Familiengeschichten aus Ostpreußen: Flucht-Vertreibung und neues Leben im Westen
Von Karin Fruth
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Über dieses E-Book
Es geht um Menschen mit einem eigenwilligen Charakter und einem starken Willen zu überleben.
Es geht um die Eingliederung dieser Menschen in eine festgefügte neue Welt.
Sie sind äußerst unerwünscht und müssen sich mit den schmutzigsten Arbeiten zufriedengeben, um nicht zu verhungern. Das ging nicht ohne Blessuren ab.
Aber sie haben sich trotzdem hochgearbeitet . Heutzutage sind sie längst gestorben und ihre Gräber gibt es auch schon nicht mehr.
Damit ihr Schicksal nicht vergessen wird, habe ich dieses Buch zu ihrer Erinnerung geschrieben.
Karin Fruth
Guten Tag, ich heiße Karin Fruth und lebe seit vielen Jahren in Köln. Mein Mann war Archäologe und wir unternahmen gemeinsam viele Reisen mit dem VW-Bus durch Griechenland, Osteuropa und Tschechien. Mit viel Engagement organisierte ich mit TRAdeArt über 80 Kunstausstellungen in Deutschland und Athen für osteuropäische Künstler. Dabei lernte ich viel über ihr Leben in ihren Heimatländern kennen. Meine Bücher lassen sich nicht in ein festes Raster pressen, sie sind oft etwas sentimental, machmal etwas zu phantastisch, fast frei von Gewalt und Horror, aber sie haben immer ein happy end. Neuerdings kann man auch einen Beitrag über mich bei youtube sehen. https://www.youtube.com/watch?v=Bccj10ZHuko Karin Fruth Ich bin seit dem 27.07.2022 auch auf youtube zu sehen: https://youtu.be/Bccj10ZHuko Darin stelle ich mich und die griechischen Bücher vor. Weitere Videos folgen !
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Buchvorschau
Familiengeschichten aus Ostpreußen - Karin Fruth
Barackentown-Blues
……..Bad Segeberg, 01. September 2022
Ich bin nach über siebzig Jahren auf der Suche in die Vergangenheit, in meine Kindheit. Ach, hier sah es früher mal ganz anders aus
Das Städtchen ist fast kaputtsaniert, durch meinen früheren Schulgarten geht jetzt eine vierspurige Schnellstraße, ein Busbahnhof zerschneidet den kleinen Marktplatz, und nur noch die alten Bahnschranken lassen eine Orientierung zu. Ab hier begann früher der Heimweg von der Schule zu meinem alten Zuhause.
Da ist die Burgfeldstraße, die kleinen Häuschen mit ihren Gärtchen stehen noch genauso da wie früher, aber wo sind die schönen alten Linden geblieben? Alle Bäume hat man rückstandsfrei beseitigt. Das Haus von Kaufmann Bevernick ist jetzt eine Bäckerei und die Villa daneben ist zu einer Pommesbude verkommen.
Vor mir schlappen ein paar Jugendliche, alle sehen gleich aus, es gibt nur einen einzigen Unterschied. Jungen sind die mit den Hängehosen in den Kniekehlen, Mädchen sind die mit den aufgesprühten Jeans. Sonst aber tragen alle Wattejacken, Rucksack, die unvermeidliche Zigarette im pickeligen Gesicht. Jetzt biegen sie ab und gehen eine breite Treppe hinauf und verschwinden in einem riesigen Schulkomplex.
Ich bleibe erstaunt stehen, aber wo ist mein Bauernfeld 9, mein Zuhause aus den Kindheitstagen geblieben?
Die alte Barackentown existiert schon lange nicht mehr. Man kann nur noch an der Auffahrt zu den Parkplätzen der neuen Berufsschule erkennen, wo es früher den Berg zu unserer Barackensiedlung hinaufging. Auf der linken Seite sind die Schrebergartenreste zu einem wilden Dschungel verwachsen.
Stimmt, genau hier muss es gewesen sein, denn, wenn man sich umdreht und die kleine Straße runterguckt, sieht man die große Buchsbaumhecke auf der anderen Straßenseite der Burgfeldstraße, in die wir Kinder mit unseren Fahrrädern und Schlitten immer ungebremst rasten. Die Straße war damals nicht asphaltiert und ruhig, jetzt ist sie asphaltiert und viel befahren.
Ich muss jetzt noch lachen, denn sofort fällt mir der Besitzer der Hecke ein, wie er tobend mit dem Besen hinter seiner Hecke stand, um uns grässlichen Kinder endgültig zu vertreiben. Flüchtlingspack grässliches.
Flucht aus Ostpreußen: Dabei geht es um fast 110 Jahre deutscher Zeitgeschichte, voller Krieg, Frieden, Flucht, Überlebensstrategien, Ankunft und Bewältigung des neuen täglichen Lebens.
Aber was hat das alles mit mir zu tun? Dort in der Barackentown war mein Zuhause gewesen. Offiziell wurden wir bei der Stadt Bad Segeberg seit 1952 als Flüchtlinge aus Ostpreußen gemeldet. Warum ist er ausgerechnet dort in Bad Segeberg in Schleswig-Holstein gelandet?
Aber so ein Flüchtling: Was ist das eigentlich für ein seltsames Wesen? Was macht er so den ganzen Tag?
Das ist gar nicht so einfach zu erklären, denn solche Flüchtlinge gibt es auch heute noch ziemlich viele, die rings um den Erdball unterwegs sind, auf der Flucht vor Krieg, Hunger, Seuchen und einer neuen Heimat, in der sie in Frieden leben und satt werden können. Es geht schließlich um sieben Millionen Menschen, die nach dem verlorenen 2. Weltkrieg 1945 aus den deutschen Ostgebieten auf der Flucht ihre alte Heimat verloren, und die dann in der neuen Heimat höchst unwillkommen waren. Meine ganze Familie gehörte dazu, sie mussten alles zurücklassen und unter ganz erbärmlichen Verhältnissen wieder neu anfangen.
Von meiner ganzen Familie sind nur ein paar Erinnerungen und eine Handvoll Schwarz-Weiß-Fotos übriggeblieben, ein handgeschriebener Lebenslauf meines Vaters und ein ausführlicher, aber ziemlich einseitig optimistisch gehaltener Bericht meiner Halbschwester Rosi.
Viele Erinnerungen haben mich und meine Kindheit geprägt und sie sind seltsamerweise immer noch unvergessen.
Trotzdem: Ich habe lange überlegt, ob ich dieses Buch überhaupt veröffentlichen soll, aber warum sollen die Sichtweisen und Erinnerungen damaliger Ereignisse nicht auch für andere heute interessant sein?
Der Krieg ist immer noch da, in der Ukraine müssen Menschen um ihr Leben fürchten ,und werden von dem russischen Aggressor Putin bedroht und in die Flucht geschlagen.
Warum haben die Menschen nichts gelernt?
Mein Vater August Prang wurde am 23. Januar 1912 in Stutthof bei Danzig geboren.
Mit 14 Jahren musste er auf Druck seiner Eltern die Mittelschule verlassen, um bei seinem reichen Onkel Ferdinand als Viehhändler zu arbeiten. Also reiste er viel durch Ostpreußen und handelte mit Vieh.
1936 -1940 machte er sich mit dem Viehhandel selbständig, bis er 1940 von der NS-Regierung bei der Schiechau-Werft als Lohnbuchhalter zwangsverpflichtet wurde.
1936 heiratete er seine erste Frau Edith, geb. Wulf.
Ihr Vater war Hermann Wulf, geb. am 31. Mai 1887, er war Schmiedemeister, und ihre Mutter Margarethe Wulf, geb. Haack, geb. am 6. Juli 1886 war vor ihrer Heirat Apothekenhelferin gewesen und hatte eine übersinnliche Begabung. Sie konnte Träume deuten und Karten lesen.
Am 18. September 1938 wurde meine Schwester Rosemarie Margarethe Prang in Danzig/Langfuhr, wie mein Vater immer sagte, im ,,Storchenhaus", geboren.
Am 20. März 1941 wurde meine Schwester Brigitte geboren. Mein Vater war enttäuscht, denn er wünschte sich sehnlichst einen Sohn.
Danach ging es seiner Frau Edith gesundheitlich immer schlechter und als sie am 20. August starb, war sie gerade dreißig Jahre alt geworden.
Auszug aus Rosis Erinnerungen vom 11.03.1998:
Mein Vater war nun Witwer mit zwei kleinen Kindern und befand sich in einer nicht geraden beneidenswerten Lage.
Und sicher aus Zuneigung, vielleicht auch aus Liebe und bestimmt auch aus der Notwendigkeit heraus, meiner Schwester Brigitte und mir wieder ein neues Zuhause, eine Familie zu geben, hielt er um die Hand der Schwester meiner verstorbenen Mutter an.
Aber ihr Vater sagte nur: Das geht nicht. Es reicht mir, dass eine Tochter gestorben ist. Du kannst sie nicht heiraten." Aber trotzdem waren die beiden immer freundschaftlich verbandelt geblieben.
Und so nahmen die Großeltern mütterlicherseits Brigitte zu sich nach Brunau und Rosi blieb in Steegen bei den Eltern ihres Vaters. Mein Großvater war Karl Prang, geb. 18. November 1875 und meine Großmutter Maria Prang, geb. Henning. Sie besaßen in Steegen einen Bauernhof.
Meine Tante Heta, Hedwig Prang, geboren am 19. Juli 1915 war die Jüngste und einzige Schwester meines Vaters, sie war also gerade 26 Jahre alt und hatte plötzlich einen kleinen Trabanten neben sich, nämlich Rosi. Und sie war zu keiner Zeit abzuschütteln, und sie musste sogar zu Mittag mit ihr zu Bett gehen.
Es waren nur 10 Minuten bis zum Strand, mit dem Fahrrad am Bahnhof vorbei, und auf einem Sandweg immer geradeaus, rechts und links waren mit Kiefern bepflanzte hohe Wanderdünen. Dann kam der Strand und die See. Von hier holte Großvater im Herbst den Strandkorb der Familie mit dem Leiterwagen nach Hause.
Im Frühjahr 1945 sollte Rosi eigentlich zur Schule gehen. Überall hörten sie schon unaufhörlich Kampfmusik und halb Danzig lag unter einem roten Feuerhimmel. Da beschloss Tante Heta, das Kind geht nicht zur Schule. Das ist viel zu gefährlich.
Mein Vater war inzwischen (gegen seinen Willen) zum Wehrdienst einberufen worden, und jedes Mal, wenn es hieß: „Feindliche Flieger über Berlin", war er als einer der ersten im Bunker gewesen. (Karin: Mir erzählte er, dass er kein tapferer Soldat gewesen wäre, sondern wollte immer zuerst seine eigene Haut retten). Er wollte mir sogar das Morsealphabet beibringen)
Mein Onkel Otto, der Bruder meines Vaters, kam mit fehlendem linken Arm aus dem Krieg nach Hause, den hatte er in der Nähe von Stalingrad verloren.
Die Situation in ganz Ostpreußen und Steegen wurde immer gefährlicher, und Tag und Nacht lagen sie unter Feuerbeschuss und rings um sie herum brannten die Höfe.
Damals waren schon sehr viele geflüchtet, obwohl es von der Naziregierung unter Todesstrafe strikt verboten worden war, die Heimat zu verlassen. Wenn sie nicht siegen konnten, dann sollten sie zum Untergang verdammt