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Verborgene Verbrechen: Hunsrück-Krimi-Reihe Band IX
Verborgene Verbrechen: Hunsrück-Krimi-Reihe Band IX
Verborgene Verbrechen: Hunsrück-Krimi-Reihe Band IX
eBook349 Seiten4 Stunden

Verborgene Verbrechen: Hunsrück-Krimi-Reihe Band IX

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Über dieses E-Book

Entsetzen in der kleinen Ortsgemeinde Kirchenroth. Der beliebte Arzt Gerd Christ wird Opfer eines Mordanschlages. Nur einen Tag später wird in seine Praxis eingebrochen. Ein Laptop und einige Patientenkarten werden entwendet.
Hauptkommissar Fuß hat eine vage Vermutung: Die Verbrechen könnten in Zusammenhang mit der geplanten Windkraftanlage stehen, denn Gerd Christ galt als entschiedener Gegner des Standortes "Im Moor".
Nicht nur, dass Fuß bei den Ermittlungen im Dorf nicht so recht weiterkommt, ihn plagen zudem noch ganz andere Sorgen: Seit dem Kirchenrother Feuerwehrfest fehlt von seinem Kollegen Wagner jede Spur.

SpracheDeutsch
HerausgeberPandion Verlag
Erscheinungsdatum18. Sept. 2015
ISBN9783869115139
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    Buchvorschau

    Verborgene Verbrechen - Heinz-Peter Baecker

    2.

    1.

    Der gellende Schrei zerriss die Stille der Nacht. In mehrfachem Echo hallte er durch die dunklen Straßen der kleinen Ortschaft Kirchenroth, deren Straßenlaternen um Mitternacht aus Kostengründen abgeschaltet wurden. Prinz, ein bereits leicht ergrauter Schäferhund, sprang erschrocken auf, stellte die Ohren und antwortete mit heiserem Bellen.

    Jakob Weber, der letzte aktive Landwirt der knapp 800 Jahre alten Hunsrückgemeinde, richtete sich im Bett auf und lauschte. Das Bellen hatte er nicht geträumt, aber was war mit diesem Schrei?

    „Hast du auch einen Schrei gehört?", flüsterte Adele neben ihm verschlafen in ihr Kopfkissen, ohne sich zu ihm umzudrehen.

    Also hatte er nicht geträumt. Vorsichtig stieg Jakob Weber aus dem Bett und suchte im Dunkeln seine Schlappen. Egal ob Schrei oder nicht, er musste Prinz beruhigen, allein schon wegen der Nachbarn. Dabei konnte er gleichzeitig nach dem Rechten schauen.

    Noch reichlich benommen vom ersten Tiefschlaf, tastete er sich zur Tür vor und stieg, ohne das Treppenhauslicht einzuschalten, die Stufen hinab ins Parterre. Ein angenehmer Geruch schlug ihm entgegen und weckte die Erinnerung ans Abendessen: Bratkartoffeln mit viel Speck und Zwiebeln. Eine Spezialität seiner Frau, sein Leibgericht.

    „Papa, was ist?", hörte er eine ängstliche Stimme von oben. Auch Anne, seine 14-jährige Tochter, war wach geworden.

    Jakob Weber schaltete das Licht ein. Die 60-Watt-Birne erhellte das Treppenhaus nur mäßig.

    „Leg dich wieder hin und schlaf weiter!, brummte ihr Vater. „Ich schau schon nach.

    „Ich komme mit!"

    Weber schüttelte den Kopf, obwohl es niemand im schummrigen Licht sehen konnte. Es hatte keinen Zweck, Anne etwas zu verbieten. Das Kind war schon von klein auf von Neugier geplagt. An der Tür zum Hof blieb er stehen und wartete. Hoffentlich hatte sie wenigstens Pantoffeln angezogen.

    Als hätte er gefragt, flüsterte sie: „Ich habe Hausschuhe an!" und klammerte sich dabei an die Schlafanzugjacke ihres Vaters.

    Jakob Weber schob die beiden Riegel beiseite und öffnete vorsichtig die Tür. Ein kühler Nachtwind wehte ihm entgegen. Er warf einen kurzen Blick rückwärts auf seine Tochter.

    „Du solltest dir etwas überziehen!", meinte er besorgt.

    „Du bist ja auch nur im Schlafanzug", kam es etwas trotzig zurück.

    Prinz hatte die beiden sofort entdeckt, kam ihnen mit lautem Gebell entgegen und sprang an seinem Herrchen hoch, als wolle er ihm etwas erzählen. Seine Krallen waren unangenehm durch den dünnen Stoff des Schlafanzuges zu spüren.

    „Lass das und komm!", herrschte Weber seinen Hund an und schob ihn an den Pfoten beiseite. Er eilte über den mit Steinen gepflasterten Hof, vorbei an den Stallungen, auf das große Holztor zu, das nie abgeschlossen wurde. Knarrend ließ sich der rechte Flügel öffnen. Im letzten Moment bekam er Prinz am Halsband zu fassen, bevor dieser ungestüm auf die auf dieser Seite bürgersteiglose Straße rennen konnte.

    „Sitz!", befahl Weber und streckte den Kopf aus dem Tor. Nur der Vollmond am wolkenlosen Himmel erhellte die Straße. Niemand war weit und breit zu sehen. Nur schräg gegenüber im Haus von Doktor Christ, dem jungen Arzt mit der Allgemeinpraxis, stand die Haustür offen und im Flur brannte Licht. Prinz zerrte wie verrückt in diese Richtung. Auch Anne war inzwischen aus dem Tor getreten und schaute sich ängstlich um.

    „Die Haustür beim Doc ist offen", flüsterte sie und verschränkte ihre Arme leicht frierend vor ihrem Oberkörper.

    „Das seh ich. Halt den Prinz fest, ich geh mal rüber."

    Die zierliche Hand löste die große des Vaters am Halsband des Hundes ab. Doch Anne konnte Prinz kaum halten. Er stieg auf die Hinterpfoten und winselte hinter seinem davoneilenden Herrn her.

    Jakob Weber blieb an dem kleinen Vorgartentörchen stehen und blickte in den hell erleuchteten Flur der Arztpraxis. Niemand war zu sehen.

    „Doktor Christ!", rief Jakob Weber leise. Unsicher und fast Hilfe suchend blickte er sich um. Vielleicht war der Arzt zu einem Notfall gerufen worden und hatte in der Eile vergessen die Haustür zu schließen. Nochmals rief er dessen Namen in die Stille hinein. Aber es kam wieder keine Antwort. Weber machte einen Schritt zur Seite und warf einen Blick an dem Ginsterstrauch vorbei zur Garage des Arztes. Das Garagentor stand offen, der Arzt musste also mit seinem Wagen fortgefahren sein. Zögernd drückte Weber die Klinke des kleinen Vorgartentörchens herunter und betrat das Grundstück. Am besten würde er einfach die Haustür schließen. Zwar hatte es seines Wissens in den letzten zehn Jahren in Kirchenroth keinen Einbruch gegeben, aber man konnte ja nie wissen …

    Auf den vier, fünf Metern zur Haustür sah er plötzlich im einfallenden Mondlicht in der Garage etwas glänzen. Er hatte sich getäuscht, der Wagen von Doktor Christ stand noch in der Garage. Unwillkürlich lenkte der Landwirt seine Schritte über den schmalen Plattenweg zur Garage. Dabei sah er irgendetwas in der Einfahrt liegen: eine Decke, einen Mantel oder Ähnliches. Als er näher kam, wurde ihm bei genauerem Hinsehen plötzlich ganz anders. Weber erschrak. Aus einem Mantel ragte eindeutig eine Hand. Hastig eilte er auf die Hand zu und beugte sich über die leblose Gestalt. Dabei entdeckte er eine klaffende Wunde am Kopf, der von einer Blutlache umgeben war. Der Landwirt stieg über den Verletzten und erkannte sofort im Mondlicht das Gesicht des Doktors.

    „Um Gottes willen, Herr Doktor!", stieß Jakob Weber aus und ging rasch in die Hocke. Kein Zweifel, Doktor Christ war schwer verletzt. Gestützt auf das linke Knie, richtete er sich mit leisem Stöhnen wegen seiner Rückenschmerzen wieder auf und drehte sich in Richtung seines Hofes um.

    „Ruf schnell einen Arzt!", schrie er Anne zu.

    „Aber der Doc ist doch …", kam es von drüben.

    „Verdammt, ruf den Notarzt in Emmels!, brüllte Weber und eilte erregt den Plattenweg zur Tür der Arztpraxis zurück. „Frau Christ! Er lauschte in den Hausflur. Nachdem wieder niemand antwortete, betrat er leicht zitternd vor Kälte und Aufregung das Haus. Fast jeder im Dorf kannte sich hier aus, denn Doktor Christ hatte die Praxis in seinem Wohnhaus. Rechts vom Flur lagen das kleine Wartezimmer, eine Toilette und ein Labor, in dem der Arzt und seine Frau bestimmte Untersuchungen selbst durchführten. Die Türen waren mit entsprechenden Piktogrammen versehen. Links befanden sich ein kleiner, offener Empfang und daneben zwei Behandlungsräume. Alle Türen waren geschlossen. Am Ende des Flurs, durch eine Milchglastür getrennt, begann der private Bereich. Sie war einen Spalt geöffnet. Auch dort brannte Licht. Parterre gab es, wie Weber wusste, nur eine Küche mit einer großzügigen Essecke, von der aus man über eine Wendeltreppe in den ersten Stock gehen konnte. Allerdings war Jakob Weber noch nie in der oberen Etage des Hauses gewesen, wohl aber hier unten, wenn er der Familie frische Milch, Eier oder Salat aus seinem kleinen Gemüsegarten vorbeibrachte.

    „Frau Christ!"

    Als Jakob Weber die Milchglastür vorsichtig aufdrückte, fiel sein Blick sofort auf die am Boden liegende Frau. Ein Überfall, schoss es ihm durch den Kopf und er ärgerte sich, dass er sein Jagdgewehr nicht mitgenommen hatte. Er blieb kurze Zeit wie gelähmt stehen. Vielleicht war der Täter noch im Haus. Wenn er nicht nach Drogen in der Praxis gesucht hatte, Wertsachen befanden sich wohl in erster Linie oben in der Wohnung. Jakob Weber bereitete sich mental darauf vor, sich energisch zur Wehr setzen zu müssen, falls der Täter noch im Haus war. Mit geballten Fäusten machte er einen ersten Schritt in die Küche. Im unteren Teil der Wohnung war, abgesehen von der am Boden liegenden Arztfrau, niemand zu sehen. Den Blick ständig auf die Treppe gerichtet, ging er vorsichtig auf die am Boden Liegende zu und beugte sich über sie. Eine Verletzung konnte er auf die Schnelle nicht erkennen. Sie atmete noch, wie er mit einer raschen Handbewegung unter ihre Nase feststellen konnte.

    Im gleichen Moment ging ein leichtes Zucken durch den Körper der Frau und sie öffnete die Augen. Karin Christ blinzelte gegen die helle Deckenbeleuchtung an. Als sie ihren Nachbarn erkannte, versuchte sie etwas zu sagen, aber ihre Stimme versagte.

    Jakob Weber nahm vorsichtig den Kopf der Frau in die Hände und hob ihn etwas an, um festzustellen, ob auch sie eine Kopfverletzung hatte. „Ist noch jemand im Haus?, fragte er leise und deutete mit den Augen nach oben. Doch Karin Christ schien ihn nicht zu verstehen. „Ein Überfall?, wollte er wissen. Dabei legte er den Kopf der Frau wieder vorsichtig auf den Boden.

    Sie schüttelte energisch den Kopf. Dabei schien sie sich wieder bewusst zu werden, was geschehen war. Mit weit aufgerissenen Augen stammelte sie: „Gerd … Gerd!"

    Jakob Weber nickte. „Ich weiß. Anne ruft bereits den Notarzt."

    „Was ist denn los?"

    Erschrocken drehte sich Weber um. Seine Frau stand im Morgenmantel in der offenen Milchglastür und blickte ihn mit zerzausten Haaren an. „Ist ihr schlecht?"

    „Draußen … Gerd!", stieß Karin Christ hervor und versuchte sich aufzurichten.

    „Wo ist Ihr Mann?", fragte Adele Weber.

    Doch Jakob Weber machte ihr rasch ein Zeichen den Mund zu halten. „Hat Anne den Notarzt angerufen? Im gleichen Moment entdeckte er seine Tochter, die hinter seiner Frau im Türrahmen auftauchte. „Geh noch mal rüber … oder besser, geh hier an den Empfang und ruf auch die Polizei, schnell!

    „Die Polizei?, entfuhr es Adele. „Wieso …?

    „Ruf an!, brüllte Jakob Weber aufgebracht. „Draußen vor der Garage liegt Doktor Christ, schwer verletzt. Ich weiß auch nicht, was passiert ist. Aber beeil dich! Und bind den Hund im Hof an.

    Adele Weber schob ihre Tochter, die wie angewurzelt in der Tür stand, beiseite und eilte zum Empfang vor. Sie hatte schon einige Male von hier aus telefoniert, wenn es einmal längere Wartezeiten in der Praxis gab und wusste deshalb, dass sie eine Null vorweg wählen musste, um ein Amt zu bekommen. Dann wählte sie 110.

    Etwa zehn Minuten später wurde Gerd Christ nach einer Erstversorgung auf einer Trage in den Rettungswagen geschoben, der kurz nach dem Notarzt eingetroffen war. Inzwischen hatten sich auch einige Nachbarn vor dem Haus eingefunden, die vom Martinshorn geweckt und vom Blaulicht angelockt worden waren.

    Auch Ludwig Liesenthal, der Bürgermeister hatte über den Schlafanzug einen Mantel angezogen, war herbeigeeilt und versuchte die Neugierigen vom Tatort fernzuhalten, bis der erste Streifenwagen der Polizeiinspektion Simmern eintraf. Einer der beiden Beamten begann sofort ein Absperrband zu ziehen, während sein Kollege den KDD in Koblenz und weitere Verstärkung bei seiner Dienststelle anforderte.

    Der Rettungswagen verließ Kirchenroth nur mit Blaulicht. Erst außerhalb der Ortschaft schaltete er das Martinshorn dazu und jagte in Richtung Hunsrückhöhenstraße.

    Karin Christ hatte, nachdem sie sich einigermaßen beruhigt hatte, Jakob und Adele Weber gegenüber erklärt, dass sie überstürzt ins Haus gerannt war, als sie ihren Mann blutüberströmt vor der Garage gefunden hatte. Wieso sie in der Küche lag und was sie dort wollte, konnte sie sich selbst nicht erklären. Einen Täter oder eine Täterin hatte sie nicht gesehen.

    Zusammen mit Adele Weber saß Karin Christ in der Essecke der Küche, den Oberkörper auf den Tisch gestützt, als der Notarzt nach ihr suchte. Ihr Gesicht war blass, ihre Augen waren rot umrandet und sie zitterte am ganzen Körper. Der Notarzt half ihr, sich auf die Sitzbank zu legen. Mit einer kleinen Taschenlampe leuchtete er in ihre Pupillen und legte ein Blutdruckmessgerät an. Dabei sprach er unentwegt beruhigend auf die unter starkem Schock Stehende ein.

    „Am liebsten würde ich auch Sie in ein Krankenhaus bringen lassen, meinte er, als das Messgerät zu piepsen aufhörte, und hob seinen mitgebrachten Arztkoffer vom Boden auf den Küchentisch. „Oder haben Sie jemanden, der heute Nacht bei Ihnen bleiben kann?

    Er schnippte den oberen Teil einer kleinen Ampulle ab und zog ein Sedativum auf.

    „Ich kann gern hier bleiben, meldete sich Adele Weber zu Wort, die hinter dem Arzt stand. „Ich bin die Nachbarin, mein Mann hat den Doktor gefunden.

    Bevor der Notarzt die Spritze setzte, warf er einen flüchtigen Blick rückwärts und nickte kurz. „Gut, aber wenn sich der Zustand der Patientin verschlechtert, muss sie sofort in ein Krankenhaus."

    Offenbar hatte Karin Christ nur die letzten Worte des Arztes mitbekommen, denn ein leises „Bitte nicht … muss hier bleiben" kam gequält über ihre Lippen, bevor sie wieder die Augen schloss.

    „Adele, kommst du mal?", hörte Frau Weber ihren Mann rufen.

    Sie ging in den Flur und entdeckte im Hauseingang Jakob Weber im Gespräch mit einem großen, bärtigen Mann, der mit einem graugrünen Parka bekleidet war.

    „Das ist Hauptkommissar Fuß von der Kriminalpolizei in Koblenz", stellte ihr Mann seinen Gesprächspartner vor. Der drehte sich zu Adele Weber hin, lächelte sie freundlich an und streckte ihr seine Hand entgegen.

    „Sie waren also nach ihrem Mann die zweite Person am Tatort?", begrüßte er sie.

    Adele Weber nickte. Trotz Morgenmantel fröstelte ihr leicht, was wohl weniger von der kühlen Nachtluft als von der Müdigkeit und der Aufregung herrührte.

    „Haben Sie etwas gehört oder gesehen, jemanden, der weglief oder ein Auto, das fortfuhr?"

    Frau Weber schüttelte sofort den Kopf. „Nein, nichts, gar nichts. Ich habe nicht einmal gewusst, was eigentlich passiert war, als ich hier in das Haus kam. Dass Doktor Christ draußen lag, hat mir mein Mann erst erzählt, nachdem wir Frau Christ vom Boden aufgehoben und auf einen Stuhl gesetzt hatten."

    „Dann bin ich wieder raus zur Garage, setzte Jakob Weber die Erzählung fort. „Natürlich habe ich mich dabei etwas umgeschaut, … aber nichts.

    Hauptkommissar Fuß knetete sich den Schlaf aus dem Gesicht und hielt Ausschau nach seinem jüngeren Kollegen Wagner, der bereits damit begonnen hatte, die Polizisten aus Simmern zu befragen, was sie beim Eintreffen wahrgenommen hatten.

    Fuß deutete in die Runde. „Welcher der hier Anwesenden war denn als Nächster hier am Haus?"

    Jakob Weber drehte sich um und ließ seine Blicke über die Umherstehenden schweifen. „Schwer zu sagen, meinte er nachdenklich. „Ich habe nicht so darauf geachtet. Ich habe mich um den Doktor gekümmert … Richtig, dann stand plötzlich der Karl neben mir.

    „Karl?"

    „Karl Mallmann. Der wohnt dort drüben." Er deutete auf ein kleines Fachwerkhaus auf der anderen Straßenseite.

    „Wo finde ich diesen Mann?", wollte der Hauptkommissar wissen.

    Erneut suchten die Augen von Jakob Weber die Reihen der Umherstehenden ab. Dann zuckte er mit den Schultern. „Ich sehe ihn im Moment nicht. Vielleicht ist er schon nach Hause gegangen."

    Fuß bedankte sich mit einem kurzen Kopfnicken. „Sie sind sicherlich noch etwas länger hier. Sie sollten sich aber einen Mantel anziehen, sonst liegen Sie morgen auf der Nase", meinte er und ging zu seinem Kollegen.

    Kriminalhauptmeister Walter Wagner notierte sich gerade die Adresse einer Frau. Die hatte ihm erzählt, sie habe vor etwa einer dreiviertel Stunde, als sie mit ihrem Hund Gassi ging, einen Mann gesehen, der sehr schnell die Hauptstraße heruntergekommen sei. Das sei kurz nach dem Ausschalten der Straßenbeleuchtung gewesen. Deshalb habe sie ihn auch nicht erkannt und könne auch keine genauere Beschreibung geben.

    „Ist die Spusi informiert?", erkundigte sich Fuß leise.

    „Die Kollegen sagen Ja", antwortete Wagner.

    Fuß richtete sich zu voller Größe auf, hob seine langen Arme in die Luft und klatschte mehrmals laut in die Hände. „Hören Sie bitte alle einmal her!, rief er in die Runde der Neugierigen. „Bitte gehen Sie nach Hause, sofern Sie nur aus Neugierde hier sind und keine Angaben machen können. Halten Sie sich bitte vor allem von dem Grundstück fern und behindern Sie nicht unsere Arbeit. Es gibt nichts zu sehen.

    Hier und da war ein leises Murren zu hören, einige Wenige protestierten auch etwas lauter oder lachten.

    „Was ist mit Doktor Christ?", kam eine Männerstimme aus der Menge.

    „Dazu kann ich Ihnen nichts sagen. Er ist auf dem Weg ins Krankenhaus", antwortete Fuß und versuchte seinem Aufruf, den Schauplatz zu verlassen, mit heftigen Armbewegungen Nachdruck zu verleihen.

    Tatsächlich reduzierte sich die Anzahl der Umherstehenden innerhalb weniger Minuten erheblich. Zurück blieb ein halbes Dutzend, darunter Ludwig Liesenthal. Der jung gebliebene ehemalige Fuhrunternehmer, bereits seit vielen Jahren Bürgermeister der Gemeinde, steuerte auf Fuß zu und stellte sich ihm vor.

    „Das ist ja entsetzlich, wie man den armen Doktor zugerichtet hat. Gestern Abend war er noch bei mir und hat mir eine Spritze gegeben. Das Loch im Kopf sah nicht gut aus."

    „Weshalb?"

    Liesenthal schaute den Hauptkommissar verwirrt an. „Wie meinen Sie das?"

    „Weshalb hat er Ihnen eine Spritze gegeben?"

    Das Gesicht des Bürgermeisters klärte sich wieder zu einem Lächeln auf. „Ach so, … wegen der Bandscheibe. Bleibt natürlich nicht aus, wenn man ein Leben lang schwer schleppen musste."

    Nun schaute Fuß sein Gegenüber verwirrt an.

    „Entschuldigung, … ich bin früher Fuhrunternehmer gewesen. Fast vierzig Jahre lang. Da schleppt man schon so einiges, wenn man selbst anpacken muss. Und ich musste früher …!"

    Am Ende der Straße tauchten Scheinwerfer auf. An dem aufgesetzten aber ausgeschalteten Blaulicht des Zivilfahrzeugs erkannte Fuß, dass es sich um die Kollegen der Spurensicherung handeln musste. Fuß packte den Bürgermeister am Arm und schob ihn etwas beiseite, um dem Wagen freie Zufahrt zum Grundstück des Arztes zu ermöglichen.

    „Ich werde wohl morgen nochmals auf Sie zukommen", verabschiedete sich Fuß von seinem Gesprächspartner und ging auf den grauen Ford zu, aus dem drei Männer stiegen. Fuß erkannte trotz der Dunkelheit sofort seinen alten Freund und Kollegen Hauptkommissar Wilfried Schäfer, mit dem er schon häufig erfolgreich zusammengearbeitet hatte.

    Der gegenüber Fuß klein und drahtig wirkende Mann kam ihm auch gleich freudestrahlend entgegen.

    „Gratuliere!", begrüßte er Fuß und hielt ihm die Hand entgegen.

    „Wozu?"

    „Zur Beförderung!"

    Fuß hob demonstrativ beide Arme in die Luft, um keine Hand geben zu müssen. „Guten Abend darfst du mir sagen, aber lass den Scheiß mit der Beförderung. Du weißt, wie ich darüber denke. Ich bin extra mit meiner Frau und ein paar Freunden nach Griechenland geflogen, um dem ganzen Trara zu entgehen. Die Urkunde habe ich mir bis heute auch nicht abgeholt. Von mir aus können sie die im Präsidium aufs Klo hängen. Oder meinst du, ich mache nach all den Jahren noch diese Spielchen mit?"

    Schäfer ließ seine Hand wieder sinken und schwieg. Er kannte Fuß schon lange und wusste, wie sein Kollege über interne Dinge im Polizeiapparat dachte.

    „Ich geb auch keinen aus, setzte Fuß seine Tirade fort. „Wenn du mal wieder bei mir vorbeikommst, trinken wir einen schönen Schoppen miteinander, aber nicht auf so was.

    Es entstand eine merkwürdige Pause. Schließlich zuckte Schäfer mit den Schultern und blickte sich um. „Worum gehts?"

    Am Himmel konnte man schon ein leichtes Rotgrau im Osten entdecken, als endlich wieder Ruhe in Kirchenroth eingekehrt war. Nur der graue Ford-Kombi mit dem aufgesetzten Blaulicht stand noch am Straßenrand vor dem Haus von Doktor Christ. Im Vorgarten und vor der Garage hatten Schäfer und seine Kollegen direkt nach ihrem Eintreffen zwei große Scheinwerfer aufgebaut, die von einer Batterie gespeist wurden. Aber gegen fünf Uhr früh hatte man sie wieder abgeschaltet, nachdem man glaubte, im Außenbereich die Sicherung von Spuren abschließen zu können. Etliche Dinge hatten sie eingetütet, doch sicherlich waren viele Objekte nur von den Neugierigen auf dem Grundstück zurückgelassen worden. Das Gleiche galt für Fingerabdrücke und Fußspuren. Zu viele Menschen hatten nach dem Auffinden von Doktor Christ unbedacht das Grundstück betreten. Lediglich in der Garage selbst hofften Schäfer und seine Kollegen eventuell etwas Brauchbares zu finden, wenn dieser Bereich für den Überfall überhaupt eine Rolle spielte. Deshalb hatte man auch das Garagentor geschlossen, um dort ungestört arbeiten zu können.

    Nachdem der Notarzt gefahren war, hatten Jakob und Adele Weber die Arztfrau in den oberen Bereich der Wohnung und in ihr Bett gebracht. Jakob war mit Anne nach Hause gegangen, während Adele sich im Morgenmantel neben Karin Christ in das Doppelbett gelegt hatte und auf den regelmäßigen Atem ihrer Nachbarin achtete. Doch mit der Zeit überfiel auch sie die Müdigkeit und sie schlief ein.

    Adele Weber hatte ihren Mann gebeten, sie wecken zu kommen, sobald er aufgestanden war. Für Anne, die meist von selbst oder dem Bellen von Prinz wach wurde, musste ein Frühstück und Schulbrot gemacht werden. Dinge, die normalerweise Adele zubereitete. Auch Jakob brauchte keinen Wecker. Als Landwirt war er es gewohnt, früh aufzustehen, obwohl es ihm an diesem Morgen recht schwer fiel. Es fehlte halt mehr als die Hälfte der üblichen Nachtruhe.

    Nachdem er die einzige Kuh gemolken und die Hühner versorgt hatte, weckte er Anne und schmierte ihr in der Wohnküche einige Brote. Eigentlich war er der Meinung, dass dies eine Vierzehnjährige selbst tun könne, aber Adele ließ es sich nicht nehmen, „der Kleinen", wie sie immer noch sagte, wie früher die Brote zu schmieren.

    „Ist der Doc schwer verletzt?", war Annes erste Frage, als sie noch reichlich verschlafen die Wohnküche betrat.

    „Weiß nicht", brummte ihr Vater wortkarg. Vielleicht wollte er auch nicht über etwas reden, was ihn selbst sehr beschäftigte und belastete. Ein Überfall in Kirchenroth und dann noch in seiner unmittelbaren Nachbarschaft …

    Jakob Weber blickte auf die Uhr. „Komm, du musst dich beeilen, sonst verpasst du noch den Bus."

    Anne stopfte sich das bereits in einer Frischhaltefolie eingewickelte Schulbrot in den kleinen Rucksack, der ihr als Schultasche diente, und schnappte sich das andere Brot.

    „Danke, Paps", sagte sie, drückte ihm einen flüchtigen Kuss auf die Wange und biss herzhaft in die Scheibe Brot. Mit einem lauten Knall schloss sich hinter ihr die Küchentür und auch die Haustür fiel mit einem kräftigen Schlag ins Schloss.

    Reichlich übernächtigt betrat Fuß sein Büro. Zu seinem Erstaunen saß Wagner bereits an seinem Schreibtisch.

    „Hast du hier übernachtet?, lachte Fuß. Als er Wagners Gesicht sah, wusste er, wie recht er hatte. „Warum?, wollte Fuß wissen.

    „Du wirst es nicht glauben, aber ein etwas längerer Büroschlaf ist manchmal besser als ein zu kurzer Schlaf im eigenen Bett."

    Jetzt war es an Wagner zu lachen, als er Fuß’ erstauntes Gesicht sah. „Nee, ich hab mich unten in eine freie Gewahrsamszelle gelegt. Mir war wirklich die Hin- und Herfahrerei zu viel. Wetten, dass ich mindestens anderthalb Stunden mehr geschlafen habe als du?"

    Wie in der Nacht begann Fuß sein übermüdetes Gesicht zu kneten und herzhaft zu gähnen. „Da magst du durchaus recht haben. Ich war nur knapp zwei Stunden im Bett. Aber mir langt das."

    „Fit ist aber was anderes", meinte Wagner und schob ihm einen Zettel und ein Fax zu. Beides hatte er auf seinem Schreibtisch vorgefunden.

    Fuß las zuerst den Zettel und schloss kopfschüttelnd die Augen. „Scheiße! Weiß seine Frau das schon?"

    „Ich gehe davon aus, dass das Krankenhaus sie angerufen hat. Er muss entweder kurz nach seiner Einlieferung oder sogar schon im Rettungswagen verstorben sein."

    „Dann werden wir wohl eine Obduktion beantragen müssen." Fuß ließ sich in seinen Bürosessel fallen und bearbeitete weiter sein Gesicht, während er das Fax überflog, das von der Simmerner Polizeiinspektion gekommen war und die Adressen von Leuten aus Kirchenroth enthielt, die etwas gehört oder gesehen haben wollten.

    „Wir werden wohl heute wieder nach Kirchenroth fahren müssen oder?", erkundigte sich Wagner.

    Fuß rekelte sich in seinem Sessel und starrte dabei an die Decke. „Erst werden wir einmal Schäfer anrufen und fragen, ob sie etwas gefunden haben. Eigentlich wissen wir bisher gar nicht, was überhaupt geschehen ist."

    „Schäfer wird aber wohl kaum vor Mittag im Dienst sein", vermutete Wagner und griff zum Telefonhörer.

    „Da kennst du Schäfer schlecht. Bevor der nichts Brauchbares gefunden hat, schmeißt der sich in den Wagen und übernachtet am Tatort."

    Fuß kramte sein Handy aus der Jackentasche und wählte aus dem Speicher eine Telefonnummer. „Mal sehen, wer von uns Schäfer ans Ohr kriegt."

    Gespannt schauten sich die beiden Kripobeamten an. Plötzlich riss Fuß die Hand hoch, den Daumen nach oben gestreckt. „Hallo, mein Freund, ich habe soeben eine Wette gewonnen …"

    Eine knappe Stunde später trafen Fuß und Wagner wieder in Kirchenroth ein. Fuß hatte einen Dienstwagen genommen, Wagner sein Privatfahrzeug, in der Hoffnung, rechtzeitig Feierabend machen und zu seiner Freundin Jana nach Mainz fahren zu können.

    Schäfer schien im Gegensatz zu den beiden Ankömmlingen frisch und ausgeschlafen.

    „Beneidenswert, kommentierte Fuß das Aussehen seines Kollegen. „Wie machst du das?

    „Alles nur eine Frage der inneren Einstellung, grinste ihn Schäfer an. „Ich habe übrigens einige interessante Dinge für euch. Er machte beiden ein Zeichen, ihm zu folgen.

    „Also, die Garage ist über das Übliche hinaus absolut sauber. Das Gleiche gilt für den Wagen. Das heißt, der oder die Täter haben nicht in der Garage auf den Doktor gewartet. Aber, ich habe gleich heute Morgen seine Frau gebeten, sich einmal nach Veränderungen umzuschauen. An der Wand fehlt nach ihrer Aussage ein Spaten. Aber weder im Auto noch sonst wo ist er zu finden gewesen. Frage: Wer hat ihn genommen und wo ist er jetzt? Frau Christ schwört, dass er gestern oder vorgestern noch dort gehangen hat."

    „Weiß die Frau schon …", begann Fuß leise.

    „Ja! Die Kollegen waren schon in aller Frühe hier. Es hat auch

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