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Das Vermächtnis des Barons
Das Vermächtnis des Barons
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eBook368 Seiten5 Stunden

Das Vermächtnis des Barons

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Über dieses E-Book

Der wohlhabende Baron von Kranach-Walde wird ermordet. Kurz davor hat er Nora, ein Callgirl, zu seiner Haupterbin bestimmt, während seine Kinder praktisch leer ausgehen. Das Testament ist aber nicht auffindbar. Nora engagiert Tanner, einen pensionierten Polizeimajor, es zu finden und für ihre Sicherheit zu sorgen. Auf der Jagd nach dem Erbe entbrennt ein blutiger Reigen in dem die Unterscheidung zwischen Tätern und Opfern immer unklarer wird.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum19. März 2020
ISBN9783750228061
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    Buchvorschau

    Das Vermächtnis des Barons - Eugen Adelsmayr

    Der alte Baron wehrte sich nicht mehr.

    Trotzdem hielt Erik das rote Seidenkissen noch eine Weile fest auf sein Gesicht gedrückt, bevor er zögernd lockerließ.

    „Du kannst jetzt kommen Nora, es ist vorbei, " sagte er in Richtung Badezimmer, stand langsam auf und setzte sich an ihr Schminktischchen neben dem Bett. Er steckte sich eine Zigarette an.

    „Du kannst herauskommen!", wiederholte er etwas lauter als zuvor. Die Badezimmertür blieb zu, nichts rührte sich. Die Zigarette tat ihm gut, er entspannte sich und betrachtete den alten Mann, der da am Rücken ausgestreckt, leblos vor ihm auf dem Bett lag. Ein gebrechlicher Körper, das makellos weiße Hemd bis oben zugeknöpft, die Hosenträger im Todeskampf von den schmalen Schultern gerutscht. Erik nahm einen tiefen Zug, blies den Rauch schnaubend aus, stand auf und deckte die Leiche bis über den Kopf mit der Bettdecke zu. Nora stand schon hinter ihm, er hatte sie gar nicht kommen gehört.

    „Ist er tot?"

    „Mausetot!"

    „Bist du dir auch wirklich ganz sicher Erik?"

    „Nora, bitte! Spiele jetzt nicht verrückt! Komm, hilf mir ihn auszuziehen. Komm schon! Ich mache mich dann aus dem Staub.

    Nora nickte. Sie fröstelte. Sie hätte sich jetzt gerne eine warme Jacke angezogen, aber Erik meinte, dass ihre Geschichte glaubwürdiger klang, wenn das Rettungsteam sie so wie jetzt halbnackt, nur in ihrem Negligé, sah. Nachdem sie den alten Mann entkleidet hatten ging Erik ins Bad, schrubbte seine Hände lange mit Seife und Bürste ab und wusch sich mit kaltem Wasser das Gesicht. Dann beeilte er sich wegzukommen. Nora sah ihm vom Fenster aus nach, bis er, ohne noch einmal zu ihr hochzusehen, im Park gegenüber verschwunden war. Ein paar Minuten warten noch, dann sollte sie den Notruf wählen. Mit schützend vor der Brust verschränkten Armen ging Nora im Zimmer auf und ab, bis sie nicht mehr anders konnte, als doch zum Leichnam auf dem Bett hinzusehen. Wie friedlich schlafend lag der alte Mann auf dem Rücken, eine weiße Strähne hing ihm ins Gesicht. Nora beugte sich über ihn und strich sie ihm zurück. Fast zwei Jahre hatten sie sich gekannt, aber noch nie zuvor hatte sie ihn nackt gesehen. Teetrinken, ihre Gesellschaft genießen und dabei ihre Hand halten dürfen, mehr hatte er nie von ihr verlangt. Für diese Zweisamkeiten hatte er sich stets sehr großzügig erkenntlich gezeigt. Außerdem, das hatte er ihr vor einigen Wochen anvertraut, hätte er sie auch in seinem Testament bedacht. Nora hatte ihrer Mutter und Erik davon erzählt und die Dinge nahmen ihren Lauf.

    Sie hatte sich wieder gefasst, atmete noch einmal tief durch, wählte den Notruf und schlug Alarm, dass der alte Mann einen Herzanfall erlitten hatte. Ein Notarztteam wurde auf den Weg geschickt. Wie von der Einsatzzentrale angewiesen, ließ sie die Wohnungstür einen Spalt weit offenstehen, dann setzte sie sich in die Küche und zündete sich eine Zigarette an. Sie hatte noch nicht fertig geraucht, stürmten schon die Helfer bei der Tür herein. Die Notärztin konnte nur noch den Tod des alten Herren feststellen und versuchte in Anbetracht der schon verstrichenen Zeit erst gar nicht mehr ihn wiederzubeleben. Zu den Sanitätern meinte sie, dass dies ein klassisches Beispiel dafür sei, wie ein altes Herz im Rausch der Leidenschaft überanstrengt wurde, bis es seinen Dienst quittierte. Noras verführerisches Nachthemd und das zerwühlte Bett untermauerten diesen naheliegenden Schluss. Ein Sanitäter fand den Ausweis des alten Herren in der Innentasche seines Sakkos und schrieb die persönlichen Daten für das Einsatzprotokoll ab.

    „Kranach- Walde, ein bekannter Name!" stellte er fest.

    Die Notärztin erstarrte für einen Moment, dann sah sie sich das Gesicht des Toten noch einmal genauer an. Ihr schien etwas auf den Lippen zu liegen, sie behielt es aber für sich. Sie ging zu Nora, die sich in das Wohnzimmer zurückgezogen hatte.

    „Ich verständige jetzt noch den diensthabenden Arzt, er wird dann noch vorbeikommen und die Totenbeschau durchführen. Erst danach dürfen sie den Bestatter verständigen, damit er den Leichnam abholen kommt. Kommen sie bis dahin allein zurecht?"

    Nora versicherte, dass sie das schon schaffe, aber ihr graute davor wieder mit dem Baron allein zu sein. Nachdem das Rettungsteam gegangen war, machte sie die Schlafzimmertür zu und sperrte sie auch ab. Dann duschte sie lange und zog sie sich an. Beim Warten auf den Totenbeschauer kam ihr jede Minute unendlich lang vor und sie musste sich zwingen, nicht dauernd auf die Uhr zu sehen. Erik wollte sie nicht anzurufen, er würde sicher ungehalten reagieren. Sie musste nur genau nach dem abgesprochenen Plan vorgehen.

    Als es endlich an der Tür läutete, war erst wenig mehr, als eine halbe Stunde vergangen. Der Arzt war ein älterer Herr, einen Kopf kleiner als Nora, mit von der Kälte geröteten Ohren und Gesicht. Er stellte sich höflich und leise als Doktor Lenau vor und streifte sorgfältig seine Schuhe ab, bevor er Nora bis zum Schlafzimmer folgte, wo sie ihm dann den Vortritt ließ. Einige Schritte vor dem Bett stoppte er und ließ seine Tasche fallen.

    „Armin? Mein Gott! Armin!"

    „Sie kennen ihn?" Nora drehte sich erstaunt zu ihm um.

    Heftig atmend beugte sich der Arzt über den Toten, suchte zittrig am Hals nach einem Puls, dann strich er mit den Fingern sanft über die Augenlider, obwohl sie geschlossen waren.

    „Ja, ich kenne ihn. Ich bin seit fast dreißig Jahren sein Arzt, der Hausarzt der Familie Kranach-Walde, von Kranach-Walde. Ein altes Adelsgeschlecht. Schrecklich! Die Familie! Wenn das bekannt wird, dass er hier, bei ihnen, dass er so…"

    „..., dass er peinlicherweise im Bett einer Nutte verstorben ist!" beendete Nora Lenaus Gedanken. Er nickte abwesend, er dachte nach.

    „Aber, es braucht niemand zu erfahren. Ich trage als Ort des Todes das Stiegenhaus und nicht diese Wohnung ein. Kein Problem, das fällt nicht auf, niemand wird jemals fragen. Hier im Haus hat auch ein bekannter Wirtschaftsanwalt seine Kanzlei, die Familie wird annehmen, dass er auf dem Weg dorthin war. Helfen sie mir bitte!"

    Nora half dem Doktor dabei den alten Mann wieder anzukleiden, dann schleppten sie ihn gemeinsam in den Vorraum hinaus und riefen den Leichenbestatter an. Doktor Lenau meinte, er würde warten, bis der Baron abgeholt war. Nora entschuldigte sich, sie wollte nicht mit Lenau neben dem Leichnam warten. Sie ging ins Schlafzimmer, zog die Bettwäsche ab und warf den ganzen Packen in den Müllcontainer unten im Hof. Auf dem Weg zurück zur Wohnung rief Erik sie an, was denn so lang dauerte, ob leicht etwas schiefgegangen war. Er war nicht nur erleichtert, sondern geradezu begeistert, als Nora ihm erzählte, was der Arzt sich hatte einfallen lassen, um seinem adeligen Freund einen makellosen Nachruf zu bewahren. Er hatte dadurch aus einem gut geplanten Mord einen geradezu perfekten gemacht. .

    Als der Leichenbestatter dann endlich da war erklärte Lenau ihm, dass sie den Toten hier herein in den Vorraum gezogen hatten, damit er nicht so pietätlos draußen im Stiegenhaus lag. Nachdem sein toter Freund eingepackt war, verließ Lenau hinter dem Metallsarg das Haus. Es war schon spät in der Nacht. Er setzte sich in sein Auto, steckte den Schlüssel ins Schloss, startete den Motor aber nicht. Er würde nun den Kindern des Barons die traurige Nachricht überbringen müssen und das tat er besser gleich jetzt als später. Rüdiger, dem ältesten Sohn, wollte er es sagen und der könnte dann seine Geschwister informieren. Lenau wählte seine Nummer, aber auch nach langem Läuten hob Rüdiger nicht ab. Severin, den jüngeren Sohn anzurufen, hielt Lenau für keine so gute Idee, weil der alte Baron fast jeden Kontakt mit ihm abgebrochen hatte und Isabel, die jüngere der beiden Töchter, hatte als einzige kleine Kinder und deshalb wollte Lenau sie um diese Zeit nicht mehr stören, sie hatte als einzige kleine Kinder, sie wollte er so spät nicht mehr stören. Jetzt blieb nur noch Patrizia, ihre große Schwester. Bei ihr war nur nicht sicher, ob sie um diese Zeit noch ausreichend nüchtern und aufnahmefähig war, sehr wahrscheinlich war es nicht, zumindest wollte er es ihr besser persönlich und nicht am Telefon sagen. Lenau kündigte sich nicht erst an, er fuhr gleich los. Schon von weitem sah er, dass die Villa, in der Patrizia allein lebte, hell erleuchtet war. Sie musste ihn die Einfahrt herauffahren gesehen haben, denn als er ausstieg stand sie schon da. Im Schlafrock, ein Sektglas in der Hand begrüßte sie ihn und fragte welchem Glücksfall sie seinen Besuch zu verdanken habe. Lenau nahm sie vorsichtig am Arm und führte sie zurück ins Haus. Sie gingen ins Wohnzimmer und Lenau erzählte, was passiert war. Patrizia hielt ihr Glas umklammert und sah ihn mit glasigen Augen ungläubig an. Sie verzog keine Miene, doch dann rannen ihr unvermutet Tränen über die aufgedunsenen Wangen. Lenau versuchte sie zu trösten, fühlte sich aber neben einer angetrunkenen Frau im Schlafrock nicht wohl und entsprechend gehemmt und ungeschickt. Patrizia versicherte, dass sie schon allein zurechtkommen würde und erleichtert verabschiedete Lenau sich. Patrizia betäubte Trauer und Weltschmerz mit noch einigen Gläsern, bevor sie in einen unruhigen traumlosen Schlaf versank.

    Am Morgen versuchte sie sich zu erinnern, was alles genau Doktor Lenau gesagt hatte. Alles fiel ihr nicht mehr ein, nur dass ihr Vater am Abend in der Courbet-Gasse gestorben war, wusste sie noch. Sei griff zum Telefon und rief nacheinander ihre Geschwister an. Als Baron Rüdiger von Kranach-Walde in der Villa seiner Schwester eintraf, saß sie schon mit Severin, dem jüngeren Bruder, im Salon beim Tee. Sie hatte vom Weinen verschwollene Augen und war ganz in Schwarz, vom Halstuch bis zum Ziffernblatt der Uhr. Rüdiger begrüßte sie mit einem angedeuteten Kuss, der ihre Wange nicht berührte. Severin war aufgestanden, gab Rüdiger die Hand und umarmte ihn.

    „Wie hast du es erfahren Patrizia?" drehte Rüdiger sich wieder zu seiner Schwester um.

    „Doktor Lenau ist persönlich vorbeigekommen, um mich zu informieren. Dich hat er nicht erreicht. Er hatte zufällig Dienst und wurde dazu gerufen."

    Patrizia trocknete ihre Tränen mit einem seidenen Taschentuch.

    „Armer Papa!", fügte sie schluchzend hinzu.

    Severins Telefon läutete, er stand auf, ging zum Fenster und nahm das Gespräch erst dort entgegen.

    „Liebe Grüße von Isabel. Sie ist im Spital und, wie immer, unabkömmlich. Sie weiß nicht, bis wann sie sich freimachen kann. Wahrscheinlich frühestens morgen!" stellte er im Niedersetzten fest.

    Rüdiger schenkte sich selbst eine Tasse Tee ein und ließ sich in das Ledersofa gegenüber seiner Schwester sinken.

    „Was hat Vater eigentlich in der Courbet-Gasse gemacht?" fragte er in die Stille.

    „Wo ist denn die überhaupt?" sagte Severin vor sich hin, klang aber nicht wirklich interessiert.

    „Lenau meint, dass in diesem Haus ein Wirtschaftsanwalt seine Kanzlei hat und Papa wahrscheinlich auf dem Weg zu ihm gewesen ist", schluchzte Patrizia.

    Rüdiger schlürfte nachdenklich seine Tasse leer. Nach dem Tee tranken sie Cognac, besprachen was alles jetzt vordringlich zu erledigen war und konnten sich nicht darauf einigen, wer aller auf die Gästeliste für den Leichenschmaus zu nehmen war. Eine halbe Flasche später, nahm Patrizia kaum noch an der Unterhaltung teil und die Brüder debattierten das Menü. Isabel rief noch an und gab ihnen Bescheid, dass es ihr heute nicht mehr möglich war, sie aber morgen gegen Mittag verlässlich da sein würde. Severin rief ein Taxi für sich, Rüdiger fühlte sich noch fahrtauglich und wankte die Auffahrt hinunter zu seinem Wagen. Bis Severins Taxi endlich da war, hatte Patrizia auf dem Diwan schon der Schlaf übermannt.

    Rüdiger hatte immer schon lebhaftes Interesse für die Geschäfte seines Vaters gezeigt, der hatte ihm aber nie tieferen Einblick gewährt. Obwohl es schon spät war, entschloss er sich noch einen Blick in die Unterlagen die sein Vater für den Steuerberater vorbereitet hatte zu werfen und verdarb sich damit selbst den Schlaf. Er entdeckte regelmäßige Zahlungen von beträchtlicher Höhe an eine gewisse Nora Musil, deren Wohnadresse ausgerechnet in der Courbet-Gasse lag. Die Beträge waren stattlich, sogar für seinen Vater, dessen lockere Hand für Geld sprichwörtlich war.

    Am nächsten Morgen holte Rüdiger Erkundigungen ein und nach einigen Telefonaten wusste er, wer diese Nora Musil war; ein exklusives Callgirl, vierzig Jahre jünger, als sein Vater. Eine Nachfrage beim Notar bestätigte seinen Verdacht, dass der Vater die Wohnung erstanden und dann großzügig ihr überschrieben hatte. Mit diesen Neuigkeiten machte Rüdiger sich zum Familientreffen bei Patrizia auf. Als er eintraf, begrüßte ihn Patrizia mit verschwollenen und geröteten Augen, Rüdiger nahm an, dass das nicht nur vom Weinen kam. Isabel und Severin saßen schon im Wohnzimmer. Isabels Trauer über den Verlust ihres Vaters hielt sich in Grenzen, nicht, dass er sie gar nicht berührte, aber als besonders schmerzlich empfand sie ihn nicht. Von ihren Eltern hatte sie nur zu ihrer Mutter ein inniges Verhältnis gehabt, die eine durch Geld geadelte Bürgerliche war. Ihre Familie hatte es mit einer Handschuhmanufaktur zu ansehnlichem Reichtum gebracht, zu einer Zeit, als feines Leder für die Finger noch ein stilvolles Accessoire und nicht nur Kälteschutz war. Von ihr hatte Isabel auch eine große Stadtwohnung und Patrizia diese Villa geerbt. Auch Severin verband kaum etwas mit dem alten Baron, der schon, als die Kinder noch klein waren, sein eigenes Leben abseits der Familie gelebt hatte und mehr Gast als Familienvater im eigenen Haus gewesen war.

    Trotz bescheidener Kochkenntnisse hatte Patrizia ein Essen aufgetischt und die Geschwister nahmen Platz. Rüdiger nahm keine Rücksicht darauf, ihnen damit vielleicht den Appetit zu verderben und berichtete was er herausgefunden hatte. Patrizia löffelte ziemlich ungerührt weiter, Isabel schien sogar leicht amüsiert. Severin hingegen legte das Besteck zur Seite, er hatte keinen Hunger mehr. Wie Rüdiger befürchtete auch er, dass das noch lange nicht Alles war.

    „Hat der alte Bock sich doch glatt eine Mätresse gehalten! machte er seinem Ärger Luft, was Patrizia mit einem „Severin! Bitte! quittierte. „Unser Notar hat nur von der Wohnung gewusst, hoffte Rüdiger, dass alles vielleicht doch nicht so schlimm war, „und Vaters Testament liegt zum Glück seit Jahren sicher in seinem Safe.

    „Was nicht heißt, dass nicht noch ein neueres existiert!", bemerkte Isabel sarkastisch.

    „Stimmt´s, Bruderherz?"

    Severin schob seinen Teller weg und zündete sich, ohne die Hausherrin um Erlaubnis zu fragen, eine Zigarette an. Die Frauen aßen weiter, die Männer setzten sich an den Teetisch, rauchten und schütteten Cognac in sich hinein. Sie verabschiedeten sich nach mehreren Gläsern und baten ihre Schwestern das Begräbnis vorzubereiten. Sie beide hätten jetzt viel Wichtigeres zu tun. Ihre Wege trennten sich vor dem Haus. Severin hatte ein Rendezvous, Rüdiger verbrachte den Nachmittag mit der Buchhaltung seines Vaters im Büro.

    Am Abend begann ihn die Neugier zu plagen und er machte sich zu Noras Adresse auf. Vorsichtshalber parkte er nicht unmittelbar vor dem Haus, sondern schon einige Straßen davor. Er hatte sich vorgestellt, einfach bei ihr anzuläuten, besann sich dann aber doch eines Besseren und bezog vorerst Posten im Park gegenüber dem Haus. Er wollte zuerst vorsichtig die Lage sondieren, um vor unliebsamen Überraschungen bewahrt zu sein. Er behielt die Fenster im Auge, hinter denen es ruhig war, außer dass irgendwann ein Licht anging. Niemand, der ihm gefährlich erschien, betrat das Haus und es kam auch niemand heraus, kein Zuhälter, kein Freier, nur eine schwer mit Einkaufstaschen bepackte Frau, die sicher nicht Nora Musil war. Rüdiger fand, er könne es jetzt riskieren, er probierte an der Haustür, sie war nicht abgesperrt, er ging die Treppe hinauf in den ersten Stock, dann stand er vor der Wohnung, die sein Vater seiner Geliebten geschenkt hatte und vor der er im Stiegenhaus gestorben war. Entschlossen drückte er auf den Klingelknopf neben dem Messingschild mit den Initialen N.M. Kurz danach vermeinte er Schritte zu hören und konnte förmlich spüren, wie er durch den Türspion gemustert wurde. Dann öffnete die Tür sich einen kleinen Spalt, mehr ließ die eingehängte Sicherheitskette nicht zu.

    „Sie wünschen?"

    Rüdiger konnte die Hälfte eines Männergesichts sehen und bereute schon hergekommen zu sein.

    „Entschuldigen sie die Störung, ist Frau Musil hier?"

    „Für wen?"

    „Für den Sohn des Mannes, der vor ihrer Tür verstorben ist. Kranach-Walde ist mein Name."

    „Was ist denn los Erik?"

    Hinter dem Mann war eine Frau erschienen. Er trat zur Seite und machte ihr Platz.

    „Rüdiger von Kranach-Walde, könnte ich sie kurz sprechen?"

    Die Tür ging zu und Rüdiger nahm zuerst an, dass die Begegnung damit beendet war, dann hörte er aber wie die Kette ausgehängt wurde und Nora bat ihn herein. Sie stellte sich selbst mit „Musil und den jungen Mann mit „Erik vor.

    „Ich wollte nur sehen, wo mein Vater gestorben ist und mich für ihre Hilfe bedanken und dafür, dass sie alle damit verbundenen Unannehmlichkeiten auf sich genommen haben."

    Erik schien sich reichlich unwohl zu fühlen. Rüdiger musterte ihn und befand, dass von ihm keine Gefahr ausging. Er trat einen Schritt vor und zog die Tür hinter sich zu. Nora bat ihn aber nicht weiter herein.

    „Was wollen sie von mir? Was führt sie wirklich her?

    „Wie lange schon ist mein Vater hierhergekommen? Wie lange schon haben sie den alten Mann schamlos ausgenützt?"

    Rüdiger musste sich beherrschen, um nicht laut zu werden. Nora fasste sich schnell, sie lächelte ihn an

    „Im Jänner wären es drei Jahre gewesen. Und ich kann ihnen versichern, dass er jeden einzelnen Tag davon genossen hat!"

    „…und ich habe ihn wirklich gemocht!", fügte sie nach einer Pause hinzu

    „Was ja nicht besonders überraschend ist", bemerkte Rüdiger spöttisch.

    „Die schöne Wohnung, eine wahrlich fürstliche Apanage. Mein Vater war offensichtlich sehr um ihr Wohlergehen bemüht. Vermutlich auch über seinen Tod hinaus."

    Den Nachsatz hatte Rüdiger nicht als Feststellung, sondern als Frage gemeint. Er sah Nora auf eine Antwort wartend an. Sie zeigte aber keine Reaktion, was Rüdiger als Zustimmung verstand.

    „Was alles haben sie ihm abgeluchst?" herrschte er sie an.

    „Das werden sie früh genug erfahren. Gehen sie jetzt!"

    Erik setzte sich in Bewegung und hielt Rüdiger die Tür auf.

    „Dass sie sich nur nicht zu früh freuen!", schnaubte Rüdiger und rauschte an Erik vorbei. Hinter ihm knallte die Tür ins Schloss. Erik drehte den Schlüssel um und hängte die Kette wieder ein.

    „Mir wäre wesentlich wohler, wenn der alte Herr dir sein Testament auch gegeben hätte, statt dir nur zu sagen, dass er eines geschrieben hat."

    Nora gab ihm Recht.

    Spät in dieser Nacht durchschlug ein Stein das Fenster von Noras Schlafzimmer und landete knapp neben ihrem Bett. Die restliche Nacht wagte sie kein Auge zuzutun und stand am Morgen erschöpft und beunruhigt auf. Erik kam, als sie schon beim Frühstück. Er versuchte sie aufzumuntern, spürte aber selbst, dass er nicht sehr überzeugend klang. Nora fühlte sich durch ihn auch nicht wirklich beschützt. Er war alles weder kräftig gebaut noch zum Helden geboren. Sie brauchte einen Beschützer, einen Profi, jemanden der wusste was er tat. Sie horchte sich ein wenig um und ein ehemaliger Kommissar, Leopold Tanner, wurde ihr mehrfach als geeignet für einen solchen Job genannt. Sie machte sich auf den Weg zu seinem Büro. Sie war zu früh, es war aber noch niemand da. Dann hörte sie Schritte die Stiege heraufkommen. Tanner nahm zwei Stufen auf einmal. Er wurde langsamer, als er sie sah. Er nickte ihr grüßend zu, sie sah ihn abschätzend von oben nach unten an.

    „Warten sie auf mich?", fragte er und ging nach dem Schlüssel in seiner Manteltasche tastend auf sie zu. Mit einer Kopfbewegung deutet sie auf das Schild neben der Tür.

    „Wenn sie der sind, dann ja!"

    ´Leopold TANNER- Ermittlungen´ stand dort in goldenen Lettern auf grünem Untergrund. Sie ging einen Schritt zur Seite, Tanner steckte den Schlüssel ins Schloss und stieß die Tür auf.

    „Bitte sehr, nach Ihnen."

    Er nahm die hinter das Schild gesteckte Post an sich und ging, weil sie sich nicht bewegt hatte voraus. Er legte seinen Hut und den Mantel in der Garderobe ab, sie behielt ihren lieber an. Erst als sie ihm gegenüber an seinem Schreibtisch Platz genommen hatte, zog sie ihre Handschuhe aus.

    „Was führt sie zu mir Frau…?"

    „Ich werde bedroht und suche jemanden der mich beschützen kann."

    Sie öffnete den obersten Knopf an ihrem Mantel.

    „Und sie wurden mir empfohlen, weil sie als Drogenfahnder gefürchtet waren und ihnen der Ruf vorauseilt, nicht zimperlich zu sein. Ich schätze, das empfiehlt sie für diesen Job."

    „Tut es das?" fragte Tanner gelangweilt und vermutete einen eskalierten Rosenkrieg. Er kam als privater Ermittler eher schlecht als recht über die Runden und trauerte manchmal, so wie jetzt gerade, der soliden Polizeiarbeit nach. Drogenhandel, organisiertes Verbrechen, große Fälle und nicht wie hier wahrscheinlich, in einem Beziehungsdrama Gorilla spielen.

    „Wieso wenden sie sich nicht an die Polizei? Die würden ihnen doch auch helfen können?"

    „Es ist kompliziert."

    „Das ist es immer, aber guter Personenschutz ist für mich als Ein-Mann-Unternehmen fast nicht machbar."

    Kleinliches Verhandeln war nicht Noras Stil. Sie zog eine Visitenkarte heraus und legte sie vor Tanner auf den Tisch. Im Aufstehen meinte sie nur, es möge es sich doch noch überlegen und ihr bis morgen Mittag Bescheid zu geben, andernfalls sie sich leider an jemand anderen wenden würde. Tanner begleitet sie hinaus. Vom Bürofenster aus beobachtete er dann, wie sie, ohne nach links und rechts zu schauen, über die Straße ging. Die ungehalten hupenden Autofahrer ignorierte sie mit erhobenem Haupt ebenso elegant, wie die kalte Jahreszeit mit ihren hochhakigen Wildlederschuhen. Er sah ihr nach, bis sie im gegenüberliegenden Park verschwunden war, dann setzte er sich wieder hinter seinen Schreibtisch und nahm ihre Visitenkarte zur Hand.

    „Nora - Escorts Deluxe", darunter stand eine Telefonnummer, sonst nichts.

    Auf der Heimfahrt nach einem, ereignislosen Tag, an dem sich nach Nora keine weitere Kundschaft mehr in sein Büro verirrte, gab sein Auto rauchend den Geist auf und zuhause erwartete ihn auch noch ein Postfach das vor Rechnungen überquoll. Das alles erleichterte ihm seine Entscheidung und am nächsten Morgen rief er Noras an. Nach dem dritten Mal Läuten begrüßte ihn ihre angenehme Stimme vom Band und forderte ihn auf, eine Nachricht zu hinterlassen. Tanner horchte ihr bis zum Signalton zu, dann legte er schnell auf. Am späten Nachmittag rief Nora zurück, kurz darauf saß sie wieder bei ihm im Büro. Ohne ihm mehr als unbedingt notwendig zu verraten, schilderte sie, wie der kürzlich verstorbener Baron Kranach-Walde, sie in seinem Testament großzügig bedacht und seine noble Familie damit offensichtlich ernsthaft verärgert hatte. Sie erzählte Tanner vom unerfreulichen Besuch Rüdigers und dem Steinwurf von letzter Nacht. Das von Tanner geforderte Tageshonorar akzeptierte sie, ohne mit einer ihrer langen Wimpern zu zucken und gab ihm die Vorauszahlung für eine Woche in bar. Ein Handschlag besiegelte den mündlichen Vertrag. Als Nora sein Büro verließ, wusste sie Tanner unsichtbar irgendwo in ihrer Nähe und seine wachsamen Augen auf ihr. Sie erledigte Einkäufe und hatte dann in ihrer Bank zu tun. Dort fiel ihr Tanner erstmals auf. Er blieb nahe genug, um ihr ein Gefühl von Sicherheit zu geben, aber nicht so, als würden sie zusammengehören. Dass sie sich immer wieder suchend nach ihm umsah, würde sich mit der Zeit schon legen. Tanner wollte, um die Bedrohung besser einschätzen zu können, mehr über Rüdiger erfahren. Er kannte den Namen Kranach-Walde aus den Medien und vor allem Rüdiger als Abgeordneter wurde regelmäßig erwähnt. Nachdem er Nora wieder nach Hause begleitet hatte, begann er zu recherchieren. Die Familiengeschichte der Kranachs reichte weit zurück, nichts wirklich Spektakuläres, ein chronisch verschuldetes Adelsgeschlecht. Erst über den Vater des verstorbenen Barons, Rüdigers Großvater, fand Tanner mehr. Er hatte seinerzeit es als Nazi eine steile Karriere gemacht und es dabei beachtlichen Besitz angehäuft. Dass sein Reichtum auf arisiertem Vermögen beruhte, war allgemein bekannt. Es wurde zwar hinter vorgehaltener Hand darüber gemunkelt, ernstlich geschadet hatte es ihm aber nie. Rüdigers Vater hatte den Besitz übernommen und nicht nur gut verwaltet, sondern sogar noch vermehrt. Seine Frau verstarb, als der jüngere Sohn Severin noch zur Schule ging. Politisch blieb der alte Baron der Gesinnung seines Vaters treu, eine Tradition, die auch Rüdiger beibehielt.

    Tanner durchsuchte die Zeitungen nach aktuellen Fotos und prägte sich eines ein, das Rüdiger bei einer politischen Veranstaltung zeigte. Über seine Geschwister war so gut wie Nichts zu finden. Patrizia die Älteste hatte keine Familie und lebte allein. Ihre Schwester Isabel war mit dem bekannten Buchhändler Jakob Suess verheiratet und hatte zwei Kinder mit ihm. Severin der jüngste, führte ein zurückgezogenes Leben und alles was Tanner herausfinden konnte war mehr oder weniger nur, dass es ihn gab. In fast jedem Journal war eine Todesanzeige des alten Barons geschaltet, so erfuhr Tanner, dass die Beerdigung für morgen angesetzt war. Eine gute Gelegenheit, die von Kranach-Walde alle versammelt zu sehen.

    Tanner fand sich schon sehr früh am Friedhof ein, hielt sich aber weit abseits der Friedhofskapelle, in der der Baron aufgebahrt war. Nach und nach trafen die ersten Trauergäste ein, dann kam Rüdiger, als erster der Familie. Bald darauf machte Tanner auch seine Schwestern und Isabels Mann Jakob unter den eintreffenden Trauernden aus. Die Kapelle war nicht sehr groß und bot bei Weitem nicht für alle Platz. Erst als die letzten eintrafen, kam auch Severin angehetzt und drängte sich bis vorne durch. Tanner hatte genug gesehen, er machte sich wieder aus dem Staub.

    Patrizia hatte darauf bestanden, das Begräbnis als großes gesellschaftliches Ereignis aufzuziehen und fast alle geplanten Trauergäste waren der Einladung gefolgt. Nur wenige hatten aus Alters- und Gesundheitsgründen abgesagt und einige aus dem Hochadel waren ohne Entschuldigung ferngeblieben, sie fielen aber zumindest zahlenmäßig nicht ins Gewicht. Rüdiger, Patrizia, Isabel und Jakob hatten in der ersten Reihe Platz genommen und jetzt wo auch Severin eingetroffen war, konnte der Trauerzug beginnen. Die Menge setzte sich in Bewegung und folgte dem Sarg bis zur Familiengruft. Eine große Schar von nicht Geladenen stand etwas abseits und verabschiedete sich still vom alten Baron, dessen Name jetzt als letzter, unter dem seiner Frau, in die schwarze Marmortafel gemeißelt stand. Seine Kinder gingen gleich hinter dem Sarg, gefolgt vom engsten Familienkreis. Patrizia verbarg ihr Gesicht hinter einem schwarzen Schleier. Isabel und Jakob hatten sie in die Mitte genommen, trotzdem wankte sie unsicher und hatte Mühe mit den Anderen Schritt zu halten. Um die Gruft waren einige Stühle für betagte Gäste bereitgestellt und Patrizia rettete sich auf einen der ersten.

    Der Nieselregen war in leichten Schneefall übergegangen und ein rauer Wind blies über die Gräber den Trauernden ins Gesicht. Jakob war froh die Kinder nicht mitgenommen zu haben, sie hätten sicher gefroren und bald nach Hause gedrängt. Auch er stellte schon den Mantelkragen auf, zog den Schal über das Kinn und seinen breitkrempigen Hut noch tiefer in die Stirn. Lieber wäre er heute zu Hause geblieben. Er hatte zum alten Baron kein Nahverhältnis gehabt und ihn auch zeitlebens nicht gemocht. Der Alte hatte ihn nie als Schwiegersohn akzeptiert und ihn das und auch Isabel das bei jeder Gelegenheit spüren lassen. Von Isabels Familie hatte er eigentlich nur mit Rüdiger hin und wieder zu tun und auch das fast nur beruflich, kaum privat. Rüdiger, der umtriebiger Politiker, lud ihn gelegentlich als Redner oder Mitorganisator zu offiziellen kulturellen Anlässen ein, weil er als belesener Buchhändler und Literaturexperte dafür prädestiniert schien. Das täuschte Jakob aber nie darüber hinweg, dass er für Rüdiger nur den Schmeicheljuden abgab, das Feigenblatt, das Rüdiger erlaubte, dahinter ganz ungeniert Rassist zu sein. Isabel stand frierend neben ihm und drückte ihm mehrmals fest die Hand, wie eine Aufforderung durchzuhalten und Jakob erwiderte ihn ebenso fest.

    Die Ansprache des Pfarrers dauerte noch länger, als befürchtet und Rüdiger, als nächste Redner, kündigte an, sich wegen der Kälte kurz zu halten. Ein Versprechen, das er aber im Laufe der Rede offensichtlich selbst vergaß. Stolz rekapitulierte er die Familiengeschichte und holte dabei großzügig aus, bis er, endlich in der Gegenwart

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