut für das, was er mir nun sagen will. „Ich habe gerade von unserem Therapeuten erfahren, dass du am Samstag bei ihm warst. Das hast du mir gar nicht erzählt", weicht er vorwurfsvoll aus.

    Tatsächlich hatte ich mir am vergangenen Wochenende ohne Eberhards Wissen einen

    Einzeltermin bei Herrn Stegner geben lassen, denn nach der letzten gemeinsamen Sitzung hatten wir auf der Rückfahrt wieder bitterböse miteinander gestritten. Ich wollte einfach keine Reflexionsgespräche mehr führen, wollte mir von Eberhard nicht mehr anhören, wie traumhaft wir als Paar doch vor Jahren einmal funktioniert hatten. Und ich wollte auch nicht mehr über das reden, was heute davon noch übrig geblieben ist. Wollte nicht über vorhandene, verdeckte und verlorengegangene Gefühle nachdenken, mich nicht mehr mit den verbalen und stummen Vorwürfen auseinandersetzen, geschweige denn darüber reden. Mir fehlte inzwischen schlichtweg einfach die Energie für Fantasien, für Wünsche und für die alten Geschichten.

    Zu diesem Zeitpunkt war ich bereits völlig überfordert mit der ganzen Situation. Ich trat einen feigen und kraftlosen Rückzug an, verlor mich in Aggression, Vorwürfen und Distanz. Mehr und mehr führte ich mich jeden Tag auf wie ein verwundetes wildes Tier. Und bei unserem Therapeuten wiederholte ich immer wieder mit letzter Kraft, dass ich das alles nicht mehr wolle, dass ich diese Unterhaltungen nur noch als sinnlos, als reine Zeitverschwendung ansähe. Eberhard und ich sollten uns doch endlich trennen – das war alles, was mir dazu noch einfiel.

    Aber dieser im Grunde paradox formulierte Trennungswunsch war eigentlich nichts anderes als ein weiterer hilfloser Appell an meinen Mann, meinen katastrophalen Zustand in seinem ganzen Ausmaß endlich zu bemerken. Ich wünschte mir so sehr von ihm, endlich einmal Verantwortung zu übernehmen, für uns, für mich. Ich wünschte mir, dass er aktiv würde, dass er das für uns beide Richtige täte in dieser verfahrenen Situation. Bereits damals kam es mir unglaublich brutal und ignorant vor, dass er als mein Mann, mein Partner, mein engster Vertrauter blind dafür war, wie schlecht es mir seit langem schon ging. Hätte ich doch nur ein gebrochenes, eingegipstes Bein gehabt, das wäre wahrscheinlich selbst für ihn plakativer gewesen! Vielleicht hätte er dann verstanden, dass ein 400-Meter-Hürdenlauf für mich gerade nicht infrage kommt. Vielleicht aber hätte ihn das zu diesem Zeitpunkt auch schon längst nicht mehr interessiert …

    Aber die Beziehung tatsächlich beenden, ausziehen, das Haus verkaufen, unsere Ehe wirklich aufgeben, Eberhard verlieren, gar eine Scheidung – das kam in letzter und realer Konsequenz für mich überhaupt nicht infrage. Ich fühlte mich einfach nur völlig überfordert, ausgelaugt, mit meinen psychischen und physischen Reserven am Ende. Ich hatte auf Eberhards so oft beschworene Liebe gesetzt, auf sein Verständnis, das ich gerade jetzt so dringend brauchte. Genauso wie die Hoffnung, dass es schon irgendwie weitergehen wird, dass er sich um mich kümmern wird, wie auch ich mich all die Jahre um ihn gekümmert habe. Aber er begriff nicht, verstand mich nicht. Er glaubte nur an das, was für ihn offensichtlich war. Das allein zählte. Und er hatte sich sehr schnell mit der neuen Situation arrangiert, mit dieser bedrückenden Atmosphäre voller Distanz, Fremdheit und Sachlichkeit.

    So redete Eberhard in jenen Wochen auch kaum noch mit mir, ging zunehmend auf Abstand, was die Situation für mich nur noch weiter verschlimmerte. Meine Versuche, auf ihn zuzugehen, meine Bitten, sich ein wenig einzubringen, um unsere Beziehung zu retten – alles verhallte ungehört und blieb ohne jede Resonanz. Und dieser Schmerz ließ mich immer kälter und härter werden, bis ich schließlich auf Autopilot schaltete: Ich funktionierte lediglich nur noch im Alltag. Den Schmerz, die Gefühle des Alleinseins, der Überforderung und der Angst verschloss ich tief in mir und errichtete Mauern aus Gereiztheit und Getriebensein um mich herum.

    Zum Glück ahnte ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht, wie viele schmerzhafte Momente und bittere Erkenntnisse noch vor mir liegen sollten, ehe ich all das verstehen würde

    Erst vor wenigen Wochen noch hatte ich eine Überraschungsparty zu Eberhards Geburtstag organisiert, hatte alle seine und unsere gemeinsamen Freunde in unsere Lieblingspizzeria eingeladen – und sie waren der Einladung gerne gefolgt. Ich hatte so große Hoffnungen in diesen Abend gesetzt, wollte ihm eine Freude machen, wollte uns die Chance geben, endlich mal wieder lockerer miteinander umzugehen, einfach ein paar schöne gemeinsame Stunden zu verleben. Und ja, ich wollte ihm und auch unseren Freunden zeigen, dass wir noch immer unser Leben miteinander teilten und dass er mir nach wie vor wichtig war. Doch Eberhard hat an diesem Abend kein einziges Wort mit mir gewechselt, nicht einmal meine Nähe gesucht. Und am Ende hat er sich nur kurz und sachlich für den Abend bei mir bedankt, so als hätte ich ihm ein Buch geschenkt.

    Jetzt also wurde es ernst. Tief in mir spürte ich, dass es mir nicht mehr lange gelingen würde, die Fassade, die ich um mich errichtet hatte, aufrechtzuerhalten. Ich brauche Hilfe. Ohne groß weiter zu überlegen, rief ich Herrn Stegner an, mit dem wir beide bereits einige gemeinsame Therapiegespräche hatten. Eberhard war an diesem Samstag mit einem Freund zum Fußball verabredet, ich war allein.

    Nach nur zweimal Klingeln nahm Herr Stegner ab. „Bei mir bricht hier gerade meine Welt zusammen! Ich habe solche Angst, dass mir alles entgleitet, dass sich alles verändern wird", überfiel ich ihn ohne weitere Einleitung. Nervös lief ich im Zimmer auf und ab, kraulte Lady wie nebenbei das Fell. Meine Schöne sah mich aus großen, traurigen Augen an und als ahnte sie die Gefahr, wich sie nicht von meiner Seite.

    „Wie kann ich Ihnen denn helfen, Frau Ilkner?", fragte Herr Stegner.

    „Ich muss unbedingt mit Ihnen reden, geht das? Kann ich vielleicht heute noch zu Ihnen kommen?"

    „Gerne können Sie kommen, am Nachmittag könnte ich es noch einrichten, wenn es bei Ihnen passt", war seine rasche Antwort. Nachdem er mir sodann sachlich die Tarife für die Wochenendsprechstunde genannt hatte – doppelter Stundensatz plus Wochenendzuschlag –, verabredeten wir uns für den frühen Nachmittag.

    Endlich bei Herrn Stegner angekommen, konnte ich nichts anderes mehr als weinen – der Startschuss für die Tränenflut, die mich in den kommenden Wochen und Monaten überschwemmen sollte. Instinktiv hatte ich erfasst, dass ich so nicht mehr weitermachen konnte. Ich spürte, wie mich alle Kraft verließ. Ich hatte keine Ahnung, warum das so war, ich wünschte mir nur, dass mir endlich jemand helfen würde und ich diesen Albtraum hinter mir lassen könnte.

    „Ich erlebe Sie heute so ganz anders als bei unseren letzten Gesprächen mit Ihrem Mann, Frau Ilkner. Ich hatte wirklich den Eindruck gewonnen, dass Ihre Ehe für Sie bereits Geschichte ist. Stimmt das denn so gar nicht?", sah er mich überrascht an und wartete auf meine Reaktion. Im Haus schlug irgendwo eine Tür zu, unwillkürlich zuckte ich zusammen. Was hatte er gerade gefragt? Meine Ehe, bereits Geschichte?

    Seine Stimme riss mich aus meinen Gedanken. „Sie waren so kühl und distanziert in den letzten beiden Sitzungen hier, schienen nur noch wie genervt vom Gespräch mit

    Ihrem Mann, als sei Ihnen das alles zu viel. Und jetzt diese Reaktion?", wunderte er sich. Er füllte ein Glas mit Wasser, reichte es mir, nahm seine Brille ab, putzte sie, wartete ab. Er ließ mir Zeit, mich wieder zu fangen.

    Ich brauchte mehrere Anläufe, ehe ich endlich sprechen konnte. „Ich habe Angst davor, dass er mich verlässt. Davor, dass es schon vorbei ist, brach es aus mir heraus. „Ich will keine Trennung, ich schaffe das einfach nicht!

    Die Tränen liefen wieder unaufhörlich, es tat so weh. Herr Stegner reichte mir ein Taschentuch – Therapeuten haben immer eine Packung parat. Ich hatte ihn mit meinem Zusammenbruch wohl ziemlich überrascht. Er musste offenbar seine Ideen zu unserer Situation neu überdenken. Und vor allem musste er sein Bild von mir korrigieren. Aber wirklich erkannt, verstanden oder gar richtig interpretiert hatte er meinen unverkennbar alarmierenden Zustand nicht.

    „Ich sehe Ihren Mann am kommenden Mittwoch zum Einzelgespräch, dann werden wir das Thema ja besprechen. Ich werde Ihre Ängste thematisieren und dann sehen, wie er reagiert", verabschiedete er mich vage, nachdem ich mich wieder ein wenig im Griff hatte.

    Auf der Fahrt nach Hause verließ mich alle Hoffnung. Ich wusste, ein einziger Windhauch würde genügen, um mein Kartenhaus endgültig zum Einsturz zu bringen. So lange hatte ich auf Zeit gespielt, die letzten Reserven aus mir herausgeholt. Jetzt spürte ich, dass der Zusammenbruch bevorstand. Wie nur sollte ich die nächsten Tage bewältigen?

    ***

    An diesem eiskalten Mittwochabend also erzähle ich Eberhard von meinem Gespräch mit Stegner. Ich zeige mich ihm nun ganz ohne Maske, bin nicht länger die Kühle und Sachliche. Bin nur noch verzweifelt, am Ende, leer, ausgebrannt. „Zwischen uns läuft im Moment so vieles schief, Eberhard. Ich habe das Gefühl, dass uns alles entgleitet." Die Stimme bricht mir weg und in Gedanken flehe ich, er möge doch endlich mit mir reden. Heute, nach seiner Therapiestunde, würde er doch reden müssen! Ich warte auf ein paar rettende Worte von ihm. Doch es kommt anders.

    „Es ist vorbei, Britt. Aus! Vorbei! Ich habe einfach keinen Bock mehr!" Er schaut mich an, kalt, eiskalt.

    Seine Antwort versetzt mir einen absoluten Tiefschlag, ich bin wie erstarrt. Damit hatte ich wirklich nicht gerechnet. „Was hast du gerade gesagt?", höre ich mich von Weitem fragen. Mir läuft es kalt den Rücken herunter, das Atmen vergesse ich.

    „Es ist Schluss, das war’s! Ich bin einfach nicht mehr glücklich mit dir, mit uns. Und ich fürchte, dass sich das auch nicht mehr ändert." Eberhards Stimme ist sachlich, fast schneidend. So einfach ist das also! Er verlässt mich tatsächlich. Wie kann er das tun, jetzt, in diesem Moment? Eberhard, meine ganz große Liebe, der Mann meines Lebens, mein Halt, mein Partner, mit dem ich alles geteilt, dem ich immer vertraut habe. Er vernichtet mich mit diesen wenigen Worten, beendet unsere Beziehung mit diesen wenigen Worten – nach neun Jahren?

    Darum beschützen wir unser Herz so besonders und verschenken es so selten, denn es ist so ungeheuer zerbrechlich. Jetzt erst verstehe ich diesen Sinnspruch.

    Mit Eberhard, davon war ich stets überzeugt gewesen, hatte mein Leben erst wirklich angefangen. Was haben wir uns alles gemeinsam aufgebaut! Wie hatte er damals, nach unserem Kennenlernen, um mich gekämpft! Wollte um jeden Preis ein gemeinsames Leben mit mir, unser Leben auf der Überholspur. Und war ich nicht immer für ihn dagewesen? Hatte ihn unterstützt in seinen schwierigen Jahren, nach der Trennung und Scheidung, in finanziellen Nöten, als die Unterhaltszahlungen für seine Ex und die Kinder sein Gehalt aufzehrten? Durch dick und dünn – oder wie war noch gleich das Versprechen gewesen bei unserer Heirat? Aber bei Eberhard also doch immer nur Liebe auf Zeit? Liebe nur in guten Zeiten? Wieder einmal? Also auch mit mir?

    Ich fühle mich wie eine kostbare gläserne Vase, hübsch anzusehen, ein ganz besonderes Sammlerstück in der Vitrine meines Mannes. Doch diese Vase hat er mit der Zeit immer seltener hervorgeholt und betrachtet, immer seltener den Staub abgewischt. Nun lässt er sie fallen – und sieht dabei zu, wie sie zerspringt. Ich bin zersplittert in Hunderte kleiner Glasscherben und ich habe keine Kraft mehr, mich aufzusammeln. Geschweige denn, mich jemals wieder zusammenzusetzen.

    Ich atme tief durch, kann nicht begreifen, dass Eberhard alles wegwirft, mich wegwirft und unser gemeinsames Leben. „Verstehe", antworte ich mechanisch – doch nichts verstehe ich. Aber ich bettele nicht nach weiteren Erklärungen. Könnte kein einziges Wort mehr von ihm ertragen. Er erhebt sich und berührt mit einer fahrigen Bewegung seiner Hand meine Schulter, als wolle er mich beschwichtigen. Er wirkt erleichtert. Das Schlimmste hat er offensichtlich gerade hinter sich gebracht.

    „Ich schlage vor, sagt er gerade, während er im Zimmer auf und ab geht, „wir versuchen, das Haus schnellstmöglich zu verkaufen. Das kann sich ohnehin hinziehen, der Markt ist ja schwierig genug momentan. Und bis es soweit ist, leben wir hier einfach wie in einer WG zusammen und teilen uns die anfallenden Kosten, fasst er seine Gedanken zügig und wie beiläufig zusammen.

    „Du hast das ja anscheinend alles schon durchgeplant", erwidere ich tonlos.

    Eberhard geht darauf nicht ein, sondern fährt kühl fort: „Das Haus ist doch groß genug, wir können uns aus dem Weg gehen. Jeder lebt sein Leben und wir sind getrennt von Tisch und Bett. Das Trennungsjahr kann beginnen! Auch wenn wir hier gemeinsam wohnen, wir leben ja trotzdem getrennt."

    Ich rühre mich nicht, kann es einfach nicht fassen. Bin starr. Warte darauf, dass er alles zurücknimmt und endlich sagt, dass es ja auch noch andere Möglichkeiten gibt. Wie lange ist es her, dass er mich anflehte, noch einmal von vorne zu beginnen mit unserer Liebe? Zwei, drei, doch höchstens vier Wochen. Woher kommt dieser unglaubliche Druck auf meiner Brust? Alles in mir zittert, der Mund ist trocken, ich kann mich nicht vom Sofa erheben, würde gerne gehen, den Raum endlich verlassen, weg von ihm. Aber ich weiß, meine Beine würden mich nicht tragen.

    Da spricht er schon weiter, als sei nichts geschehen: „Ich bin müde, ich gehe ins Bett." Ich schaue ihm nach, als er sich in Richtung Schlafzimmer wendet. Kann nicht glauben, dass er jetzt wirklich in unserem Bett schlafen will. Mir fehlt die Kraft, das zu klären, so lasse ich ihn gehen.

    Lady hat eine Pfote auf mein Bein gelegt, sieht mich an. Große braune Augen, ein trauriger, seelenvoller Blick. Sie liegt vor mir auf dem Sofa in dieser Nacht und ich frage mich, ob Hunde wohl auch weinen können …

    Ich finde keinen Schlaf, nicht in dieser Nacht und auch nicht in den folgenden Nächten. Ich bin am Tiefpunkt meines Lebens angelangt, der schlimmste und schmerzhafteste Moment, den ich je erlebt habe. Als es draußen allmählich dämmert, schlafe ich auf der unbequemen Ledercouch wohl doch noch ein. Beim Aufwachen bin ich für einen Moment orientierungslos, dann ist die Erinnerung zurück. Die Szenen des vergangenen Abends wollen wieder auftauchen, ich verdränge sie, kann das jetzt nicht aushalten.

    Ich gehe ins Schlafzimmer, die Hunde neben mir. Sie wollen nach draußen, sind unruhig. Mir fehlt heute die Kraft für den frühen Spaziergang. Eberhard schläft noch, ich höre seine gleichmäßigen Atemzüge. Dann bewegt er sich. Wittert er Gefahr?

    „Du wirst sofort aus diesem Schlafzimmer ausziehen, richte dich im Gästezimmer ein! Und geh mit den Hunden raus!, sage ich tonlos in seine Richtung, als er die Augen öffnet, „ich kann das jetzt nicht.

    Eberhard steht auf und zieht sich rasch an. Ich lege mich auf meine Seite des Bettes, als er das Zimmer verlässt. Ich muss nachdenken, überlegen, was ich jetzt tun werde. Aber eines ist mir in diesem Augenblick bereits klar: dass ich seinem Vorschlag nicht folgen werde. Es wird keine lockere WG hier geben, definitiv nicht! Wenn er die Trennung wirklich will, wird er ab sofort die Konsequenzen spüren. Dies ist der Moment, in dem sich neben meiner Liebe und Trauer bisher nicht gekannte neue Gefühle ansiedeln: Hass und grenzenlose Wut bahnen sich ihren Weg durch meinen Körper. Ich habe in den vergangenen Jahren immer funktioniert, ich werde dies hier nun auch bewältigen. Zusammenbrechen kann ich auch später noch, schießt es mir mit einem bitteren Lächeln durch den Kopf. Jetzt muss ich handeln – und wenn es das Letzte ist, was ich noch schaffe, verspreche ich mir.

    Als der neue Tag endlich anbricht, rufe ich meinen Anwalt an. Ich informiere ihn über den Beginn des Trennungsjahres, über das Ende meiner Ehe.

    2 Feiertage

    Das Weihnachtsfest rückt unausweichlich näher. Auch wenn für mich die Zeit stillsteht, der Kalender nimmt darauf keine Rücksicht, di Feiertage stehen vor der Tür. Der Schneefall in diesem Jahr ist unglaublich heftig, bei vielen Familien findet der Heiligabend deshalb in kleinerem Kreis statt als geplant, denn nicht wenige verzichten auf die Anreise mit dem Auto aus Sorge, auf zugeschneiten Autobahnen die Nacht verbringen zu müssen. Mir hingegen macht die Wetterlage nichts aus. Ein angenehmer Nebeneffekt meiner Gefühlslage ist, dass mir das Angstgefühl völlig abhandengekommen ist. Gefährlich eigentlich – aber mir ist das ganz recht so. Ich scheue auch Wind und Wetter einschließlich Schneeverwehungen und Glatteisgefahr nicht und nehme alle Widrigkeiten in Kauf, um Freunde und Familie zu besuchen. Ich fühle mich in meinem SUV sicher und in diesen Tagen ist die Autobahn fast schon zu meinem zweiten Zuhause geworden.

    Eberhard und ich müssen die Verantwortlichkeiten für die Hunde über Weihnachten miteinander abklären. Wir teilen uns die Feiertage auf. Jedes Gespräch mit ihm kostet mich Kraft und so werden viele Nachrichten auf Zetteln ausgetauscht, die scheinbar achtlos auf dem Küchentisch deponiert werden. Für uns beide ist klar: Weihnachten gemeinsam unter einem Dach zu sein, wäre undenkbar. Ich entscheide, dass ich über die Feiertag außer Haus sein werde und so wird er für die Hunde sorgen müssen. Dafür wird er über Silvester nicht da sein und informiert mich darüber, dass er zum Jahresende für ein paar Tage wegfahren will. Der Schmerz zerrt an mir, das Messer in meinen Eingeweiden dreht sich ein weiteres Mal herum. Ich kann die Vorstellung nicht in mein

    Hirn bekommen, dass er Silvester tatsächlich ohne mich feiern will. Eine Party ohne ‚uns‘, ohne das händchenhaltende ‚Wir‘? Wie kann er nur?

    Mein Vater hat mich über Heiligabend und die Feiertage in sein Haus eingeladen. Hier werde ich also meine Zeit gemeinsam mit seiner aktuellen, äußerst spröden Freundin und ihrer Familie verbringen. Weihnachten feiern, wie absurd mir das alles erscheint! Ein nüchternes Gästezimmer und weihnachtliches Trallala im Hause meines Vaters und seiner skurrilen Beziehung namens Claudette warten also auf mich. Klassisches Weihnachtsessen, nettes, weinseliges Beisammensitzen, Bescherung mit mir völlig fremden Menschen, so wird es wohl laufen. Ich fühle mich wie abgetrennt von der Welt, muss mich so sehr zusammenreißen, dass die Tränen nicht unentwegt laufen, mich keine Weinkrämpfe überfallen und ich einigermaßen in der Gesellschaft funktionieren kann.

    Das alles kostet so viel Kraft, so viel Anstrengung, dass ich nur noch ins Bett will, mich wie jede Nacht in den Schlaf weinen möchte, der Realität für ein paar Stunden entfliehen. Mein Vater, der sich so überhaupt nicht in meine Situation einfühlen kann und dementsprechend auch kein Verständnis für meine Verfassung zeigt, erwartet von mir, dass ich die Weihnachtsfarce mitspiele und irgendwie klarkomme. Auf jeden Fall wünscht er keine Szene und kein peinliches Verhalten. „Mensch, Britt, eine Trennung ist doch kein Weltuntergang, jetzt reiß dich mal ein bisschen zusammen!", raunt er mir zu, ständig in Furcht, ich könnte die Contenance verlieren und den anderen, mir völlig fremden Menschen damit eventuell den Weihnachtsabend verderben. Was weiß er denn schon mit seinen ständig wechselnden Freundinnen, seinem Fremdgehen, seinen Lügen und erfundenen Geschichten? Wie kann ein Mensch, der seine Adresse und seine Frauen öfter wechselt als manche Menschen ihr Outfit, überhaupt ermessen, wie es sich anfühlt, einen Menschen zu verlieren, mit dem man vorhatte, ein Leben lang zusammenzubleiben?

    Irgendjemand reicht mir ein Geschenk. „Das ist für dich, Britt, frohe Weihnachten! Kevin, Claudettes gehemmter und selbstunsicherer Sohn, hält mir verschämt ein eingewickeltes Päckchen hin. „Danke, antworte ich automatisch und öffne die Weihnachtsgabe: Schokolade und ein Kalender in Taschenbuchformat, auf dem Einband: „Viel Glück im neuen Jahr. Mit Mondphasen."

    Wie geschmacklos, antiquiert und makaber! Das neue Jahr hat für mich keine Bedeutung, ich kann mir nicht vorstellen, dass ich da etwas reinschreiben werde. Und Termine? Werde ich je wieder Termine haben? Ich sitze regungslos auf dem Sofa. Nur nicht reden müssen, niemanden direkt anschauen. Es ist so anstrengend und die hohlen und oberflächlichen Gespräche machen mich unwillkürlich aggressiv. Ich weiß jedoch, dass ich noch für eine Weile irgendwie durchhalten muss. Wie ein Mantra wiederhole ich meine innere Beschwörungsformel dieser Tage: ‚Ich schaffe das hier, ich halte das durch. Und gleich ist es ja auch vorbei …‘ Es hilft für ein paar Stunden.

    Am nächsten Morgen erwache ich aus einem Erschöpfungsschlaf. Nach einem kurzen Moment der Desorientierung realisiere ich, wo ich bin, und erinnere mich wieder an das, was passiert ist. Allmählich komme ich zurück in die Wirklichkeit. Ich hoffe auf ein Klingeln meines Handys, eine SMS. Hoffe, dass Eberhard verkündet, dass alles nur ein Irrtum gewesen sei und dass ich schnell nach Hause kommen soll. Aber natürlich klingelt es nicht. Wieder ein Tag, den ich irgendwie durchstehen muss, an dem ich mittags an der gedeckten Festtafel sitze, ohne jeden Appetit, den Weihnachtsbaum im Blick. Die Zeit kriecht.

    Wo Eberhard jetzt wohl ist am ersten Weihnachtstag, frage ich mich bestimmt schon zum hundertsten Male an diesem Tag. Vielleicht bei seinen Eltern? Ob die wohl schon von unserer Trennung wissen? Hat er Appetit, vermisst er mich, hat er Schuldgefühle, wenigstens ein schlechtes Gewissen? Dass er es einfach auch nur als Befreiung erleben könnte und froh ist, ohne mich zu sein – diesen Gedanken blende ich vollständig aus.

    „Iss doch was, Britt, mit vollem Magen ist das Leben einfach viel erträglicher!" Claudette reißt mich mit leeren Worten immer wieder heraus aus meinen Gedanken. Woher hat sie nur diesen schier endlosen Fundus an oberflächlichen Tröstungsformeln? Vermutlich sind es Hilflosigkeit und Überforderung, beantworte ich mir gleich selbst meine Frage. Sie wirkt so künstlich, so verklemmt. Wahrscheinlich jage ich ihr mit all meiner Emotionalität und meinem aus ihrer Sicht bestimmt höchst peinlichen Verhalten eine Heidenangst ein. Und als würde sie mich steuern, greife ich mechanisch nach dem Besteck und esse etwas, das nach Pappe, Mehl und Fäulnis schmeckt. Ich esse, stehe auf, rede, lege mich ins Bett, weine, schlafe.

    Am zweiten Feiertag kehre ich endlich in mein einstiges Zuhause zurück, werde von den beiden Hunden schon sehnsüchtig erwartet und stürmisch begrüßt. Eberhard und ich begegnen uns jedoch nicht, er ist bereits fort, wohin auch immer. Einen Tag vor Silvester verlässt er dann das Haus, um sich zu seinen Freunden aufzumachen, Silvester zu feiern, auf die neue Freiheit anzustoßen. Ich bleibe erneut allein und verlassen zurück.

    Der Fernseher läuft, irgendein Film. Ich schaue nicht hin, mag nichts essen, nichts trinken. Erinnerungen an frühere Silvesterfeiern aus längst vergangenen Jahren erzeugen Bilder in meinem Kopf. Silvester mit Eberhard: Entweder waren wir allein oder mit Freunden, im Urlaub oder zu Hause. Reminiszensen werden wach, Erinnerungen an unser großes Glück, an die Küsse, das Lachen und die liebevollen Umarmungen zum neuen Jahr.

    An den letzten zurückliegenden Silvesterabenden hatte ich mir jedes Mal wieder vorgenommen, im neuen Jahr beruflich kürzer zu treten. Gerade in den vergangenen zwei Jahren war die Belastung doch sehr stark geworden. Viel zu viel, wie mir bald schmerzlich klar werden sollte. Rückblickend habe ich mein Engagement, meinen ganzen Arbeitseinsatz immer höher und höher geschraubt – und muss jetzt für den Erfolg einen umso größeren Preis zahlen.

    Aber jetzt will ich nur schlafen, nichts als schlafen. Nicht mehr planen, nicht organisieren und vor allen Dingen: kein mich kümmern mehr! Schlafen, mich zudecken – und wenn ich viel Glück habe, auch nicht mehr aufwachen. Totstellreflex nennt man das wohl …

    Kurz vor Mitternacht wird es draußen lauter. Ich liege im Bett, höre die ersten

    Silvesterraketen zischen und pfeifen, bemerke, wie Lady und Ovambo unruhig werden. Irgendein Urinstinkt lässt sie jedes Mal an Silvester vor Angst zittern und völlig irrational reagieren. Und genauso wie ich sind sie gerade mit keinem Wort der Welt zu trösten. Da müssen wir alle drei nun irgendwie durch. Lady springt schutzsuchend auf mein Bett, Ovambo hat sich darunter verkrochen. Irgendwann fehlt mir die Energie, sie zu trösten.

    Auf den Straßen explodiert Feuerwerk, fröhliches Zuprosten, Glückwünsche, Happy New Year. Das neue Jahr hat soeben begonnen. Kann ja nur besser werden, rede ich mir immer und immer wieder ein. Das Schlimmste habe ich bestimmt schon geschafft. Ich wünsche es mir so sehr und ein jeder versichert es mir auch: Im neuen Jahr wird alles besser!

    Wie sehr sollte ich mich in diesem Punkt doch irren!

    3 Auszug

    Der nächste schmerzvolle Abschied naht. Während ich zwischen Weihnachten und Silvester und an den ersten Tagen des neuen Jahres mit allen Maklern, die ich trotz der Feiertage erreichen konnte, telefoniert habe und mir jede nur irgendwie brauchbar erscheinende Wohnung im Internet herausgesucht hatte, wird mir eines schnell klar: Beide Hunde werde ich auf keinen Fall mit in mein neues Leben nehmen können. Wird bei einem kleinen Hund hin und wieder noch eine Ausnahme vom kategorischen Nein zur Hundehaltung gemacht, werde ich jedoch ganz sicher mit einer so wilden Maus wie meiner Lady keinen einzigen Vermieter davon überzeugen können, ruhige und unauffällige Mieter zu werden.

    Katja, meine Hundefriseurin und zugleich eine liebe Freundin, hatte während der vergangenen Wochen kurz hintereinander gleich zwei ihrer drei Hunde beerdigen müssen. Und als ich sie anrief, um ihr von meiner Trennung zu erzählen, erfahre ich im Verlauf des Gesprächs, dass sie sich ganz schnell wieder einen Hund wünscht. „Du glaubst gar nicht, Britt, wie leer das Haus nun ist. Ich kann und kann mich einfach nicht daran gewöhnen, dass die beiden nicht mehr da sind." Und ob ich mir das vorstellen kann! Katjas neues Jahr hatte also ebenfalls sehr traurig begonnen und spontan macht sie mir den Vorschlag, sich um Lady zu kümmern – nicht ohne zuvor sehr viele und sehr unschöne Worte über Eberhard und sein Verhalten losgeworden zu sein. „Bring sie her, Britt, wenn du willst gleich heute Nachmittag noch. Dann werden wir sehen, wie sie hier klarkommt. Aber eins musst du wissen: Das hier bei mir ist keine

    Hundepension! Wenn sie kommt und hierher passt, dann bleibt sie auch für immer." Katja ist sehr direkt und stets eine Freundin klarer und ehrlicher Worte, eine Eigenschaft, die wir beide eigentlich teilen, aber eine, die ich gerade heute so gar nicht gebrauchen kann.

    Das ist nun also unsere Chance, Ladys Chance, auf ein gutes Weiterleben auch ohne mich. Noch am gleichen Tag fahre ich nachmittags zu Katja. Mir fällt diese Fahrt unglaublich schwer und ich muss fast unentwegt weinen. Aber ich muss diese Entscheidung treffen und mich von Lady trennen, ob ich will oder nicht. Und in mir stirbt schon wieder etwas.

    Vier Jahre war Lady bei uns, eine Straßenhündin aus Ungarn. In der Tiernothilfe hatte sie auf ein neues Zuhause gewartet und es bei uns gefunden. Sie ist ein wirklich anstrengender Hund: eigensinnig, rebellisch, aber mit einem umwerfenden Charme ausgestattet, ein wunderschönes Tier, das ich sehr schnell sehr lieb gewonnen hatte. Bestimmt aber ist sie kein Hund für ein Leben in einer Wohnung, sondern eine Wilde.

    Fortan also, falls sie sich einlebt, wird sie auf Katjas Bauernhof zusammen mit anderen Tieren viel Freiheit und Natur genießen können, versuche ich mich selbst ein wenig zu trösten.

    Katja drängt auf einen schnellen Abschied an diesem Nachmittag, so wie sie es auch angekündigt hatte. Ich bin ihr dankbar und weiß, dass es Lady gut bei ihr haben wird. Trotzdem tut der Abschied gewaltig weh. Ihr trauriger, fassungsloser Blick, als ich mich über sie beuge, leise in ihr Fell weine und schließlich ohne sie das Haus verlasse, verfolgt mich.

    Das Gefühl, versagt zu haben, und ein leises schlechtes Gewissen werden mich fortan begleiten, wann immer ich an Lady zurückdenken werde. Verlassen, Versagen, Verlieren – diese Trias zieht sich nun schon so lange wie ein roter Faden durch mein

    Leben. Offensichtlich sind die drei großen ‚V‘ meine grundlegenden unbewältigten Lebensthemen.

    ***

    „Wo ist denn Lady?", begrüßt mich Eberhard abends mürrisch, als ich allein mit Ovambo von einem Spaziergang zurückkomme.

    „Weg!"

    „Was heißt das, weg? Wo ist sie?"

    „Sie ist da, wo sie es von nun an besser haben wird."

    „Das kann jetzt aber nicht dein Ernst sein! Du kannst doch nicht einfach meinen Hund weggeben!"

    „Siehst du doch, dass ich das kann. Oder hast du etwa vor, dich in deinem neuen

    Freiheitsleben um sie zu kümmern und für sie zu sorgen?" Mich packt die kalte Wut über so viel Ignoranz.

    „Das kann ich doch gar nicht", kommt seine pikierte Antwort zurück. Klar, mitten in der Midlifecrisis und in seinem künftigen neuen Leben stört natürlich die Verantwortung für einen Hund, genauso wie für eine erkrankte Ehefrau oder auch für die Kinder aus früheren Beziehungen. Und so verlässt

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