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Isabell: Eine Kindheit im zweiten Weltkrieg
Isabell: Eine Kindheit im zweiten Weltkrieg
Isabell: Eine Kindheit im zweiten Weltkrieg
eBook267 Seiten3 Stunden

Isabell: Eine Kindheit im zweiten Weltkrieg

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Über dieses E-Book

Dieses Buch beruht auf wahren Begebenheiten. Eingebettet in die politischen Auswüchse der Hitlerzeit und den folgenden Kriegswirren werden die ersten zwölf Jahre der Isabell Goldbach in Berlin beschrieben. Mit zweieinhalb Jahren ohne Abschied der Mutter entrissen, wuchs sie wohlbehütet und gut versorgt, aber ohne Trost, bei den Großeltern auf. Bei zwei Menschen, die geprägt waren durch Krieg, Armut, Inflation und wieder Krieg. Es spiegelt die sozialen und hygienischen Verhältnisse wider und die Strapazen, die sie auf sich nahmen. Sie meisterten alles ohne die technischen Erleichterungen, die der heutigen Generation zur Verfügung stehen.
Mehrmals von Bomben getroffen, überfallen, beraubt und am Ende alles verloren. Aber sie lebten.
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum16. März 2015
ISBN9783735776679
Isabell: Eine Kindheit im zweiten Weltkrieg
Autor

Christel Bott

Christel Bott wurde am 30. Mai 1937 in Berlin geboren. Mit zweieinhalb Jahren wurde sie vom Vater entführt. Sie lebte nun bei den Großeltern, im Winter in Prenzlauer Berg und im Sommer in Pankow auf einem Pachtgrundstück. 1943 fiel eine Bombe auf das Haus in Prenzlauer Berg. Ständiger Wohnsitz wurde das nach und nach winterfest gemachte Sommerhaus. Es wurde drei Mal durch eine Bombe getroffen. Im Februar 1945 fiel eine Bombe auf die Villa in der Mühlenstraße. Dort waren alle geretteten Möbel mit Hausrat untergestellt, alles war nun weg. Der Rest wurde bei einem Überfall Ende 1945 geraubt. Im September 1945 wurde Christel auf Verlangen der Großmutter in die dritte Klasse eingeschult. Sie schaffte das Schuljahr mit Bravour und durchlief die Schule bis zur neunten Klasse. Anfangs in Berlin Pankow, ab 1949 beim Vater in Berlin Friedrichshain. Von September 1952 bis Februar 1955 Lehre als Technische Zeichnerin beim Berliner Glühlampenwerk. Im September 1955 ist sie nach Westberlin gezogen. Von 1967 bis 1984 selbständig gewesen. 1985, nach dem Umzug nach Westdeutschland, nur noch Hausfrau. Eine Tochter und zwei Söhne, geboren 1960, 1961 und 1977.

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    Buchvorschau

    Isabell - Christel Bott

    Die Autorin Christel E. Bott wurde 1937 in Berlin geboren. Sie hat dort als junges Mädchen die Kriegsjahre sowie die Nachkriegszeit miterlebt.

    Inhalt

    Vorwort

    1937: Eine verhängnisvolle Ehe beginnt

    1939: Isabells Entführung

    1940: Der Krieg kommt nach Deutschland

    1941: Dietrichs Geschäfte und der Einmarsch in Russland

    1942: Flächenangriffe bringen Tod und Vernichtung

    1943: Ausgebombt und Attentate auf Hitler beginnen

    1944: Granatsplitter als Spielzeug und BBC hören

    1945: Die Russen kommen

    1946: Das erste Zeugnis

    1947: Massensterben, der kalte Krieg beginnt

    1948: Blockade, Krankheit, Tod

    1949: Eine schwere Entscheidung

    Epilog und Quellennachweise

    Vorwort

    Ich danke meinen Söhnen Tom Loff und Christian Bott, durch deren Mithilfe dieses Buch veröffentlicht werden konnte.

    Sophie und Dietrich Goldbach waren ein Ehepaar, das große Hochachtung verdiente. Dieses Werk dokumentiert, wie zwei starke, mutige Menschen sich unter Willkür und im Krieg verhielten. Ihre Weitsichtigkeit und Klugheit ersparten ihnen größere Hungersnöte. Durch ihre Selbstdisziplin während des Krieges ermöglichten sie Isabell, diese Jahre ohne Angst zu überstehen.

    Bereit das Risiko einzugehen, halfen sie den Juden in ihren leider sehr begrenzten Möglichkeiten.

    Isabell wurden alle Arbeiten rund um Garten und Haus beigebracht. Sie interessierte sich für alles, ahnte aber nicht im Geringsten, dass es vielleicht einmal hilfreich sein könnte, um zu überleben.

    Selbst die unheilbare Krankheit ihrer Großmutter wurde ihr nicht bewusst und den Tod hätte der Großvater ihr am liebsten verschwiegen. Dass sie keinen Trost vermitteln konnten, lag wohl in der Zeit begründet, in der sie lebten. Im Gegensatz zu heute, war es damals verpönt Gefühle zu zeigen.

    1937: Eine verhängnisvolle Ehe beginnt

    Genau genommen begann das Drama schon am 4. Dezember 1936. Franz Goldbach heiratete Johanna Bleich und niemand wollte die Bedenken von Dietrich Goldbach zur Kenntnis nehmen. Er war der Einzige, der die Verbindung richtig und als äußerst kritisch einschätzte. Franz kannte er nur zu gut. Ihm war klar, das konnte nicht gut gehen. Er, der ihn adoptiert hatte, hätte gerne in ihm einen Sohn gehabt. Aber Franz hatte einen Charakter, der es nie zuließ Dietrich zu akzeptieren. Er war jähzornig und krankhaft eifersüchtig. Beides Eigenschaften, die keine gute Voraussetzung für eine Ehe mit einer bildschönen jungen Frau versprachen. Franz sah mit seiner schlanken Figur und dem dunkelbraunen Haar sehr gut aus, nur war das keine Garantie für eine lebenslange, harmonische Zweisamkeit. Dennoch, auf Dietrich hörte niemand. Franz fühlte sich geschmeichelt und Sophie Goldbach gönnte ihrem Sohn das Glück.

    Damit begann ganz langsam und schleichend etwas, das in einer Katastrophe enden musste.

    Geheiratet wurde, weil Johanna schwanger war. Das unterschiedliche, geistige Niveau war für Franz Goldbach kein Hindernis.

    Er war der Mann und er bestimmte.

    Als Erstes befahl er ihr, den Arbeitsplatz zu kündigen. Nach dem Gesetz hatte er das Recht dazu. Dabei hätte sie als Laborantin gutes Geld nach Hause gebracht.

    Er, ohne Ausbildung, wurde als Lagerverwalter von UFA-Handel am Dönhoffplatz angelernt. Was er dort monatlich in seine Geldbörse stecken durfte, waren für vier Personen keine Reichtümer! Johanna hatte schon ein Kind. Der kleine Bub Werner war gut ein Jahr alt.

    Franz schwebte irgendwo oben auf einer Wolke. Eine so gut aussehende Frau konnte er sein Eigen nennen! Jeder drehte sich nach ihr um, wenn sie ausgingen. Aber sie gehörte ihm. War sein Eigentum. Ja, sie war schön. Hatte eine tadellose Figur und trotz blonder Locken einen scharfen Verstand. Jetzt, in der Ehe mit Franz, durfte sie so ganz allmählich, Stück für Stück, begreifen, was ein Zusammenleben mit ihm bedeutete. Verwöhnte er sie vorher noch, brauchte er das jetzt nicht mehr. Er hatte sie ja bekommen.

    In der folgenden Zeit versuchte er, sie zu einem recht- und meinungslosem Wesen zu degradieren. Er hatte sein erstes Opfer gefunden, sie musste sich ihm unterordnen. Immer ein bisschen mehr. Niemand konnte ihm dabei in die Quere kommen.

    Der Zeitpunkt kam, an dem Johanna jeden Moment damit rechnete, das Baby zu bekommen. Obwohl sie schon leichte Wehen hatte, ging Franz zum Betriebsfest. Warum sollte er bei seiner Frau bleiben? Es würde ja doch noch eine Weile dauern. Johanna war traurig und verletzt, dass er in dieser schweren Stunde nicht bei ihr blieb. Was, wenn das Kind doch früher käme? Warum war er so herzlos, sie mit den Wehen, die ihr Schmerzen verursachten, allein zu lassen? Warum kein tröstendes Wort von ihm?

    Erst am nächsten Morgen kam er nach Hause. Die Wohnung war leer. Hatte er ein schlechtes Gewissen? Wohl kaum. Im nächsten Moment klingelte es auch schon. Vor der Tür stand Klara Gebrecht, die Nachbarin. Sie brachte Werner zurück und berichtete ihm, dass ihr Mann Willi seine Frau letzte Nacht ins Krankenhaus begleitet hatte. Er bedankte sich höflich, das war aber auch alles.

    Nach dem Frühstück brachte er Werner zu seinen Eltern. Sie wohnten nur eine Querstraße weiter, in der Lychener Straße, im Bullenwinkel. Bullenwinkel war der Berliner Ausdruck für eine Sackgasse. Sie war kurz, auf der rechten Seite nur ein paar Häuser. Links waren es noch weniger, denn den hinteren Teil der Straße nahm eine Grundschule ein. Die zog sich von der Lychener Straße hindurch bis zur Pappelallee. Das Ende des Bullenwinkels begrenzte ein Bretterzaun. Dahinter fiel eine steile Böschung ab zu den Gleisen der S-Bahn zwischen den Bahnhöfen Schönhauser Allee und Prenzlauer Allee. Oft standen die Kinder dort und guckten durch ein Astloch, um die Züge zu beobachten.

    Wie alle Häuser dort, war das Haus der Großeltern vier Stockwerke hoch und grau getüncht. Ein großes Tor für die Fahrzeuge der Müllabfuhr oder Kohlenlieferanten, eine kleinere Tür für die Bewohner des Hauses. An der Tür war ein Schild angeschraubt: „Betteln und Hausieren verboten." Rechts und links flankierten zwei riesige, ein Stück weit eingemauerte Findlinge den Eingang.

    Die Großeltern wohnten im Hinterhaus, im vierten Stock. Dort war die Miete am geringsten. Die teuren Wohnungen waren im Vorderhaus. Sogar nach den Stockwerken gestaffelt. Je höher, desto billiger.

    Zu seinen Eltern war das Verhältnis von Franz sehr zwiespältig. Seine Mutter verehrte er über alles. Seinen Stiefvater wünschte er zum Teufel. Ein Resultat seiner eifersüchtigen Veranlagung. Die Tatsache, dass er bis zu seinem achten Lebensjahr mit seiner Mutter allein gelebt hatte, verstärkte diesen Besitzanspruch noch. Seine Mutter war für ihn ein Besitz, den er nie hergeben wollte. Er liebte sie. In seiner kindlichen Phantasie gab es nichts anderes. Nur sie und ihn. Sie war einen Meter achtundsechzig groß und schlank. Ihr kastanienbraunes Haar steckte sie kess an den Seiten mit kleinen Kämmchen nach hinten. Nur 16 Jahre war sie älter als Franz. Es wurde aber nie erwähnt. War es doch eine Schande, so früh ein Kind zu bekommen. Und das auch noch unehelich!

    Dann tauchte Dietrich Goldbach auf! Mit seinen einen Meter sechsundachtzig und von stattlicher Statur, war das für Sophie ein großes Glück. Er heiratete sie mit dem Jungen und adoptierte ihn. Es sollte in Zukunft keine Redereien mehr geben. Franz dagegen verstand einfach nicht, warum seine Mutter das tat. Sie hatte doch ihn. Dieser Mann verdrängte ihn von seinem Platz. So etwas ertrug er nicht. Allerdings das Schlimmste kam für ihn ja erst danach. Aus Sophie Klein wurde Sophie Goldbach und nun hieß auch Franz Goldbach. Er hasste diesen Namen. Für ihn war das eine Schmach. Seinem Wesen nach war er nicht in der Lage, seinen Stiefvater zu akzeptieren. Alle Bemühungen von Dietrich, ihn für sich zu gewinnen, schlugen fehl. Es gelang ihm nie, ein liebevolles Verhältnis zu ihm aufzubauen, so sehr er sich danach sehnte. Eigene Kinder hatten sie nicht mehr. Für Franz blieb er immer der Mann, der ihm sein Eigentum einfach weggenommen hatte. Den konnte er nicht gerne haben, auch wenn er noch so gut für ihn sorgte. Und das tat Dietrich trotz allem sein ganzes Leben lang. Von der liebevollen Warmherzigkeit seiner Mutter hatte Franz nichts.

    Er aß mit Werner bei den Eltern zu Mittag und fuhr dann in die Klinik. Das Mädchen war zwar ein Sonntagskind, aber ein Glückskind war es nicht. Von Amts wegen wurde es eingetragen und bekam den Namen Isabell.

    Währenddessen tobte in Spanien der Bürgerkrieg, in den schon einige ausländische Staaten eingegriffen hatten. Auch die deutsche Luftwaffe nutzte diesen Umstand. Mit dem Einsatz der Luftwaffe probte sie für Hitler, der seinen großen Krieg schon plante.

    In der Sowjetunion herrschte unter Stalin blanker Terror. Nicht nur hohe Offiziere wurden verurteilt und hingerichtet. Ende Juli unterschrieb Nikolai Jeschow zwei Befehle. NKWD 00439 besagte, dass alle deutschen Staatsangehörigen, die der Spionage verdächtig wurden, festgesetzt werden sollten. Dadurch wurden 40.000 Mitarbeiter hingerichtet. Der Befehl NKWD 00443 richtete sich gegen Kulaken, Straftäter und antisowjetische Elemente. Dieser Befehl kostete 397.000 Menschen das Leben. Weitere 380.000 Personen schickten sie ins Straflager.

    Auch 100.000 Leute polnischer Abstammung traf im August ein Todesurteil.

    Am 7. Juli kam es durch eine Schießerei zwischen chinesischen und japanischen Soldaten zum zweiten chinesisch-japanischen Krieg. Die Japaner eroberten Peking und gemeinsam mit den Mongolen Chahar. Im Oktober wurden fast alle Personen koreanischer Abstammung aus dem fernen Osten nach Zentralchina deportiert. Man wollte den Einfluss Japans auf sie verhindern.

    Die Schlacht um Shanghai zog sich bis zum 9. November hin. Der Widerstand Nordchinas wurde durch die Einnahme der Stadt Taiyuan gebrochen. Am 13. Dezember begann das Massaker von Nanking.

    Währenddessen fand vom 6. bis 13. September das alljährliche Spektakel auf dem Reichsparteitagsgelände statt. Die Propagandamaschine lief auf Hochtouren. In Nürnberg fand wieder der Parteitag der NSDAP statt. Um dort ein Aufmarschareal für die Menschenmassen zu schaffen, verlangte Hitler, den alten, unter Naturschutz stehenden Baumbestand des Luitpoldhaines abzuholzen. Nürnberg wollte unbedingt im Tausendjährigen Reich die Stadt der Parteitage werden. Also wurde abgeholzt.

    Zu Tausenden kamen sie und jubelten ihrem Adolf Hitler zu. Die Stadt war voller Menschen. 1933 hatte er sich gewünscht, die Kirchenglocken sollten den Parteitag ankündigen, also läuteten sie kräftig.

    Nach den Aufmärschen und Ansprachen wurde der Tag beendet mit einer gewaltigen, pyrotechnischen Meisterleistung. 70.000 Explosionen ließen die Menschen eine Stunde lang ein phantastisches Feuerwerk erleben. Mit jedem Knall öffnete sich ein Goldregen, in sämtlichen Farben funkelnde Sonnen oder lauter rot und blau glühende Sterne. Immer wieder in anderer Formation.

    Sophie und Dietrich konnten Franz überreden und so fand im Dezember dann ein familiäres Ereignis statt. Der Pfarrer in der Elisenkirche zelebrierte Isabells feierliche Taufe.

    1939: Isabells Entführung

    So plätscherten die Tage, Wochen und Monate dahin.

    Sonntags Vormittag war es üblich, dass Franz mit Isabell und Werner seine Freunde Roland Kirch und Norbert Haberland abholte. Norbert hatte den kleinen Sohn Gerhard dabei. Zusammen gingen sie zum Frühschoppen in Arthurs Biergarten. Bei trockenem Wetter konnten sich die Kinder draußen austoben oder schaukeln. Bei schlechtem Wetter saßen alle in der Gaststube und bauten den Kindern Kartenhäuschen aus Bierdeckeln. Das Nachbauen mit den kleinen Kinderhändchen führte jedes Mal zu Lachsalven.

    Franz und Roland versuchten Norbert zu beeinflussen. Er hatte eine schlimme Leidenschaft, er spielte. Darunter mussten seine Frau und das Kind sehr leiden. Von dem ohnehin schon knappen Geld wanderte noch ein Teil in die Spielbank. Heute gab er zu, dass es falsch war und morgen siegte wieder die Hoffnung auf einen großen Gewinn.

    Isabell würde im Mai zwei Jahre alt werden und Werner im Juli vier. Das Leben mit Franz wurde immer unerträglicher. Irgendwann war es dann soweit. Morgens wurde die Zeit herbeigesehnt, wenn er zur Arbeit ging und abends fürchtete sie sich vor dem Augenblick, wenn sie hörte, wie sich der Schlüssel im Schloss der Wohnungstür drehte.

    Ganz unbemerkt hatte schon längst das Drama begonnen. Es machte sich zwischen Franz und Johanna breit. Wuchs von Tag zu Tag. Schwoll an, größer und größer werdend eskalierte es bestimmt in absehbarer Zeit. Die Dispute arteten aus, immer lauter. Franz war nicht imstande, sich über etwas zu freuen. Immer hatte er nur Angst, dass sie ihn hinterging.

    Alles andere nahm er kaum noch wahr. Er las nie ein Buch, hatte keine sportlichen Ambitionen und Politik interessierte ihn erst recht nicht.

    Dabei war die Zeit überhaupt nicht gut. Hitler kam im Januar 1933 an die Macht. Tags zuvor trat die Regierung Schleicher zurück. Damit verbunden erließ man in der Folge so viele Maßnahmen und Bestimmungen, dass eigentlich jeder klar denkende Bürger Angst bekommen musste.

    Schon im Februar 1933 fackelten sie den Reichstag mittels Brandstiftung ab. Göbbels hielt jeden Tag große Reden über die guten Taten Adolf Hitlers und das Volk glaubte sie ihm auch noch. Durch das „Ermächtigungsgesetz zur Behebung der Not nahm man dem Volk elementare Grundrechte der Verfassung einfach weg. Damit schufen sie sich einen Rechtfertigungsgrund, der sie in die Lage versetzte, Konzentrationslager zu bauen. Im März annullierten sie dann noch weitere Gesetze. Die Bedrohung für das Volk bemerkte niemand. Alle wollten sie nur die furchtbare Not überwinden. Sie sahen nicht die Gefahren, die dahinter lauerten. Hitler verstand es, nach und nach alle Macht an sich zu reißen. „Teile und herrsche war seine Devise. Denn er teilte alles. Sogar die Familien. Am Leichtesten war die Jugend zu beeinflussen. Dort setzte er auch an, in organisierten Gruppen zur körperlichen Ertüchtigung und zum Ernteeinsatz. In der Schule impfte man ihnen ein, dass jeder, der nicht für ihn war, ein Verräter sei. Die Euphorie der Jugend war enorm. Am Ende zeigten die Kinder sogar ihre Eltern an. Damit schaffte er Angst, die Angst, die Hitler brauchte, um uneingeschränkt herrschen zu können. Alle hatten Angst vor der Gestapo, vor der SA und der SS. In den Familien traute keiner mehr dem anderen. Eine furchtbar grauenvolle Entwicklung. Von Franz unbemerkt braute sich also auch am politischen Himmel eine Katastrophe zusammen.

    Im März 1933 teilte Hitler durch den Münchener Polizeipräsidenten Heinrich Himmler stolz mit, im Konzentrationslager Dachau könne man 5.000 Personen aufnehmen. Kommunistische und marxistische Führer wurden dort untergebracht.

    Juden und Regimegegner entließ man aus dem öffentlichen Dienst. Im Mai erlebten sie schon, wie man alle Bücher von Juden und über das Judentum verbrannte.

    Dietrich registrierte die Hetzjagd auf die Juden mit großer Besorgnis, Franz dagegen verschwendete daran keinen einzigen Gedanken.

    Nur kurze Zeit später, im Juli 1933, ließen sie über das Radio eine amtliche Meldung verlesen, die besagte, dass Deutschland 18.000 Schutzhäftlinge eingesperrt hat. Schutzhäftlinge waren in erster Linie die Funktionäre der Arbeiterbewegung und Juden, politische Häftlinge also. Nicht einmal gerichtlich war die Schutzhaft überprüfbar. Justizbehörden verurteilten das, doch Werner Best, Jurist der Gestapo, überzeugte Hitler davon, dass ein Schutzhäftling keinen Anspruch auf juristischen Beistand habe. Mit Hilfe der Schutzhaft schuf sich die Gestapo einen unantastbaren Freiraum für eine staatliche Willkür.

    Franz übte derweil seine eigene Willkür aus - in seiner Familie.

    Mit der Zeit wurde das Volk hörig. Es gab ja wieder Arbeitsplätze und die größte Not war vorbei. Bei Krupp in Essen fanden zu der Zeit schon wieder tausende Arbeiter eine Beschäftigung. Um die Arbeitslosigkeit zu senken, stellte man immer mehr Arbeiter ein. Die Kehrseite waren niedrigere Löhne. Niemand nahm daran Anstoß nach der langen Zeit des Hungerns und der Arbeitslosigkeit. Wenn die Arbeiter satt waren, kümmerten sich die Wenigsten um Politik. Auch Franz bekam zu der Zeit eine Arbeit bei UFA-Handel in Berlin.

    Im Gegensatz zu Dietrich, dem die Entwicklung große Sorgen bereitete und der alles äußerst kritisch beobachtete, hatte Franz andere Sorgen. Seine Gedanken beschäftigten sich nur mit Johanna. Maßlose Eifersucht machte ihm das Leben zu einem lieblosen, unerfüllten Dasein. Als Johanna merkte, dass eigentlich nichts mehr da war von dem, was am Anfang so verheißungsvoll begonnen hatte, erwachte in ihr der Drang zur Rebellion. Sie beanspruchte den Platz einer Ehefrau mit Selbstachtung. In eigener Regie wollte sie den Haushalt führen, keine Sklavin sein, der man befahl, was sie tun sollte. Aus dieser Erkenntnis heraus erwuchs ihr die Kraft zum Widerspruch. Sie tat nicht mehr das, was er wollte. Sie widersprach ihm.

    Zuerst war Franz fassungslos über so viel Kühnheit, danach stieg in ihm der Jähzorn auf. Mit einer solchen Reaktion hätte er nie gerechnet. Was sie sich anmaßte? Dem musste er sofort Einhalt gebieten. Er verprügelte sie, dass sie sich tagelang nicht aus dem Haus traute.

    Die Nachbarn, die seine täglichen Wutanfälle mitbekamen, waren dann die guten Geister, die ihr mitbrachten, was sie hätte einkaufen müssen. Nichts konnte sie ihm recht machen. Nach diesen Vorfällen fing sie an, langsam und allmählich zu verstummen. Sie sprach einfach nicht mehr mit ihm, was seinem Jähzorn noch mehr Nahrung gab. Sie redete auch kaum noch mit den Kindern. Der Kummer schnürte ihr die Kehle förmlich zu. Ihre Zuneigung bekamen sie aber doch durch Zärtlichkeit zu spüren. Auch Werner und Isabell litten unter dieser Beklemmung.

    Abend für Abend, wenn Franz nach Hause kam, war sein Weg zuerst in die Küche. Die Kinder konnten in der Stube hören, wie er wieder und wieder schimpfte. Johanna blieb stumm. Sie sah ihm nur herausfordernd ins Gesicht. Immer öfter fand er dadurch einen Anlass, sie zu schlagen. Es dauerte lange, bis er letztendlich begriff, mit Schlägen erst recht nicht mehr an sie heran zu kommen.

    Es war beängstigend still in der Wohnung. Werner mit seinen braunen Haaren, großen braunen Augen und die kleine goldblonde Isabell waren allein im Wohnzimmer. Isabell nannte ihn immer Wana, aus der Zeit, als sie Werner noch nicht aussprechen konnte. Johanna hatte sich still in die Küche verzogen. Die Kinder sollten es nicht mitbekommen, wenn sie weinte. Nur einmal kam sie zu ihnen ins Zimmer, als es zwischen Wana und Isabell eine heftige Auseinandersetzung gab. Isabells einziges Spielzeug war eine Puppe mit einem ausgestopften Balg und einem aufgebundenen Kopf aus Pappmaschee mit Schlafaugen. Ihre Emma. Emma besaß nur noch einen Schuh. Wana hatte ihr den anderen vom Fuß gerissen und weggeworfen. Daraufhin gab es ein fürchterliches Geschrei zwischen den beiden. Johanna schlichtete, aber Isabells Schmerz war zu groß. Trotz intensiver Suche den ganzen Mittag über, der Schuh blieb für immer verschwunden.

    Isabells kleine Seele schmerzte sehr.

    Nun sprach auch Isabell kein Wort mehr. Sie krabbelte auf den Sessel am Fenster und drückte sich den ganzen Nachmittag die Nase an der Fensterscheibe platt. Sie wohnten in der Dunckerstraße. Da es ein Eckhaus war, sah man vom Wohnzimmerfenster aus auf die Ahlbecker Straße hinunter.

    Es herrschte bittere Kälte draußen. Soviel Schnee war gefallen, dass die Leute vor Schneehaufen kaum noch wussten, wo sie laufen sollten. Auf der gegenüber liegenden Straßenseite stand der Pferdewagen von der Schultheiß-Brauerei, der Größten in Berlin. Die kräftigen Pferde schlugen abwechselnd mit den Hufen auf den Schnee über dem Kopfsteinpflaster. Von den Fahrzeugen ganz schmutzig geworden, sah der Schnee nicht mehr weiß, sondern hellbraun aus. Die Luft, die sie aus ihren Nüstern stießen, glich Nebelschwaden. Isabell dachte, so müsste das auch bei Drachen aussehen, wenn sie Feuer speien. Nur, da wäre der Nebel dann rot. Sie beobachtete, wie die Bierfässer von den Kutschern abgeladen und zu einer Öffnung am Haus gerollt wurden. Über ein Brett beförderten sie den Nachschub in den Keller der Wirtschaft. Als die Kutscher fertig waren, stiegen sie wieder auf den Bock und legten sich Decken über den Schoß gegen die Kälte. Den Pferden riefen sie ein „hüü" zu und die hatten große Mühe das Gespann wieder durch den pappenden Schnee in Bewegung zu

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