Falknermord. Ostfrieslandkrimi
Von Susanne Ptak
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Mysteriöse Vermisstenfälle überschatten die Idylle im ostfriesischen Holtland. Der Falkner Jörg Vossen ist wie vom Erdboden verschluckt. Kurios: Er ist der neue Lebensgefährte von Gabriele Brunner, deren damaliger Mann Thomas vor drei Jahren ebenfalls verschwand und nie mehr gesehen wurde... Beseitigt Gabriele etwa alle ihre Männer? Oder sind beide noch am Leben und etwas auf dem Brunner-Hof trieb sie fort? Die hiesige Polizei nimmt die Ermittlungen auf und fördert verschiedene Motive zutage. Der eine Vermisste ein berüchtigter Casanova, der andere ein windiger Geschäftsmann – beide hatten sich in Ostfriesland viele Feinde gemacht. Als plötzlich an einem überraschenden Ort eine Leiche auftaucht, überschlagen sich die Ereignisse. Britta ermittelt undercover – auf eigene Faust und auf eigene Gefahr...
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Falknermord. Ostfrieslandkrimi - Susanne Ptak
Kapitel 1
Holtland, 24. August 2015
Helles Licht zuckte durch das dunkle Zimmer, als Ewald Frerichs die Augen aufschlug. Unten in der Küche bellte Ajax aufgeregt. Noch bevor Ewald die Bettdecke zur Seite geschlagen hatte, krachte ohrenbetäubend ein Donnerschlag. Mühsam stand der Fünfundsiebzigjährige aus dem Bett auf. Die feuchte Schwüle der letzten Tage tat seinen alten Knochen nicht gut.
„Ajax! Aus!", rief Ewald, während er in seine Pantoffeln schlüpfte. Den Morgenmantel ließ er liegen. Dafür war es viel zu warm.
Der Schäferhund ignorierte das Kommando seines Herrchens. Im Gegenteil schien er sich noch weiter in seine Aufregung hineinzusteigern.
Es wurde taghell im Raum, als gleich mehrere Blitze hintereinander über den Nachthimmel zuckten. Ewald bereitete sich auf den Knall des nächsten Donners vor, doch das Gewitter schien schon weitergezogen zu sein, denn es folgte nur ein dumpfes Grollen.
Der alte Bauer ging zum Fenster und schaute hinaus. Ajax hatte keine Angst vor Gewittern, also musste etwas anderes den Hund in Aufregung versetzt haben. Viel war jedoch im Dunkeln nicht zu erkennen. Er konnte die Baustelle, die von hier aus zu sehen war, nur erahnen. Aber womöglich waren dort Diebe zugange, in der Hoffnung, wertvolle Baumaterialien stehlen zu können. Nun, da würden sie Pech haben. Ewalds Sohn Carsten, der dort ein Haus für seine Familie baute, sorgte jeden Abend dafür, dass alles von Wert im Haus des Vaters eingeschlossen wurde.
Aber vielleicht versuchte jemand, in den Stall einzubrechen. Irgendjemand konnte beobachtet haben, dass dort am Morgen Kupferrohre eingelagert worden waren.
Schon wandte Ewald sich vom Fenster ab, um das Schlafzimmer zu verlassen, da erleuchtete ein weiterer Blitz die Szene und aus dem Augenwinkel sah er das Heck eines Geländewagens. Rasch drehte er sich wieder um. Zwar hatte man versucht, das Fahrzeug hinter den bereits errichteten Mauern des Rohbaus zu verbergen, doch war man dabei nicht sorgfältig genug gewesen. Wer trieb sich dort herum?
Nun öffnete der Himmel seine Schleusen. Dicke Regentropfen prasselten an die Fensterscheibe und nahmen ihm völlig die Sicht. Ewald verließ das Zimmer, schaltete das Licht im Flur ein und ächzte die Treppe hinunter.
Ajax bellte immer noch, ließ sich aber endlich beruhigen, als er sein Herrchen sah.
Ewald zog die Regenjacke über und stieg in die Gummistiefel. Er nahm die Leine, die an einem der Garderobenhaken hing, und befestigte sie an Ajax’ Halsband. Schon wollte er zur Tür gehen, doch dann besann er sich, zog die Schublade des Telefonschränkchens auf und nahm die Taschenlampe heraus. Schließlich trat er, mit Ajax an seiner Seite, in den Regen hinaus.
Zum Glück war der Wolkenbruch nur kurz gewesen und jetzt in ein sanftes Nieseln übergegangen, sodass Ewald es nicht einmal für nötig erachtete, die Kapuze der Jacke über den Kopf zu ziehen. Er schaute noch einmal in Richtung der Baustelle, konnte aber weder Licht noch eine Bewegung ausmachen. So durchquerten Herr und Hund den Vorgarten, von wo aus sie auf die noch nicht asphaltierte Zufahrt zum Baugrundstück gelangten. Die LKW der Lieferanten und Bauarbeiter hatten bereits tiefe Spuren hinterlassen, die nun mit Regenwasser gefüllt waren. Ewald schaltete die Taschenlampe ein und setzte seinen Weg vorsichtig fort. Noch bevor er die Baustelle erreicht hatte, hörte er, wie ein Wagen angelassen wurde. Verflucht! Er war zu spät aufgewacht! Was immer der- oder diejenigen dort getrieben hatten, es war offenbar erledigt worden.
Das Brummen des Automotors kam näher. Hastig nahm Ewald die Leine kurz, zog Ajax zu sich heran und drückte sich dicht an das am Wegesrand wachsende Gebüsch. Natürlich wollte er wissen, wer sich da des Nachts auf seinem Land herumtrieb, zog es aber vor, selbst nicht gesehen zu werden. Im letzten Moment fiel ihm ein, die Taschenlampe auszuschalten. Schon kam das Auto herangefahren. Ob der schlechten Wegstrecke fuhr der Fahrer langsam und umsichtig und just in dem Moment, als er an Ewald vorbeirollte, durchbrach mit lautem Zischen ein weiterer Blitz die nächtliche Stille. Es wurde taghell und Ewald erkannte, wer in dem Fahrzeug saß. Sein Blick wurde aus dem Fahrzeuginneren erwidert und ihm war klar, dass er ebenfalls gesehen und erkannt worden war. Der alte Bauer zuckte zusammen, als wieder ein lauter Donner krachte. Der Geländewagen wurde beschleunigt und raste davon, jetzt ohne Rücksicht auf die Schlaglöcher zu nehmen.
„Nun wollen wir aber mal nachsehen, welchen Grund es geben könnte, sich in einer solchen Nacht auf einer Baustelle herumzutreiben", erklärte Ewald seinem Hund, nachdem er sich vom Schreck erholt hatte. Er schaltete die Taschenlampe wieder ein und setzte seinen Weg fort.
Im Rohbau des Hauses angekommen, hakte er die Leine von Ajax’ Halsband ab. „Such, mein Junge, wies er seinen Hund an. „Vielleicht findest du einen Hinweis.
Anstatt die Räume zu durchsuchen, drehte Ajax sich jedoch sofort um und lief wieder hinaus.
„Ach, verdammt!, schimpfte Ewald und folgte seinem Hund. Er fand Ajax vor der Baugrube, wo morgen früh das Fundament der zukünftigen Garage gegossen werden sollte. Der Hund schaute Ewald an, wedelte freudig und machte „Wuff
.
„Ja, du hast recht. Das war gestern Morgen noch nicht hier. Hat Carsten erst mittags gemacht." Ewald warf einen prüfenden Blick zum Himmel. Hoffentlich lief die Grube nicht voll Wasser, wenn es noch weitere Wolkenbrüche geben sollte. Er ließ den Lichtstrahl der Taschenlampe über die Verschalung und dann über das dunkle Quadrat schweifen. Kies war bereits eingebracht und verdichtet worden. Auch die Stahlmatten lagen bereits. Am hinteren Ende sah jedoch irgendetwas anders aus. Anscheinend war der Regen wirklich nicht hilfreich. Nun, darum würde Carsten oder einer seiner Arbeiter sich morgen kümmern müssen. Womöglich wirkte es ja auch im Licht der Taschenlampe nur merkwürdig. Dennoch ließ ihm das Ganze keine Ruhe und so lief er nach hinten, um die Stelle von Nahem zu betrachten. Jetzt war zu erkennen, dass nicht der Regen an der Unregelmäßigkeit schuld sein konnte. Der Kies war dort auf einer größeren Fläche locker und höher als im restlichen Bereich. Die Stahlmatten schienen verschoben worden zu sein. Außerdem war eine der Latten zerbrochen, die das Baugrundstück markierten. Sehr merkwürdig. Kurz dachte Ewald darüber nach, die Polizei anzurufen, doch dann schüttelte er den Kopf. Die würden ihn für verrückt erklären, wenn er sie wegen verschobener Stahlmatten und einer kaputten Holzlatte anrief. Bestimmt würden die Bauarbeiter die Grube ohnehin noch einmal überprüfen, bevor sie den Beton einbrachten.
„Komm, Junge. Wir schauen uns im Haus noch einmal um und dann gehen wir wieder ins Bett. Das ist keine Nacht, in der man sich im Freien herumtreiben sollte."
Das Gewitter war wieder stärker geworden und ringsherum zuckten Blitze. Von allen Seiten her schien der Donner jetzt zu grollen. Rasch leinte Ewald den Schäferhund wieder an und ging mit ihm zurück zum Rohbau. Er kontrollierte jeden Raum, fand jedoch keine Hinweise auf einen Diebstahl. Was hätte auch gestohlen werden sollen? Es war ja alles bei ihm eingeschlossen. Ewald zuckte die Schultern und machte sich auf den Weg zurück ins Haus. Er wusste ja nun, wen er anrufen musste, um zu erfahren, was der Sinn des nächtlichen Treibens gewesen war.
Mit einem Blick auf seine Armbanduhr stellte Ewald fest, dass es schon vier Uhr war. Da er ohnehin jeden Tag um sechs aufstand, legte er sich gar nicht mehr ins Bett, sondern nahm eine Wolldecke und machte es sich auf dem Sofa gemütlich.
Ajax blieb im Flur zurück und legte sich wachsam vor die Haustür.
Die Ruhe währte nicht lang. Gerade war Ewald wieder eingeschlafen, da schlug Ajax erneut an. Dieses Mal gebärdete er sich wie wild, sprang an der Tür hoch und kratzte mit den Vorderpfoten daran.
So schnell es seine schmerzenden Knochen zuließen, stand Ewald auf und hastete in den Flur. Er packte Ajax am Halsband, riss die Tür auf und prallte zurück.
Ajax bellte und zerrte am Halsband. Ewald ließ los und der Hund stürzte davon. Mit fassungslosem Blick starrte der Fünfundsiebzigjährige auf das tote Huhn, das an eine Heukordel gebunden vom Vordach herabbaumelte. Fast wie in Trance griff er nach dem Zettel, der an der Henne befestigt worden war.
Nur beiläufig bekam er mit, dass Ajax’ Bellen sich weiter entfernte. Dann jaulte der Hund plötzlich auf.
„Ajax!, brüllte Ewald panisch. Das Jaulen seines geliebten Vierbeiners hatte ihn aus der Erstarrung gerissen. Voller Angst und seine Schmerzen ignorierend stürzte er auf Socken aus dem Haus. „Ajax!
, rief er erneut, während er in Richtung der Nebengebäude des Hofes lief. Die Hofbeleuchtung flackerte auf, als er einen Bewegungsmelder passierte, und da war Ajax. Mit grenzenloser Erleichterung sah Ewald, dass der Hund auf allen vier Beinen stand, noch einmal in Richtung Hofeinfahrt schaute und dann auf sein Herrchen zulief.
Hektisch untersuchte Ewald den Schäferhund auf eventuelle Verletzungen, doch das Einzige, was er fand, war Schlamm in der Größe eines Schuhabdrucks auf Ajax’ Schulter. Vorsichtig betastete er die Stelle, doch der Hund schien keine Schmerzen zu haben. Womöglich hatte er nur vor Schreck aufgejault.
„Was geht hier nur vor?" Ewald schaute den Hund an und wünschte sich nicht zum ersten Mal, Ajax könne reden. Doch der schaute nur treuherzig zurück und würde wohl auch heute Nacht nicht sprechen.
„Na, komm. Wir gehen wieder rein und sehen mal nach, welche Botschaft uns ein totes Huhn überbringt."
Bevor er ins Haus ging, schnitt er das tote Federvieh vom Vordach ab. Es war noch warm und es handelte sich ganz offensichtlich um eines seiner Hühner, denn niemand in der näheren Umgebung züchtete Ostfriesische Möwen. Da das Tier fachgerecht geschlachtet worden war, brachte er es zum kompletten Ausbluten in einen Nebenraum. Später würde er es rupfen und