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Phänomenologisch
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eBook349 Seiten4 Stunden

Phänomenologisch

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Über dieses E-Book

Ein Unbekannter nähert sich trotz Warnungen einem Fluss. Er überquert ihn und findet sich in einem anderen Land wieder. Dort erlebt er Erstaunliches und die Geburt seiner eigenen Identität. Sein Name ist Jero.
SpracheDeutsch
HerausgeberTWENTYSIX
Erscheinungsdatum9. Mai 2016
ISBN9783740712402
Phänomenologisch
Autor

Jörg Röske

Jörg Röske studierte, unterrichtet heute Kunst und kreatives Schreiben. Er schreibt Romane und Gedichte und Erzählungen.

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    Buchvorschau

    Phänomenologisch - Jörg Röske

    Inhaltsverzeichnis

    1

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    3

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    6

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    Impressum

    1

    Die Ufer des Flusses des Nostradamus waren geschwärzt. Bezeugter Weise sollte es sie geben. Ich stand an ihnen. Ich selbst war geschwärzt vom Ruß der Nacht. War ich doch guter Gewissheit in dem Lande zwischen Traum und Gebaren. Stand ich reglos, rann ein Rest des nächtlichen Regens meine lederne Haut herab, in unabdingbarer Güte. Über meinem Körper thronte ebenfalls Leder, gegerbt durch die vielen Winde und die vielen Sonnen. Hatte ich keinen Namen, hatte ich aber Existenz. Ebenfalls von unabdingbarer Güte.

    War ich gewarnt worden von welchen. Schon die Sicht auf diesen Fluss sollte blenden. Sollte lebensblendend sein. Geblendet war ich nicht, suchte ich doch den goldenen Helm der Götter, war er nirgends zu sehen. Verließen mich die Warner als Irren. Als Irren in Traum und Zeit. Spürte ich die Zeit überall, spürte ich den Traum.

    Spürte ich den Zeitkristallregen, der wohltuend seine Klage erhob. Über die vier Winde hinaus zu den 21 Sonnen.

    „Überfahrt?", fragte mich der Bediener des Flusses.

    „Überfahrt", antwortete ich.

    „Dann sei gewiss!"

    „Ich bin mir gewiss, die Lichter der Zeit zu sehen!"

    „Gut!"

    „Lohn?"

    „Von dir verlange ich keinen Lohn, der du die Götter suchst!"

    „Nun gut!"

    „Du ängstigst dich?"

    Ich sagte nichts.

    „Vergiss die Angst, wenn du diesen Fluss überquerst! Er ist nicht der Styx, er ist einer der unzähligen!"

    Ich blickte zum Bediener des Flusses.

    „Sei mein Begleiter in dem anderen Lande!"

    Der Bediener lachte laut auf, sein Lachen war schon fast so laut, dass ich befürchtete, die Schwärze der Ufer würden sich verlichten.

    „Nein, du Ehrenhafter, du hast schon einen Begleiter!"

    „Wen?"

    „Dich!"

    Gemäß der Apparatur des Gedächtnisses und aller weiteren Ämter verwaltete ich inniglich den Übergang. Der war ein somatisches Geschehen. Das andere kam in darauffolgender Nacht. Löwen und Bären umkreisten mich. Sie schlichen um mich herum während meines tieferen Traumes. Erwachte ich in die Halbwelt, waren sie da.

    Ganz nah. Sehr nah, so nah, so dass ich ihre Wärme spürte. Und Weichheit und Fell.

    Erhob ich mich, standen sie um mich herum, wie eine Armee. Wie Trost der Fauna.

    Stand der Löwe neben mir, hörte ich sein Atmen in die Kälte. Sah seinen dampfenden Atem. Berührte meine rechte Hand seine Mähnenpracht. Wandte er seinen Kopf zu mir, und lugte er mich an wie ein Mensch.

    Entdeckte er in meinem Gesicht Sehschlitze, die ich selbst nicht an mir bemerkte.

    Nur sah ich das unbekannte Land vor mir mit seinem Dickichtbraun. Sah ich nun fabelhafte Lichterzellen, Wirkungen des Flusses. Sah ich Irrungen, Prächtiges, Bilder mannigfacher Art. Sank ich in die Knie ob der Flut.

    „Zuviel! Zuviel!", bekannte ich mit gesenktem Haupt.

    „Wolltest du es doch so!", bekannte der Löwe.

    „So viel zu sehen in Zeit und Raum!", jammerte ich.

    „Welch' sterbliche Bezeichnung! Aber zu spät ist es für dich!"

    „Zu spät?!", schaute in den Prächtigen an.

    „Du kannst nur noch vorwärts gehen und ein Titan werden!"

    „Zu welchem Zweck?"

    „Nach dem Zwecke fragst du, du Nichtiger?! Du Irregeleiteter, du Sterblicher!"

    „Ja, so frage ich!"

    „Niemals nach dem Zwecke sollst du fragen, wenn du in die Geheimnisse gehen möchtest! Hattest du einen Zweck vor der Überquerung?"

    „Nein, nur einen Wunsch, ein Wollen!"

    „So bediene dich weiterhin dessen!"

    Ich fasste Mut.

    „Nun gut, sei es so!"

    „Folge mir!"

    Folgte ich dem Löwen in das Dickicht der Halbwelt. Die anderen Löwen und die Bären hinterdrein. Erreichten wir einen neuerlichen Fluss. Voll des Blutes und der Lava und des Schmerzes. Ohnmacht beinahe umfiel mich, siebte sie mein bleiches Gebein.

    „Oh, nein!", rief ich aus.

    „Verlierer!", rief der Löwe aus.

    „Verliere ich also!"

    „Du Trostloser! Du unverschämt Waghalsiger!"

    „Oh, nein! Lindere meinen Schmerz, wer auch immer!"

    „Du Zaunkönig!", empfahl der Löwe.

    „Was?", erkundete ich.

    Sagte er nichts. Klang noch sein Wort in mir nach. Ich lachte, ich lachte sehr.

    „Du bist ein subversiver Zaunkönig!"

    Ich lugte erneut zu den Worten des Löwen. Ich schaute zu ihm und lachte wieder.

    Stand in diesen Worten der Übergang des Flusses aus Schmerz. Lachte ich über ihn hinweg. Und sank auf der anderen Seite tot zu Boden. Betrachten mich die Bären und die Löwen.

    „Hat er zu viel gelacht!"

    „Ja, hat er!"

    „Hatte er zu viele Schmerzen!"

    „Ja, hatte er!"

    „Dann lasst uns ihn tragen!"

    Trugen sie mich. Die werten Gefährten. Die lieblichen Tiere. Meine Freunde im Halbdunkel von Empfindsamkeit und Trauer. Wie einen Toten, der ich solch' einer war. Das ist die Gnade der Tiere. Die unabdingbare Gnade. Und selbst Papier sollte nicht ausreichen, zu verzeichnen die Ämter der Ewigkeit. Lagen Kontinentalplatten der Zeit aneinander, rieben sich im Unverstehen, erdbebten nach Antworten. Kam ein Magier.

    „Lasst ihn!"

    „Wir sind seine Gefährten, seine Armee, wie er dachte für sich!"

    „Ja, ich weiß, ihr Treuen!", sagte der Magier in seinem Weiß und beugte sich über mich in meinen Tod.

    „Ist der Tod der Welt das glücksseligende Elixier, so hauche ich es in dich ein, mein Treuer!", sagte es so der Magier, und ich erwachte aus der Dämonenschar. Sofort war ich zugegen, sah ich den Zauberer.

    „Erscheine im Gewand, erscheine am Strand der himmlischen Gestade, so kenne ich dich!", sagte ich zu ihm.

    „Oft haben wir dort gesprochen, Treuer! Wohin führt dein Weg!"

    „In die Zeiten der Ämter, Gebiete, Spiegelungen und in die treuen Verknüpfungen der mannigfachen Fäden, gesponnen durch die Nornen vor Urzeiten! Gewebt durch das Postulat des geheimen Abiturs!"

    „Ich kenne deinen Namen, spreche ich sodann diesen nicht aus, unermessliche Kraft wohnt in ihm inne. Nun denn, bist du bereit, denn die Geister des Sehers haben dich erreicht! Aber bedenke deinen Schutz!", sagte er, und gab er mir ein Schwert.

    War es zweischneidig und die Klinge schwarz wie die Ufer des Flusses des Sehers und versehen mit Rubinen und Smaragden, zu versehen die lichtene und weiße Einheit. Focht ich mit diesem Gigant durch die zu schneidende Luft, und gab es Grollen und Muster und ein Raunen aus dem Dickichtbraun. Schaute ich zurück zu dem Weisen, war er entschwunden, der Magier, den ich kannte, als ich ein Säugling war.

    Trugen mich meine Füße weiterhin in die Unbekanntheit. Die Bären und Löwen folgten, und ich bemerkte Blicke zu dem Schwert, voller Hochachtung. Machte sich das Braun zu einem Wald, sah ich einen Weg im Zeitendickicht. Sah ich ihn, denn ich hatte den Fluss des Nostradamus überquert. Sah ich im Wald der höchsten Bäume Lichterzuckungen, erlebte ich die Zeitenspiegelungen. Fand ich drei sehr alte Frauen mit unermüdlichen Händen.

    „Sie gewarnt, wer immer du bist!", warnte die erste.

    „Warum so voll Sorge, altes Weib?"

    „Du bist ein Herold der Gefahren und des Unlichts!"

    „Denke an die Verdammnis!", berichtete die zweite.

    „Du bist ein Jüngling!", erfolgte die dritte.

    „Es ist der Jüngling, der besteht!"

    Die drei uralten Frauen räumten Weg. Betrat ich den weiteren Weg. Und bemerkte die Ausläufer des Turms. Das war der Turm. Der durch seine imaginäre Kraft bestand.

    Eine Chimäre. Die auf mich lauerte. Aber ich hatte ein Schwert, eine ungewogene Waffe. War sie mir liebst, spürte ich in ihr das Geheimnis des real Göttlichen. Wähnte ich sie als den Beisatz des goldenen Helmes.

    „Begleitet ihr mich, ihr Warmherzigen?", fragte ich die Löwen und die Bären.

    „Soweit, wie die Imagination versteht!", sagten die Löwen.

    „Du hast das Schwert!", sagten die Bären.

    Kampfesfreudig waren sie allemal. Alle, die Tiere und der Träger des Schwertes.

    Arkadien sollte warten. Ebenso allemal. Bevorzugtes Arkadien, das geschah und verging, so wie die Sterblichen die Sinne wechselten. Reflektierten mich die Zeitenspiegelungen hin zum Vorhof des Turms. War ich vor ihm, keuchte ich im Angesicht des düsteren Nebels. Gab ich nicht auf, waren die Bären und Löwen hinweg, war es nicht ihr Turm. Richtete ich mich schmerzhaft an dem Schwert auf.

    Ritzte ich mich an der Waffe, floss kein Blut. War ich uneinnehmbar. War mir das gewahr, und trat ich vor das Tor. In geheimer Wehmut und beschlossenem Stolz. War mir der Eintritt verwehrt ob des Tores aus Eichenholzes. War ich ein Jüngling, aus auf Gefahren und nahm das Schwert. Verwandelte ich den Eintritt in Kleinholz, schnetzelte ich ihn mit ungeahnter Kraft. War ich wunders dessen. Und trat ich ein ins Verwegene. Säumte mich der Fall eines Schnees. War ich zu Hause. Das war es gewiss, aber alles fremd.Vom Fall des Schnees beschienen. Im Licht des kalten Mondes. In seinem fahlen Licht. Ohne Bewohner, nur Geister. Die begannen, um mich herum zu tanzen, fern von den bergenden Löwen und Bären. In meiner, mir ausschließlich gewidmeten Einsamkeit.

    „Hihi, boldewar, dadahasasasa!", sagte ein Zwerg mit gebeugter Gram und ernsthaftem Lächeln.

    Ich war erstaunt. Erstaunt über soviel Lächeln.

    „Habe Essen für dich, hasasasa!"

    War ich verwundert, hatte ich keinen Hunger. Bereitete er mir ein Mahl. Nahm ich davon und bemerkte meinen Hunger. Aß ich und aß ich und aß ich. Aß ich hungernd und hatte ein Schwert. Das Schwert von allgemeiner Moral und subversiver Erkenntnis. Das Schwert des Magiers. Der sein Weiß aufgespalten hatte.

    Aß ich wirklich Leckeres, getötetes Huhn, gebackenes Brot, und einen Saft voll unwegsamer Köstlichkeit gab mir der lachende Zwerg. Voller klebriger Beeren, gepunscht, gemanscht, zerquetscht in absurdestem Triebe. Verriet ich fast mein Leben an ihm, aber sagte der Zwerg: „Wirst du brauchen, Mann ohne Namen!"

    Schaute ich den Kleinen fragend und überlebenskeuchend an. Antwortete er: „Für die Schlacht in der Weite!"

    Mehr sagte er nicht. Denn das war alles, was mir der Turm geben sollte.

    2

    Suchte mich heim ein unaufgefordertes Wiehern und ein Aufsteigen eines Animalikums. Draußen im Dickichtbraun. In dem nur Zeitenspiegelungen meinen Weg erhellten.

    „Sehr wohl! Gestatten, Henning Draconis, aufrechter Ritter im Beisein aller Geister und Gemüter!", sagte der freudwertige Lump, der mich zu Tode erschreckte, und dessen Pferd und dessen Existenz ich um Haaresbreite enthauptet und zerstückelt hatte.

    „Was? Nicht angetan bist du von meiner Gegenwart?"

    „Mitnichten, du Lump! Erschrecke Teufel und Dämonen und neuwertige Monster, aber nicht mich!!"

    Er stieg von seinem braunen Reittier. Trat edelmännisch auf mich zu, sollte das womöglich rechtens sein, und edelmännisch war das Gehabe seiner Kleidung. Mit einem Degen an seiner Seite.

    „Henning Draconis!", reichte er mir seine Hand.

    Das war sonderlich, schien er ein Freund zu sein inmitten der Zeiten und Träume des Sehens und des Dickichtbrauns. Steckte ich mein Schwert zurück in die Scheide.

    „Setze dich her, du Lederner! Iss, sei vergnüglich und trinke!"

    Bereitete er ein Mahl aus seinem Reisegepäck aus frischem Wild und Honigwein.

    Daselbst nahm ich nur von dem Weine, denn die Mahlzeit des Zwerges bedurfte noch der Verdauung. Der aufrechte Ritter hingegen tat sich gütlich an dem gebratenen Wild, speiste mit Genuss, nicht mit Prahlerei. Lugte ich in seine Seele und fand in ihm einen Dichter. Das war ein feines Konzept, zu trinken mit einem Dichter, die immer mehr vermochten, als die anderen. Im Wald des Dickichtbrauns. Löste der Honigwein meine Zunge, sprach ich, redete ich. Begingen wir einen Weg jenseits der Verdammung. Deren Weg ich beschritten hatte. Nicht in die Hölle, sondern in die Zeiten und in die Winde.

    „Nenne deinen Namen!"

    „Ein solcher ist mir verwehrt!"

    „Nun mag es so sein, nimm von dem Weine!"

    „Suche ich den goldenen Helm der Götter! Werde ich erst dann meinem Namen erhalten!"

    „Ah, der Helm der Götter! Der Helm der Verräter? Nun suche frisch weiter, denn niemals gibt es dessen Existenz!"

    „So lautet dein Wort, Draconis?"

    „So lautet es! Habe ich die Gestade heimgesucht in allen vier Winden, ein Helm aus Gold blieb mir verborgen!"

    „Und wie kommst du zur Existenz jenseits des Flusses des Nostradamus?"

    Henning Draconis schwieg. Er schwieg für den Hauch einer Ewigkeit. Er war ein Sohn der Götter, so war mir klar. Aber einen Schmerz wähnte ich in seiner Brust. Er entschwand samt Pferd. Den Wein und das Gebratene ließ er mir. Ein Aufrechter, in dessen Herz ein Pfeil stecken mochte. Für Augen unsichtbar.

    Waren die Tiere wieder um mich, ihre tröstliche Nähe. Sagte der Löwe: „Es ist Zeit für das Licht!"

    War ich woanders. An einem Hafen im Nirgendwo und überall war nur Licht und Schönheit und leichte Luft. Und ein Segelboot wog sich im lauen Winde. Auch war meine Kleidung eine andere, sie war leichter, von feinem Stoff. Schlicht war sie. Und es gab kein Schwert. War mit mir ein Freundlicher auf dem Kai. Schaute ich in dessen Augen, waren es die des Löwen.

    „Wo bin ich?", war meine Frage.

    „Tief in dir drin, dort, wo das Göttliche weilt!"

    „Wo ist das Meer?", fragte ich.

    „Es ist überall!"

    „Oh!"

    Da reichte mir der Freundliche ein Gabe von außerordentlicher Güte.

    „Was ist das?"

    „Oliven, Brot, Schafskäse! Das Essen für einen Griechen!"

    „Ich bin kein Grieche!"

    „Doch Odysseus, du bist ein Grieche!"

    „Mein Name ist mitnichten Odysseus!"

    „Recht hast du, dein Name ist Georgias!"

    Daraufhin vermochte ich keine Rede. War ich, so wie es schien, wie es die Götter mir zugedacht hatten, ein Grieche. Nahm ich von der Gabe, stärkte sie mich durch die Anmut ihres Geschmacks.

    „Nun reise und werde ein Titan, Georgias!", sagte der Freundliche.

    „Du bist ein Engel!", entfuhr es mir.

    „Ich bin kein Engel!"

    „Widerspreche mir nicht! Ich werde bald ein Titan sein!"

    „Bist du es geworden, werde ich dir sagen, dass ich Engel bin!"

    Ich lachte, ich lachte aus Herzensgüte. Öffnete ich die Augen, war er hinweg, der Freundliche. Also bestieg ich das Segelboot, und wackelig war es. Musste ich sehen, dass ich nicht in unendliche Tiefen hinabstürzte. Doch bevor ich die Leine löste und das Segel setzte, hielt ich inne. Und schloss die Augen und roch den gütigen und würzigen Wind meines Inneren.

    Reiste ich los, reiste ich nach Erkenntnis und Abenteuer und Dichtung. Führte mich der Wind über einen Wald, und es schien die Sonne. und es war alles warm und angenehm. In meinem Innern. Wurde ich schläfrig, und ein Krachen geschah.

    Vernahm ich erschreckt einen Schatten neben mir. Lugte ich, war es ein Schiff aus Holz.

    „Hey, Schläfer! Wach' auf und komm' an Bord!", geriet eine Stimme von dem Schiff zu mir.

    Schaute ich hinauf, und gab es ein Lichterzucken, als schaute ich in einen Spiegel und die Sonne blendete mich.

    „Nun mach' schon, du Landratte!"

    Entdeckte ich das Seil, das zu mir herunter baumelte.

    „Ja, das ist es! Nimm' es und klettere hinauf!"

    Ich tat, wie mir geheißen und enterte hinauf. Nahm mich ein Pirat in Empfang, ein prächtiger Kapitän mit wehendem Haar. Versehen mit Lachen und unbändigem Durst nach Abenteuer.

    „Wer bist du?", fragte ich.

    „Nenne mich Abenteurer in Zeit und Raum und ansonsten auch überall, mein Freund!"

    War es ein hölzernes Schiff unter Segeln, wie ich feststellte, auf dessen Planken ich nun stand. War die Besatzung fröhlich, sangen sie bei ihrer Arbeit. Schaute ich umher.

    „Nenne mir deinen Namen!"

    „Georgias, mein Name ist Georgias!"

    Wurde des Abenteurers Gesicht finster und trüb. Bemerkte ich dieses.

    „Was ist? Habe ich dir mit meiner Existenz den Tag verdorben?"

    Der Abenteurer schaute mich an. Ich sah den Grimm in seinen Augen. Mein Schwert war nicht bei mir. Wähnte ich schon mein Ende.

    „Hast du Einzug genommen in mein Paradies, Georgias! Willst du es plündern und verbrennen?"

    „Mitnichten! Mitnichten, mein Freund!"

    „Ich bin nicht dein Freund!, sagte der Abenteurer, „Komm' mit, ich zeige dir etwas!

    Folgte ich dem Pirat ins Innere des Schiffs. In dessen Gemach. Sah ich den Spiegel.

    Standen wir beide vor diesem.

    „Was siehst du?", fragte er.

    „Dich und mich!"

    „Schau' genauer!"

    Da sah ich es. Der Pirat war ich. Anschließend wurde mir ohnmächtig ob dieser Erkenntnis. Ich träumte einen leeren Schlaf. Und erwachte in des Kapitäns Bett. Da geschah ein Trubel, stürmten Mannschaften in die Kajüte.

    „Kapitän, Kapitän! Komme hervor, Bedrohung!"

    „Bedrohung?", fragte ich.

    „Ja, kommt hervor, Ehrenwerter!"

    „Geht doch zum Kapitän!", entgegnete ich.

    „Sind wir doch!"

    „Was?"

    Ich schaute umher, der Kapitän war nicht ausfindig zu machen.

    „Der Kapitän ist weg!", kam ich zum Ergebnis.

    „Kapitän, lasst diese Scherze, kommt endlich an Deck!"

    Da entsann ich mich des Spiegels, war ich durch diesen gegangen. War ich der Kapitän des Schiffes unter Segeln. Sah ich leer vor mich hin ob dieser Erkenntnis.

    „Kapitän, oh, Kapitän, kommt bitte! Die Bedrohung!"

    Da wusste ich, es war die Hydra, eine neunköpfige Seeschlange. Ich brauchte mein Schwert, aber ich wusste, es war zurückgeblieben im Dickichtbraun.

    „Mein Schwert!!", rief ich.

    „Seid unbesorgt, dort liegt es!"

    „Wo?!"

    „Zu Euren Füssen, Ehrenwerter!"

    Ich entdeckte es. Da lag es tatsächlich, auf der Wolldecke, die mich barg.

    „Haaaaa!!, schrie ich einen Erleichterungsruf, „Mir nach, treue Gesellen, wohl an, auf zur Hydra!

    Stürmte ich aus der Koje und aus dem Gemach ans Oberdeck.

    „Da bist du endlich, du Scheusal!", vernahm ich eine Stimme aus drei Mündern.

    Sah ich das Getier, dass sich hoch und schamlos über uns erreckte.

    „Was?", entgegnete ich, „Hast du neun Münder und lässt nur drei davon sprechen?

    Bin ich die anderen sechs nicht wert?"

    Floss das Wasser aller Häupter auf das Schiff, steckten die Mannen in Angst.

    „Sag an, du sprachgestörtes Monstrum! Willst du in Frieden ziehen, oder willst du die Klinge meines Schwertes spüren?!!"

    Da kam ein Zornesschwall aus allen neun Mündern, empfand ich dies nun als Ehrung und Aufforderung zugleich. Und schickte ich mich an, alle Häupter abzuschlagen.

    „Oh, nein, es ist Georgias!", bemerkte ein Haupt, als ich das erste abgeschlagen hatte.

    „Ja, er ist es, wehe uns!", sagte ein weiteres, das ich im nächsten Moment vom Leib trennte.

    „Fällt er über uns her, der Wicht!", sagte ein drittes Haupt.

    War mein Schwert unerbittlich, versanken alle weiteren Häupter im Meererauschen.

    Nur eines auf dem Deck war zuletzt an Zahl, steckte ich es auf die Spitze meines Schwertes, und hob ich es hoch. Da geschah ein Geschrei des Sieges. Hatte ich es bezwungen das mehrköpfige Seemonstrum, war es mir anheim gefallen. Feierten wir das Siegesrauschen. Gingen lobfeiernde Oden vom Bordkompositeur durch die Kajüten. War ich ein Held. Hatte ich die Seeschlange zur Strecke gebracht. Sangen tausende von Mythologien Hymnen auf meine Tat. Wurde Rum gereicht. Trank ich nicht davon, denn wollte ich bei Sinnen bleiben. Bei allerstärksten Sinnen. Alles andere war dem Äther des Hades geweiht. Aber fiel mir auf, wir waren in der See.

    War es nun da, das Meer. Das hoch wohl löbliche. Das gefiel mir. Dann war ich wieder zurück.

    „Gefiel es dir?", fragte der Löwe.

    Ich war noch ein wenig benommen ob des Übergangs.

    „Was war das?", fragte ich.

    „Das Innere und das Äußere!"

    „Oh! Machst du das jetzt öfter mit mir?"

    „Liegt an dir!"

    „Es tut gut!"

    „Ja, das tut es! Deswegen habe ich es dir gegeben!"

    „Nein, hast du nicht! Es war schon immer in mir, du hast es mir nur gezeigt!"

    Der Löwe sagte nichts.

    „Ich will meinen Tiger!", sagte ich.

    „Ach, bin ich dir nicht gut genug, Georgias?"

    „Bist du, Freundlicher! Ich will meinen Tiger!"

    „Ah, er will seinen Tiger!", sagte der Löwe.

    Es hob ein Chor der Bären und Löwen an.

    „Er will seinen Tiger! Georgias will seinen Tiger!"

    Das sangen sie, sangen sie hinein ins Dickichtbraun.

    „Willst du den Tiger des Feldes und des Himmels und der Unendlichkeit?", sangen sie in ungeheuerlicher Manier.

    „Willst du den Tiger des Waldes und des Merlins und des Windes?", fuhren sie fort.

    Sangen sie, sangen sie und sangen sie. Ich bebte nur.

    „Tiger, bitte, Tiger!", flehte ich.

    Erlebte ich Äonen, Waldbrände und die Pest. Dann war ich hinweg für den Moment einer Sekunde. In einem Schwarz. Undurchdringlich. Untergang. Aber mein Flehen ebbte nicht ab.

    „Tiger!, sagte ich, „Du bist mein!!

    Dann öffnete ich meine Augen. Vor mir sah ich einen König. König des Dschungels und der Eisigkeit. Es war ein Tiger. Und ich war über die Maßen glücklich.

    „Tiger!"

    Ich reckte meine Hand nach ihm. Nichts Schöneres hatte ich bisher gesehen. Aber fiel ich in ein Zwischenreich.

    „Tiger, oh Tiger!", stammelte ich zwischen Tag und Traum.

    Sah ich nichts, spürte ich nur. Spürte ich ein weiches Fell. War es das eines Löwen, eines Bären, eines Tigers. Ich wusste er nicht. Verfiel ich wieder der Ohnmacht. Sagte ich nur noch: „Gwyddyon!"

    Erwachte ich. War da das Fell. Das weiche und tröstliche Fell. In das ich mich schmiegte.

    „Steh' auf!, sagte eine Stimme, „Genug des Trostes! Steh' auf und kämpfe, Georgias!

    Ich folgte der Aufforderung und erhob mich. Ich war wieder in meinem Mantel aus Leder, mein Schwert war bei mir und die Majestät.

    „Was soll ich denn kämpfen, Gwyddyon?"

    „Du greinst wie ein kleines Kind! Schau' dich an, Georgias! Du bist ein stattlicher Mann und gutaussehend noch dazu!"

    „Du hast meine Frage nicht beantwortet, du König!"

    „Ah, du hast verstanden! Und kämpfst endlich für dich!"

    „Na gut, mein Guter! Dann ziehen wir los!"

    „Ich führe!", sagte der König.

    „Mitnichten, mein Guter, mitnichten!", sagte ich.

    Gwyddyon verhielt, ich trat vor und führte. Der Tiger hinterdrein. Bemerkte ich schuldhafte Verzögerung des Dickichtbrauns.

    „Es ist klarer geworden!", sagte ich.

    „Natürlich ist es das!", sagte der Tiger.

    Erkannte ich lichtene Sekunden. Von sanften Bäumen und Schmetterlingen. Waren sie hinweg, erkannte ich ein Haus. Bedrohlich stand es dort. Mit fahlem Licht im Innern.

    „Besuche es!"

    „Nein!!"

    „Besuche es!!"

    „Nein, sie werden mich töten!!"

    „Das haben sie schon getan!"

    „Oh! Also bin ich im Hades?"

    „Du bist ein Grieche, und du bist getötet worden, also bist du im Hades, Georgias!"

    „Dann habe ich nichts mehr zu verlieren!", sagte ich und stapfte zu dem Geisterhaus.

    Ich erreichte es und öffnete die unverschlossene Tür. Ich durchzog angstlos das Haus der Depression und fand einen alten Mann auf einem Bett. Er röchelte mit seinem Tod. Ich neigte mich zu ihm herab. Er spukte Blut. Und ich wischte es ihm vom Mund. Da redete er.

    „Gehe weiter, mein Sohn, kümmere dich nicht um mich", sagte er.

    Bekannt war mir der Alte nicht, aber er nannte mich Sohn. Ich liess ab von ihm und zog weiter durch das Haus, das dem Untergang geweiht war. Das war klar. Zu sehen mit sämtlichen Studien des kosmischen Abiturs. Aber fehlte dem, der mich Sohn nannte, ein Auge.

    „Du bist Odin!", sagte ich, als ich zu ihm zurückkehrte.

    Und mir war nun auch klar, ich war nicht im Hades, ich war in Hel.

    „Allvater, warum verweilst du in Hel?", fragte ich.

    „Frage nicht, Thor! Auch Götter sterben!"

    „Hat dich die Todesgöttin umfangen?"

    „Rede nicht von ihr, Thor!"

    „Wieso nennst du mich Thor, Odin?"

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