Unsere Kindheit war anders
Von Dietlinde Faber
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Über dieses E-Book
Die autobiografischen Erinnerungen an eine so anders verlaufene Kindheit wurden für die nachfolgenden Generationen geschrieben. Dieser Bericht von Bombennächten, vom Verlust der Heimat, vom Flüchtlingsdasein geht über das rein Biografische hinaus, er ist gleichzeitig das Beschreiben einer zu Ende gegangenen Epoche, deren letzte Zeugen aussterben.
Der 2. Weltkrieg, geschildert aus dem Erleben eines Kindes und wiedererlebt in der Erinnerung einer heute Fünfundsiebzigjährigen, war ein tief einschneidendes Geschehen, das alles prägte, vor allem im Leben der damals jungen Generation: die körperliche und seelische Entwicklung, die Pubertät und damit verbunden die Sexualität, die erste große Liebe, die Träume und Hoffnungen und nicht zuletzt die beschränkten Möglichkeiten einer Aus- und Weiterbildung.
Trotz allem enthält der Kindheitsbericht nicht nur Trauriges, auch Heiteres; und häufig auch die Situationskomik mancher schlimmen Begebenheit taucht in der Rückerinnerung wieder auf.
Dankbar sei vermerkt, dass die Neugier auf das Leben und die Freude am Leben nicht auf Dauer zerstört worden sind.
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Buchvorschau
Unsere Kindheit war anders - Dietlinde Faber
Vorwort
Hofstetten, den 1.2. 2014
Meine Jugenderinnerungen habe ich aufgeschrieben für unsere Kinder Friederike, Christof, Burkhard und für ihre Partner. Ich habe sie auch für unsere Enkelkinder, inzwischen sieben an der Zahl, zu Papier gebracht, und schließlich für die Urenkel, deren Reihe bereits William anführt.
Die Vergangenheit, die zumindest für die Enkel bereits Geschichte ist, soll ein Stück näher rücken, soll ein persönliches Gesicht erhalten und dazu beitragen, Mutter, Groß- und Urgroßmutter in ihren Eigenschaften und Eigenheiten vielleicht besser zu verstehen.
Ob damals alles wirklich so geschah? Ich habe meine Geschichte aufgeschrieben, so wie ich sie damals erlebt habe, aber auch dieses Geschehen hat sich mit der Zeit, in der Erinnerung verändert. Tröstlich ist, dass das Schreckliche an dem Geschehen zwar aus der Erinnerung nicht zu löschen ist, dass jedoch inzwischen auch manches anders gesehen werden kann, dass sich die Komik bestimmter Szenen jetzt ebenfalls zu Wort meldet. Dankbar bin ich letztendlich heute dafür, dass mir dieser brutale Einbruch in ein einst so behütetes Kinderleben die positive Lebenseinstellung nicht zerstören konnte, sondern, im Gegenteil die Dankbarkeit für die so anders ablaufende Gegenwart wachsen ließ.
Die Kindheitserinnerungen sind eng verbunden mit den Personen, die auf dem Einband abgebildet sind: mit Mutter, meinem Vater, meinem Bruder Rüdiger und natürlich mit mir.
Von diesen Personen starb als Erster mein Vater, ihm folgte 1993 meine Mutter, 2003 schließlich mein Bruder. Ich bin die letzte Überlebende.
Ohne die Anteilnahme und Hilfe meines Mannes und in besonderem Maße unseres Sohnes Christof, der sich mit viel Geduld all der technischen Probleme annahm, die sich beim Schreiben einstellten, wären meine Aufzeichnungen in der vorliegenden Form wohl nie fertig geworden; ihnen gilt mein Dank.
Dietlinde Faber
Teil I, Kap.1 Berliner Jahre 1938 - 1943
Denke ich an meine Kinderjahre zurück, so sehe ich mich als Achtjährige. An mein Aus-sehen vor diesem Zeitpunkt kann ich mich nicht erinnern. Die wenigen Kinderbilder, die aus einer früheren Zeit stammen, zeigen ein Kind mit runden Backen und wachen Augen, aber ich habe nicht das Gefühl, dass ich dieses Kind bin, ich bin das andere, das mit auffallend weißblonden Haaren, geflochten in zwei starr abstehende Zöpfe, die verhassten Sommersprossen auf der Nase. Und so erbarmungswürdig dünn unter den wohlgenährten fränkischen Bauernkindern, denn zu dieser Zeit ist der Krieg schon zu Ende und wir sind nicht mehr in Berlin. Gleich vier Spitznamen trug mir dieses Aussehen ein: „Steckelesfuß, der dürren Beine wegen, „Weiße
(das ist in Franken der Name für Kühe mit hellem Fell), „Flickerpuppsche, diesen Namen behielt sich mein Lehrer vor, angeregt dazu durch meine schnellen Bewegungen, und schließlich „Bachstelze
, für mich der erträglichste Name, der auf meine dünnen Beine anspielte, die ich gerne unter Trainingshosen versteckte, wenn es die Jahreszeit nur einigermaßen zuließ.
Kindheit, das ist in erster Linie der nur kurze Aufenthalt in diesem fränkischen Dorf Linden, abgeschnitten von allem, was das Leben sonst noch zu bieten hatte, für mich aber zum ersten und einzigen Male „Heimat", Ort der ersten Liebe und vieler Träume vom späteren Leben und seinen Möglichkeiten.
Aber zurück zum Anfang. Meine Geburt muss unter dramatischen Umständen stattgefunden haben, diese Geburt hat meine arme Mutter fast das Leben gekostet. Oft und ausführlich wurde mir alles geschildert, meine arme blutende Mama, mit 32 Jahren damals bereits eine Spätgebärende, umringt von nicht weniger als vier Ärzten, an der Tür händeringend die Reimann-Großmutter, die wir Kinder später ihres Umfanges wegen auch „Kugeloma" nannten. Nur mein Vater erscheint in dieser Szene nicht, ich weiß nicht, ob er abwesend war oder ob man ihn in dieser Erzählung einfach für nicht erwähnenswert hielt. Ich selbst erscheine auch nicht, wurde wohl irgendwo erst einmal abgelegt. Vielleicht hat die Distanz, die ich ein Leben lang zwischen meiner Mutter und mir fühlte, auch etwas mit diesen Geburtsumständen zu tun und nicht nur damit, dass wir uns so wenig ähnelten in unseren Wesenszügen.
Mama erholte sich und die Freude über die Erstgeborene wird sich sicher bald eingestellt haben. Noch herrschte Frieden in Deutschland, und Berlin muss für meine Eltern eine Stadt voller Chancen und Abenteuer gewesen sein. Aber da fällt mir noch ein anderes Ereignis ein. Vier Wochen nach meiner Geburt fand meine Taufe unter nicht alltäglichen Umständen statt. Auch das hat man mir so oft erzählt, dass ich es mir genau ausmalen konnte, den grauen Aprilmorgen, die Sandsteinkirche, in der ich heimlich, gegen den Willen des Vaters, getauft wurde. Dieser fröhliche, aufbruchbereite Vater trug mit Enthusiasmus die Ideen der neuen Zeit mit: ein neues Deutschland aufzubauen, mit neuen Menschen und neuen Zielen . In diesen Plan passte eine erzkonservative Taufe nicht.
Welche Konflikte mag meine arme Mutter durchlitten haben, denn eigentlich war sie ja auch für diese neue Zeit, aber schließlich drohte ihrem armen ungetauften Kinde nach den Lehren der katholischen Kirche bei einem plötzlichen Dahinscheiden zwar nicht gerade die ewige Verdammnis, aber die Pforten des Himmels würden ihm verschlossen bleiben und damit die Trennung von ihr, meiner lieben Mama.
Vergilbte Fotos zeigen sie, wie sie damals aussah, ein elegante Frau im Fohlenpelzmantel, auf dem Kopf einen Hut, zierlich von Statur, die winzigen Füße in kleinen Knopfstiefelchen. Wie stolz war sie immer auf diese kleine Schuhgröße, wenngleich sie dadurch oft gezwungen war, in der Kinderabteilung nach Schuhen zu suchen. Trotz augenscheinlicher Zartheit wusste sie sich durchzusetzen, und wenn es mit Hilfe von Launen war, die sie fast immer an das Ziel ihrer Wünsche brachten.
Und mein ideenreicher, sonniger, immer fröhlicher, unrastiger Vater fand es sicher nicht wert, wegen einer heimlich durchgeführten Taufe einen Aufstand zu erheben.
Berlin l938, welcher Brennpunkt des Lebens für ein jungverheiratetes Paar, das endlich der Enge und Perspektivlosigkeit einer schlesischen Kleinstadt entflohen war. Unglaubliche Zukunftspläne bekamen die Menschen von einem Führer ausgemalt, der sich berufen glaubte, ein Volk, das deutsche, über alle anderen Völker der Erde zu erheben. Mein Vater, in die Partei eingetreten, war als Elektroingenieur bei der Organisation Todt beschäftigt.
(Diese Organisation baute die Reichsautobahn, war am Bau des Westwalls und ab 1940 am Bau der U-Boot -Stützpunkte beteiligt. Ab 1943 wurden unter ihrer Anleitung die Abschussbasen im nordfranzösischem Raum und die Luftschutzräume im deutschen Gebiet gebaut. Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter waren der O.T. unterstellt, auch KZ-Häftlinge wurden zum Arbeitseinsatz herangezogen. Ende 1944 zählte die O.T. 1.360.000 Arbeitskräfte, davon 22.000 KZ-Häftlinge. Sie waren brutalsten Behandlungen ausgesetzt. Die O.T. operierte eng mit der Gestapo und der SS.)
1939, im November, wird Rüdiger, mein Bruder, geboren. Es ist bereits Krieg. Aber noch spüren wir nichts davon, leben behaglich in einem gewissen Wohlstand. Nur Bananen gibt es nicht mehr, damit ärgere ich später meinen Bruder, indem ich mit einigem Hochmut sage: „Ich weiß, wie Bananen schmecken. Ich bin ein Friedenskind. Was sollte er dem entgegensetzen? Übrigens war ich über die Ankunft dieses Bruders, der wohl auch für meine Eltern etwas zu rasch auf die erste Geburt folgte, nicht begeistert, versuchte ihn sogar, nach Berichten der Familienangehörigen, einmal in der Wiege mit dicken Kissen endgültig zuzudecken. Die tiefe Vertrautheit, die uns heute verbindet, stellte sich erst später ein. Zwanzig Monate trennen uns nur, ein Grund, dass Trulle, das Kindermädchen aus Schlesien, in unsere Familie kam. Sie war ein gesundes, siebzehnjähriges Mädchen, das nichts so schnell aus der Ruhe brachte. Eigentlich hieß sie Gertrud, aber diesen Namen konnte sie nicht ausstehen, sobald wir sie später so nannten, war die Antwort stets: „Gertrud heißt mein Unterrock,
dann drehte sie sich um, und es war nichts bei ihr zu erreichen. Meine hübsche, elegante Ziegler-Großmutter hatte dafür gesorgt,