Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Devlin House
Devlin House
Devlin House
eBook431 Seiten6 Stunden

Devlin House

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Am Sterbebett ihres Vaters erhofft sich die New Yorkerin Megan Antworten auf all die unbeantworteten Fragen ihrer Vergangenheit. Erst als sie ihren irischen Wurzeln zurück an die malerische Küste Kerrys folgt, findet sie im unheimlichen Familienanwesen Devlin House Hinweise auf ein dunkles Familiengeheimnis. Nur der gutaussehende Pferdepfleger Connor Barry ist bereit ihr zu helfen …
SpracheDeutsch
HerausgeberEisermann Verlag
Erscheinungsdatum19. Aug. 2020
ISBN9783961732029
Devlin House

Ähnlich wie Devlin House

Ähnliche E-Books

Allgemeine Belletristik für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Devlin House

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Devlin House - Sam Bennet

    Impressum

    Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über

    http://www.d-nb.de abrufbar.

    Print-ISBN: 978-3-96173-151-0

    E-Book-ISBN: 978-3-96173-202-9

    Copyright (2020) Eisermann Verlag

    Umschlaggestaltung und Buchsatz: Grit Richter

    unter Verwendung der Shutterstock Bilder 191062076 und 132979817

    Lektorat: Bettina Dworatzek

    Hergestellt in Bremen, Germany (EU)

    Eisermann Verlag

    ein IMPRINT der EISERMANN MEDIA GMBH

    Gröpelinger Heerstr. 149

    28237 Bremen

    Alle Personen und Namen innerhalb dieses Buches sind frei erfunden.

    Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

    Wer nicht zu schweigen weiß, verdient nicht zu herrschen!

    Francois Fénelon

    (1651-1715), franz. Erzbischof und Schriftsteller

    1.

    Dunkelheit umgab das kleine rothaarige Mädchen und nur der blasse Schein ihrer Kerze dämpfte die aufsteigende Panik. Sie versteckte sich wieder einmal im alten Dielenschrank, der so gut nach Wald roch und in dem ihre alte Puppe auf sie wartete. Hier, in diesem winzigen Raum, fühlte sie sich geborgen, wenn sie die Welt um sich herum vergessen wollte. Er bot ihr Schutz. Schutz vor dem Grauen, das in diesen Gemäuern allgegenwärtig war. Schutz vor dem Pochen und Heulen, welches sie geweckt hatte und wieder aus dem Bett holte. Sie durfte in der Nacht das Zimmer nicht verlassen, das wusste sie genau. Doch die Neugierde gewann einmal mehr den Kampf über ihre Angst. Wieder dröhnte das laute Klopfen durchs Haus, schwoll an und stoppte abrupt.

    Das kleine Herz pochte laut und schmerzhaft gegen ihren zarten Brustkorb und das Atmen fiel ihr schwer. Wieder hörte sie furchterregendes Wehklagen und seine tiefe Stimme, bis das Wimmern schlussendlich verstummte. Das kleine Mädchen musste schnell in ihr Zimmer zurück. Zurück in das hoffentlich noch warme Bett. Wenn er sie erwischen würde …

    Sie schloss ängstlich die Augen, als könne sie so die Bilder seines Gürtels aus dem Kopf bekommen. Ihr Puls raste und schwoll zu einem Rauschen in ihren Ohren an. Vorsichtig drückte sie mit ihren kleinen Händchen die schwere Eichentür auf, spähte in die Dunkelheit und rannte los. Das rettende Zimmer war nur wenige Schritte entfernt. Wäre sie so flink wie Patrick, bliebe sie unentdeckt, doch sie war zu klein. Die Füßchen trugen sie nicht schnell genug.

    »Wie oft habe ich dir gesagt, du sollst in deinem Zimmer bleiben?«

    Der rothaarige Wirbelwind mit den sonst so lustigen Augen und dem hellen Kinderlachen, das sie an schöneren Tagen hatte, wehrte sich nicht. Weil sie es besser wusste. Weil sie seinem Griff nicht entkommen konnte. Weil sie viel schwächer war als er und ihn nicht daran hindern konnte, ihr wehzutun. Schweigend ließ sie es geschehen. Zu schweigen, würde alles beschleunigen.

    Er zerrte sie wie eine leblose Puppe den Flur entlang, zurück in ihr Zimmer. Der braune Holzboden zog an ihren Augen vorüber und sie sah mit Entsetzen ihr schönes, sauberes und nach Blumen duftendes Haar darüber fegen. Er sperrte die Tür hinter sich ab und legte sie dann über das fleischige Knie. Sie hörte die üblichen Geräusche, die entstanden, wenn er seinen Gürtel vollständig aus den Laschen seiner Hose zog. Dann bildete er eine große Schlaufe daraus. »Wenn es Nacht ist, hast du in deinem Zimmer zu bleiben!« Mit diesen Worten fuhr der erste Hieb herab und hinterließ einen roten Striemen. Doch tapfer schluckte sie den Schmerz hinunter. Tränen liefen über ihr Gesicht. Sie sammelten sich an ihrer Nasenspitze und tropften auf eine der Locken, zerflossen in deren Rot und fanden den Weg auf den sauberen Fußboden. So folgte Hieb um Hieb, bis er genug hatte. Den Blick gesenkt, zog sie wortlos ihr Höschen hoch. Sie wollte ihn nicht anschauen, wollte ihm nicht zeigen, wie sehr sie sich schämte. Warum schlug er sie immerzu? Warum nur?

    ***

    Sanft kitzelten die frühen Sonnenstrahlen Megans Nasenspitze. Blinzelnd versuchte sie ihre Augen zu öffnen, was nach letzter Nacht unmöglich schien. Die Schatten ihrer Vergangenheit quälten sie, kamen getarnt als Albträume, wie so oft über sie. Heute Nacht war es besonders schlimm gewesen. Fast konnte sie noch die Prügel spüren. Sie riskierte einen winzigen Blick zum Wecker und ließ den Kopf auf ihr Kissen zurückfallen. Es war erst kurz nach fünf und damit noch zu früh, um aufzustehen. Ein Vorhang vor ihrem Schlafzimmerfenster wäre eine gute Idee gewesen, obwohl sie es sonst mochte, von den ersten Sonnenstrahlen am Morgen geweckt zu werden.

    Ein leises Schnarchen drang an ihr Ohr. Drew hatte sich also nicht davongeschlichen. Ein hoffnungsvolles Lächeln huschte beim Anblick des schlafenden Mannes über ihr Gesicht. Seine morgendliche Anwesenheit war selten und sie konnte nicht leugnen, dass es ihr gefiel, nicht allein aufzuwachen. Behutsam näherten sich ihre Hände seinem warmen Körper, dann schlüpfte sie unter seine Bettdecke und schmiegte sich an ihn.

    Wie automatisch nahm er Megan in seine Arme und küsste schläfrig ihren Kopf, während er irgendetwas murmelte.

    Sie wusste nicht, was heute anders war, aber es fühlte sich schön an, mit ihm zu erwachen. Megan und Drew waren nicht gerade das, was man üblicherweise als Paar bezeichnen würde. Sie führten eine sehr offene und freie Beziehung miteinander, in der man der Sache, die zwischen ihnen lief, keinen Namen gab. Der Sex war ganz okay und man ging sich auch während den wenigen gemeinsamen Reisen nicht allzu sehr auf die Nerven, aber keiner der beiden dachte je daran, mehr daraus entstehen zu lassen. Megan glaubte nicht an die Ehe und an Liebe wollte sie sich nicht klammern. Was war denn Liebe schon anderes, als ein Zusammenspiel von Hormonen und Pheromonen? Sie setzte Liebe mit dem Befriedigen körperlicher Begierden gleich. Die Ehe jedoch war aus ihrer Sicht eine durch den Menschen künstlich erschaffene Bindung an einen anderen, um allein nicht unterzugehen. Das mochte vor Urzeiten vielleicht sinnvoll gewesen sein. Heute brauchte das kein Mensch mehr. Und dennoch. Gerade war sie froh, nicht allein zu sein. Nach ihrem Albtraum war sie glücklich, sich in seinen schützenden Armen wiederzufinden.

    Megans Berührung setzten eindeutige Signale, die Drew durchaus willkommen hieß. »Du hast schlecht geträumt? Mal sehen, ob ich dich nicht auf andere Gedanken bringen kann, wenn wir schon wach sind.« Drew schmiss die Bettdecke nach hinten und zog Megan in derselben Bewegung unsanft unter sich. Er mochte, wie sie so ausgeliefert unter ihm lag, wissend, dass er alles von ihr haben konnte. Megan war genau die Frau, die jeden Spaß mitmachte. Ungebunden und frei. Das Arrangement war sehr angenehm und bequem für ihn. So war es ihm möglich, sich ihrer Lust und ihres sinnlichen Körpers zu bedienen, ohne für eine lästige Kuschelstunde bei ihr bleiben zu müssen. Dass Megan nicht überschwänglich romantisch veranlagt war, stieß bei ihm auf Gegenliebe. So behielt die Sache zwischen ihnen diese frivole Leichtigkeit und er wusste die Unverbindlichkeit zwischen ihnen wirklich zu schätzen.

    Megans lockiges Haar lag wie ein Fächer ausgebreitet auf der Matratze und leuchtete wie ein loderndes Flammenmeer. Ihre milchweiße Haut war übersät mit kleinen Sommersprossen und er bildete sich ein, jede einzelne davon zu kennen. Entgegen seines üblichen Beuteschemas gefielen ihm Megans Rundungen; ihre körperlichen Reize wirkten wie ein Magnet auf ihn. Vor seinen Freunden prahlte er mit ihr, doch wenn sie ihn damit aufzogen, dass er sie doch heiraten solle, wehrte er ab. Bei all den körperlichen Attributen konnte er eine Tatsache nicht von der Hand weisen: Sie war mit einem nicht zu leugnenden Fehler behaftet. Denn Megan war, gesellschaftlich gesehen, ein Niemand. Ihr kleiner Bioladen lief zwar gut, aber in seinen Kreisen hatte dies keinen nennenswerten Bestand, während seine Familie über ein großes Vermögen und weitreichenden Einfluss verfügte.

    New Yorker Geldadel eben und die blieben in der Regel unter ihresgleichen. Als Drew Megan das erste Mal in seiner Stammkneipe gesehen hatte, fiel er Buchstäblich vom Hocker; ihre Ausstrahlung, das Lachen und ihre Kurven zogen ihn an und er musste sich ganz schön ins Zeug legen, um ihre Aufmerksamkeit zu bekommen. Megan war nämlich nicht sofort von ihm angetan gewesen. In seinem Anzug und dem streng gescheitelten Haar, hatte er sie an einen schmierigen Anwalt erinnert, wie sie ihm später verraten hatte. Lange Gespräche und einige Drinks brauchte es, bis sie schließlich nachgab. Sie musste erkennen, dass unter dieser perfekten Fassade ein ganz interessanter Typ steckte, der durchaus seine Qualitäten besaß. Irgendwann fingen sie etwas miteinander an, ohne es jedoch beim Namen zu nennen. Sie ergänzten sich hervorragend, weil sie Bett und Leben getrennt hielten.

    »Du bist so verflucht schön«, raunte Drew, bevor sich seine Lippen ihrem Hals näherten. Er wusste genau, welche Knöpfe er bei Megan drücken musste, damit sie ihm gab, was er wollte.

    Megans verschwitzter Körper bäumte sich auf, als sie lautstark kam. Sie konnte einiges sehr leise tun, doch Sex gehörte nicht dazu. Durch ihre Schreie alarmiert, hörte man Knurr- und Kratzgeräusche an der Schlafzimmertür: Mr. Darcy. Megans Irish-Setter-Rüde sorgte sich wie immer um sein Frauchen. Er konnte sich nicht an diesen Eindringling gewöhnen, wegen dem er ständig aus den heiligen Hallen ausgesperrt wurde.

    »Pssst … Darcy, sei still … Es geht mir gut … mach Platz!«, flüsterte Megan mit dem Wissen, dass die Wände ihrer Wohnung dünn wie Papier waren. Als Drew sich erheben wollte, hinderte sie ihn daran. Woher der Gedanke auf einmal kam, wusste sie nicht. Vielleicht hatte es etwas mit dem lauter werdenden Ticken in ihrem Inneren zu tun, aber auf einmal schien es eine gute Idee zu sein, mit Drew den nächsten Schritt zu wagen. Womöglich erinnerte sie lediglich das fortschreitende Alter daran, die noch lebensfähige Eizelle befruchten zu lassen, bevor eine bedrohlich näher rückende vier den plötzlichen Wunsch nach Reproduktion unmöglich machte. Sie war jetzt im richtigen Alter und Drew höchstwahrscheinlich der richtige Typ Mann – zumindest der einzige, mit dem sie zurzeit schlief.

    Immer wenn sie in ihrem Bioladen Kunden bediente, die für den Nachwuchs ungespritztes Gemüse oder säurearmes Obst einkauften, erwischte sie sich dabei, wie sie Sehnsucht nach so einem kleinen Menschen bekam. Bisher hatte sie nicht mit Drew darüber gesprochen, sondern verdrängte die Gedanken, wenn er bei ihr war. Es war auch nicht so, dass sie ständig daran dachte, Kinder haben zu wollen. Zweifel über ihre Eigenschaften als Mutter waren oft sehr viel größer als der Wunsch. Drews Besuche waren auch nicht mehr so häufig oder regelmäßig, und da sie nie sonderlich viel miteinander sprachen, vergaß sie meist, was da tief in ihr schlummerte.

    Megan war froh darüber, dass er nichts über sie und ihre Albträume wissen wollte und dankte es ihm, dass er ihre körperlichen Narben ignorierte. Drews Zeitmangel und Megans Eigenart reduzierten normale Konversation meist auf rudimentäre Lust. Und jetzt, urplötzlich, dachte Megan, dass sie vielleicht mehr wollte als das bisherige Abkommen?

    »Drew, warte! Musst du wirklich schon los? Bitte, bleib zum Frühstück.«

    Mit diesen Worten schmiegte sie sich an ihn und ließ ihre Hand unter der Bettdecke verschwinden, um sie dort einzusetzen, wo die Schaltzentrale eines Mannes war – und Drew ließ sich auf diesem Weg sehr gerne zu einem gemeinsamen Frühstück überreden.

    Während Megan den Balkontisch mit Tellern, Tassen und ein paar Köstlichkeiten bestückte, duschte Drew. Sie zog eines seiner Hemden, die er bei ihr vergessen hatte, über und mit dicken Socken an den kalten Füßen setzte sie sich in die Sonne.

    Als Drew den Balkon betrat, konnte er nicht leugnen, dass ihm gefiel, was er sah; ihr Lächeln war magisch und die Sonnenstrahlen verwandelten ihr Haar in loderndes Feuer. Als er sich zu ihr setzte, sprang sie übermotiviert von ihrem Stuhl auf, bot ihm die Sonntagszeitung an und schenkte ihm Kaffee ein. Diese Situation wirkte etwas befremdlich auf ihn, aber er ließ es kommentarlos geschehen.

    »Als du unter der Dusche warst, bin ich nach unten in den Kühlraum gegangen und habe frische Trauben und Orangen geholt. Also bedien dich bitte!«

    Doch Drew war nicht der Mann, der morgens etwas aß. Er trank seinen Kaffee, las üblicherweise den Wirtschaftsteil seiner Zeitung und schmiss sich ein paar Vitaminpillen ein. Megan hingegen war der Frühstückstyp. Sie benötigte Energie, um den stressigen Tag im Laden zu überstehen. Meistens war das schon die einzig vernünftige Mahlzeit, die sie wissentlich zu sich nahm, bevor sie abends um acht den Laden schloss. Oft war sie zu müde, um zu kochen. Dann aß sie, was die Trostlosigkeit, die sich Kühlschrank nannte, so hergab. Wären nicht ihre Nachbarn Roy und Shane, die sie ab und zu mit leckeren Abendessen überraschten, würde sie nie vernünftig essen.

    »Mach dir keine Mühe. Der Kaffee ist völlig ausreichend. Ich muss auch gleich los.«

    Megan war enttäuscht und fing einfach an zu reden, während sie mit einem scharfen Messer ihrer Orange zu Leibe rückte.

    »Weißt du, ich denke, ich … ich bin bereit für mehr, Drew.« Verstohlen hob sie den Blick, um seine Reaktion auf das Gesagte zu sehen. Doch nichts. Keine Reaktion. Sie sprach weiter. »Ähm … wir sind beide an einem Punkt im Leben angekommen, an dem man darüber nachdenken könnte, ob es nicht klug wäre, seine sieben Sachen zusammenzuwerfen. Ich meine, ich spreche nicht von Heirat. Aber es wäre doch schön, immer gemeinsam aufzuwachen oder zusammen zu frühstücken.«

    Allmählich regte sich doch etwas in Drew. Er sah von seiner Zeitung auf, faltete sie zweimal feinsäuberlich und legte sie sanft zur Seite. Dann nahm er Megans Hand. Ihr Herz raste in diesem Moment, den sie sich bis dato noch nicht einmal vorgestellt hatte, wie wahnsinnig.

    »Megan, meine Schöne, ich weiß wirklich nicht, wie ich dir das sagen soll.« Drews Worte klangen mit Bedacht gewählt und ernst.

    »Am besten gerade raus«, antwortete Megan, während sie ihm seine Hand wieder entzog und unter ihrem Arm versteckte. Drew räusperte sich, straffte seine Schultern und sah sie durchdringend an. »Ich habe mir darüber ehrlich gesagt keine Gedanken gemacht. Mir gefällt, wie es zwischen uns läuft, wegen mir müssen wir nichts daran ändern.«

    Megan lief rot an und wäre am liebsten im Erdboden versunken. Sie war stets davon ausgegangen, dass Drew mehr an ihr, als sie an ihm interessiert war und stellte jetzt beleidigt fest, dass sie sich girrt hatte.

    »Und an Heirat hast du nie gedacht?«, wollte sie wissen.

    »Doch klar. Irgendwann werde ich heiraten und, so Gott will, einen Stammhalter zeugen. Doch, in meiner Lebensplanung …«, er konnte ihrem Blick keine Sekunde länger standhalten. Megan wusste sofort, dass es ein Fehler gewesen war, damit anzufangen und hätte sich am liebsten selbst geohrfeigt. Wut kochte in ihr hoch. Mehr auf sich selbst, denn auf Drew und als dieser sie wieder ansah, erschrak er sichtlich. »Megan! Jetzt tu bitte nicht so! Wir beide ein Paar? Ein Ehepaar? Das würde nicht passen!«

    Weiter kam er nicht. Megan nahm ihr Glas, schüttete ihm den süßen Saft direkt ins Gesicht und stürmte ins Innere ihrer Wohnung. Drew jagte wütend hinterher.

    »Hast du sie noch alle? Megan? Bist du jetzt völlig übergeschnappt? Was haben wir denn schon gemeinsam? Hm? Sag mir das doch mal! Wo kommt das auf einmal her? Hast du Torschlusspanik oder bloß deine Tage?«

    Hass und Enttäuschung ballten sich in ihr zu einem gemeinsamen Verbündeten. »Dann war Sex also alles, was du von mir wolltest?«

    »Wolltest du denn je etwas anderes? Ich dachte, genau das ist der Punkt, in dem wir uns so ähnlich sind. Freunde mit gewissen Vorzügen und nicht mehr. Das war so perfekt zwischen uns! Seit wann weißt du denn, dass du mehr möchtest, hm?« Drews Stimme überschlug sich beinahe vor Zorn, während Megan ihn empört anstarrte. Wie sollte sie ihm beibringen, dass sie es nicht wusste und ein leiser Hoffnungsschimmer schon immer in ihr gekeimt hatte. War sie nun die Schuldige? Doch Drews Worte hörten sich selbst für Megan ziemlich ehrlich und schlüssig an.

    »Ich weiß es doch auch nicht! Dein Herz hat dir nie etwas anderes gesagt?«, wollte sie dann trotzdem wissen, obwohl sie die Antwort bereits kannte.

    Drew zog die Brauen hoch. »Megan! Mein Herz, das matschige Ding in meiner Brust, pumpt circa siebzigmal die Minute etwa sieben Liter Blut durch meinen Körper. Glaube mir, wenn es sprechen könnte, wäre ich ein Scheißwunder, okay?« Mit diesen Worten ließ er sie stehen und lief ins Bad.

    Megan tat es kein bisschen leid. Wütend kramte sie eine Tasche aus ihrem Schrank und stopfte alles, was ihr zwischen die Finger kam und nach Drew aussah, hinein und warf sie ihm mit aller Macht entgegen, als er aus dem Bad kam.

    »Super, Megan, sehr erwachsen, wirklich!« Aufgebracht hielt er sich das Kinn. »Weißt du, ich wollte eine Sache vor dir geheim halten, aber du machst es mir gerade sehr leicht, ehrlich zu sein. Ich treffe mich seit ein paar Wochen mit einer jungen Frau. Und seit meine Eltern sie kennengelernt haben, ist es ernst geworden.«

    »Raus aus meiner Wohnung! Los mach schon du … du … arrogantes Arschloch! Ich hätte auf Kelly hören und dir schon vor Langem den Laufpass geben sollen. Ich Närrin. Los verschwinde!«

    Den Versuch, ihn aus ihrer Wohnung zu schieben, nahm Drew mit Humor. Was konnte sie ihm schon entgegensetzen? Dann hörte er hinter sich ein tiefes Grollen, das zu einem lauten Knurren anschwoll. Mr. Darcy höchstpersönlich! Er hatte Drew sowieso nie gemocht. Wegen ihm musste er schließlich immer in der Kammer ausharren. Das hatte er nicht vergessen und war sofort ganz auf Megans Seite. Drew erkannte den aussichtslosen Kampf gegen den Hund, der mit seinem leicht gewellten roten Fell seinem heißgeliebten Frauchen ähnelte. Stumm nahm Drew seine Tasche, begab sich zur Tür und drehte sich noch einmal zu ihr um, bevor er ihre Wohnung verließ. »Ach fick dich, O’Leary … und deine Freundin Kelly soll’s Maul halten. Frag sie doch mal, was wir in eurem Aufzug schon für Spaß zusammen hatten.«

    Angewidert gab Megan ihrem vierbeinigen Freund ein Zeichen. Mr. Darcy reagierte augenblicklich und war sofort bei Drew, der sich nur noch durch das schnelle Zuziehen der Tür vor dem Monster retten konnte.

    »Du wirst angekrochen kommen, das weißt du genau, du blödes Miststück.«

    Seine Worte hallten durchs ganze Treppenhaus und als die Eingangstür mit einem lautem Knall ins Schloss fiel, hörte man laute Stimmen. Megan blieb neben ihrer Wohnungstür stehen und vernahm leise Schritte, die zu ihr nach unten tapsten. Es war Kelly. Doch Megan war sich nicht sicher, ob sie ihre Freundin jetzt sehen wollte. Man konnte viel Schlechtes über Drew Brewster sagen, aber ein Lügner war er nicht. Also öffnete sie die Tür, noch bevor Kelly die Chance hatte, zu klopfen.

    »Sag mir, dass Drew ein Schwein ist und er nur Märchen erzählt.« Mit diesen Worten lief Megan quer durch den Raum, während Kelly flink in die Wohnung schlüpfte und leise die Tür hinter sich schloss.

    »Was war denn, um Himmels willen, los? Ihr habt das ganze Haus geweckt!«

    »Hattest du, oder hattest du nicht Sex mit meinem Freund … hier … in unserem Haus … im Aufzug?«

    Wie eine Mauer stand Megan vor der mädchenhaften, blonden Frau. Sie kannten sich schon seit ihrem Einzug in diese Wohnung und waren vom ersten Tag an praktisch unzertrennlich. Kelly stand da wie ein begossener Pudel. Reumütig. Mit Schuld behaftet. Der Blick einer Sünderin sagte mehr als tausend Worte. Megan strauchelte, ihr wurde augenblicklich schlecht, also ließ sie sich, an Ort und Stelle, auf den Boden sinken.

    Mr. Darcy lief sofort zu ihr, wedelte wild mit seinem langen Schwanz und leckte über ihr nun tränenüberströmtes Gesicht. Geräuschvoll zog Megan die Nase hoch und forderte die Sünderin dazu auf, zu reden.

    »Was willst du denn hören? Es ist doch ewig her.«

    Aber Megan wollte jetzt die Wahrheit wissen. »Kelly! Sag schon!«

    »Also gut. Es war nur dieses eine Mal, es war ein Ausrutscher. Du hattest gerade deinen Umzug hinter dich gebracht. Kannst du dich an die Vogue-Party erinnern?«

    Natürlich konnte sie sich daran erinnern. Zumindest bis zu ihrem Filmriss. Sie waren beide schrecklich betrunken gewesen und sie hatte kein Geld für ein Taxi ausgeben wollen. Stattdessen hatte sie Drew angerufen, der mit einer Stunde Verspätung in seiner Luxuslimousine angerauscht gekommen war.

    »Du hattest dich bis zu diesem Zeitpunkt ins Nirwana abgeschossen und ich ging mal wieder allein nach Hause, denn die Männer hatten nur Augen für dich.«

    »Das war also eine Racheaktion, weil niemand deinen dürren Arsch wollte?« Wut stieg erneut in Megan hoch, aber Kelly dementierte sofort: »Nein, ganz bestimmt nicht! Ich habe das doch nicht geplant. Wir kamen während der Fahrt ins Gespräch. Er zog mich auf, flirtete mit mir …«

    Mittlerweile liefen auch bei Kelly Tränen, was Megan irgendwie leidtat. Doch es gab Regeln in der Freundschaft und einen ziemlich einfachen Moralgrundsatz, ein ungeschriebenes Gesetz sozusagen: Der Freund der besten Freundin ist tabu! Punkt.

    »Er machte mir Komplimente zu meinem Outfit, meinem Haar und meiner Figur. Und dann ging alles viel zu schnell. Wir schafften dich in deine Wohnung und nahmen den Aufzug, den wir nicht wieder verließen.« Nach dieser Beichte schien sie sich sammeln zu müssen, bevor sie mit hochrotem Kopf weitersprach: »Es war nur ein Quickie und seine Sprüche, mit denen er mich heiß machte, waren noch das Beste an der Sache, denn ich hatte, außer einem schlechten Gewissen, am Ende nichts davon.«

    Nun klang Kellys Stimme fein wie Seide, zerbrechlicher als Porzellan. Am liebsten wäre Megan über Kelly hergefallen, doch stattdessen erhob sie sich in Ruhe und setzte sich neben Kelly. »Was soll ich jetzt mit dir machen? Hör auf zu heulen, bitte! Man könnte denken, ich hätte mit deinem Typen …«

    Kelly sah verweint zu Megan auf. »Du … du flippst nicht aus?«, schniefte sie.

    »Doch. Klar. innerlich auf jeden Fall, ich kann es nur gerade nicht richtig zeigen, weißt du? Ich muss das alles erst einmal verdauen.« Megan rief sich das Bild von Drew und Kelly, die übereinander herfielen, vor Augen. Ein Heulkrampf manifestierte sich für einen Moment in ihr, dann brach sie in schallendes Gelächter aus. Ein lautes, kehliges Prusten und Gackern, bis sie fast daran zu ersticken drohte. Das ging eine Weile so. Tränen und Lachsalven wechselten sich minutenlang ab und Kelly wurde stumme Zeugin dieses Nervenzusammenbruchs. Nach einer halben Ewigkeit stand Mr. Darcy mit seiner Leine im Maul vor den beiden Frauen.

    »Oh nööö …«, kam es genervt von Megan. Mit einem mitleidigen Blick sah sie erst Mr. Darcy, dann Kelly an. Diese verstand den Wink sofort und versuchte ein leises Veto. »Muss das sein? Er zieht mich ständig durch den halben Central Park, Megan. Er ist dein Hund. Vergessen?«

    »Schon. Aber du hast Abbitte zu leisten. Sieh es doch als ersten Beweis deiner Reue.« Kelly stockte der Atem. Sie starrten einander ewig lange Sekunden an, dann brachen beide in fröhliches Gekicher aus, das noch ein wenig vom Schwermut des Augenblicks umfangen war. Sie wischten sich die nassen Spuren der Tränen ab und putzten sich die Nasen. Konnte ein normaler Umgang wirklich möglich sein? Als Kelly die Leine Mr. Darcys an sich nahm und sich erhob, drehte sie sich zu Megan um. »Du verzeihst mir so schnell?« fragte sie offensichtlich überrascht, über Megans Reaktion.

    »Weißt du, Kells, ich weiß jetzt, dass ich ihn nicht liebe. Wenn ich ihn geliebt hätte, dann wäre nicht nur meine Eitelkeit verletzt. Ich bin mir fast sicher, dass, wenn man sich von einem Menschen trennt, den man ernsthaft und aufrichtig liebt, man das Gefühl hat, innerlich zu sterben. So fühle ich mich aber überhaupt nicht.«

    Als Kelly fast zur Tür draußen war, fiel Megan noch etwas ein. »Aber, Kells?«

    »Ja? Was ist?«, fragte sie durch die fast geschlossene Tür hindurch, was ziemlich anstrengend war, da Mr. Darcy in Nöten wie ein Hengst anzog.

    »Nur für die Zukunft! Tu so etwas nie wieder. Lass deine Finger von meinen Typen!« Kelly erwiderte nichts mehr, zog die Tür ins Schloss und verschwand laut trampelnd die Treppe hinunter.

    Megan ließ sich erschöpft nieder und heulte los. Natürlich war sie verletzt von Drews Worten. Natürlich war sie verletzt durch das, was ihr die beste Freundin angetan hatte. Und natürlich war ihr bewusst, dass dieser arrogante Snob nicht eine ihrer Tränen wert war. Und dennoch schmerzte es. Gewaltig sogar.

    Megan schaffte es nicht, sich zu erheben. Am liebsten wäre sie vor Selbstmitleid auf dem Boden im Flur liegen geblieben, bis sie sich aufgelöst hätte. Doch das Klingeln an ihrer Wohnungstür riss sie aus ihren Gedanken. »Verdammt, Kelly! Hast du deinen Schlüssel …«

    In dem Moment als Megan die Tür öffnete, legte sich ein weiterer Schatten aus ihrer Vergangenheit über sie.

    »Patrick?!«

    2.

    »Was willst du hier? Wenn du gekommen bist, um Vermittler zu spielen, dann ist das zwecklos.« Megan ließ die Tür offen stehen und der Besucher folgte ihr ins Innere der Wohnung. Sie verschwand in ihrem Schlafzimmer und kam eine Minute später in Shirt und Jeanshose zurück. »Ich habe ihm nichts zu sagen. Du hättest dir den weiten Weg sparen können, großer Bruder!«

    »Hallo, Schwesterherz. Es ist auch schön, dich zu sehen!«, antwortete Patrick O’Leary sarkastisch.

    »Es ist mein Ernst. Was willst du von mir und warum meldest du dich nicht vorher an, so wie das normale Menschen machen?«

    Patricks Gesichtsausdruck zeugte von Ungeduld. »Als wären wir normal, komm schon Megan. Ich habe den weiten Weg gemacht, um dir etwas sehr Wichtiges zu sagen. Persönlich.«

    Megan hatte längst keine Geduld mehr für die Belange ihrer Familie. Sie glaubte zu wissen, dass Patrick den weiten Weg von Glendale Pine in Nebraska bis nach Manhattan nur aus einem Grund zurückgelegt hatte: er wollte sie wieder einmal bekehren, ihrem alten Herren zu verzeihen. Doch sie dachte nicht daran. In ihren Augen war Declan O’Leary nie mehr gewesen als ihr Erzeuger. Der Mann, der ihre Mutter geschwängert hatte. Ein Vater, das war einer, wie in einer kitschigen Serie im Fernsehen. Lachend, spielend mit seinen Kindern, liebevoll. Doch so ein Mann war Declan O’Leary nie gewesen. Misshandlung und immerwährender Hass waren die Worte, mit denen sie ihren Vater in Verbindung brachte. Megan rieb sich über die feine Narbe, die sich parallel zu ihren Pulsadern ihres Handgelenks entlangschlängelte. Das hatte sie sich zugefügt, als sie zum ersten Mal glaubte, an ihrem Leben zu zerbrechen.

    »Declan schickt dich?«, fragte sie nüchtern.

    Patrick nickte bestimmt.

    »Dann war dein Weg von Nebraska nach New York zu weit und umsonst. Warum tust du das immer wieder?«

    »Megan! Dad wird sterben. Es ist nur noch eine Sache von wenigen Tagen. Weswegen ich einen Rückflug heute für uns beide gebucht habe und auch nicht viele Worte verlieren möchte.«

    Dad wird sterben, echoten die Worte Patricks in ihren Gedanken. Sollte sie nun etwas empfinden? Trauer oder wenigstens so etwas wie Entsetzen oder dergleichen? »Und warum sollte mich das interessieren? Es ist doch sein gutes Recht, das zu tun. Warum erzählst du mir sowas? Weil ich als gute Tochter an sein Sterbebett zu rennen habe? Um ihm zu verzeihen? Weil er nun, da der Sensenmann an seinem Bett steht, seine Sünden bereinigt haben will? Bitte. Wenn du ihm verzeihen kannst, schön. Ich kann’s nicht. Und ich tu’s auch nicht. Er war zu Lebzeiten ein Bastard und wird es über den Tod hinaus bleiben. Verdammt!«

    Patrick sah nun böse aus. Er erhob sich, nahm seine Schwester bei den Schultern und zwang sie auf einen der Stühle, die um ihren Esstisch standen. »Hör zu. Hör zu und dann geh packen.« Er hob warnend die Augenbrauen. Er konnte das wie ihr Vater. Patrick sah ihm sogar ähnlich, wenn er sie so anglotzte. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und starrte ihn provozierend an. Er musste unwillkürlich lächeln. »Du hast dich in den letzten Jahren nicht verändert. Etwas rundlicher bist du geworden und ein paar kleine Fältchen hast du um deine Augen bekommen. Aber du bist noch immer dasselbe sture, hitzköpfige Mädchen wie damals.«

    Megan blähte wütend ihre Nasenflügel. »Kommst du jetzt zum Punkt? Mir ist nicht danach, alte Geschichten aufzuwärmen, in denen wir so tun, als wären ausgerechnet das die besseren Zeiten gewesen. Verschone mich, okay? Oder hast du wirklich alles vergessen, was er uns angetan hat?«

    Er setzte sich direkt vor seine Schwester, nahm ihre Hand und suchte ihren Blick. »Nein, natürlich habe ich es nicht vergessen und trotzdem muss man nach vorne schauen. Wer ewig in der Vergangenheit lebt, hat keine Zukunft. Findest du nicht? Aber ich bin nicht gekommen, um mit dir zu streiten, Kleines. Hör mir zu. Unser alter Herr stirbt gerade jämmerlich an Bauchspeicheldrüsenkrebs. In den letzten Tagen hat er in seinem Delirium immer wieder deinen Namen gesagt und gestern hatte er einen erstaunlich wachen Moment. Er sagte: ‚Patrick, hol deine Schwester her, ich muss ihr die Wahrheit über den Mord sagen.‘ Es ist möglicherweise das Geplapper eines alten, kranken Mannes. Aber er war dabei so klar, wie in den letzten Wochen nicht und seither dämmert er nur noch vor sich hin. Ich befürchte fast, es könnte morgen schon zu spät sein. Also, wenn du auch nicht die Absicht hast, deinen Frieden mit ihm zu machen, dann hör dir doch wenigstens an, was er dir zu sagen hat. Bist du denn nicht neugierig?«

    Patrick musste sich kurz sammeln, als er geendet hatte. Megan war natürlich neugierig geworden. Eine Mischung aus Angst, Hoffnung und Enttäuschung hielt sie jedoch ein wenig zurück. »Auf dem Balkon steht ein unberührtes Frühstücksgedeck. Lass mich kurz den … den verschütteten Orangensaft aufputzen, dann könnten wir die Sonnenstrahlen genießen und etwas essen«, lautete ihr Friedensangebot, das Patrick durchaus bereit war anzunehmen.

    Bei Kaffee und belegten Croissants saßen die Geschwister in der wärmenden Junisonne, während der anschwellende Straßenlärm der Madison Avenue allmählich zu ihnen hinübergetragen wurde. Wie Ameisen strömten die Menschen unter ihnen aus ihren Häusern, traten auf die Gehwege hinaus, betraten die kleine jüdische Bäckerei oder das Starbucks, an der Ecke. Das Leben fand da unten statt und Megan war froh, dass sie erst später ihren Laden öffnete. Sie genoss es, sich nicht dem Menschenstrom anpassen zu müssen, weil sie selbst bestimmte, wann sie zu arbeiten anfing oder aufhörte. Um diese Freiheit war sie mehr als dankbar. Megans Blick folgte ein paar Spatzen, die es sich auf dem Geländer des Nachbarbalkons gemütlich gemacht hatten und von denen einige noch nicht in der Lage waren, einwandfrei zu fliegen. Einer der größeren flatterte direkt vor den kleinen umher, womöglich um ihnen zu zeigen, wie man es richtig macht. Diese Szene spiegelte eine familiäre Vertrautheit wider, die Megan vermisste, obwohl sie es war, die ihrer Familie den Rücken gekehrt hatte. Sie schenkte ihrem Bruder ein mildes Lächeln, als sie bemerkte, dass er sie beobachtete. Im Prinzip waren sie wie Fremde, weil Megan jeden Kontaktwunsch ihrer Familie im Keim erstickte. Sie hatte keinem von ihnen etwas zu sagen. Auch Patrick nicht. Glendale Pine in Nebraska, das Zweitausend-Seelen-Dorf, dem sie nach ihrem Selbstmordversuch für immer verlassen hatte und das sie nie als Heimat begriff, streckte seine Klauen nach ihr aus. Sie fürchtete den Ort und das, was sie damit verband; Schläge, Gürtelhiebe, Hunger und Todessehnsucht.

    »Sei mir bitte nicht böse, aber ich habe den Pferdehof immer gehasst und konnte es nicht verstehen, dass du dich so reingehängt hast.«

    Patrick zuckte nur mit den Schultern und ließ dann ihre Hände los. Er betrieb gemeinsam mit dem Vater das Gestüt und bot nebenher auch therapeutisches Reiten für behinderte Jugendliche an. Die Ausbildung und Betreuung der Therapiepferde lagen dabei in Patricks Händen. Declan O’Leary war bemüht, ein guter und nützlicher Wohltäter in der kleinen Gemeinde zu sein und jetzt lag er im Sterben.

    »Das ist mein Leben, Maggie. Die Pferde. Sie haben mir geholfen, könnte man sagen, über einiges hinwegzukommen, und ich kann es weitergeben. Das ist ein schönes Gefühl, weißt du? Du solltest es vielleicht mit eigenen Augen sehen. Dad mag sein wie er ist, aber mit diesen Therapiepferden hat er etwas wirklich Gutes ins Leben gerufen. Du warst immer eine sehr begabte Reiterin, hast du hier die Gelegenheit auszureiten?«

    Eine Gänsehaut kroch über ihren Nacken und trieb ihr Tränen in die Augen. Sie hatte es gehasst. Das Reiten. Die Pferde. Das Gestüt. Glendale Pine und Declan. Für den Bruchteil einer Sekunde konnte Megan den fauligen, alkoholgeschwängerten Atem ihres Erzeugers wahrnehmen, was fast eine Panikattacke auslöste. Doch Kelly kam genau im richtigen Moment zurück.

    Völlig entkräftet schleppte die sich auf den Balkon, den fremden Mann dabei nicht aus den Augen lassend. »Oh. Ich nehme an, du bist Patrick? Megans verschollener Bruder aus den Tiefen des Mittleren Westens? Kelly O’Donnell. Meines Zeichens ebenfalls Irin – wenn auch eher im Herzen. Ich bin geborene New Yorkerin.« Mit diesen fröhlichen Worten streckte sie ihm ihre Hand entgegen. Patrick schien wie vom Donner gerührt, was den beiden Frauen nicht entging.

    »Hör auf, meinen Bruder anzuschmachten! Er ist verheiratet und …«, sofort fiel ihr Patrick ins Wort, ohne den Blick von Kelly abzuwenden. »Das ist nicht richtig, Maggie. Ich war verheiratet und seit 1996 bin ich geschieden. Das würdest du wissen, wenn du dich nicht einfach so aus meinem Leben verdrückt hättest. Schön sie kennenzulernen, Miss.«

    In wenigen Worten erklärte Megan ihrer Freundin den Grund seines Besuches. Das Drama um Drew war auf einmal nicht mehr existent. Vielleicht war das sogar gut so. Für alle Beteiligten.

    »Und was hast du jetzt vor? Fliegst du hin?«, wollte Kelly wissen.

    »Ich sollte. Aber … allein möchte ich nicht. Kommst du mit?«, antwortete Megan mit einer Gegenfrage.

    »Weißt du, was das Schöne daran ist, wenn man freiberufliche Maskenbildnerin ist? Dass man spontan verreisen kann. Ich habe diese Woche sowieso nichts zu tun. Ich begleite dich sehr gerne«, sagte Kelly und Megan fiel auf, dass sich ihr Bruder darüber zu freuen schien.

    »Was wird mit Mr. Darcy?«, fragte Megan und wie aus einem Mund antworteten sie und Kelly: »Roy und Shane!«, dann kicherten beide wie kleine Mädchen, die etwas ausgeheckt

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1