Wolfsmord. Ostfrieslandkrimi
Von Susanne Ptak
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Schüsse in der Nacht lassen die erhitzte Lage in Ostfriesland vollends eskalieren. Denn nun liegen der Wolfsschützer Heiko Lorenzen und ein Wolf erschossen im Wald. Hat einer der hiesigen Jäger nach einem illegalen Abschuss des geschützten Tieres gleich den ungewollten Zeugen beseitigt? Oder handelt es sich bei dem Mörder um den Unbekannten, der Lorenzen kurz vorher auf einer öffentlichen Veranstaltung attackierte? Hitzig wurde am Abend das Pro und Kontra diskutiert: Während die Weidetierhalter Angst um ihre Schafe haben, gibt es auch leidenschaftliche Unterstützer des wieder nach Deutschland zurückgekehrten Raubtiers. Doch die Kommissare Werner Harms und Steffen Köster von der Kripo Leer nehmen auch das persönliche Umfeld des Opfers ins Visier. Schnell wird der Fall zu einer echten Zerreißprobe, denn obwohl auch ihre engsten Freunde von der Rückkehr der Wölfe betroffen sind, müssen die ostfriesischen Ermittler ihre Emotionen im Griff behalten...
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Wolfsmord. Ostfrieslandkrimi - Susanne Ptak
Kapitel 1
Britta fuhr erschrocken zusammen, als plötzlich die ersten Takte von Primal Fears ›Hear me calling‹ aus ihrem Smartphone dröhnten und damit einen Anruf signalisierten.
»Satan! Britta! Wie wär’s mit Country-Musik oder etwas in der Richtung als Klingelton?«, maulte Steffen morgenmuffelig über seine Kaffeetasse hinweg.
Nico verdrehte die Augen.
Britta ignorierte ihren Mann und die Blicke des Bruders, schaute auf das Display und nahm das Telefon. »Was will denn Silke schon um diese Uhrzeit?« Sie nahm das Gespräch an und sagte: »Moin Silke, ist was passiert?«
Am anderen Ende der Leitung schluchzte Silke Janssen auf.
»Silke! Was ist los?«, rief Britta erschrocken.
»Sie sind tot!«, stieß Silke gequält hervor. »So ein Drecksvieh hat sie gerissen! Zwölf Stück! Kannst du bitte kommen?« Sie brach in hemmungsloses Weinen aus.
»Ich bin in ein paar Minuten bei euch.« Britta sprang vom Stuhl auf.
Steffen, Sarah und Nico schauten sie erschrocken an. »Was ist passiert?«, wollte Steffen wissen.
»Ich habe keine Ahnung. Silke ist völlig aufgelöst und faselte irgendetwas von Drecksvieh und zwölf Toten.«
Auch Sarah war aufgesprungen. »Dann lass uns rüberfahren.«
»Nichts da. Du fährst zur Schule«, bestimmte Steffen. »Ich werde Britta begleiten.«
»Lass mich doch erst mal herausfinden, was überhaupt geschehen ist. Ich gehe nicht davon aus, dass Silke von zwölf toten Menschen sprach. Es dürfte sich wohl eher um Schafe handeln. Also nicht deine Baustelle.«
Nico stand auf. »Du sorgst dafür, dass eure Tochter auch tatsächlich in die Schule geht, und ich begleite meine Schwester. Wir rufen an, sobald wir wissen, was bei Janssens los ist.«
Rasch verließen die Geschwister die Küche und schnappten sich im Flur ihre Jacken. Wenig später rasten sie in Brittas Land Rover zur Schäferei und Schafskäserei der Familie Janssen.
»Was ist denn hier los?« Nun wurde Britta richtig nervös, als sie in den Hof fuhr und mehrere geparkte Fahrzeuge sah, darunter ein Streifenwagen. Sie lenkte den Land Rover Defender direkt vor die Tür des Hofladens und stellte den Motor ab.
»Vielleicht hätten wir Steffen doch mitnehmen sollen?« Auch Nico war beunruhigt.
Britta schüttelte den Kopf, denn sie hatte das Auto des Tierarztes erkannt. »Ich denke, mit den Schafen liege ich richtig. Und ich vermute außerdem, dass Silke mit dem Drecksvieh einen Wolf meinte.« Rasch löste sie den Sicherheitsgurt und stieg aus dem Wagen.
»Wo sind denn alle?«, fragte Nico, als auch er ausgestiegen war.
Britta wies auf die Weidezufahrt, die zwischen Stallgebäude und Wohnhaus lag. »Da hinten. Scheiße! Ein Wolf so nah am Hof?« Sie rannte los.
Silke entdeckte die Freundin, noch bevor Britta die Menschen erreicht hatte, die auf der Weide zusammenstanden. Sie lief ihr entgegen und fiel in Brittas Arme. »Es ist grauenhaft!«, schluchzte sie auf und brach erneut in Tränen aus.
Nico ging weiter zu Enno Janssen, der leichenblass mit zwei uniformierten Polizisten, dem Tierarzt und zwei weiteren Männern zusammenstand. Etwas weiter entfernt hockte eine Frau im Gras über eins der toten Tiere gebeugt und entnahm Proben.
Britta riskierte einen Blick über die Schulter der weinenden Freundin in ihren Armen. Sie sah Andrea, die Pflegetochter und Auszubildende der Janssens, neben einem der überall auf der Weide verteilt liegenden Schafe knien. Die Schultern der jungen Frau zuckten vom heftigen Weinen, während sie nicht aufhörte, das Tier zu streicheln.
Als Silke sich wieder ein wenig beruhigt hatte, löste Britta die Umarmung. »Und ihr seid sicher, dass es ein Wolf war?«
Silke nickte. »Zuerst dachten wir natürlich, es sei ein Hund oder einer von diesen Irren, die Tiere abstechen, gewesen und riefen erst den Tierarzt und dann die Polizei. Die Wolfsrisse waren bisher ja eher in der Auricher Gegend, nicht bei uns. Doch Klaus sagte sofort, es sei ein Wolf gewesen, und rief die Wolfsberaterin und Hinrich, der ja der Jagdpächter ist, dazu. Die Wolfsberaterin geht sogar von zwei Waldratten aus. Sie hat Trittsiegel gefunden, die auf zwei der Viecher hinweisen. Hinrich sagt das auch.« Sie schaute Britta verzweifelt an. »Oh, Britta! Es war so grauenhaft! Ein paar lebten noch! Trotz furchtbarer Verletzungen! Sie müssen unerträgliche Schmerzen erlitten haben! Zum Glück war Tammo schnell hier und hat sie erlöst.« Silke warf einen erschütterten Blick zu Andrea hinüber. »Elfie war auch dabei.«
»Scheiße!«, brach es aus Britta hervor. Natürlich tat der Tod eines jeden der gerissenen Tiere weh, aber Elfie war ein Sonderfall gewesen. Andrea hatte das zu früh geborene, eigentlich nicht lebensfähige Lamm liebevoll aufgepäppelt, sodass es zu einem stattlichen Schaf herangewachsen war. Beide hatten sehr aneinander gehangen.
»Das sind eure Zutreter«, stellte Britta mit einem Blick auf die noch lebenden Schafe fest, die in der hintersten Ecke der Weide dicht zusammengedrängt standen und ängstlich zu den Menschen hinüberschauten. Alle waren junge Schafe, die im nächsten Jahr zum ersten Mal Lämmer bekommen sollten und somit der Stammherde als Mutterschafe ›zutraten‹.
Silke nickte. »Andrea war so stolz, dass Elfie sich inzwischen so gut entwickelt hatte und sie in diesem Jahr hätte gedeckt werden können.« Sie schaute Britta hilflos an. »Was soll nur werden, wenn das jetzt häufiger passiert? Dann können wir einpacken! Hier am Hof können wir den Zaun vielleicht noch erhöhen und verbessern, aber was machen wir mit den Deichflächen? Wie sollen wir die besser einzäunen? Das dürfen wir ja nicht einmal!«
»Lass uns erst einmal Andrea da wegholen und ins Haus bringen. Sie muss nicht unbedingt mit ansehen, wie die toten Tiere von der Weide gebracht werden.«
Silke blieb mit hängenden Schultern stehen, also ging Britta zu der jungen Frau hinüber. Sie legte Andrea die Hände auf die Schultern. »Komm, Süße, lass uns gehen. Elfie ist längst über die Regenbogenbrücke gegangen.«
Andrea ließ sich von der Freundin auf die Füße ziehen. Mit Tränen in den Augen schaute sie Britta an. »Warum lässt man sowas zu? Warum will man Wölfe haben? Hier?«
Britta zuckte hilflos mit den Schultern.
Nun war auch Silke herübergekommen. Sie legte Andrea einen Arm um die Schultern. »Wir gehen ins Haus«, sagte sie, und die beiden gingen in Richtung Hof davon.
Nun erst schaute Britta sich die gerissene Elfie richtig an. Der Anblick war grauenvoll und da kein Kehlbiss ersichtlich war, ging sie davon aus, dass Andreas Liebling zu den Tieren gehörte, die vom Tierarzt hatten erlöst werden müssen. Sie schluckte die aufsteigenden Tränen hinunter und wandte sich rasch den Männern zu. Als sie sah, dass auch die Frau zu der kleinen Gruppe hinüberging, lief sie ebenfalls dorthin.
»Es tut mir so sehr leid, Enno«, bekundete sie Schäfer Janssen ihr Mitgefühl.
Enno schluckte schwer, wollte etwas antworten, beschränkte sich dann aber auf ein Nicken.
Britta begrüßte die Polizisten Klaus Gerdes und Wilko Mennenga, die sie schon seit Jahren kannte, und schüttelte die Hände von Tierarzt Tammo Bensema und Karl-Heinz Gessner, dem der Nachbarhof gehörte und der wie auch Enno Janssen Jäger war.
Auch Jagdpächter Hinrich Fokken reichte Britta die Hand. »Moin Britta. Hab Nico gerade schon gesagt, dass ihr eure Tiere jetzt besser auch nachts im Stall einschließt. Und nicht nur die Schafe, auch die Pferde und Steffens Rinder. Immerhin sind inzwischen schon Pferde und Rinder gerissen worden.«
»Das hatte ich bereits beschlossen, als ich die Weide betrat«, antwortete Britta. Sie wandte sich der Frau zu. »Sie sind Frau Becker, nehme ich an?«
Die etwa Vierzigjährige nickte. »Ulrike Becker, Wolfsberaterin.«
Britta wies auf den Zaun, der die Weide umgab. »Und nun? Ich dachte, der Zaun hier sei schon ziemlich gut. Meiner sieht ähnlich aus. Sind die Viecher gesprungen oder drunter her gekrochen?«
Bevor die Wolfsberaterin antworten konnte, sagte Karl-Heinz Gessner mit grimmiger Miene: »Ist doch völlig egal. Irgendjemand wird kommen und behaupten, dass Enno zu blöd ist, um einen vernünftigen Zaun zu bauen, und damit den Janssens die Schuld für dieses Massaker in die Schuhe schieben.« Er schaute Ulrike Becker an: »Sind Sie fertig? Wir würden gerne die toten Tiere von der Weide schaffen, damit die anderen sich wieder beruhigen können.«
Die Wolfsberaterin nickte und wandte sich dann an Britta: »Vielleicht begleiten Sie mich zum Haus. Dann erzähle ich Ihnen gerne etwas über Schutzmaßnahmen.«
»In Ordnung.« Britta schaute kurz zu Nico hinüber, der inzwischen genauso blass war wie Enno Janssen. »Kommst du mit, Bruderherz?«
Nico schüttelte den Kopf. »Ich bleibe hier und helfe.«
»Ich gehe mit zum Hof und hole den Schlepper«, bot Klaus Gerdes an. Natürlich war es nicht Aufgabe der Polizisten, hierbei zu helfen, doch sowohl Klaus als auch Wilko waren die Söhne von Landwirten und sie würden keinen Bauern in einer solchen Situation im Stich lassen.
So gingen sie zu dritt zum Hof zurück, wo Klaus den beiden Frauen zunickte und sich dann der großen Scheune zuwandte, in der die Janssens ihre landwirtschaftlichen Maschinen und Gerätschaften untergebracht hatten, während Britta und die Wolfsberaterin zum Wohnhaus weiterliefen.
Ein weißer Renault Kangoo fuhr im Schritttempo an der Hofeinfahrt vorbei. Ein Aufkleber zierte die Fahrertür. Britta erkannte einen stilisierten Wolf darauf. Sie machte Ulrike Becker auf den Wagen aufmerksam.
Die Wolfsberaterin zog eine Grimasse. »Macht euch auf Ärger gefasst.«
»Ärger? Können wir darüber reden, bevor wir reingehen? Ich will nicht, dass die Janssens sich noch mehr Sorgen machen müssen.«
Ulrike Beckers Blick folgte dem Wagen, der bald darauf aus dem Sichtfeld verschwand. »Ich frage mich, wie die so schnell von dem Riss erfahren haben«, sagte sie mehr zu sich selbst als zu Britta. Doch bevor diese nachhaken konnte, hatte sie wieder die volle Aufmerksamkeit der Wolfsberaterin. »Das waren Heiko Lorenzen und Sina Festers. Lorenzen setzt sich seit Jahren für den Schutz der Wölfe ein, Sina Festers seit dem letzten Jahr. Und sie nutzen jedes Mittel, um betroffene Tierhalter in ein schlechtes Licht zu rücken. Vermutlich werden sie um die Weide schleichen und den Zaun kontrollieren, sobald die Polizei vom Hof verschwunden ist. Ihr solltet also darauf vorbereitet sein, dass sie in den sozialen Medien über euch herfallen.«
»Na, großartig! Wie bringe ich das Silke bei?« Diesmal war es Britta, die laut gedacht hatte. Sie wandte sich der Haustür zu, als diese aufgerissen wurde und Andrea hinausstürmte.
»Was ist los?«, wollte Britta wissen.
Andrea hob die rechte Hand, in der sie ihr Smartphone hielt. Ihr Gesicht war vom Weinen verschwollen und auf Hals und Wangen hatten sich nun auch noch hektische rote Flecken gebildet. »Ich will alles fotografieren und auf Facebook einstellen. Jeder sollte gewarnt werden und sehen, was passiert, wenn die Wölfe kommen! Alle sollen wissen, dass man auch im idyllischen Ostfriesland nicht mehr vor Raubtieren sicher ist, die irgendwelche Wahnsinnigen unbedingt hier haben wollen!« Ohne eine Reaktion der beiden Frauen abzuwarten, lief sie an ihnen vorbei und in Richtung Weide davon.
Britta schaute Ulrike Becker an, doch die zuckte nur ratlos mit den Schultern und sagte: »Halte ich für keine gute Idee. Diese Diskussion wird ohnehin schon viel zu emotional geführt.«
Britta hatte durchaus Verständnis für Ulrike Becker, die als Wolfberaterin zwischen den Stühlen saß. Doch nach allem, was sie gerade auf der Weide gesehen hatte, konnte sie sich nicht vorstellen, wie man die Diskussion um Wölfe führen sollte, ohne als Betroffener emotional zu reagieren.
So betraten sie das Haus und Britta führte die Wolfsberaterin zur Küche,