Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Die Hochzeiterin: Ein Oberbayern-Krimi
Die Hochzeiterin: Ein Oberbayern-Krimi
Die Hochzeiterin: Ein Oberbayern-Krimi
eBook276 Seiten3 Stunden

Die Hochzeiterin: Ein Oberbayern-Krimi

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Kommissar Bernrieder – charmanter als ein bayerischer Biergarten und komplizierter als eine Breznknot'n!

Kommissar Franz Joseph Bernrieder ist kein Kind von Traurigkeit. In Bad Tölz zu Hause, lässt er keine Gelegenheit aus, einheimischen Schönheiten und weiblichen Wellness-Urlauberinnen die Langeweile zu vertreiben.

Doch die oberbayerische Idylle trügt. Eine tote Gräfin und eine verschwundene Marienstatue sorgen für Aufruhr und rufen den Kommissar auf den Plan. Bevor er aber so richtig in die Ermittlungen einsteigen kann, wird in einer Brandruine eine weitere Frauenleiche entdeckt.

Franz Joseph Bernrieder tappt völlig im Dunkeln. Nur mit seiner hartnäckigen Akribie lässt sich das Gewirr Stück für Stück entflechten …

"Die Hochzeiterin" ist der erste Band der Serie „Bernrieder ermittelt”. Dieser Roman ist in sich abgeschlossen. Alle Teile der Reihe können unabhängig voneinander gelesen werden.

SpracheDeutsch
HerausgeberZeilenfluss
Erscheinungsdatum14. Jan. 2020
ISBN9783967140354
Die Hochzeiterin: Ein Oberbayern-Krimi

Mehr von Olaf Maly lesen

Ähnlich wie Die Hochzeiterin

Titel in dieser Serie (5)

Mehr anzeigen

Ähnliche E-Books

Krimi-Thriller für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Verwandte Kategorien

Rezensionen für Die Hochzeiterin

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Die Hochzeiterin - Olaf Maly

    1

    Das Haus lag auf einer sanften Anhöhe, oben an einem Berg, zwischen Greiling und Waakirchen. An der Straße von Bad Tölz nach Miesbach, der B 472. Man musste wissen, wie man dort hinkam, wollte man die Leute, die dort wohnten, besuchen. Nur gab es wenig Gründe, dies zu tun, und noch weniger Besucher. Ein kleines gelbes Schild, das aussah wie ein Pfeil, stand an der linken Seite der Bundesstraße, wenn man Richtung Osten fuhr, und sagte einem, dass es dort hinaufging. Doch wenn man auf der Straße war und nicht genau hinschaute, zog es an einem vorbei, ohne dass man es registriert hatte. Ein großer Ast einer alten, schweren Buche am Fahrbahnrand verdeckte es. Nicht einmal ein gelber Blitz im Augenwinkel erregte genug Aufsehen, um es zu bemerken.

    ›Rosenhof‹ stand darauf. Es war zwar kein Hof, sondern nur ein bescheidener Bungalow, aber die Besitzerin nannte ihr Domizil eben so. Sie liebte erstens Rosen, und zweitens waren Rosen in ihrem Wappen und auch ihrem Namen. Das Haus selbst lag versteckt und verdeckt, nicht einsehbar von der Straße, hinter hohen, alten Tannen, die ihre schweren Zweige bis zum Boden hängen ließen. Buchen und ordentlich gerade geschnittene Hecken gaben dem Ganzen einen Eindruck von gepflegtem Wald. Ein geteerter Weg führte in einer leicht geschwungenen Serpentine vor ein schmiedeeisernes Tor, das man, wenn man willkommen war, von innen per Knopfdruck aufmachen konnte. Wenn man nicht angemeldet war, blieb es, stabil wie eine Mauer, verschlossen.

    Dasselbe Muster, das man am Tor sah, hatte man als Zaun um das beschauliche Grundstück herumgeführt. Spitze Zacken, die wie auf den Kopf gestellte Eiszapfen wirkten, fand man an jeder Strebe, die nach oben ging.

    Das Haus selbst war einstöckig, mit einem Walmdach aus dunkelroten, fast schwarzen Ziegeln. Das Wetter hatte Moos zwischen den Dachplatten wachsen lassen. Kleine grüne Pflanzen versuchten sich dort ihr Recht auf einen Platz zu erkämpfen. Einen halben Meter über der Dachrinne waren runde Hölzer befestigt, damit im Winter der Schnee gebändigt werden konnte. Der weiße Putz war flach und grob angebracht, wie man es früher an alten Bauernhäusern gemacht hatte. Um jede Öffnung, sei es eine Tür oder ein Fenster, war ein goldfarbener Rahmen gemalt, geschwungen an den Ecken, die kleinen Rosen nachempfunden waren. Alle Fenster hatten grobe, schmiedeeiserne Gitter davor. Man sah den Hammerschlag auf dem schwarzen Metall.

    Über dem Eingang stand die Jahreszahl 1990. Das Jahr, in dem das Haus gebaut worden war. Auf dem grünen Türrahmen war mit weißer Kreide in etwas ungelenken Buchstaben ›C+M+B‹ geschrieben: ›Christus mansionem benedicat.‹ – ›Christus segne dieses Haus.‹

    Gräfin Hildegard vom Rosenberg lebte dort, seit sie sich vor vielen Jahren von ihren Besitztümern räumlich getrennt und hierher zurückgezogen hatte. Sie wollte sich verkleinern, nicht mehr die Verantwortung tragen, die ihr ganzes Leben geprägt hatte. Das war die offizielle Version, die man all denen erzählte, die dachten, sie hätten das Recht, das wissen zu müssen. Sie wollte nur noch sie selbst sein und ihre Zeit hauptsächlich mit Malen, einem ihrer Hobbys, verbringen. Lesen war ein weiteres.

    Die inoffizielle und historisch eher zutreffende Version war ein bisschen komplizierter, aber nicht weniger dramatisch. Eigentlich musste sie von zu Hause weg, aber mehr dazu etwas später.

    Ihre Besitzungen – Wälder, Höfe, Häuser und andere Liegenschaften – waren in ganz Niederbayern verteilt. Angesammelt von den vielen Generationen vor ihr. Sie und ihre Schwester waren die Letzten der Dynastie, die über so viele Jahrhunderte gehalten hatte und mit ihr ausgelöscht werden würde.

    Die Schwester, Freifrau Irmtraud vom Rosenberg, lebte noch im alten Familienbesitz. Obwohl sie verheiratet gewesen war, hatte sie ihren Namen beibehalten, da ihr Mann Schuhmacher hieß und sie das nicht ertragen hätte, ›Frau Schuhmacher‹ gerufen zu werden. Zu der Zeit, in der all diese Dinge passierten, die hier beschrieben werden, war sie bereits tot. Ein natürlicher Tod, ganz einfach an Altersschwäche gestorben. Als einzigen Erben gab es ihren Sohn, Hans Georg vom Rosenberg, der aber nicht heiraten und den Namen weiterführen wollte. Heiraten ja, aber nur seinesgleichen.

    Einer der Vorfahren, und darauf waren alle Familienmitglieder besonders stolz, war dabei und auch maßgeblich daran beteiligt, als die Evangelischen im südlichen Teil Bayerns ihre Heimat verlassen und nach Preußen auswandern mussten. Man wollte sie im erzkatholischen Bayern, das damals von Salzburg aus regiert wurde, nicht haben. Die aus dem Norden waren zufrieden damit, gute Arbeiter und Bauern zu bekommen. Das war zu einer Zeit, als viele Landstriche in Deutschland noch nicht besiedelt waren. Vor fast dreihundert Jahren. Viel später dann, als die bayerischen Höfe und Felder verlassen und leer vor sich hinwucherten, bereute man es, die tüchtigen Leute ziehen gelassen zu haben. Nur war es dann eben zu spät.

    Dieser bestimmte Vorfahr, ein gewisser Gregor vom Rosenberg, kam damals preisgünstig in den Besitz der Liegenschaften der Zwangsvertriebenen und legte damit den Grundstein des Vermögens, das bis zum heutigen Tage halten sollte. Das Bild dieses Mannes mit gepuderter Perücke und hohem Stehkragen hing, dunkel und geheimnisvoll, im Wohnzimmer des Rosenhofs. Über dem offenen Kamin. Die linke Hand hielt er auf einem Schild mit dem Familienwappen, die rechte am Schwert, das an einem goldenen Gürtel baumelte. Abends, wenn sie allein in ihrem Zimmer saß, starrte die Frau Gräfin es an, nippte an ihrem Glas Wein und wünschte sich, in dieser Zeit gelebt zu haben. In einer Zeit, als es noch kein Problem gewesen war, reich zu sein.

    Sie selbst war eine kleine, unscheinbare Frau in den hohen Fünfzigern. Das Alter hatte sie niemandem verraten. Es war ihre Angelegenheit und ihr Geheimnis. Wenn man sie danach fragte, lächelte sie nur vielsagend und lenkte das Thema auf etwas anderes, Wichtigeres, wie sie meinte. Sie hatte strohblonde Haare, die langsam einen weißen Schimmer bekamen. Ihre Gesichtszüge waren fein und zeugten von vielen Jahren Pflege und gutem Leben. Sie hatte nicht einen Tag in ihrem Dasein jemals wirklich gearbeitet, wenn sie das auch ganz und gar anders sah.

    Den Chauffeur hatte sie mitgenommen, damals, als sie alles hinter sich gelassen hatte. Und auch den alten Mercedes 220, Baujahr 1955, der noch von ihrem Vater stammte. Da sie, und auch ihr Vater, fast nie mit dem Auto unterwegs waren, hatte der Wagen nur wenige Kilometer angesammelt. Man konnte sagen, er war gerade einmal eingefahren.

    Andreas Richter, so hieß der Fahrer und Heger des Prachtstückes, war ein gutmütiger, kleiner, schlanker Mann mit vollen schwarzen Haaren und einem Ziegenbart. Sein Gesicht war etwas faltig, aber nicht ungepflegt. Und er hatte einen winzigen Ring im linken Ohr. Auch wenn er noch nicht richtig alt war, sah man ihm die Jahre an, was ihn aber nicht unbedingt unattraktiv machte.

    Er sorgte sich um das Wohlergehen sowohl des Wagens als auch seiner Chefin. Wann immer sie etwas brauchte, war er bereit, ihr den Wunsch zu erfüllen. Nun gut, er war angestellt, hatte also keine andere Wahl. Und es waren ohnehin hauptsächlich bescheidene Wünsche, die sie hatte.

    Man hatte ihm eine kleine Wohnung über der Garage gebaut, damit er, wenn nötig, sieben Tage in der Woche zu erreichen war. Wenn er sich nicht um den Wagen kümmerte, mähte er den Rasen, fegte die Einfahrt oder stutzte die Hecken. Nur einen Tag in der Woche hatte er frei. Welcher Tag das war, wusste er immer erst am Sonntag, nachdem sie beide aus der Kirche, unten im Dorf, zurückkamen. Dort hatte sie mit einer großzügigen Spende erreicht, einen extra Stuhl am Rande des Altarraumes zu erhalten. Weiches, rotes Samtpolster, mit breiten Seitenblenden, damit man sie nicht sehen konnte.

    Wenn sie von der Predigt vor dem Haus ankamen, meinte Frau vom Rosenberg, bevor sie ausstieg: »Andreas, ich brauche dich diese Woche am Dienstag nicht.«

    Oder eben einen Tag, den sie sich während der Fahrt ausgedacht hatte. Wie sie entschied, wann sie ihn nicht brauchte, war allein ihr überlassen.

    »Sehr wohl, Frau Gräfin«, antwortete er höflich, schloss die Tür, nachdem sie ausgestiegen war, und parkte den Wagen in der Garage. Wie jeden Sonntag.

    Das war auch meistens der ganze Umfang der Konversation, die sie miteinander hatten. Frau vom Rosenberg mochte es nicht besonders gerne, sich mit Untergebenen zu unterhalten. Lieber redete sie gar nicht als mit Bediensteten. Das war schon immer so gewesen. Sie war so erzogen worden. Nur mit dem Chauffeur verband sie viele Jahre, viele Erinnerungen und auch einige lange Gespräche. Aber auch das war schon eine Weile her. Manchmal jedoch machte sie auch eine Ausnahme.

    Als sie ein Kind war, war sie, wie eben Kinder sind, sehr neugierig. Sie wollte immer wissen, wo denn das Essen herkam, das jedes Mal um dieselbe Zeit immer am Tisch serviert wurde. Man konnte die Uhr danach stellen. Also stahl sie sich eines Tages durch die Tür, die immer aufging, wenn jemand etwas brachte. Wie sie feststellte, war sie in der Küche gelandet. Dies verursachte ein Durcheinander, wie es das Haus seit Jahren nicht gesehen hatte. Und ihr brachte es eine Woche Arrest ein. In ihrem Zimmertrakt.

    Er hatte meistens am Samstag frei. Es war bequemer so für die Frau Gräfin, da er an den Wochentagen dann zur Verfügung stand. Obwohl er am nächsten Tag früh morgens immer bereit sein musste, die gnädige Frau in die Kirche zu chauffieren, ließ er sich an seinen freien Tagen sehr viel Zeit.

    Im Sommer saß er dann noch vor dem Haus, auf der Bank, die neben dem Eingang stand, wenn er mit dem letzten Bus heimkam. Er liebte es, wenn ein schöner, warmer Tag leise und gemächlich in einen lauwarmen Abend überging. Wenn die Luft mild über die Berge wehte und den Duft von Tannen mitbrachte, den er so mochte. Dort, wo er die meiste Zeit gelebt hatte, gab es viele Tannen. Es machte ihn träumen von Zeiten, die nicht mehr wiederkommen sollten.

    Um sich abzulenken, ging er erst ins Kino, was er eigentlich fast immer tat, wenn er einmal freihatte. Er genoss es, dort zu sein. Besonders die alten Filme waren seine Leidenschaft. Wahrscheinlich, um einmal eine andere Welt zu sehen als die um sein Dasein und seine Arbeit herum. Danach begab er sich zum Essen in die Post, eine Wirtschaft in Bad Tölz, wo er oft den Rest des Tages verbrachte. Er saß ganz einfach dort und las die Zeitung. Man kannte ihn und ließ ihn gewähren.

    Oder er lief an der Isar entlang, wenn schönes Wetter war. Meistens in Richtung Stausee. Dann ließ er sich auf einer der vielen Bänke nieder, sah den Enten nach. Und den Kindern, wie sie ihnen hinterherrannten und sie damit zwangen, zu fliegen.

    Wenn das Wetter nicht gut war, ging er in den Bahnhof, machte es sich in der Wartehalle bequem und las ein Buch. Warum gerade die Bahnhofshalle, das wusste er auch nicht, wenn man ihn fragte, aber er meinte, das hätte sich so eingebürgert, als er einmal jemanden hatte dort abholen müssen, der viel zu spät gekommen war. Er hatte sich damals ein Buch gekauft, um die Zeit zu vertreiben, und so war es eine Gewohnheit geworden, die er beibehielt, ohne wirklich zu wissen, warum. Er fand es auch interessant, nur dort zu sitzen, die Leute zu betrachten und seine Ruhe zu haben.

    Seine Bedürfnisse waren bescheiden. Er hatte nie eine richtige Familie gehabt, war immer nur bei den ›Herren vom Rosenberg‹ beschäftigt gewesen. Zuerst beim Vater und dann bei der Tochter. Früher hatte die Familie mehrere Angestellte beschäftigt, bis eines Tages der alte Herr vom Rosenberg beschlossen hatte, dies zu ändern. Dann waren nur noch er und eine Haushälterin übrig. Und als Frau vom Rosenberg, dessen Tochter, in das kleine Haus bei Bad Tölz zog, blieb nur mehr er. Das war sein Leben. Er kannte kein anderes.

    2

    Franz Joseph Bernrieder lag in seinem Bett, mit ausgestreckten Beinen, die Arme hinter seinem Kopf verschränkt, den Rücken gegen die Wand abgestützt. Er war ein stolzer, gut durchtrainierter Mittdreißiger, mit vollen schwarzen Haaren und einem kleinen Oberlippenbart. Nicht schlecht anzusehen und auch ziemlich begehrt bei der weiblichen Spezies.

    Die Balkontür stand weit offen. Es war ein Sonntagmorgen wie aus dem weiß-blauen bayerischen Bilderbuch. Ein laues Lüftchen setzte den leichten Vorhang ab und zu in Bewegung und ließ ihn wie schwerelos durch das Zimmer flattern.

    »Bleibst da übers Wochenende, Melanie?«, sagte er zu der jungen Frau, die neben ihm lag und eine Zigarette nach der anderen rauchte. Schlank, zart gebaut und mit dunklen Haaren gab sie ein gutes Bild gegen das Bettgestell aus Zirbelholz ab.

    »Is ja eh scho Sonntag, schau. Da lohnt sich doch des ned, dass'd wieder heimfahrst und am Abend wieder herkommst. Da mach ma uns lieber an schönen Tag, gehen zum Essen oder so. Dann könnt ma noch irgendwo hinfahrn, wenn'st willst. Oder was anders machen. Was, das du halt magst. Ich hab heut keinen Dienst.«

    Seine Melanie sagte nichts. Sie lag nur, nackt und halb aufgerichtet, an die selbige Wand gelehnt und rauchte genüsslich ihre Zigarette.

    Es war, wie schon bemerkt, ein schöner Sonntagmorgen. Einer, den man dort in den Bergen nicht zu oft erlebte. Einer, den man ausnutzen musste, wenn es ihn schon einmal gab. Da die Tür zum Balkon offen stand, hörte man, wie die Vögel sich selbst und dem Rest der Welt ein Konzert gaben. Sie sangen um die Wette, als gäbe es einen Preis zu gewinnen. Die Hähne krähten aufgeregt, wie sie das immer taten, wenn die Sonne noch tief am Horizont stand. Und die Kirchturmglocken riefen zur Frühmesse.

    »Oder magst vielleicht lieber in die Kirch gehen? Da müss ma uns aber sputen, weil die bald anfangt. Die Glocken läuten schon. Und der Pfarrer wart ned gern.«

    »Kirch, du Depp.« Sie sah ihn entgeistert an. »Seit wann gehst denn du in'd Kirch und weißt, was der Pfarrer mag oder ned mag? Da tät der ja an Herzinfarkt kriegen, wenn er dich sehen tät. Warst ja seit der Kommunion nicht mehr da. Und wer hat dir eigentlich g'sagt, dass ich wiederkommen tät am Abend? Vielleicht will ich ja gar nicht mehr kommen.«

    Die letzten Worte waren etwas geflötet gesprochen und sollten mehr eine Aufforderung zur Einladung als eine Frage sein. Franz Joseph Bernrieder ignorierte dieses Süßholzraspeln.

    »Willst nicht? War's nicht schön heut Nacht? Ich mein, du hast ja nicht grad g'sagt, ich soll aufhörn. Immer wieder …«

    »Ja, is ja scho –«

    Jemand haute mit Fäusten gegen die Eingangstür und rief laut und unüberhörbar: »Melanie! Ich weiß, dass du da drin bist! Jetz mach die Tür auf, sonst brech ich's ein!«

    Als sie das vernahm, war ihr jedes Wort im Hals stecken geblieben.

    »Ja sauber, wer is jetz des, Melanie?«, fragte Franz Joseph Bernrieder mit offenkundigem Schrecken in der Stimme.

    »Scheiß, des is der Hubert. Woher weiß der denn, dass ich da bin? Wenn der mich hier sieht, dann bringt der mich um. Und dich wahrscheinlich auch. Nein, dich sogar sicher. Und noch vor mir.«

    Noch während sie das sagte, war sie wie von einer Wespe gestochen aus dem Bett gesprungen, hatte sich bereits Slip und BH angezogen, dann das leichte blaue Sommerkleid übergestreift und die Schuhe in die Hand genommen.

    »Da wenn'st rausgehst und den Gang runter«, Franz Joseph Bernrieder zeigte in die entsprechende Richtung, »da kannst hinten raus und übern Stall runter auf'd Grüner Wiesen. Da kommst dann beim Stanglwirt raus. Von dort über die Ganglwiesen kommst dann in den Ort. Und jetz lauf.«

    Eine gebührende Verabschiedung wartete sie nicht ab, sondern rannte mit den Schuhen in einer Hand und ihrer Tasche in der anderen den vorgeschlagenen Weg durch das Haus, die Treppen hinunter in den Stall und aus dem Haus in die Grüner Wiese. Dann hörte er nichts mehr von ihr. Sie war weg, und das war auch gut so.

    Franz Joseph Bernrieder selbst zog sich gemächlich seine Hose und ein Hemd an und ging langsam und bedächtig nach unten, ins Erdgeschoss. Er ließ sich Zeit. Der Eindringling haute immer noch mit den Fäusten gegen die schwere Eichentür, die mit zwei Riegeln verrammelt war. Er hätte sie nie und nimmer eindrücken können, also sah Franz keine Veranlassung, sich zu beeilen. Er wollte Melanie vielmehr einen entsprechenden Vorsprung verschaffen, und solange dieser Hubert gegen die Tür hämmerte, konnte er ihr nicht hinterherrennen.

    »Kumm ja scho«, rief er mehrmals, als er barfuß die Stufen vom Schlafzimmer ins Erdgeschoss hinunterging. Unten angekommen, schob er die beiden Riegel beiseite und stand einem mächtigen Mann mit einem tiefschwarzen Bart gegenüber. Er hatte grobe Lederhosen an, ein weißes Hemd, das mehrere gelbe und rote Flecken aufwies, und einen grünen Trachtenhut auf, aus dem schwarze wirre Haare hervorlugten. Der Hut hatte eine Entenfeder an der Seite.

    »Und was genau kann ich für Sie tun?«, fragte Franz Joseph Bernrieder im ruhigsten Ton, den er im Angesicht der riesigen Gestalt gerade noch herausbringen konnte.

    »Wo is'd Melanie?«, schrie er ihn an.

    »Was für eine Melanie? Ich glaub, Sie ham sich da im Haus g'irrt. Hier gibt's keine Melanie.«

    Daraufhin versuchte er, die Tür wieder zu schließen, was seinem Gegenüber die Nachricht übermitteln sollte, dass er das Gespräch als beendet betrachtete. Nur wollte dieser Hubert eben gerade das nicht, sondern stellte seine groben, doppelt besohlten Bauernschuhe zwischen die Tür und den Rahmen, was verhinderte, dass die Tür ins Schloss fiel.

    »Jetz amal langsam«, sagte Franz Joseph Bernrieder, »wie ich schon g'sagt hab, is hier keine Melanie, und ich weiß auch nicht –«

    Damit drückte der schwergewichtige Bulle, mit seinen Händen so groß wie Bärentatzen, die Tür auf und nahm sich die Freiheit, ins Haus zu kommen. Ohne auf eine weitere Konversation zu warten, schob er Franz Joseph Bernrieder zur Seite, als würde er gerade einmal einen Stuhl verrücken, und rannte, zwei Stufen auf einmal nehmend, in den ersten Stock, wobei er ständig »Melanie« rief.

    Franz Joseph Bernrieder, der sich wieder gefangen hatte, setzte sich auf die kleine Bank aus grober Fichte, die im Hausflur stand und normalerweise dazu diente, sich die Schuhe anzuziehen. Dort wartete er geduldig, was auf ihn zukommen würde. Von oben hörte er mehrere Türen auf- und zugehen, schwere Schritte auf dem Holzboden und immer wieder den Namen »Melanie«.

    Dann wurde es ruhiger. Hubert stieg langsam die Treppe herunter. Franz Joseph Bernrieder sah ihn an, als er Stufe für Stufe auf ihn zukam.

    »Und, ham's Ihre Melanie g'sehn? Ich würd auch noch die Schränk untersuchen, vielleicht is sie ja da drin.«

    Er war mittlerweile unten angelangt und baute sich vor ihm auf. Die Hände hatte er in die Hosentaschen vergraben, seinen Rücken nach hinten durchgedrückt.

    »Na, g'sehn hab ich's ned, aber wenn ich rausfind, dass die da war, dann hau ich dir des Maul ein, dass dich dei Mutter nimmer kennt.«

    »Aha, magst vorher noch a Bier? Ich hätt da noch a paar Flaschen. Tölzer Bräu.«

    Hubert drehte sich um und ging auf die Tür zu, durch die er ins Haus gekommen war. Seine schweren genagelten Schuhe machten ein tiefes, klackendes Geräusch auf den roten Fliesen, mit denen der Gang ausgelegt war. An der Tür angelangt, drehte er sich noch einmal um und meinte: »Und des sag ich nur einmal, mein Freund. Des zweite Mal gibt's keine Warnung. Da gibt's nur kaputte Zähn und a verbogene Nasen.«

    Damit ging er hinaus und schmiss mit aller Kraft, die er hatte – und er hatte viel –, die Tür ins Schloss. Durch die Wucht sprang sie wieder auf und schlug gegen die Wand.

    Franz Joseph Bernrieder sah alldem zu und dachte sich seinen Teil. Es war ihm nicht ganz wohl bei dem Gedanken, mit diesem Hubert in einen Schlagabtausch zu geraten.

    Das Telefon läutete. Es war oben, wo er es neben seinem Bett hatte liegen lassen.

    »Ja sauber, wer kann jetz des sein? Is doch erst amal achte. So eine Sauerei. Des is ein Tag. Erst haut die Melanie ab, dann kommt der Depp da,

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1