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Jagdfieber: Eine Rose für das Biest 2
Jagdfieber: Eine Rose für das Biest 2
Jagdfieber: Eine Rose für das Biest 2
eBook475 Seiten6 Stunden

Jagdfieber: Eine Rose für das Biest 2

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Über dieses E-Book

Vincent erhält von Nathan die Chance, sich der Gemeinschaft der Nachtjäger anzuschließen. Dazu muss er beweisen, dass es ihm gelingt, das Biest zu beherrschen. Versagt er, droht ihm der Tod.
Doch ausgerechnet die Liebe zu Nina provoziert seine Nachtseite weit über die Grenzen jeglicher Kontrolle hinaus.
Verzweifelt erkennt er, dass ihm keine Wahl bleibt, und er stellt sich dem Unvermeidlichen.

Nathans Widersacher tritt offen in Erscheinung und fordert ihn heraus. Aufgerieben zwischen dem Verrat seiner eigenen Leute und der bitteren Entscheidung, die ihm Vincent abverlangt, versucht er einen Krieg der Gemeinschaften zu verhindern.
Sein ehemaliger Lehrer und Anführer bietet seine Hilfe an.
Und weckt damit die schlimmsten Erinnerungen in Nathans Leben.


»Jagdfieber« ist der zweite Teil der Dilogie »Eine Rose für das Biest« und setzt Band eins »Nachtjäger« fort.

Eine erste, wesentliche kürzere und einbändige Fassung des Romans erschien 2012 unter dem Titel »Das Biest in ihm« im Sieben Verlag.

SpracheDeutsch
HerausgeberBookRix
Erscheinungsdatum25. Sept. 2019
ISBN9783748716402
Jagdfieber: Eine Rose für das Biest 2

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    Buchvorschau

    Jagdfieber - Swantje Berndt

    Eine Rose für das Biest

    Jagdfieber

    Swantje Berndt

    Copyright © 2019 Swantje Berndt

    Alle Rechte vorbehalten

    https://www.swantje-berndt.de

    https://www.sbnachtgeschichten.com

    Bildrechte: Shutterstock.com, © Sjstudio6Shutt

    Korrektorat: Bernd Frielingsdorf

    Covergestaltung: Swantje Berndt

    »Jagdfieber« ist der zweite Teil der Dilogie »Eine Rose für das Biest« und setzt Band eins »Nachtjäger« fort.

    Eine erste, wesentliche kürzere und einbändige Fassung des Romans erschien 2012 unter dem Titel »Das Biest in ihm« im Sieben Verlag.

    Prolog

    Nathan

    Winzige rote Tupfen, zwei grüne. Ob sie erkannte, dass es Rosenblüten sein sollten? Sie schimmerten durch das Glas, reflektierten das Licht.

    »Er ist bezaubernd.« Jakub sah ihm über die Schulter. »Es ist mein Ernst, ich habe nie eine so schöne, filigrane Arbeit gesehen.«

    Nathans Herz sprang vor Stolz. Jakub war ein meisterhafter Glasbläser. Ein Lob von ihm war mehr wert als ein voller Magen.

    »Für wen ist der Ring?«

    »Kann ich dir nicht sagen.« Dass er Lorena liebte, musste ein Geheimnis bleiben. Die anderen würden ihn auslachen. Er mit seinen jämmerlichen sechzehn Jahren wollte Gregor das Mädchen wegnehmen? Gregor war ein Mann, durch und durch. Er sah gut aus, war stark und groß und bot sogar Heinrich die Stirn.

    Nein, niemand bot Heinrich die Stirn, aber Gregor versuchte es wenigstens und ertrug die Strafen ohne einen Mucks. Selbst wenn ihm dabei das Blut in die Augen lief.

    Nathan steckte den Ring in die Hosentasche. Er wollte niemandem etwas wegnehmen. Schon gar nicht seinem besten Freund, doch Lorena gehörte ihm. Vom ersten Moment an, als er sie gesehen hatte. Es spielte keine Rolle, dass sie älter war als er. Wenn sie ihn ansah, lächelte sie und ihre Augen strahlten heller als der Sommerhimmel. Sie war sein Mädchen. Da konnte sich Gregor ins Zeug legen, wie er wollte.

    »Du hast etwas auf dem Herzen.« Jakub lehnte sich mit dem Hintern gegen die Tischkante und verschränkte die Arme vor der Brust. »Hat es mit dem Ring zu tun?« Auf dem hageren Gesicht zeigte sich ein Lächeln. »Los, spuck’s aus.«

    »Kann ich nicht.« Jakub kannte Heinrich besser als jeder andere in der Gemeinschaft. Er wusste, was ihm blühte, wenn er von Lorena Wind bekam.

    »Verstehe.« Er ließ seinen Blick durch die Glashütte schweifen, doch die anderen waren mit ihrer Arbeit beschäftigt. Niemand achtete auf sie. »Du weißt, dass es Dinge gibt, die dir verboten sind.«

    »Ach, echt?« Gab es denn welche, die ihm erlaubt waren?

    »Das ist kein Scherz, Kleiner. Ein harmloser Kuss kann es wecken und dann spielst du nicht nur mit dem Leben deiner Süßen, sondern auch mit deinem.«

    Er wollte nicht einen Kuss von ihr, er wollte viele und nein, das verdammte Biest würde nicht aufwachen. Es war Mittag, die Sonne brannte vom Himmel und Lorena durfte ohnehin nicht erfahren, was er war. Das durfte niemand außerhalb der Gemeinschaft.

    Wolfsrachen. Was für ein cooler, verwegener Name. Absolut passend für eine Horde Biester. Wenn er nicht gerade von Heinrich geprügelt wurde, war er stolz auf das, was er war.

    Jakub nicht. Sonst würde er nicht so oft traurig sein, und Adam auch nicht, aber das lag daran, dass seine Arme oft schmerzten. Die Wunden wollten nicht heilen. Heinrich hatte ihm mit einer Viehpeitsche zugesetzt.

    »Ich muss los.« Lorena hatte versprochen zur Ruine zu kommen.

    »Nathan!«, rief Jakub hinter ihm her, doch da fiel die Tür der Glashütte zu und sperrte Jakubs Sorgen zusammen mit seiner Stimme ein.

    Nathan atmete auf.

    Maria fegte die Lärchennadeln von der Terrasse, Heinrich schlief im Schaukelstuhl und Gregor war abkommandiert worden, um Holz zu schlagen.

    Seine Chance.

    Er huschte in den Wald, rannte den Hang hinauf Richtung Ostravice. Die Ruine. Dort hatten sie sich verabredet. Er musste ihr seine Gefühle gestehen. Ernsthaft und erwachsen. Ohne rot zu werden, ohne zu stottern. Sie würde bemerken, dass er reifer war als alle anderen Jungen, die sie kannte. Was bedeuteten schon drei Jahre mehr oder weniger? Es störte ihn nicht, eine ältere Freundin zu haben und es störte ihn auch nicht, sich heimlich mit ihr treffen zu müssen. Bald kontrollierte er das Biest vollkommen. Heinrich bläute ihm oft genug ein, wie er mit seiner Nachtseite umgehen musste.

    Der Ring fühlte sich warm an. Warm und glatt. Wenn er ihn weiter ständig in den Fingern hielt, würde er ebenso feucht wie seine Hände.

    Himmel, war er nervös.

    Und wenn sie nicht kam? Vielleicht hatte sie unterwegs Gregor getroffen und ihre Verabredung vergessen.

    Nein, Gregor war in Richtung des Lysá Hora aufgebrochen, Lorena kam aus Ostravice.

    Er musste sich beeilen. Über die schmalen Landstraßen waren es zehn Kilometer. Querfeldein um einiges weniger, aber dennoch. Lorena hatte gesagt, sie wollte um drei Uhr nachmittags dort sein. Sie hatte gelächelt, als sie es ihm versprochen hatte. Warum sollte sie sich nicht für ihn entscheiden? Sie fand ihn süß, mochte seine braunen Augen und hatte ihn geküsst. Nur kurz, doch es war ihm wie ein Stromschlag durch den Körper gefahren. Gregors Spotten konnte das nicht aus der Welt wischen. Ein Kuss war ein Kuss und er wollte noch einen.

    Die Sonne schien durch die Zweige, ließ das Moos golden glitzern. Die Vögel sangen, der Wind streichelte die Blätter.

    Ein wunderschöner Sommertag.

    So schön wie Lorena.

    ~*~

    1. Hartes Training

    Jakub

    Nathan saß am Feuer, sah in die Flammen. Seine Finger ließen den Glasring kreisen, als könnten sie nicht von ihm lassen.

    »Denkst du oft an sie?« Adam zündete eine Zigarette an, reichte sie ihm. »Sie war deine erste große Liebe.«

    »Sie war auch meine letzte.« Ein Lächeln vertrieb für einen Augenblick den Ernst aus seiner Miene.

    »Du hast dein Herz für dich behalten? All die Jahre lang?«

    »Ich habe es aufgeteilt.« Nathan inhalierte den Rauch, blies ihn langsam wieder aus. »In meinem Leben gibt es Menschen, die mir viel bedeuten.«

    »Menschen?« Adam hob die Brauen. »Mutig.«

    »Menschen, Biester.«

    Glutfunken segelten durch die Dunkelheit.

    »Ich habe mir abgewöhnt zu unterscheiden.«

    »Hört, hört. Ein Philosoph.« Adam lachte.

    Jakub schlang die Arme um den Körper. Ihm war kalt, aber das war ein kleiner Preis für ein ungestörtes Treffen mit Nathan. Er hatte ihn und Adam darum gebeten. Mitten in der Nacht waren sie losgefahren, um an einem Grillplatz im Nirgendwo ein Feuer zu entfachen und zusammen zu rauchen. Sicherlich ging es längst gegen Morgen. Da sich Gregor immer noch in seinem Bunker verkroch und die Wunden leckte, die ihm sein Sohn zugefügt hatte, würde er ihren Ausflug in Feindesland nicht bemerken. Der Rest der Wolfsrachen schlief wahrscheinlich den Rausch aus. Eines musste man den spanischen Überläufern lassen, sie wussten, wie man feiert.

    »Ich habe Vincent zu mir geholt.« Nathan sah ihn durch die Flammen hindurch an. »Er kann sich an keinen Kampf erinnern.«

    »Aber er hat stattgefunden.« Die Wunde auf Vincents Rücken sprach für sich. Außerdem war Michal Zeuge der Auseinandersetzung zwischen ihm und Gregor.

    »Ich glaube es dir.« Erneut kreiste der Ring durch Nathans Finger. »Das Biest blockiert seine Erinnerungen. Anscheinend häuft es sich in letzter Zeit.«

    »Schlecht«, murmelte Adam und nahm sich die Zigarette zurück. »Wer von euch macht es?«

    Jakubs Magen zog sich zusammen. Vincent hatte ohne Hilfe seiner Nachtseite die Stirn geboten. Er hatte es geschafft, achtundzwanzig Jahre alt zu werden und nicht nur zu überleben, sondern auch die meiste Zeit ein Mensch zu bleiben. Gregor hatte ihn im Stich gelassen, statt ihm zu helfen, dabei war er Vincents Vater. Es wollte Jakub immer noch nicht in den Sinn, weshalb sich Gregor erst nach zehn Jahren bei seinem Sohn gemeldet hatte. Vincent hätte ihn viel früher gebraucht.

    »Niemand macht es«, sagte Nathan leise. »Ich werde ihn nicht töten.«

    »Nicht?« Adam blähte die Wangen, was bei seinem eingefallenen Gesicht seltsam aussah.

    »Ich kann es nicht.« Nathan wich Adams Blick aus, nur um Jakubs zu finden. »Warst du sanft zu Maria?«

    »Ja.« Ein Genickbruch war schnell, sanft und beschissen effizient. »Kein Geheimnisträger außerhalb der Gemeinschaft.«

    Jedem von ihnen kam ein anderer Fluch über die Lippen.

    »Was hat Heinrich nur aus uns gemacht?« Unglücklich starrte Adam in die Flammen. »Wir gehen mit dem Tod unserer Freunde um wie mit einem lästigen Ärgernis.«

    »Wir sind Monster«, sagte Nathan mit einer Resignation in der Stimme, die es in Jakubs Herz ziehen ließ. »Jeder von uns ist ein Mörder.«

    Das Schweigen senkte sich bleischwer auf den beginnenden Morgen. Keiner von ihnen brachte den Mut auf, es zu brechen.

    Als sich ein grauer Streifen im Osten zeigte, stand Nathan auf. »Ich muss zurück. Vincents Training beginnt bald und ich will dabei sein.«

    »Du hängst an ihm«, stellte Adam fest. »Warum? Er ist der Sohn deines Feindes.«

    Nathan steckte sich schweigend den Glasring an den kleinen Finger.

    »Hattest du ihn nicht Lorena geschenkt?«

    »Sie hat ihn Vincent vermacht.«

    Adam runzelte die Stirn, sagte jedoch nichts.

    »An dem Nachmittag, an dem du dich aus der Glashütte geschlichen hast.« Jakub war ihm gefolgt und gerade noch rechtzeitig gekommen. Alle trafen sich in der Ruine. Für heimliche Küsse, für Sex, der mal mehr, mal weniger gut ausging. Oder um eine Nacht in Angst und Kälte zu verharren, bevor der erste Zug in Ostravice in die Freiheit abfuhr. Manche von den Wolfsrachen hatten ihn erwischt, andere hatte Heinrich erwischt.

    Nathan sah zu ihm hinab. Der Lichtschein der Flammen ließ Schatten über sein Gesicht zucken. »Ich habe dir nie gedankt.«

    »Das musst du auch nicht.« Für Lorena war es ein Spiel gewesen. Ein erotisches, über die Maßen sinnliches Spiel. Sie hatte es genossen, von den Armen eines Mannes gehalten zu werden, während ein Junge darum kämpfte, ein Mensch zu bleiben. Dass ihr Jakub die Augen mit Nathans Halstuch verbunden hatte, hatte sie zusätzlich erregt.

    Nathan hatte sich tapfer geschlagen. Vielleicht wäre sogar Heinrich stolz auf ihn gewesen. Erst als das Gelb aus seinen Iriden verschwunden war und die Fangzähne sich wieder zurückgebildet hatten, wurde Lorena von ihrer Augenbinde erlöst. Sie war so atemlos wie Nathan gewesen, doch ihre Lust hatte keinen Kampf, keinen Schmerz mit sich geführt. Mit einem seligen Lächeln war sie nach Hause gegangen, während Nathan auf dem Rückweg zur Glashütte zusammenbrach. Jakub hatte ihn huckepack tragen müssen.

    Zum Glück war Heinrich an diesem Abend zu sehr mit seinen eigenen Bedürfnissen beschäftigt gewesen und damit, sie in Maria auszutoben. Ein paar Wochen später war Gregor geflohen. Zusammen mit dem Mädchen, dem Nathan nicht nur einen Ring, sondern auch sein Herz geschenkt hatte. Lorena hatte beides mitgenommen.

    »Er lag auf seinem Schreibtisch.« Nathan betrachtete das Glitzern an seinem Finger. »Ich bemerkte ihn, als ich Vincent heimlich besuchte. Ihn und eine Nachricht von Lorena. Als ich gestern Abend ein paar persönliche Dinge von ihm geholt habe, konnte ich nicht anders und habe ihn eingesteckt.«

    »Vincent wird es bemerken.« Spätestens, wenn Nathan ihn nach hoffentlich erfolgreichem Training wieder aus der Fabrik entließ.

    »Bis dahin bringe ich ihn zurück.« Das schüchtern verträumte Lächeln verwandelte Nathan in den verliebten Jungen von damals.

    »Rechne mit Heinrichs baldigem Erscheinen.« Seufzend erhob sich auch Adam. »Milos hat ihn seit ein paar Tagen auf dem Schirm, wie er um deine Fabrik schleicht und auf einem Schrottplatz haust.«

    Nathan schnaubte. »Gregor lässt meine Leute ebenso wie meine Feinde beobachten, ich kollaboriere mit euch und meine Männer springen ab, um sich Gregor anzuschließen. Was ist los mit uns?«

    Adam lachte. »Es scheint, wir haben den Halt verloren. Jeder auf seine Weise, und nun bemerken wir es und fürchten uns davor.«

    »Ich kann euch Halt bieten.« Nathan fasste ihn am Arm. »Adam, ich weiß, wie sehr du unter Heinrich gelitten hast. Ich verstehe, dass du ihm den Rücken kehren musstest. Das verstehe ich bei jedem von euch. Aber nachdem, was ihr mir von Gregor erzählt habt, ist er die falsche Wahl.«

    »Wissen wir.« Unglücklich zuckte er mit der Schulter. »Deshalb verraten wir nach Heinrich auch Gregor. Du bist die einzige Alternative in dem Irrsinn.«

    »Ich verfüge über eine Handvoll Männer, die mich niemals hintergehen würden, aber ich weiß nicht, ob das genügt, um uns gegen Gregor und die Überläufer zu stellen.«

    »Wird es nicht«, seufzte Adam. »Milos und Bronco sind Meister im Infiltrieren. Sie sagen, sie hätten noch zwei von dir an der Leine, also kannst du niemandem trauen.«

    Nathan schloss die Augen.

    »Aber du kannst sie erkennen.« Schaudernd stieß Adam einen Stock ins Feuer. »Seit heute Nacht tragen alle ein eindeutiges Zeichen ihrer Mitgliedschaft auf dem Rücken.«

    Die Brandmale. Es war so lächerlich, doch Bronco schien es ernst zu meinen, dabei war die Idee im Suff geboren.

    »Wer zum erlauchten Klub der Wolfsrachen gehört, trägt ein frisches Brandzeichen.« Adam ignorierte Nathans nach Luft schnappen. »Milos hat einen Draht zu etwas verbogen, das nicht einmal annähernd einem Wolfskopf mit aufgerissenem Maul ähnelt. Er hat das Ding ins Feuer gehalten und jedem auf den Rücken gedrückt.«

    Die Jungen hatten gebrüllt wie die Löwen, als der Draht auf ihrer Haut gezischt hatte. Ilja und Miroslav wären beinahe transformiert. Als sich Bronco mit dem Teil Adam genähert hatte, hatte ihn Jakub niedergeschlagen. Dafür hatte sich Milos auf Michal gestürzt, kaum dass der zur Tür hereingekommen war. Bevor der Junge wusste, wie ihm geschah, hatte er ihm die Kleidung vom Oberkörper gerissen und ihn gezeichnet.

    »Jakub und ich sind die einzigen Wolfsrachen ohne Brandmal.« Adam zwinkerte ihm zu. »Du hast mich davor gerettet, mein Freund.«

    »War mir ein Vergnügen.« Sie waren die Ältesten der Gemeinschaft. Ihnen standen ein paar Extras zu.

    »Das ist barbarisch.« In Nathans Miene spiegelte sich Abscheu. »Sie wenden sich von Heinrich ab, bleiben jedoch seinen Methoden treu?«

    Heinrich hatte sie alle gezeichnet. Wenn auch nicht mit einem Brandmal.

    »Die Brandmale sollen ein Zeichen für eine Gemeinschaft der neuen Generation sein«, erklärte Adam und schüttelte sich erneut. »Frei von Regeln und Zwängen und weiß der Teufel was. Deine Spanier blieben ebenfalls nicht verschont.«

    »Sie sind stolz auf ihr freies Leben.« Ein trauriges Lächeln glitt über Nathans Gesicht. »Sie werden in dieser Freiheit untergehen und es erst bemerken, wenn es zu spät ist.«

    »Heinrich würde sie in der Luft zerreißen.« Dasselbe würden sie mit ihm tun, sobald sie ihn in die Finger bekämen.

    »Es wird zum Kampf kommen.« Es schien, als spräche Nathan zu sich selbst. »Das ist das Letzte, was ich will.«

    »Und ich will nicht, dass einer der Jungen wegen Gregors Irrsinn und meiner Naivität stirbt.« Es wäre entsetzlich. Jiri, Marek, Ilja, Michal und Miroslav. Sie waren wie Söhne für ihn. Bis vor Kurzem waren das Bronco und Milos ebenfalls gewesen, doch beide verrohten unter Gregors nicht vorhandener Führung.

    »Du hast mir bisher nicht verraten, wer von euch Nina angegriffen hat.« In Nathans Stimme schlich sich ein harter Ton. »Fürchtest du, ich könnte Vergeltung fordern?«

    »Ja.« Das Mädchen stand ebenso wie ihre sieben Brüder unter Nathans Schutz. Fünf davon waren Biester, bei den anderen beiden schwieg die Nachtseite ihres väterlichen Erbes. So, wie Nathan von den Geschwistern erzählte, hing er an ihnen und zweifellos bildete sie den Kern der Nachtjäger.

    »Erfahre ich, wer es gewesen ist, bringe ich ihn zur Strecke.«

    »Versucht er diese Sauerei ein zweites Mal, übernehme ich das selbst.« Er trug die Verantwortung für die Jungen, also würde er sie auch bestrafen.

    »Freunde.« Adam hob beschwichtigend die Hände. »Wir haben gern miteinander geredet, gefroren und geraucht. Wir sollten uns nicht mit Drohungen auf den Lippen verabschieden.«

    »Du hast recht.« Nathan zog ihn in seinen Arm. »Du bist zu freundlich für unsere Welt.«

    »Ich weiß.« Adam grinste ihn an. »Dennoch bin ich hier.«

    Jakub würde alles dafür tun, dass es so blieb.

    »Ich muss los.« Nathan umrundete das Feuer, schloss auch ihn in den Arm. »Ich sage euch Bescheid, wenn sich Heinrich erdreistet, bei mir aufzuschlagen.«

    »Das wird er garantiert.«

    Nathan entwich ein leises Knurren.

    »Pass auf deine Leute auf und gib Vincent den Ring zurück, bevor er etwas merkt, sonst musst du ihm ein paar peinliche Dinge erklären.«

    »Dass ich seine Mutter nur mit deiner Hilfe lieben konnte?«

    Bildete er es sich ein oder färbten sich Nathans Wangen eine Spur dunkler?

    »Er kämpft mit denselben Problemen, und wenn er sie nicht löst, wird er ebenso wie ich ein Leben in Enthaltsamkeit führen müssen.«

    »Wie hältst du dir in einer Stadt wie Berlin die Frauen vom Hals?«

    »Ich lasse sie nicht so nah genug ran, dass sie meinen Hals erreichen.« Noch ein Zwinkern und er ging zu seinem Wagen.

    »Heinrich hätte jeden von uns kastrieren sollen und sich gleich mit.« Adam schaufelte Schnee auf die Feuerstelle. »Wenn wir zeugen, sündigen wir, und wird es ein Sohn, laden wir mehr Schuld auf uns, als wir jemals tragen können.«

    »Manchmal frage ich mich, wie viele der Jungen mit Heinrich verwandt sind.« Maria war nicht seine erste Frau und zurückgehalten hatte er sich nie.

    Steifgefroren stiegen sie in den alten Militärjeep und machten sich auf den Weg zurück zu Gregors Haus. Hoffentlich schliefen die anderen noch, wenn sie ankamen. Jakub riss sich nicht darum, sich Lügen aus den Fingern zu saugen, um zu erklären, wo sie die Nacht über gesteckt hatten. Die Ausrede zu jagen war langsam abgegriffen.

    »Frauen sind seltsame Wesen«, stellte Adam nach einer Weile fest. »Ich verstehe ihre Art zu denken nicht.«

    »Seltsamere Wesen als wir?« Jakub bremste ab, um ein paar Wildschweine über die schmale Straße traben zu lassen. »Das ist kaum möglich.«

    »Wie kommt eine Mutter darauf, ihrem Sohn einen Ring zu vererben, den sie von ihrem Liebhaber geschenkt bekommen hat?« Mit gerunzelter Stirn sah Adam der Rotte nach. »Nathan und Gregor waren Freunde, Lorena wusste das. Für mich fühlt sich das wie ein Verrat an ihrem Mann an.«

    »Und für mich wie ein Verrat an Nathan.« Sie hatte ihm schöne Augen gemacht, sich von ihm vögeln lassen und war trotzdem mit Gregor abgehauen. »Vielleicht hat ihr der Ring besonders gut gefallen und sie hoffte, ihr Sohn würde ihn eines Tages …«

    »… an seine Braut weitergeben?« Adam lachte trocken. »Damit wären wir wieder beim Thema Kastration.«

    »Seit wann bist du scharfzüngig? Steht in der Bibel nicht etwas von Selig sind die Sanftmütigen

    »Tut es. Aber das ist unsere Spezies nie gewesen.«

    »Du schon.« Er nahm Adams kalte Hand, drückte sie. »Hör damit nicht auf.«

    »Hätte ich einen Sohn, würde ich ihn lieben«, sagte er leise. »Auch wenn er mich für seine Existenz hasst.«

    Gregor hatte Vincent dazu gebracht, sich drei Tage dem Biest zu überlassen und das Risiko in Kauf genommen, dass es Vincent nicht mehr zurückschafft. Kein Vater durfte so etwas seinem Kind antun. Hatten sie deshalb miteinander gekämpft?

    »Der Ring ist wunderschön«, durchbrach Adam seine Gedanken. »Nathan muss sein Herz hineingelegt haben, als er ihn schuf.«

    Und Lorena hatte es ihm gebrochen.

    Vincent

    Nina war bei ihm gewesen. Ihr weiches Haar hatte seine Haut, seine Lippen liebkost. Er schmeckte ihre Küsse, fühlte sie an sensiblen Stellen seines immer noch erregten Körpers.

    Es musste ein Traum gewesen sein. Ihre Brüder hätten sie nicht mitten in der Nacht zu ihm gelassen. Es war zu gefährlich. Das Biest lauerte auf Ninas Zärtlichkeit, begehrte sie ebenso wie er.

    Wenn er sie verletzte, würden ihn Nathan jagen und töten.

    Der Gedanke tröstete über eine Trauer hinweg, die niemals einen Grund finden durfte.

    Es war still. Nicht einmal der Lärm der Stadt drang zu ihm.

    Unmöglich, Berlin schwieg nie.

    Vor ihm breitete sich ein Weg aus. Er ging ihn entlang, als würde er ihn kennen, doch er war ihm fremd. Der Kies knirschte bei jedem Schritt und zerbrach das Schweigen um ihn. Gräber. Rechts und links. Buchsbaumhecken, ein Brunnen, grüne Gießkannen. Die Reihe der sinnlosen Steine endete nicht. Inschriften verschwammen vor seinen Augen.

    Seine Mutter. Sie wartete auf ihn. Sie sah jünger aus, als er sie in Erinnerung hatte. Ihr Lächeln hatte vergessen, was vor zehn Jahren geschehen war. Es versprach ihm Liebe und Verständnis, lud ihn ein näher zu kommen.

    Eine Windböe. Kalt wie Eis. Sie trieb tote Blätter vor sich her, wehte Lorena die Haare ins Gesicht. Sie strich sie zurück, ohne dass ihr Lächeln die Lippen verließ. Der Ring aus Glas glitzerte an ihrer Hand. Winzige Rosenblüten, rot wie Nadelstiche in Fingerspitzen.

    Sie hatte ihn nie getragen. Weshalb jetzt?

    Ihr Lächeln verschwand. Traurig ließ sie die Hand sinken. Der Ring glitt ihr vom Finger, zerschlug auf dem Kies.

    Vincent bückte sich nach den Scherben. Sie waren zu klein. Seine Klauen konnten die glitzernden Splitter nicht fassen. Wann hatte er sich verwandelt? Weshalb hatte er nichts davon bemerkt? Lorena musste furchtbare Angst vor ihm haben.

    Ein matter Lichtschein. Er fiel nicht auf den Kies, sondern auf staubiges Linoleum. Ein Schatten betrat ein fremdes Zimmer, zog sich einen Stuhl heran und setzte sich.

    Lorena hob den Blick, schüttelte den Kopf.

    »Ich habe es nicht gewusst.«

    Kalte Finger strichen ihm durchs Haar.

    »Ich war jung und verantwortungslos.«

    Seine Mutter verblasste ebenso wie der Schatten an seinem Bett.

    »Wir sehen uns in einer Stunde. Ich hoffe, die Nacht war gut zu dir.«

    Er kannte die Stimme. Sie war fürsorglich, tröstend, dennoch befremdlich und versteckte etwas, das ihm gehörte.

    Eine Melodie. Sie wiederholte sich, verstummte.

    Dicke Flocken fielen vom Himmel und begruben die Glassplitter. Vincent folgte dem Weg bis zu seiner Werkstatt. Die Rosensträucher überwucherten die Tür, als hätte sie seit Jahren niemand mehr geöffnet. Dennoch teilten sie sich für ihn, kaum dass er die Schwelle betrat.

    Im Dämmerlicht ragte der geköpfte Faun empor. Er zeugte von einer Jagd, an die sich Vincent nicht erinnerte.

    Ein Geräusch lockte ihn zurück zu der alten Villa. Noch bevor er es erkannte, erschien Paul auf den Stufen zur Kellertreppe. Sein Hemd war blutbesudelt, in den Händen hielt er den abgerissenen Kopf eines Keilers.

    »Du bist ein Monster, Vincent Fabius.« Der Kopf fiel hinab, das Blut schmolz Löcher in den Schnee. »Ein abscheuliches Monster!«

    »Du traust dich ja was.«

    Was zur Hölle!

    »Fall nicht vor Schreck aus dem Bett.« Marcel blickte streng auf ihn herab.

    Keine Grabsteine, keine Werkstatt, kein wütender Paul. Stattdessen Backsteinwände mit Tapetenresten und ein zugefrorenes Fenster.

    »Weißt du wieder, wo du bist?«

    »In eurer Fabrik.« Sie hatten ihn ohnmächtig in der Werkstatt gefunden, ihm erzählt, er wäre drei Tage bei seinem Vater gewesen.

    Vincent erinnerte sich nur an Bruchstücke.

    »Vor einer Stunde hat dein Wecker geklingelt und du schläfst einfach weiter?«

    »Ich habe keinen Wecker.«

    »Dein Handy schon.« Marcel wischte über das Display und eine Melodie erklang. »Kleine Wellen.« Er schnaubte. »Nathan hätte meinen Klingelton verwenden sollen. Jeans Wutbrüllen hätte dich effizienter aus dem Bett gekickt.« Er legte es auf den Tisch. »Du siehst besser aus als das leidende Etwas von gestern. Was macht dein Rücken?«

    »Keine Ahnung.« Er hatte auf der Wunde geschlafen, also konnte es nicht schlimm sein.

    »Hoch mit dir, ich sehe es mir an.«

    Es fiel schwer, sich aus der Wärme herauszuwagen und noch schwerer, sich von dem warmen Pullover zu trennen.

    »Wir hätten dich ausziehen sollen, Prinzessin.« Marcel schob ihm das Shirt bis zum Nacken hinauf. »Aber wir waren froh, als wir dich endlich im Bett hatten.«

    »Ich habe nichts davon mitbekommen.«

    »Kein Wunder nach dem, was du hinter dir hast.« Vorsichtig löste er die Pflasterstreifen. »Sieht gut aus.«

    »Bei mir heilt alles schnell.«

    »So wie bei jedem von uns. Trotzdem entzünden sich manchmal tiefe Wunden. Muss ja nicht sein, dass dir Eiter aus dem Rücken suppt.« Ein leises Schnalzen und er riss den Rest ab.

    »Au!« Nina hatte ihn sanfter verarztet.

    »Stell dich nicht so an«, murmelte Marcel und klatschte ihm eine frische Kompresse auf die Wunde. »Du erinnerst dich, dass du gestern während hitziger Diskussionen dein Überleben betreffend eingeschlafen bist?«

    »Nicht wirklich.«

    »Du kannst froh sein, dass Egmont nicht dabei war.« Ein leises Knurren begleitete seine Worte. »Der hätte alles getan, um dich bei Nathan zu verunglimpfen.«

    »Kein Veto-Recht.« Nathan kannte seine Leute.

    »Dein Glück.«

    Egmont mit dem lächerlichen Schnauzbart und den grellgrünen Augen. Marcel konnte ihn nicht ausstehen, weil er Nina nachstellte und auch sonst zu der Sorte Mann gehörte, der man entweder aus dem Weg ging oder ihn für den finalen Kampf herausforderte.

    Vincent würde sich im Zweifelsfall für Letzteres entscheiden. Es musste ein Vergnügen sein, den Smartboy quer durch den Berliner Forst zu hetzen.

    »Zieh dich um.« Marcel schnappte sich eine Reisetasche, die Vincent vage bekannt vorkam, und warf sie aufs Bett. »Paul hat dir das Nötigste zusammengepackt. Auch was zum Trainieren, also wähle die Jogginghose und die Turnschuhe.«

    Daher kannte er das Ding.

    »Als Nathan von ihm zurückkam, haben ihm die Ohren geglüht. Paul hat ihn mit Bedingungen und Drohungen geflutet, was alles passieren würde, wenn er dir auch nur einen Fellfussel krümmt. Dem Kerl fehlt jeglicher Respekt vor unserer Spezies.«

    »Dazu weiß er zu viel von mir.« Schlimmer als das Unglück vor drei Jahren konnte nichts für Paul werden.

    »Ja, scheint so.« Marcel warf ihm ein T-Shirt entgegen. »Beeil dich und kein blöder Spruch zu Nathan, von wegen die Weckerfunktion deines Handys wäre dir fremd. Nur demütiges Zu-Kreuze-Kriechen, klar?«

    Er hätte den Sicherheitscode aktivieren sollen.

    »So wie er aussieht, hatte er eine kurze Nacht, wenn er überhaupt geschlafen hat. Jede Wette, es ist deine Schuld.«

    »Alles ist meine Schuld.« Das war schon immer so gewesen und würde sich nie ändern. »Frag Paul. Der wird es dir bestätigen.«

    Marcel lachte, was die Strenge aus seiner Miene vertrieb. »Komm mit, ich zeige dir, wo die Toiletten und die Duschen sind.«

    Vincent schaffte es gerade noch, seine Schuhe anzuziehen und Pauls Ersatz-Kulturtasche zu schnappen, schon wurde er von Marcel aus dem Zimmer gescheucht. Er folgte ihm an mit Graffitis überzogenen Wänden entlang hinab bis zum Erdgeschoss. Die Lobby war verwaist, doch offenbar auch nicht ihr Ziel, denn Marcel lotste ihn nach links in einen Gang statt nach rechts zu den verlockend gemütlichen Sofas.

    Vor einer Tür mit aufgemalten Edding-Strichmännchen blieb Marcel stehen. Das eine war eindeutig eine Frau, wie der Rock und zwei rechts und links abstehende Brüste inklusive Nippel verrieten, das andere war ein Monster mit spitzen Ohren und ebenso spitzen Fangzähnen, das die Klauen nach der Frau ausstreckte und ihr hinterherzurennen schien.

    »Sehr originell.«

    »Wie man’s nimmt.« Marcel stieß die Tür auf. »Du hast fünf Minuten. Handtücher liegen im Regal.«

    »Dieser Fünf-Minuten-Scheiß geht mir auf den Sack! Das ist zu kurz!«

    »Dann spar dir die Dusche. Das freut deinen Kratzer auf dem Rücken und du hast mehr Zeit zum Pissen.« Mit vor der Brust verschränkten Armen lehnte er sich gegen die Tür. »Na los!«

    Vincent hechtete durch die Morgenroutine, die sich an diesem Ort komplett fremd anfühlte. Er wollte zum Rasierer greifen, doch Marcel schüttelte den Kopf.

    Gut, dann eben nicht.

    Erneut eilten sie durch die Korridore. Dieses Mal bis zu einem alten Lagerraum. Im Neonlicht standen ein Laufband, eine Hantelbank und ein Gestell mit Strippen und Griffen.

    »Kreiseltraining?« Das konnte unmöglich sein Ernst sein.

    »Du bist zu spät.« Nathan schlenderte aus dem Schatten hervor. »Ich warte seit über einer Stunde auf dich.« In der Hand hielt er einen Becher, aus dem es verlockend nach Kaffee duftete. Der Blässe seines Gesichtes nach hatte er ihn nötig.

    »Tut mir leid, ich wusste nicht, dass mein Handy eine …«

    Marcel trat ihm auf den Fuß. »Kommt nicht mehr vor, Nathan. Ich hab ihm die Leviten schon gelesen.«

    Auf Nathans Stirn bildeten sich Gewitterwolken. »Jean sagte ja bereits, dass es unserem Neuzugang an Disziplin mangelt.«

    »Was musstest du auch kleine Wellen wählen?« Niemand wurde davon wach.

    Marcel rollte mit den Augen. »Ich geh dann mal.« Noch ein derber Schulterschlag und er trollte sich.

    In der Tür rannte ihm Rene in die Arme.

    Ninas jüngster Bruder spähte zu Nathan. »Darf ich dabei sein?«

    »Meinetwegen.« Nathan winkte ihn näher.

    Schön, dass er nicht gefragt wurde.

    »Cool, ich habe den Test nie machen müssen, aber was Vladimir davon erzählt, macht mich neugierig.«

    »Und wenn ich keine Zuschauer will?« Mit Rene hatte er noch ein Hühnchen zu rupfen. Die grauenvolle Autofahrt während ihres ersten Treffens würde er ihm nie verzeihen. Seine angebliche Disziplinlosigkeit an diesem Tag ging eindeutig auf Renes Kappe. Sich erneut vor ihm eine Blöße zu geben war das Letzte, was er wollte.

    Nathan folgte Vincents Blick zu dem Laufband. »Keine Angst, zuerst werden deine Instinkte getestet. Herbert freut sich seit gestern darauf, dir seine Diasammlung zu präsentieren.«

    »Ich dachte, er sammelt Briefmarken?«

    »Die Dias dienen rein wissenschaftlichen Zwecken.« Er führte ihn in eine Ecke, in der ein seltsames Gerät aufgebaut war. An der Wand gegenüber hing eine vergilbte und an den Rändern eingerissene Leinwand. »Setz dich.« Er zog einen Stuhl heran und wartete, bis Vincent Platz genommen hatte. »Herbert kommt jeden Moment.«

    Der Duft seines Aftershaves mischte sich mit dem des Kaffees. Das eine war angenehm, das andere eine Notwendigkeit.

    Kommentarlos hielt ihm Nathan die Tasse hin.

    Vincent versuchte erst gar nicht, das dankbare Seufzen zu unterdrücken.

    In Nathans Mundwinkeln zuckte es.

    »Schon bereit, wie ich sehe.« Herbert eilte in ausholenden Schritten zu ihnen. Ein Klemmbrett unter dem einen, eine Kiste unter dem anderen Arm. »Das ist gut, denn ich habe es eilig. Meine Vorlesung beginnt in Bälde.«

    »In was?«, fragte Rene und löste damit eine Diskussion über die Lebendigkeit von Sprache an sich und das Einsetzen diverser Stilmittel im Besonderen aus.

    »Ich hasse Morgenmenschen«, murmelte Nathan und nahm sich die Tasse zurück, um sie in wenigen Schlucken zu leeren. »Vor allem nach Nächten wie der letzten.«

    »Was war los?« Selbst wenn die Fabrik explodiert wäre, hätte Vincent nichts davon mitbekommen.

    »Unsere tschechischen Freunde halten mich auf Trab. Im Guten wie im Bösen.« Er ließ sich auf eine Holzbank sinken. »Ich erwarte Besuch von jemandem, den ich lieber töten als willkommen heißen will. Ein gemeinsamer Feind von Gregor und mir.« Müde fuhr er sich über die Augen. »Gregor hat ihm die Leute ausgespannt, hält sie aber nicht in Schach. Der Kerl, der Nina angefallen hat, gehört dazu. Allerdings auch der Mann, der dir bei Gregor zu Hilfe kam.«

    »Sie kannten mich schon, bevor ich zu ihnen gekommen bin.« Die Typen mit den Lederjacken, die ihn in der U-Bahnstation beobachtet hatten.

    »Gregor hat sie auf dich angesetzt. Er will dich zurückhaben.«

    »Wozu?« Als er ihn gebraucht hatte, hatte er ihn im Stich gelassen und dann, zehn Jahre später, bat ihn Gregor um ein Treffen, nur um sich vor ihm auszuziehen und in ein Biest zu verwandeln.

    »Er und ich waren früher enge Freunde. Er hat mein Leben gerettet, als es mir mein Stiefvater nehmen wollte. Während der Zeit bei Heinrich war er der Grund für mich durchzuhalten.«

    »Was hat euch zu Feinden werden lassen?«

    Er sah von seiner Tasse auf, lächelte traurig.

    »Lasst uns starten.« Herbert wischte sich über die Glatze. »Vincent, setz dich vor dieses Ding und leg dein Kinn auf die Halterung.«

    Nathan machte ihm ein Zeichen, dass er gehorchen sollte.

    »Sieh durch die Linse und versuche,

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