Die Not eines kleinen Jungen: Der Arzt vom Tegernsee 65 – Arztroman
Von Laura Martens
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Über dieses E-Book
Seine Praxis befindet sich in Deutschlands beliebtestem Reiseland, in Bayern, wo die Herzen der Menschen für die Heimat schlagen.
Der ideale Schauplatz für eine besondere, heimatliches Lokalkolorit vermittelnde Arztromanserie, die ebenso plastisch wie einfühlsam von der beliebten Schriftstellerin Laura Martens erzählt wird.
Dr. Eric Baumann hatte es sich in seinem Lehnsessel bequem gemacht und las einen Kriminalroman. Seitlich von ihm auf dem Tisch stand eine fast leere Teetasse. Langsam spürte er, wie er sich zu entspannen begann. Ein harter Arbeitstag lag hinter ihm. Nach der Nachmittagssprechstunde hatte der Arzt noch mehrere Krankenbesuche machen müssen. Unter anderem war er bei Agnes Strecker gewesen, die einen heftigen Angina pectoris-Anfall gehabt hatte. Die alte Frau hatte sich wie gewöhnlich hartnäckig geweigert, ins Krankenhaus zu gehen. »Im Krankenhaus wird man auch nicht mehr viel für mich tun können, Dr. Baumann«, hatte sie zu ihm gesagt. »Die Zeit, die mir noch bleibt, möchte ich hier auf dem Hof verbringen. Mein Sohn und meine Schwiegertochter kümmern sich wirklich liebevoll um mich. Es gibt nichts, worüber ich klagen könnte.« Eric mochte Agnes Strecker. Sie gehörte zu seinen liebsten Patientinnen. Es freute ihn für sie, daß ihr Sohn Wolfgang nun endlich doch noch geheiratet hatte. Sie hoffte inbrünstig, noch die Geburt eines Enkelchens zu erleben. Franzl, der neben Erics Sessel lag, hob den Kopf. Als er bemerkte, daß sein Herrchen keinen Blick für ihn hatte, seufzte er laut auf.
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Die Not eines kleinen Jungen - Laura Martens
Der Arzt vom Tegernsee
– 65 –
Die Not eines kleinen Jungen
Laura Martens
Dr. Eric Baumann hatte es sich in seinem Lehnsessel bequem gemacht und las einen Kriminalroman. Seitlich von ihm auf dem Tisch stand eine fast leere Teetasse. Langsam spürte er, wie er sich zu entspannen begann. Ein harter Arbeitstag lag hinter ihm. Nach der Nachmittagssprechstunde hatte der Arzt noch mehrere Krankenbesuche machen müssen. Unter anderem war er bei Agnes Strecker gewesen, die einen heftigen Angina pectoris-Anfall gehabt hatte. Die alte Frau hatte sich wie gewöhnlich hartnäckig geweigert, ins Krankenhaus zu gehen.
»Im Krankenhaus wird man auch nicht mehr viel für mich tun können, Dr. Baumann«, hatte sie zu ihm gesagt. »Die Zeit, die mir noch bleibt, möchte ich hier auf dem Hof verbringen. Mein Sohn und meine Schwiegertochter kümmern sich wirklich liebevoll um mich. Es gibt nichts, worüber ich klagen könnte.«
Eric mochte Agnes Strecker. Sie gehörte zu seinen liebsten Patientinnen. Es freute ihn für sie, daß ihr Sohn Wolfgang nun endlich doch noch geheiratet hatte. Sie hoffte inbrünstig, noch die Geburt eines Enkelchens zu erleben.
Franzl, der neben Erics Sessel lag, hob den Kopf. Als er bemerkte, daß sein Herrchen keinen Blick für ihn hatte, seufzte er laut auf. Es klang so herzerweichend, daß es Eric kalt über den Rücken rann.
Der Arzt ließ einen Arm über die Sessellehne baumeln und streichelte den Hund. »Wir sind erst vor einer halben Stunde draußen gewesen, du Gauner«, erinnerte er ihn. »Also laß dieses Theater.«
Franzl ergab sich in sein Schicksal und vergrub den Kopf zwischen den Pfoten. Als sie nach dem Abendessen spazierengegangen waren, hatte er die Spur einer jungen Hündin aufgenommen. Zu gern hätte er sie jetzt weiterverfolgt. Schade, daß sein Herrchen dafür kein Verständnis aufbrachte.
Katharina Wittenberg kam mit einem Glasteller ins Wohnzimmer. Franzl sprang auf und rannte ihr entgegen. Schnüffelnd streckte er die Schnauze in die Luft. »Die Kekse sind für Eric«, sagte sie lachend und stellte den Teller neben den Teebecher auf den Tisch. »Eine kleine Kostprobe.«
»Danke, Katharina«, erwiderte Eric. »Die Kekse duften mehr als verführerisch.« Er griff nach einem und warf ihn Franzl zu. Der Hund fing ihn geschickt mit der Schnauze auf.
»Möchtest du noch ein wenig Tee?«
»Gern.« Eric nickte. »Davon abgesehen wird es Zeit, daß du auch Feierabend machst. Du hättest heute abend nicht noch backen müssen.«
»Ich wollte das neue Rezept ausprobieren, das mir die alte Frau Walkhofer gegeben hat«, antwortete seine Haushälterin. »Wenn…« Sie wurde vom Klingeln des Telefons unterbrochen.
»Es kann der Beste nicht in Frieden leben…« Eric schlug den Kriminalroman zu und ging in das danebenliegende Arbeitszimmer, um dort den Telefonhörer abzuheben. »Baumann«, meldete er sich.
»Tut mir leid, daß ich Sie so spät noch stören muß, Herr Doktor«, sagte Alois Sacher, nachdem er seinen Namen genannt hatte. »Meine Frau hat einen schweren Asthmaanfall. Sie bekommt kaum Luft.«
»Ich bin in wenigen Minuten bei Ihnen, Herr Sacher«, versprach der Arzt. Er hielt sich nicht damit auf, dem Bauern Verhaltensmaßregeln zu geben, weil er wußte, daß Alois Sacher automatisch das Richtige tun würde. Seine Frau litt seit vielen Jahren an Asthma, und er hatte gelernt, damit umzugehen.
Katharina Wittenberg gefiel es ganz und gar nicht, daß Eric noch fort mußte. Er war den ganzen Tag über kaum zur Ruhe gekommen. Auch wenn er es abstritt,
sie wußte, daß er sich in letzter Zeit oft nicht wohl fühlte. »Ich werde frischen Tee aufbrühen«, sagte sie, »damit du etwas Warmes zu trinken hast, wenn du nach Hause kommst. Für den Mai ist es abends bemerkenswert kühl.«
»Lieb von dir, Katharina.« Eric eilte in seine Praxis hinüber, um seine Tasche zu holen.
Franzl stand schwanzwedelnd vor der Wohnungstür, als sein Herrchen mit der Tasche kam. Enttäuscht mußte er feststellen, daß nicht einmal diese freundliche Geste Eric bewegen konnte, ihn mitzunehmen.
»Katharina wird mit dir noch einen Spaziergang machen«, versprach der Arzt und verließ das Haus. Mit einem tiefen Seufzer ließ sich Franzl auf sein dickes Hinterteil fallen.
Der Sacherhof lag zwischen Tegernsee und Gmund am Abhang eines Hügels. Nahe dem alten, vor einigen Jahren renovierten Bauernhaus standen vier im bayerischen Stil errichtete Bungalows. In ihnen wohnten fast das ganze Jahr über Feriengäste. Während sich Alois Sacher mit seinen Leuten um Viehzucht und Landwirtschaft kümmerte, gehörten die Feriengäste zur Domäne seiner Frau.
Der Hofhund der Sachers rannte Eric kläffend entgegen, als dieser vor der Eingangstür des Bauernhauses parkte und ausstieg. »Ich bin es nur«, sagte der Arzt, »also laß es gut sein.«
Die Haustür öffnete sich. »Ruhig, Ferdl!« befahl Alois Sacher. »Guten Abend, Herr Doktor. Gut, daß Sie schon da sind. Meiner Frau geht es noch nicht besser.«
»Ich bin so schnell gekommen, wie ich konnte.« Dr. Baumann drückte kurz die Hand des Bauern. »Ist Ihre Frau im Schlafzimmer?«
Alois Sacher nickte. Er wies zur Treppe. »Sie kennen ja den Weg. Leider habe ich Sie schon oft genug rufen müssen. Daß diese Anfälle auch immer nachts oder am späten Abend kommen müssen.« Er folgte Eric die Treppe hinauf.
Das Schlafzimmer lag im ersten Stock. Seine Tür stand offen. Dr. Baumann sah, daß die jüngste Tochter der Sachers, die fünfjährige Veronika, ängstlich aus ihrem Zimmer schaute. Die vierzehnjährige Eva und der elfjährige Wolfgang saßen auf dem Bett ihrer Mutter, deren geräuschvoller, pfeifender Atem den Raum erfüllte.
»Guten Abend, Dr. Baumann«, sagte Eva. Sie stand auf und zog auch ihren Bruder hoch. Dem Arzt fiel auf, wie verstört Wolfgang wirkte.
»Geht auf euer Zimmer«, forderte Alois Sacher die Kinder auf. Er tätschelte liebevoll Evas Wange. Seinen Sohn beachtete er nicht weiter.
Der Arzt erkannte auf den ersten Blick, wie schlecht es Heidelinde Sacher ging. Ihr sonst so rosiges Gesicht wirkte bläulich-grau und war vor Angst und Atemnot verzerrt. Auf ihrer Stirn stand Schweiß. »Ich ersticke«, brachte sie zwischen zwei keuchenden Atemzügen hervor.
»Nein, das werden Sie nicht, Frau Sacher«, erwiderte Eric ruhig und bat den Bauern, die Tür zu schließen. »Ihnen wird es gleich bessergehen.« Er legte ihr die Manschette des Blutdruckmeßgeräts um den Arm. Der Blutdruck der Kranken war beängstigend hoch. Sorgfältig horchte er sie ab.
Alois Sacher ließ ihn nicht einen Moment aus den Augen. Er liebte seine Frau, und diese starken Asthmaanfälle, unter denen sie alle paar Wochen litt, machten ihm angst.
Dr. Baumann sprach beruhigend auf die Kranke ein, während er ihr eine Injektion gab. Auf ihrem Bett sitzend, wartete er die Wirkung ab. »Na, also«, meinte er, als Heidelindes Keuchen verstummte und ihr Gesicht seine normale Farbe annahm.
»Danke, Dr. Baumann«, flüsterte sie und wischte sich mit einem Tuch den Schweiß von der Stirn. »Auch wenn ich weiß, daß mir geholfen wird, jedesmal ist es, als hätte mein letztes Stündlein geschlagen.« Sie holte tief Luft. »Jetzt geht es mir wirklich schon entschieden besser.«
»Das freut mich, Frau Sacher.« Eric maß erneut den Blutdruck der Kranken. Er hatte sich normalisiert. »Versuchen Sie zu schlafen. Ihr Körper braucht Ruhe, um sich von dieser Anstrengung