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Im Schatten der Hexe: Witchcraft
Im Schatten der Hexe: Witchcraft
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eBook273 Seiten3 Stunden

Im Schatten der Hexe: Witchcraft

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Über dieses E-Book

Mutter und Sohn leben in einem Haus am Waldrand in der schottischen Gemeinde Fossoway. Eine Steinhütte auf dem Grundstück gibt Rätsel auf, da sie sich unentwegt verändert. Als Janet Recherchen über die ehemaligen Bewohner anstellt, kommt sie mit dem unrühmlichen Kapitel der Hexenverfolgung in Schottland in Berührung.
Zeitgleich geht in Edinburgh und Umgebung ein Serienkiller um, der in der Manier von Jack the Ripper mordet. Zeugenaussagen zufolge soll es sich um eine Art Fabelwesen handeln, halb Mensch, halb Fledermaus.
Und dann ist da noch der zwielichtige Percy Sutherland, der Janet das Leben schwermacht, bis er selbst in das Visier der Scotland Police gerät.
Schottland damals und heute in einem spannenden Mystery-Roman.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum5. Okt. 2016
ISBN9783738086669
Im Schatten der Hexe: Witchcraft

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    Buchvorschau

    Im Schatten der Hexe - Norman Dark

    PROLOG

    Das Verlies war dunkel und feucht. Ein Ort, an dem man jegliches Gefühl für Raum und Zeit verlor. Es war unmöglich festzustellen, ob es Nacht oder Tag war.

    Die gemarterte Frau konnte nur noch ein Wimmern von sich geben. Zum Schreien hatte sie weder Kraft noch Stimme. Außerdem wusste sie, dass sie ohnehin nicht erhört werden würde. Ängstlich lauschte sie nach jedem Geräusch, denn Schritte und das Öffnen der Tür bedeuteten noch mehr Pein und keine Hilfe. Kam da jemand? Nein, das waren nur die Ratten, die mit trippelnden Schritten umherliefen, gierig darauf bedacht, bei jeder erneuten Ohnmacht mit ihren kleinen spitzen Zähnen Fleisch aus den Wunden zu reißen.

    Durst, dachte sie, ich habe solchen Durst. Man gab ihr nichts zu trinken und zu essen, höchstens schimmliges Brot und fauliges Wasser. Beides verschlimmerte ihren Zustand, denn es verursachte Rumoren in den Därmen und dass sie sich noch mehr beschmutzte.

    Unter Qualen versuchte sie, den Kopf zu drehen, um etwas Wasser von den rauen Steinen zu lecken. Es gelang ihr schließlich, aber sie hatte nicht bedacht, dass ihre Zunge nur noch ein rohes Stück Fleisch war, das bei jeder Berührung schmerzte.

    Ihr ganzer Körper war eine einzige offene Wunde. Sie konnte ihre Arme nicht mehr bewegen und nicht mehr laufen. Man musste sie halb tragen, halb schleifen, wobei Arme und Beine wie nutzlos gewordene Anhängsel an ihr hingen.

    Aber beinahe schlimmer als die körperliche Qual war die seelische. Warum tut man mir das an? Warum sind alle so abgrundtief böse und grausam zu mir? fragte sie sich immer wieder in den Momenten, in denen sie bei Bewusstsein war. Ich habe doch niemandem etwas angetan. Man hat Rat und Hilfe bei mir gesucht, und ich habe geholfen, wo ich konnte. Und das soll jetzt der Dank sein?

    Wenn sie an ihr Kind dachte, fuhr es ihr wie ein glühender Stachel ins Hirn. Mein armer, kleiner Junge. Wenn sie ihn doch wenigstens verschonen würden. Er hat doch noch gar nicht richtig gelebt und hat noch alles vor sich. Aber eine immer wiederkehrende Stimme in ihrem Innern sagte, dass sie auch an ihm ihre grenzenlose Wut und ihren Hass auslassen würden.

    Morgen ist alles vorbei. Morgen lässt man mich endlich sterben – mein einziger Trost. Nur denkt nicht, dass ihr schadlos davonkommen werdet. Ich kann meine Kräfte auch zum Negativen wenden. Bevor ihr mich am Hals aufhängt, werde ich euch und eure Nachkommen verfluchen. Ihr glaubt, dass ihr euer schändliches Werk vollendet habt, wenn ich im Feuer brenne, aber ihr und euresgleichen werdet keine Ruhe finden, niemals mehr. Dieser Gedanke gab ihr für einen Moment Kraft, bis sie wieder eine gnädige Ohnmacht erlöste.

    Kapitel 1

    Janet Cameron saß am Bett ihres achtjährigen Sohnes Mitchel und las ihm eine Gute-Nacht-Geschichte vor. Dabei fiel ihr Blick auf die bandagierten Arme des Kleinen. Oben, am Ende der Bandage, schaute jeweils eine rötlich entzündete Stelle ohne Schorf heraus.

    »Ach, Mitch, du hast wieder gekratzt«, sagte Janet liebevoll tadelnd.

    »Wenn es doch so juckt … Warum muss gerade ich diese blöde Krankheit haben?«

    »Schatz, das haben wir doch schon so oft besprochen. In der heutigen Zeit, wo die Menschen verschiedenen Umwelteinflüssen ausgesetzt sind, reagieren manche allergisch. Es gibt leider viele Kinder, außer dir, die an Neurodermitis leiden. Die Ursachen sind noch nicht restlos erforscht.«

    »Das ist auch kein Trost für mich.«

    »Komm, wir tun noch etwas Salbe drauf, und dann hört das Jucken bald auf.«

    »Die hilft überhaupt nicht. Der Doktor hier hat eben keine Ahnung.«

    »Jetzt sei nicht ungerecht. Er gibt sich viel Mühe und hat es gut gemeint, aber wenn du glaubst, dass die alte Salbe, die du vorher bekommen hast, besser war, werde ich ihn bitten, die wieder zu verschreiben.«

    »Ja, die Frau Doktor in Dumfries hat mir viel besser gefallen. Um nach Kinross zu kommen, müssen wir auch das Auto nehmen, da können wir gleich weiter bis nach Dumfries fahren.«

    Janet schüttelte lächelnd den Kopf. »Mein lieber Schatz, bis nach Dumfries sind es über einhundertsechzig Kilometer. Hin und zurück wären wir den halben Tag unterwegs. Aber wir können versuchen, in Edinburgh einen anderen Arzt zu finden, vielleicht sogar eine Frau Doktor. Bis dahin ist es wenigstens nur eine knappe Stunde.«

    »Hm«, machte Mitchel, was Janet als Zustimmung deutete.

    Später, als Mitch eingeschlafen war, saß sie mit einem Glas Wein vor dem Kamin, und ohne dass sie es merkte, liefen ihr die Tränen herunter. Sie wusste nur zu genau, wann es mit Mitchs Krankheit begonnen hatte. Kurz nach Alecs Tod. Der Kummer über den Verlust seines geliebten Daddys hatte sich wie ein Klumpen im Körper des Jungen verdichtet und brach sich jetzt über die Haut bahn, dem empfindlichsten Organ, den manche auch den Spiegel der Seele nannten. So oder ähnlich hatte es die Hautärztin ausgedrückt. Aber das wusste Janet alles selber. Was sollte sie denn machen? Sie hatte ja noch immer nicht restlos den Schock über Alecs plötzlichen Tod überwunden. Ein Mann in den besten Jahren, der zuvor nie ernsthaft krank gewesen war.

    Und jetzt saßen sie hier in dem zwar wunderschönen, aber doch sehr abgelegenen Haus, weil Alec sich den Traum erfüllen wollte, mit seiner Familie in einer ländlichen Gegend zu wohnen. Er selbst hatte keinen einzigen Tag hier verbringen können, weil der „Gevatter" schneller gewesen war. Für Janet war es keine Frage gewesen, wo sie und Mitch künftig leben würden. Das Haus in Dumfries hätte sie ohnehin erdrückt mit all den Erinnerungen. So waren sie vor einem knappen Jahr umgezogen. In die Gemeinde Fossoway, die aus den Dörfern Blairingone, Crook of Devon, und Carnbo bestand. Das strahlend weiße Anwesen mit seinen blauen Dachschindeln war ein echter Hingucker und schmiegte sich eng an den Black Hill Wood. Inzwischen waren die Dorfbewohner sogar weniger zurückhaltend gegenüber Janet, und Mitch war es leidlich gelungen, sich mit der neuen Grundschule zu arrangieren. Sogar den einen oder anderen Freund hatte er schon gefunden. Ein wenig beneidete ihn Janet sogar darum. Ihr brachte man allenfalls Mitleid oder peinliche Verlegenheit entgegen. Das galt auch für die Schwiegereltern, bei denen Janet immer das Gefühl hatte, man mache sie insgeheim mitverantwortlich für das Schicksal des Sohnes. Ausgesprochen wurde es nicht. Nein, so weit ging man nicht, aber es stand mitunter wie eine unsichtbare Wand zwischen ihnen.

    Und ihre Freundinnen? Für die galt im Grunde genommen das Gleiche. Abgesehen davon, dass kaum eine so recht mit der Situation umgehen konnte, nahm man den Ortswechsel offensichtlich übel, schon wegen der „unzumutbaren" Entfernung. Nein, stopp, Leslee war die große Ausnahme, rief sich Janet innerlich zur Ordnung. Ihre älteste und beste Freundin kam so oft sie konnte. Sie konnte zuhören und trösten, aber vor allem herrlich albern sein, sodass Janet umgehend in eine andere Stimmungslage versetzt wurde. Ach ja, es wird Zeit, dass du dich mal wieder sehen lässt, altes Mädchen, dachte sie und nahm einen großen Schluck Wein.

    Am nächsten Morgen brachte Janet Mitch wie jeden Tag in die nahe gelegene Fossoway Primary School. Unterwegs war der Junge etwas aufgeregter als gewöhnlich.

    »Kommt er heute?«, fragte er unvermittelt.

    »Wer?«

    »Ach, Mum, du weißt genau, wen ich meine. Der Mann, der das Gestrüpp wegräumt, damit wir endlich ein Gartenhaus haben.«

    »Versprich dir nicht zu viel davon. Es wird mehr eine Ruine sein als ein komplettes Haus, ohne Dach und ohne Türen und Fenster.«

    »Egal, ich finde es trotzdem gei …super. Wer hat schon eine eigene Ruine auf dem Grundstück?«

    Janet lachte über Mitchs Logik, wollte ihm aber nicht den Spaß verderben. Vor dem Schulgebäude, in das unentwegt schwatzende Kinder liefen, hielt sie kurz an und wartete, bis Mitch sicher durch den Eingang verschwunden war. Sie widerstand der Versuchung, noch schnell in Kinross etwas einzukaufen, weil sie den Gärtner nicht warten lassen wollte.

    Als sie zu Hause ankam, stand der alte Mann tatsächlich schon vor der Tür. Er trug Arbeitskleidung und hatte allerlei landwirtschaftliches Handwerkzeug und auch verschiedene Geräte dabei. »Hello«, sagte er knapp und reichte Janet seine kräftige, verarbeitete Hand. »Fraser, aber Sie können mich Tim nennen. Nein, nicht der aus der Fernsehserie. Aber die werden Sie vielleicht gar nicht mehr kennen. War schon in den Sechzigern.«

    »Doch, doch, ich sehe mir gerne alte Serien an.«

    »Also bei mir kommt der Tim von Timothy. Das stammt von Timotheos. Meine alten Herrschaften hatten nämlich eine Schwäche für das Altgriechische.«

    »Interessant, ich mag ungewöhnliche Namen.«

    »Dann wollen wir mal«, sagte er mit freundlichem Lächeln, das ihm aber sichtlich verging, als er das Objekt sah. »Du lieber Himmel, da hat sich die Natur aber zurückerobert, was ihr einst gehörte. Das Gestrüpp hat ja Dornen so dick wie mein … Daumen.«

    Janet verkniff sich das Grinsen, denn sie hatte genau verstanden, dass er zuerst Schwanz statt Daumen hatte sagen wollen. Aber als Dame musste sie derlei Anspielungen überhören. Ihr gefiel der alte Mann auf Anhieb. Er schien das Herz auf dem rechten Fleck zu haben. »Was glauben Sie, wie lange Sie zu tun haben werden?«

    Mr. Fraser zuckte mit den Schultern. »An einem Tag ist das sicher nicht zu bewältigen. Der Wildwuchs muss schon Jahre, wenn nicht Jahrzehnte andauern.«

    »Mein Mann hätte es bestimmt nicht so weit kommen lassen, aber als ich nach seinem Tod hierher gezogen bin, hatte ich ehrlich gesagt andere Sorgen.« Für einen Moment verfinsterte sich Janets Gesicht.

    »Das tut mir leid, das mit Ihrem Mann. Aber eine so schöne, junge Frau wird bestimmt nicht auf Dauer alleine bleiben.«

    »Sie sind ja ein Charmeur, Mr. Fraser«, antwortete Janet gequält lächelnd, wechselte dann aber schnell das Thema. »Wie alt mögen die unbearbeiteten Natursteine wohl sein?«

    »Steinalt, wenn Sie mich fragen. Wahrscheinlich aus dem 16. oder 17. Jahrhundert. Sind Sie Archäologin, oder wozu der Aufwand?«

    Janet lachte. »Nein, mein Sohn lässt mir keine Ruhe. Er meint, eine Ruine auf dem Grundstück zu haben, sei geil. Verzeihen Sie die Ausdrucksweise.«

    »Kein Problem, ich weiß doch, wie die jungen Leute heute reden. Uns hätte man damals den Mund mit Seife ausgewaschen bei diesen Ausdrücken.«

    »Die Zeiten sind zum Glück vorbei, aber Mitch ist noch ein Kind und noch kein Jugendlicher. Der Verlust des Vaters macht ihm schwer zu schaffen, deshalb lasse ich ihm manchmal etwas durchgehen …« Janet räusperte sich. Es war ihr etwas peinlich, mit einem Fremden so intime Dinge zu erörtern. »Was könnte das gewesen sein? Für ein Gartenhaus oder einen Geräteschuppen dürfte es etwas zu solide gebaut worden sein.«

    Jetzt lachte Tim. »Ja, für einen derartigen Luxus hatte man anno dazumal keinen Sinn. Wahrscheinlich haben hier ganz einfache, arme Leute gewohnt.«

    »Na, ich bin gespannt, was Sie freilegen werden. Nehmen Sie sich nur die Zeit, die dazu nötig ist.«

    »Sie haben sich das auch gut überlegt, ja? Ich meine, manchmal ist es besser, wenn über etwas sprichwörtlich Gras gewachsen ist.«

    »Ich weiß nicht, worauf Sie anspielen. Tatsache ist, dass so ausgeprägte Dornen eine Verletzungsgefahr für lebhafte Jungen bedeuten, und sehr dekorativ ist das Ganze auch nicht.«

    »Gut, dann mache ich mich jetzt an die Arbeit.«

    Einige Stunden später machte sich Janet fertig, um Mitch von der Schule abzuholen. Vorher sagte sie noch Mr. Fraser Bescheid. »Ich fahre jetzt kurz in die Stadt und habe Ihnen Sandwiches und Tee in der Thermoskanne auf den Tisch vor dem Haus gestellt. Und falls Sie mal müssen … Soll ich den Schlüssel hierlassen?«

    »Nein, das möchte ich nicht. Nicht dass nachher noch etwas fehlt …«

    »Sie sehen nicht so aus, als ob Sie mir das Haus ausräumen, Mr. Fraser.«

    »Danke, aber sagen Sie doch Tim. Nein, dann gehe ich jetzt kurz mal verschwinden und dann wieder, wenn Sie zurückkommen.«

    »Ganz wie Sie wollen, Tim.«

    Janet überbrückte die Zeit, indem sie die Scheiben und Seitenspiegel ihres dunklen Mini One D säuberte, und machte sich dann auf den Weg.

    In Kinross kaufte sie im Sainsburys Supermarkt in der Station Road einige Lebensmittel ein, holte noch etwas Frischfleisch beim Hunters Butchers in der High Street und in derselben Straße Kuchen und Brötchen in der Bayne’s Bakery. Mit einer Tasche voll Brot und Gebäck und einem großen Kuchenpaket musste Janet dann einige Stufen vom Bäcker bis zur Straße bewältigen, hatte aber keine Hand frei, das dünne Eisengeländer zu benutzen. Als sie auch noch umknickte, verlor sie den Halt und fiel buchstäblich einem gut aussehenden Mann mit dunkler Wuschelfrisur und unverschämt frechen Grübchen vor die Füße beziehungsweise an die breite Brust.

    »Da hat es aber jemand eilig«, sagte er breit grinsend. »Nicht dass es mir unangenehm wäre, aber Kuchen ist mir lieber auf dem Teller als auf meinem Pullover.«

    »Sorry, ich habe mir wohl etwas viel zugemutet.«

    »Das kommt vor. Wenn ich helfen soll, den zerdrückten Kuchen zu vertilgen – ich bin dabei.«

    »Danke für das Angebot, aber ich denke, mein Sohn und ich werden das ganz alleine schaffen.«

    »Ich hingegen bezweifle, dass ich allein die Sahneflecke von meinem Pulli beseitigen kann. Da wird wohl eine weibliche Hand vonnöten sein.«

    »Verstehe, dann ziehen Sie den Pullover aus. Sie bekommen ihn dann sauber zurück.«

    »Das lasse ich mir nicht zweimal sagen. Darf ich Ihnen die Sachen zum Auto tragen?«

    Janet warf dem frechen, aber durchaus sympathischen Fremden einen irritierten Blick zu. »Woher wissen Sie, dass ich mit dem Wagen hier bin?«

    »Nun, zu Fuß hätten sie sich bestimmt nicht eine solche Menge zugemutet.«

    »Das stimmt, ich komme nicht so oft in die Stadt und muss auch gleich los, um meinen Sohn von der Schule abzuholen. Aber warum erzähle ich Ihnen das eigentlich? Wir kennen uns doch gar nicht.«

    »Das muss sich unbedingt ändern. Ich bin Percy, und ein bisschen weiß ich auch über Sie.«

    »Wie praktisch, dann brauche ich Ihnen nicht zu sagen, dass ich Janet Cameron heiße und …«

    »… am Waldrand in dem schicken, weißen Haus wohne«, beendete Percy Janets Satz. »Sie fahren einen schwarzen Mini One D, den ich für so eine schöne Frau mit graugrünen Augen und blonden Haaren, die wie Gold schimmern, als viel zu dunkel erachte.«

    »Mr. …«

    »Sutherland, Percy Sutherland.«

    »Mr. Sutherland, Sie mögen es ja im Flirten zu einer gewissen Meisterschaft gebracht haben, aber ich bin gänzlich uninteressiert. Wie gesagt, mein Sohn wartet.«

    »Natürlich, ich will Sie auch gar nicht aufhalten, hatte allerdings gehofft, dass Sie fragen würden, woher ich das alles über Sie weiß.«

    »Mein Haus ist nicht zu übersehen, und einen Wagen dieses Typs fährt in dieser Gegend niemand, außer mir. Ich gehe nicht davon aus, dass Sie mir nachspioniert haben.«

    »Nein, das würde ich mir nie erlauben. Aber meine Mutter und ich wohnen nicht so weit von Ihnen entfernt. Ich nehme zwar hin und wieder eine Auszeit, aber als ich das letzte Mal zurückkam, lebten Sie schon eine Weile hier. Insgeheim hat mich natürlich interessiert, was eine so attraktive Frau allein in dieser gottverlassenen Gegend macht, doch ich wagte nicht, mich Ihnen vorzustellen. Ich wusste, eines Tages würde eine Gelegenheit kommen.«

    »Ich frage mich gerade, ob unser Zusammenstoß nicht zufällig geschehen ist …«

    »Da tun Sie mir Unrecht. Auf so plumpe Art nähere ich mich Frauen nicht.«

    »Da bin ich aber beruhigt«, sagte Janet, der der Schlagabtausch langsam Spaß machte. Inzwischen waren sie am Wagen angelangt, und Janet nahm Percy die Einkaufstasche ab, um sie im Kofferraum zu den anderen Lebensmitteln zu stellen.

    Percy machte große Augen. »Sie scheinen wirklich nicht oft einkaufen zu gehen.«

    »Nein, ich bin eine menschenscheue Einsiedlerin, zufrieden?«

    »Das grenzt ja an Verschwendung. Umso größeres Glück hatte ich, Sie öfter aus der Ferne sehen zu können. Und heute sogar aus der Nähe.«

    »Ja, Sie sind ein wahrer Glückspilz. Würden Sie sich jetzt bitte oben herum freimachen? Ich stehe nämlich zu meinem Wort, auch wenn ich glaube, dass sich Ihre Mutter um Ihre Wäsche kümmert.«

    »Irrtum, das gehört zu meinen Pflichten. Die Gute sieht schon etwas schlecht, wissen Sie?«

    »Dann werden sich ja während Ihrer Abwesenheit ganze Berge von Schmutzwäsche angesammelt haben.«

    Percy musste lachen. »Ihnen kann man nicht so schnell etwas vormachen, nicht? Also gut, ich gestehe, ich habe geflunkert.«

    »Das überrascht mich nicht, aber wie gesagt, ich stehe zu meinem Wort. Wenn ich dann bitten dürfte.«

    Percy zog in Windeseile den Pulli über den Kopf, wobei seine lockigen Haare noch mehr verwuschelten, was ihm etwas Jungenhaftes verlieh. Aber Sie müssen wirklich nicht …«, sagte er schmunzelnd.

    »Doch, doch. Sind Sie telefonisch zu erreichen? Ich meine, wenn der Pullover trocken ist …«

    »Ja, hier ist meine Handynummer. Ich freue mich auf Ihren Anruf.«

    »Bleibt abzuwarten, ob Sie sich anschließend immer noch freuen. Vielleicht läuft der Pulli in der Wäsche ein?«

    Mitch stand schon vor dem Schulgebäude, als Janet ankam. »Ich dachte schon, du hast mich vergessen«, sagte er maulend.

    »Entschuldige, Schatz, der Einkauf hat etwas länger gedauert.«

    Mitch sah seine Mutter prüfend von der Seite an. Täuschte er sich, oder war sie ausnehmend gut gelaunt? »Hat der Gärtner ein kleines Schlösschen freigelegt, oder warum strahlst du so?«

    »Zu deiner ersten Frage: Nein, es wird noch einige Tage dauern, bis er fertig ist, und zur zweiten: Ist es dir lieber, wenn ich traurig oder schlecht gelaunt bin?«

    »Überhaupt nicht, aber ich meine nur …«

    Auf dem Grundstück ließ sich Mitchel dann seine Enttäuschung nicht anmerken, aber außer Bergen von losem Dornengestrüpp und einigen trockenen Ästen, gab es noch nicht viel zu sehen. Das sollte sich am dritten Tag ändern.

    Mitch stieß einen Jubelschrei aus, als er von der Schule heimkam. Mr. Fraser und seine Häckselmaschine hatten wahre Wunder vollbracht. Der Weg zu dem Steinhäuschen war jetzt frei. Und damit nicht genug, man konnte auch hineingehen, denn der Boden war eben und von allem Wildwuchs befreit.

    »Na, bist du enttäuscht, dass es nur eine halbverfallene Ruine ist?«, fragte Janet.

    »Ich weiß gar nicht, was du hast, Mum. Ich finde, es sieht ausgesprochen wohnlich aus. Sieh mal, das schöne Strohdach und die uralte Holztür.«

    »Aber Mitch, es gibt gar keine Tür, und schon gar nicht ein Dach. Die Mauern sind nur noch halbhoch, wenn überhaupt.«

    Mitchel ließ sich von den Einwänden seiner Mutter nicht beirren. »Komm, Mum, wir gehen rein«, sagte er und lief schon voraus.

    Drinnen herrschte übergangslos diffuse Beleuchtung, denn die kleinen Fenster hatten keine Glasscheiben, sondern nur mit dünnen Häuten bespannte Rahmen, durch die kaum Licht fiel. Janet konnte nicht glauben, was sie sah. Eben war es noch eine verfallene Ruine gewesen, und jetzt hatte man den Eindruck, das Haus sei bewohnt.

    »Sieh mal die große Feuerstelle mit dem alten Kessel«, rief Mitch, »da ist noch Glut drin und aus dem Kessel riecht es seltsam.«

    »Das ist nicht gut möglich«, widersprach Janet, »ein Kessel, der in der Luft und nicht an Ketten oder an einem Haken hängt, gibt es nicht.«

    In diesem Moment wurde das Feuer erneut entfacht, als habe jemand einen Blasebalg

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