DAS HAUS ZUM SANFTEN MORD: Der Krimi-Klassiker!
Von Sara Woods
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Über dieses E-Book
In einem privaten Pflegeheim für Senioren sterben nacheinander mehrere sehr vermögende Gäste unter verdächtigen Umständen. Man ruft den Londoner Star-Anwalt Antony Maitland, der nicht verhindern kann, dass noch eine weitere Patientin stirbt. Aus dem Gerücht um das Pflegeheim droht ein offener Skandal zu werden...
Sara Woods (eigtl. Lana Hutton Bowen-Judd, * 7. März 1922 Bradford, Yorkshire, England; † 5. November 1985 Toronto, Ontario, Kanada) war eine britische Kriminal-Schriftstellerin.
Der Roman Das Haus zum sanften Mord erschien erstmals im Jahr 1980; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte 1981.
Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.
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DAS HAUS ZUM SANFTEN MORD - Sara Woods
Das Buch
In einem privaten Pflegeheim für Senioren sterben nacheinander mehrere sehr vermögende Gäste unter verdächtigen Umständen. Man ruft den Londoner Star-Anwalt Antony Maitland, der nicht verhindern kann, dass noch eine weitere Patientin stirbt. Aus dem Gerücht um das Pflegeheim droht ein offener Skandal zu werden...
Sara Woods (eigtl. Lana Hutton Bowen-Judd, * 7. März 1922 Bradford, Yorkshire, England; † 5. November 1985 Toronto, Ontario, Kanada) war eine britische Kriminal-Schriftstellerin.
Der Roman Das Haus zum sanften Mord erschien erstmals im Jahr 1980; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte 1981.
Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.
DAS HAUS ZUM SANFTEN MORD
»Sie sprachen ihr Gebet und bleiben zum Tod.«
-Heinrich V.,
4. Akt, 2. Szene
Teil 1: Sitzungspause zu Weihnachten 1972
Dienstag, 4. Januar
1
»Muss dich was fragen«, sagte Vera, Lady Harding. Sie hatte eine eigene, knappe Sprechweise, aber niemand von ihren Zuhörern, bestehend aus ihrer engsten Familie, nahm ihr das übel.
»Na, du weißt ja, Vera«, sagte Antony Maitland sofort, »wenn ich irgendetwas für dich tun kann...« Erst später wurde ihm klar, dass er nicht nur entgegenkommend, sondern auch sehr unvorsichtig gewesen war.
»Ich hoffe, du weißt, worauf du dich da einlässt«, sagte Sir Nicholas Harding nachsichtig. Es war unbestreitbar, dass er in den Monaten seit seiner Heirat beträchtlich milder geworden war, aber zumindest sein Neffe gedachte nicht im Geringsten, dieser so offensichtlichen Liebenswürdigkeit zu trauen. Antony war sich nicht sicher, ob diese plötzliche Bitte Veras für seinen Onkel ebenso überraschend kam wie für ihn.
Einen Augenblick später erhielt er die Antwort.
»Es ist der Name Chedcombe gefallen«, sagte Sir Nicholas in unbestreitbar provozierender Absicht.
»Den Ort hasse ich«, sagte Antony kompromisslos. Jenny, seine Frau, verlor etwas von ihrem friedlich-heiteren Aussehen und warf einen besorgten Blick zu Vera hinüber, aber Vera konzentrierte sich auf ihr Problem und merkte nichts davon.
»Hauptsächlich meinetwegen, nicht?«, sagte sie. Ihr knapper Tonfall konnte kaum zur Überredung dienen, die aber offenkundig in ihrer Absicht lag. »Wenn du darüber nachdenkst...«
»Warum sollte ich?«, fragte Antony.
»Es ist ja nicht so«, sagte Vera, die ihre eigene Methode hatte, mit Widerspenstigkeit fertig zu werden, »als hätte ich dir ein klares Problem vorzutragen. Nur eine Menge Klatsch.« Durch ihre Eheschließung mit Sir Nicholas vor gut fünf Monaten war sie seine angeheiratete Tante geworden, aber es fiel beiden schwer, das im Gedächtnis zu behalten.
»Klar doch«, sagte Antony und sah, wie sein Onkel die Augen schloss. »Ich meine, das ist das eine, worauf man sich in Chedcombe verlassen kann, nicht wahr? Auf den Klatsch.«
»Ich weiß, du hast oft genug erklärt, dass du nie wieder hinwillst«, sagte Vera hastig. »Aber das ist etwas - eine recht scheußliche Geschichte, eigentlich. Wenn du mich nur anhören würdest, Antony.«
»Ich sagte doch, was immer ich für dich tun kann, nicht?« Das klang schon etwas bedauernd, aber dann fügte Antony heiterer hinzu: »Ein Versprechen, das einem abgeluchst wird, ist eigentlich kein echtes... findest du nicht?«
»Das entscheide, wenn du gehört hast, was ich zu sagen habe«, erklärte Vera störrisch. Jenny schaute sich rasch in der Runde um, aber als sie feststellte, dass sowohl ihr Mann als auch ihre Gäste mit Kaffee und Kognak versorgt waren, blieb nichts anderes übrig, als sich zurückzulehnen, die Hände zu falten und zuzuhören.
Maitland, der sich stets in Bewegung setzen musste, wenn ihn irgendetwas beschäftigte, stand auf und brachte das Kaminfeuer mit einem Fußtritt wieder zum Lodern. Er blieb auf dem Kaminvorleger stehen und blickte auf Vera hinunter. Sein Gesicht hatte nun einen ernsten Ausdruck angenommen.
»Fang an«, sagte er, aber ohne jede Spur der Lebhaftigkeit, mit der er auf ihre Bitte ursprünglich eingegangen war.
»Freundin von mir«, sagte Vera. »Mary Dudley. Sie macht sich Sorgen.«
»Ist das die ganze Geschichte?«, fragte Antony nach einer Pause. »Denn wenn das so ist...«
Vera warf ihm einen eher hilflosen Blick zu. Als sie im Gerichtsbezirk West Midland noch selbst als Anwältin aufgetreten war, hatte sie Worte genug finden können, um die Interessen ihrer Klienten zu vertreten, aber ihre ganze Beredsamkeit schien sich verflüchtigt zu haben. Sir Nicholas sagte mit Gelassenheit in die sich ausbreitende Stille hinein: »Wir sollten dir lieber klarmachen, dass Miss Dudley die Oberschwester im Hotel Zur stillen Ruhe ist, Antony.«
»Oh, Gott!«, sagte Antony, der nicht oft dazu neigte, seinen Schöpfer anzurufen. »Wozu, beim Teufel, braucht ein Hotel eine Oberschwester?«
»Weil es in Wahrheit ein Altersheim ist.«
»Warum geht man dann nicht her und gibt das offen zu?«
»Ein sehr teures, exklusives Haus«, erläuterte Sir Nicholas, der die zu berichtende Geschichte insgeheim zu genießen schien. »Angeschlossen ist ein Pflegeheim. Du solltest das genauer erklären, Vera.«
»Sie haben auch ein paar Dauerpatienten«, fuhr Vera fort, »aber in erster Linie dient es dazu, die anderen Gäste aufzunehmen, wenn sie krank werden. Das kommt ziemlich oft vor, wie man sich denken kann.«
»Ist diese - diese Freundin von dir ausgebildete Krankenschwester?«
»Du lieber Himmel, ja, wie das andere Personal auch. Außerdem gibt es einen Arzt im Hause. Die Patienten werden wirklich sehr gut versorgt.«
»Und der Hotelbereich?«
»Hat sein eigenes Personal, und zwar ein sehr gutes, wie Mary immer gesagt hat. Ich glaube, du kannst davon ausgehen, dass sie damit recht hat. Sie war immer schon eine Perfektionistin.«
»Das ist alles schön und gut. Wo ist der Haken?«
Wieder zögerte Vera und sah ihren Mann an, als wolle sie bei ihm Hilfe suchen. Das war etwas Neues, dachte Antony, wenn sie von ihrer Unabhängigkeit im Denken ein wenig nachließ. Vera war für eine Frau sehr groß und ziemlich stark, aber jetzt eleganter als in den Tagen ihrer ersten Bekanntschaft. Sie bevorzugte nach wie vor sackartige Kleider, die nun aber gut geschnitten waren, und außerdem lernte sie allmählich, welche Farben zu ihr passten. Aber an der eigentlichen Vera, deren dichtes, ergrauendes Haar den Haarnadeln stets zu entkommen versuchte, hatte sich nichts Grundlegendes geändert, dachte Antony, und es war ein angenehmer Gedanke.
Sir Nicholas war entschlossen, sich der Lage gewachsen zu zeigen.
»Der Haken ist - der Tod!«, sagte er mit einem Anflug von Theatralik, den weder Antony noch Jenny je in seiner Stimme schon gehört zu haben sich erinnern konnte. »Um genau zu sein, drei Todesfälle.«
»Unter den Dauerpatienten?«
»Nein, das ist der Haken. Hotelgäste, die erkrankten und in den Pflegeheim-Flügel verlegt wurden.«
»Wie viele Tote, sagst du?«
»Drei innerhalb von sechs Monaten. Das ist eigentlich alles, was du darüber wissen musst, mein Lieber, weil du begreifen wirst, dass in einem Ort wie Chedcombe...«
»Das ist mir völlig klar.« Maitlands Stimme klang so grimmig wie vorher Veras Ton. »Aber es gibt andere Dinge, die ich wissen möchte, wenn du erlaubst. Zum Beispiel, wie alt waren diese drei alten Leute?«
Vera hatte die Antwort parat.
»Die erste Person war neunundachtzig«, sagte sie. »Die zweite erst sechsundsiebzig und die dritte, glaube ich, knapp über achtzig.«
»War es dann wirklich so verwunderlich...?«
»Genau das habe ich auch gesagt«, warf Sir Nicholas erfreut ein.
»Der Arzt war nicht der Meinung. Er hatte sie von Zeit zu Zeit alle drei behandelt und zögerte nicht, die Totenscheine auszustellen. Nach dem zweiten Todesfall begann aber das Gerede, und Mary sagt, es hätte solche Ausmaße angenommen, dass sie sich kaum noch auf die Straße traut. Die Läden...«
»Ja, ich entsinne mich«, sagte Antony und lächelte sie freundlich an. »Als wir das erste Mal zusammenarbeiteten, missbilligte man in den Geschäften - übrigens auch sonst überall, soviel ich spürte -, dass du einen Außenstehenden mitgebracht hattest, und es wurde schwer für dich, bedient zu werden. Aber sicherlich ist ein Haus wie dieses - dieses Hotel...?«
»Mary hat Schwierigkeiten beim privaten Einkauf«, erklärte Vera, »und ein paar von den Schwestern ergeht es ähnlich. Aber das ist noch nicht einmal das Schlimmste, sondern die Atmosphäre... du kennst Chedcombe, Antony!«
»Ja, nur zu gut. Die Frage ist«, fügte er hinzu, während er von Vera zu Sir Nicholas blickte und dann von der Seite her Jenny ansah, auf deren Mitgefühl er sich verlassen zu können glaubte, »die Frage ist, was soll ich dagegen unternehmen können?«
»Die neue Sitzungsperiode beginnt erst in einigen Tagen«, sagte Vera ganz ernsthaft, »und Nicholas teilt mir mit, dass die Verhandlung deines ersten Falls in diesem Jahr verschoben worden ist.«
»Mein Klient liegt im Krankenhaus«, bestätigte Maitland. »Aber es gibt andere Fälle, mit denen ich mich beschäftigen könnte, weißt du.«
»Aber nichts wirklich Dringendes. Ein paar Tage...«, sagte Vera lockend. »Du gibst mir doch recht, Jenny, ja?«
»Vielleicht«, erwiderte Jenny vorsichtig. »Aber im Ernst, Vera, ich begreife auch nicht, was Antony da tun soll. Wird denn behauptet, alle diese Menschen seien ermordet worden?«
»Das wird in der Stadt geredet.«
»Glaubst du das?«
»Jedenfalls bin ich sicher, dass Mary...«
Antony beeilte sich dazwischenzugehen. Er hatte manchmal das Gefühl, dass ein Ausdruck wie so etwas würden sie nicht tun ein Nagel zu seinem Sarg war. Das von Vera zu hören, die als Rechtsanwältin und Strafverteidigerin es besser wissen sollte, verblüffte ihn ein wenig.
»Du verlangst, ich solle beweisen, dass sie eines natürlichen Todes gestorben sind«, sagte er. »Ich glaube nicht, dass das so ganz meines Amtes ist, nicht wahr?«
»Verlange, dass du die Wahrheit ermittelst«, verbesserte Vera. »Ich kann nicht wissen, ob das zusammenfällt.«
Sir Nicholas war offenkundig der Meinung, wieder eingreifen zu müssen. Er und sein Neffe waren hochgewachsene Männer, aber der Ältere war viel massiger gebaut und sah nach den konventionellen Maßstäben besser aus - so sehr sogar, dass er in Zeitungsberichten oft als stattlich und gutaussehend beschrieben wurde, was ihn maßlos ärgerte. Er hatte blonde Haare - so blond, dass man nicht erkennen konnte, wieviel Grau schon darunter war - und eine unbewusst herrische Art. Im Augenblick machte er sich Gedanken über die Seelenruhe seiner Frau.
»Die Assisen - das Krongericht - tagen noch nicht«, betonte er. »Es gibt keinen Grund, weshalb du Jenny nicht mitnehmen und ein paar Tage ausspannen solltest.«
»Zu dieser Jahreszeit?«
»Ich habe schon erlebt, dass du bei wesentlich unwirtlicherem Wetter in der Wildnis von Yorkshire Urlaub gemacht hast«, gab sein Onkel ohne Mitgefühl zurück. »Das Hotel - wie heißt es gleich? - das George ist warm und behaglich. Ich wüsste nicht, warum dir die Abwechslung nicht guttun sollte.«
»Aber es wird keine Abwechslung sein«, wandte Antony ein. »Wenn du glaubst, es macht mir Vergnügen, Fragen zu stellen...«
»Für eine gute Sache«, erklärte Sir Nicholas feierlich. »Miss Dudleys Gemütsruhe mag dir nichts bedeuten, aber Vera liegt sie am Herzen.«
»In Chedcombe mag man mich so wenig wie umgekehrt. Ich würde völlig privat auftreten müssen, alles andere würde die Sache nur verschlimmern. Und selbst so...«
»Möchte der Meinung sein können, dass wir getan haben, was wir konnten«, sagte Vera knapper denn je, als sie einen Sieg zu wittern begann. »Ich traue diesem Arzt nämlich nicht so ganz, weißt du«, fügte sie hastig hinzu.
»Hast du einen Grund dafür, so etwas zu sagen, oder ist das nur weibliche Intuition?«
»Keine Spur!« Die Unterstellung brachte Vera ein wenig aus der Fassung. Dann lachte sie kurz auf, was eine Eigenheit von ihr war. »Nicht, dass ich den Grund genau angeben könnte«, räumte sie ein. »Aber du kannst sehen, warum ich glaube, dass - es ist eben etwas, was du gut kannst, Antony, und ich gar nicht.«
Antony kehrte zu seinem Sessel zurück und griff nach seinem Kognakschwenker. Sein Kaffee war kalt geworden und würde wohl immer noch dastehen, wenn später abgeräumt wurde.
»Was hältst du von ein, zwei Tagen auf dem Land, Liebes?«, fragte er Jenny und lächelte sie an.
Sie wusste so gut wie er, dass das die Kapitulation war, etwas, woran sie von Anfang an nicht gezweifelt hatte.
»Ich glaube nicht, dass es für dich sehr vergnüglich sein wird, aber ich habe bestimmt etwas davon«, gab sie zurück.
»Dann je früher, desto besser.« Er hatte seinen Kognak geschlürft und sich vielleicht dadurch ermannt. »Wann kannst du reisefertig sein?«
»Jederzeit.«
»Also gut, dann fahren wir morgen«, erklärte er und wusste, während er das sagte, nicht, wie sehr er diese Worte später bereuen sollte.
Sir Nicholas wechselte mit seiner Frau einen Blick und wandte sich seinem Neffen zu.
»Wenn du es einrichten könntest, in deinen Entschlüssen ein bisschen weniger unvermittelt zu sein, Antony«, sagte er.
»Das wolltet ihr doch, nicht?« Das Humorvolle an der Situation ging ihm plötzlich auf, und er begann zu lachen. »Ich hatte von Anfang an keine Chance, wenn ihr beide euch zusammentut«, sagte er. »Es wird euch aber hoffentlich klar sein, dass ich noch viele Fragen beantwortet haben will, bevor wir fahren.«
2
Die Maitlands bewohnten schon seit vielen Jahren die beiden oberen Stockwerke von Sir Nicholas Hardings Haus, Kempenfeldt Square Nr. 5. Seltsamerweise war die ganze Nordseite des Platzes, wo auch Nr. 5 stand, in Privathand verblieben, obwohl die Häuser an den anderen drei Seiten inzwischen fast ausschließlich gewerblichen Zwecken dienstbar gemacht worden waren. Anfangs hatte die Teilung des Hauses eine rein vorübergehende sein sollen - wegen des akuten Wohnungsmangels -, und der Umbau war nicht so drastisch vorgenommen worden, dass jeder Teil des Hauses für sich abgeschlossen gewesen wäre. Im Lauf der Jahre hatten sie alle das Wort zeitweilig« vergessen, so, als sei es aus ihrem Wortschatz gestrichen worden; die Einrichtung war eine praktische, meistens auch eine sehr angenehme, und selbst wenn sie es nicht war - das heißt, bei den Gelegenheiten, wenn Sir Nicholas’ unberechenbares Temperament Probleme hervorrief -, pflegte Antony zu behaupten, dass es seine Vorteile habe, Kämpfe auf eigenem Boden auszufechten. Außerdem gehörte er zur Kanzlei seines Onkels im Inner Temple; es mochte keine gute Idee sein, das berufliche Dasein mit in das private hinüberzuschleppen, aber es gab Zeiten, zu denen sie das beide als zweckdienlich empfanden. Zu Beginn der Herbstsitzung, als Sir Nicholas und seine Braut von ihren Flitterwochen zurückgekehrt waren, hatte es Belastungen gegeben, auf welche hin Antonys Bedenken, das Haus weiterhin mitzubenutzen, die ganze Vereinbarung beinahe über den Haufen geworfen hätten, aber auf die eine oder andere Weise waren diese Bedenken inzwischen behoben, und Veras Anwesenheit war nun für sie alle etwas sehr Angenehmes.
An den Dienstagabenden speiste Sir Nicholas nach alter Tradition bei den Maitlands. Vera hatte diesen Brauch mit Freude übernommen. Ihren Donnerkeil hatte sie nun bei einer dieser Gelegenheiten nach dem Essen geschleudert.
»Ich hätte nicht überraschter sein können, wenn sie mich ins Bein gebissen hätte«, sagte Antony zu Jenny, als die beiden gegangen waren. »Sie gehört sonst nicht zu den Leuten, die Forderungen stellen.«
»Sie hat dich seinerzeit in mindestens vier Fälle hineingezogen«, betonte Jenny. Als sie merkte, dass er sich unterhalten wollte, hatte sie sich wieder behaglich in ihrer Lieblingsecke auf dem Sofa zusammengerollt. »Das nenne ich nicht: keine Forderungen stellen.«
»Aber das war in beruflicher Beziehung, nicht etwas wie das jetzt.«
»Sehr viel schlimmer«, meinte Jenny. »Wenigstens sehe ich nicht, wo hier eine Gefahr lauern könnte«, fügte sie zweifelnd hinzu.
»Ich auch nicht. Aber siehst du, Schatz, ich habe nicht die Spur einer Ausrede für die Ermittlungen, die ich anstellen soll, und kein medizinisches Wissen, um entscheiden zu können, was wahr ist und was nicht.«
»Der Arzt...«
»Glaubst du, dass er mir helfen wird? Er hat für alle diese Leute Totenscheine unterschrieben, weißt du. Für ihn sind das natürliche Todesfälle.«
»Ja, mit offenen Armen wird er dich wohl nicht willkommen heißen«, meinte Jenny nachdenklich. »Aber Vera ist ein so feiner Mensch, Antony, und Onkel Nick wollte auch, dass du fährst.«
»Ja, und ich hoffe nur, dass ihm das einfällt, wenn es Schwierigkeiten geben sollte«, sagte Antony, auf einmal wieder belustigt. »Aber verlassen würde ich mich nicht darauf.«
Mittwoch, 5. Januar
1
Jenny hielt ihr Wort: Sie erreichten am nächsten Vormittag den Zehn-Uhr-Zug eine Viertelstunde vor Abfahrt und waren rechtzeitig zum Mittagessen in ihrem Hotel. Da Jenny dabei war, hätten sie das Auto nehmen können, aber die Straßen waren zu vereist. Chedcombe tut sich auf sein malerisches Äußeres etwas zugute und heimst den Lohn für die dadurch bedingte Unbehaglichkeit während der Sommermonate ein, in denen es von Besuchern wimmelt. An diesem Januartag jedoch, einige Tage, bevor die Mitglieder der Anwaltstische eintreffen sollten, schienen sie im Hotel praktisch die einzigen Gäste zu sein. Der Geschäftsführer selbst kam heraus, um sie zu begrüßen, als sie sich eintrugen; zu Antonys Erleichterung ein neuer Mann. Maitland hatte sich stets für vollkommen unschuldig erklärt, was die eher schauderhaften Ereignisse nach seinem ersten Besuch im George anging, aber der damalige Direktor hatte sich seiner Meinung nicht angeschlossen, und es sprach wenig dafür, dass er im Lauf der dazwischenliegenden Jahre vergeben oder vergessen hatte.
Sie gingen also hinauf, packten aus, wobei sie sich Zeit ließen, und gingen in den Speisesaal hinunter. Hier erwies sich der Eindruck, das Hotel sei leer, als falsch. An einem Fenstertisch saß eine Gruppe von Geschäftsleuten, und im Saal waren mehrere Tische mit jeweils drei oder vier älteren Frauen zu sehen. Antony, der keine angenehme Erinnerung an seine beiden bisherigen Besuche in der Stadt hatte, war um Jennys Gegenwart plötzlich sehr froh. Wenn er schon entschlossen war, sich auf etwas einzulassen, von dem jeder halbwegs vernünftige Mensch die Finger gelassen hätte, war es wenigstens ein Trost, abends zu ihr zurückkehren