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China Blues: Zirkus der Geister
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eBook169 Seiten2 Stunden

China Blues: Zirkus der Geister

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Über dieses E-Book

Meilin ist ein echtes Zirkuskind. Als ihr Vater in der Manege tödlich verunglückt und sie auch bald darauf ihre Mutter verliert, nimmt sich ein Artistenpaar ihrer an. Schon bald hat sie nur ein Ziel – in die Fußstapfen ihres Vaters zu treten und als erste Frau den dreifachen Salto am Trapez zu zeigen. Doch bis dahin gibt es viel Unruhe in ihrem jungen Leben, zumal auf dem Zirkus ein Fluch zu lasten scheint, sodass er alsbald in den Ruf eines Geister-Zirkus gerät.
Der in der Ich-Form geschriebene Roman berührt und bietet viel Spannung durch immer neue Wendungen.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum10. Juni 2016
ISBN9783738073102
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    Buchvorschau

    China Blues - Norman Dark

    Prolog

    PROLOG

    Noch heute schrecke ich manchmal nachts hoch, weil ich mich im Traum als sechsjähriges Mädchen sehe, dessen Augen vor Schreck geweitet sind, denn es kann nicht begreifen, dass der geliebte Vater im Sand der Manege liegt und nicht mehr aufsteht. Ich will zu ihm hineilen, aber meine Mutter zieht mich an der Hand fort und versucht, mich zu beruhigen. In dieser schrecklichen Novembernacht des Jahres 1993 weinte ich mich in den Schlaf, der nur kommen wollte, als mir meine Mutter ein leichtes Beruhigungsmittel verabreicht hatte.

    Fortan erhielt ich öfter Besuch von meinem lieben bàba. Seine Gestalt war dann immer fast durchsichtig, und niemand sonst als ich schien ihn zu sehen. Er sprach nicht mir, leider. Nur seine Augen blickten traurig und sorgenvoll. Ich wäre gerne zu ihm hingelaufen, aber etwas hielt mich stets davon ab.

    Einige Wochen später wurde meine kleine Welt vollends erschüttert, als auch meine māma nicht mehr da war. Sie sei sehr krank gewesen und jetzt im Himmel, hieß es immer, wenn ich nach ihr fragte. Wie sie wirklich gestorben war, sollte ich erst viel später erfahren, weil man einem Kind die grausame Wahrheit nicht zumuten konnte.

    Ab diesem Zeitpunkt war ich ganz allein, wenn man von den auf dem Land lebenden Großeltern und den anderen Mitgliedern der Zirkustruppe wie shū Wáng Jun und seine Frau āyí Wáng Bao absieht, die ich schon immer Onkel und Tante nannte, ohne mit ihnen wissentlich verwandt zu sein, und die künftig an die Stelle meiner Eltern treten sollten. Mit ihnen und ihren Kindern verband mich die Liebe zum Zirkus und insbesondere zum Trapez, denn es war immer mein Traum gewesen, eine ebenso berühmte Artistin zu werden wie mein bàba.

    1.

    Ich heiße Meilin und kam im September 1987 zur Welt, bin also im Sternzeichen des Hasen geboren, wobei die Sternzeichen in China für ein ganzes Jahr gelten. Ich hätte also auch im Februar oder Dezember auf die Welt kommen können und wäre trotzdem ein „Hase" geworden. Hasengeborenen sagt man oft eine gewisse Schüchternheit nach, aber sie sollten dennoch nicht unterschätzt werden. Da sie genau wissen, was sie wollen und sich mitunter von hinten herum durchsetzen, sagt man ihnen sogar Verschlagenheit und Hinterlist nach, dabei sind sie nur sehr schlau und gehen ziemlich raffiniert vor. Als gute Menschenkenner kann es ihnen dennoch passieren, dass sie von anderen getäuscht und ausgenutzt werden.

    Ich habe immer geglaubt, dass mein schweres Schicksal mich sensibel und dünnhäutig gemacht habe, dass mein wechselhaftes Verhalten, das anderen mitunter launisch und abweisend erscheint, auch daher rühre. Umso erstaunter war ich, dass diese Wesenszüge recht typisch für die im Sternzeichen Hase Geborenen, also mir schon in die Wiege gelegt worden sind.

    Es mag vielleicht seltsam anmuten, dass ich als häuslicher „Hase", die normalerweise viel Wert auf eine vertraute Umgebung und Sicherheit legen, meinte, genau das in dem Mikrokosmos eines Wanderzirkus gefunden zu haben. Ein Milieu, das anderen als unstet bis chaotisch und mehr als unsicher erscheint, aber ich kannte nichts anderes als den gemütlichen, mit Laternen und Seidenkissen geschmückten Wohnwagen meiner Eltern, der für mich Heimat und Geborgenheit bedeutete. Auch gab es eine starke Verbundenheit zwischen den Artisten, Künstlern und Dompteuren, die schließlich alle am selben Strang zogen – dem Publikum ein abwechslungsreiches und faszinierendes Programm zu bieten, das es nicht so schnell vergaß.

    Natürlich gab es auch weniger schöne Aspekte wie Streit, Missgunst und Eifersucht, bis hin zu kleinen Tragödien, wie überall, wo Menschen auf engem Raum zusammenkommen, aber dazu später.

    Meine schöne Mutter, die ich wie viele Kinder auf der Welt māma nannte, hieß noch Xu Chan, als mein Vater Jian Yan sie aus der bäuerlich dörflichen Umgebung in die schillernde Welt des Zirkus holte. Ein Umstand, den ihm mein Großvater Xu Minh nie verzieh, den ich wie die meisten chinesischen Kinder ihre Großväter lao ye nannte, wenn es sich um den Vater der Mutter handelt. Nach ihrer Heirat hieß meine Mutter also nun Jian Chan, denn ihr Vorname war Chan, und in China wird der Familienname immer zuerst genannt.

    Es dauerte mehrere Jahre, bevor meine Mutter den Mut fand, ihr Elternhaus zu besuchen. Lao ye wollte sie auch zunächst nicht hereinlassen. Erst als Großmutter Xu Ai, von mir lao lao, dem chinesischen Namen für Großmutter, genannt, zu weinen anfing und ihre Arme nach mir ausstreckte, in die ich trotz meiner sechs Jahre förmlich flog, löste sich der versteinerte Gesichtsausdruck von lao ye. Großmutters Vorname Ai bedeutet nicht umsonst Liebe.

    Nachdem lao ye auch mit Vater Frieden geschlossen hatte, kamen wir so oft wie möglich zu Besuch. Eigentlich immer dann, wenn wir in der Nähe ein Gastspiel hatten. Ich liebte lao ye’s Geschichten von längst vergessenen Kulturen, deren einziger Zeuge oft nur die Bauten waren, die kaum noch jemand recht zuordnen konnte.

    Mutters Heimatdorf hieß nämlich Qiang Xian und lag etwa achtzig Kilometer nordwestlich von Xi’an, der ersten Hauptstadt des Kaiserreichs China in der Qin-Dynastie. Heute ist sie die Hauptstadt der Provinz Shaanxi. In ihr befindet sich die Universität Nordwestchinas. Einst war sie der Ausgangspunkt der Seidenstraße und ihre Stadtmauer ist nahezu vollständig erhalten. Seit der Entdeckung des Mausoleums Qín Shǐhuángdìs ist Xi’an der Ausgangspunkt für Besichtigungen der berühmten Terrakotta-Armee.

    Xi’an rückte Mitte der 80er Jahre in das Interesse der Weltöffentlichkeit, denn es waren Berichte über Pyramiden erschienen, die sich in einem Radius von hundert Kilometern bei der Stadt befinden. Die chinesischen Behörden gaben unter dem Druck der Öffentlichkeit an, dass es sich um Grabhügel von Herrschern der westlichen Han-Dynastie handelt.

    Schon Ende der 70er Jahre hatte man in einem der pyramidenähnlichen Hügel das Mausoleum Qin Shihuangdis entdeckt, dem Grabmal des ersten chinesischen Kaisers und einem der weltweit größten Grabbauten, das bekannt für seine Soldatenfiguren, die Terrakotta-Armee ist. Zu der Anlage gehören mehrere Gruben, in denen man Pferdenachbildungen aus Ton, bis hin zu bronzenen Streitwagen fand. Aber ein Kuriosum ist, dass bisher erst ein Viertel der gesamten Anlage freigelegt und der Grabhügel selbst noch unangetastet ist.

    Lao ye konnte mir trotzdem darüber berichten, wie es in dem Grabmal aussah, denn obwohl er nur ein einfacher Bauer war, interessierte er sich für die Geschichte seiner Heimat und kannte uralte Überlieferungen wie das etwa 100 v. Chr. geschriebene Werk Shiji des Historikers Sima Qian. In dem war die Grabhalle Qin Shihuangdis genau beschrieben.

    »Der Sarg des Kaisers steht in der Mitte der Halle«, erzählte mein Großvater, als hätte er es mit eigenen Augen gesehen, »die Gänge zur Halle sind gesäumt mit Vögeln und anderen Tieren aus Ton. An der Decke glitzern Tausende Edelsteine und Perlen wie Sterne, und auf dem Boden findet man alle Seen und Flüsse Chinas aus Quecksilber nachgebildet.«

    Das hörte sich für mich als Kind wie ein schönes Märchen an, aber neueste Forschungen mit Unterstützung durch Sonar- und Computertechnik haben ergeben, dass es tatsächlich eine hohe Quecksilberkonzentration im Berg gibt.

    »Mein Freund Shen Hua und ich entdeckten damals die Anlage rein zufällig«, erzählte lao ye weiter, »da warst du noch gar nicht auf der Welt. Das war im März 1974. Weil wir schon länger unter der Trockenheit litten, versuchte Shen Hua, einen Brunnen zu bohren. Dabei stieß er auf eine verbrannte, harte Erdschicht. Nach etwa vier Metern kamen Tonstücke, ein Boden aus Ziegelsteinen und schließlich eine Armbrust und Pfeilspitzen aus Bronze zum Vorschein. Als man in der Kreisstadt Lintong davon erfuhr, kam der Beamte für den Schutz alter Kulturschätze mit Sachverständigen angereist. Die Untersuchungen haben dann ergeben, dass es sich um wertvolle Fundstücke aus der Qin-Zeit handelte. Es gab auch lebensgroße Figuren, die zum Teil zerbrochen waren. Später wurden sie im Kulturhaus von Lintong restauriert.«

    »Aber dann bist du ja berühmt, lao ye«, hatte ich kindlich naiv ausgerufen.

    Mein Großvater hatte abgewinkt. »Shen Hua, seine Arbeiter und auch ich mussten uns verpflichten, nichts über den Fund verlauten zu lassen, weil man die Informationen unter Verschluss hielt. Aber es muss dennoch etwas durchgesickert sein, denn als ein Journalist von den Funden berichtete und sie damit in ganz China bekannt machte, begann ein archäologisches Team die Anlage genauer zu untersuchen. Dabei wurde auch die Tonarmee des Kaisers entdeckt. Im Juli 75 hat man dann den Fund von offizieller Seite bestätigt. Aber etwas anderes wird bis heute bestritten. Dabei habe ich es mit eigenen Augen gesehen. Aber davon erzähle ich dir ein anderes Mal.«

    Natürlich hatte ich sofort wissen wollen, worum es sich handelte, aber lao ye war standhaft geblieben, um auch noch bei unserem nächsten Besuch eine spannende Geschichte für mich parat zu haben. Ich musste fast ein Jahr warten, bis er endlich damit rausrückte.

    »Als junger Bursche bin ich viel herumgezogen und habe an verschiedenen Orten gearbeitet«, begann er seine Erzählung, »dabei habe ich viele interessante Dinge gesehen, aber die ungewöhnlichste Entdeckung habe ich nicht weit von hier entfernt gemacht. Dort sah ich mit eigenen Augen eine Pyramide, die ungefähr dreihundert Meter hoch war und die weiße Pyramide genannt wird.«

    »Au fein, wenn es hier in der Nähe ist, können wir doch zusammen hingehen«, hatte ich gejubelt.

    »Nein, mein Schatz, das ist für deine kleinen Beine zu weit. Außerdem ist das Gelände nicht so einfach zu erreichen, weil der Weg dorthin ziemlich beschwerlich ist. Du musst dich also mit dem begnügen, was ich dir berichten kann.«

    »Dann ist sie ja doppelt so hoch wie die große Pyramide in Ägypten«, überlegte ich.

    »Woher weißt du, dass es in Ägypten Pyramiden gibt und wie hoch sie sind?«, fragte lao ye verwundert.

    »Das hat mir Maged, unser Feuerspeier, erzählt«, antwortete ich stolz, »der kommt aus Kairo und weiß eine Menge von seinem Land zu berichten.«

    »Ah so, auf diese Weise lernst du immer wieder etwas dazu.«

    »Sag mal, lao ye, war die Pyramide, die du gesehen hast, wirklich weiß?«, wollte ich ganz genau wissen.

    »Tja, das ist so eine Sache. Eigentlich hatte dieses seltsame Bauwerk vier Farben, auf jeder Seite eine andere. Die östliche war eher blau, weil sie mit einem bläulich grünen Nadelwald bewachsen war. Die nördliche wirkte dunkelgrau bis schwarz, weil sie von der Sonnenseite abgewandt im Schatten lag. An der Südseite haben Bauern im Laufe der Jahrhunderte Terrassen eingearbeitet, deshalb sah man den gelblich-roten Lehmboden und diese Seite wirkte rot. Aber an der Westseite fand man noch immer hellgraue Steinquader, die fast weiß leuchteten. Daher kommt bestimmt der Name „Weiße Pyramide".«

    Ich war tief beeindruckt. Eine gelbe Pyramide wie die in Ägypten konnte ja jeder haben, aber eine, die vierfarbig war, gab es nur in China. Bàba hielt sich noch zurück, solange wir bei lao ye und lao lao zu Besuch waren, um das neu erworbene gute Verhältnis zu seinem Schwiegervater nicht zu gefährden, aber auf der Rückfahrt konnte er nicht länger an sich halten.

    »Weißt du, mein Schatz, dein lao ye weiß wirklich interessante Geschichten zu erzählen, aber so hübsch sie auch sind, müssen sie nicht immer wahr sein.«

    »Warum sagst du das? Willst du behaupten, mein Vater lügt?«, protestierte meine Mutter.

    »Nein, ich will ihn nicht als Lügner bezeichnen. Er erfindet nur manchmal etwas, indem er Gerüchte oder Sagen etwas ausschmückt. Die Weiße Pyramide ist ein Mythos, der schon seit kurz nach dem Zweiten Weltkrieg kursiert. Archäologische Beweise gibt es nicht. Hier in der Gegend wird natürlich gern darüber gesprochen, weil die angebliche Pyramide ja sozusagen vor der Haustür liegt. Der mǎxìtuánlǎobǎn hat mich vor unserer Abfahrt schon aufgezogen, indem er meinte, ich solle doch ein Foto von der Pyramide machen, damit es endlich mal einen Beweis gibt.«

    Hong Long, was roter Drache bedeutete, konnte in seiner Eigenschaft als Zirkusdirektor eben auch nicht alles wissen, dachte ich grimmig, denn ich glaubte meinem Großvater. Warum sollte man einem glauben, der bestimmt einen falschen Namen, allenfalls einen Künstlernamen trug, denn roter Drache war beinahe zu schön, um wahr zu sein. Und diesen Titel, mit dem er sich ansprechen ließ, fand ich ohnehin zu schwierig und beinahe lächerlich, schließlich bedeutete mǎxìtuánlǎobǎn wortwörtlich übersetzt nur der Zirkusinhaber, wobei mǎxì für Zirkus stand, tuán für Prinz, allenfalls für

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