Thomas weiß, was er will: Sophienlust Bestseller 144 – Familienroman
Von Aliza Korten
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Über dieses E-Book
Das Kinderheim Sophienlust erfreut sich einer großen Beliebtheit und weist in den verschiedenen Ausgaben der Serie auf einen langen Erfolgsweg zurück. Denise von Schoenecker verwaltet das Erbe ihres Sohnes Nick, dem später einmal, mit Erreichen seiner Volljährigkeit, das Kinderheim Sophienlust gehören wird.
Es regnete in Strömen, als der Schriftsteller Eugen Luchs das Stuttgarter Funkhaus verließ. Missbilligend schaute er zum Himmel und spannte seinen großen schwarzen Schirm auf. Er hatte einige spannende Tiergeschichten auf Band gesprochen, die zu späterer Zeit gesendet werden sollten. Seine lebendigen Erzählungen erfreuten sich bei jung und alt großer Beliebtheit. Doch standen auch noch einige Besorgungen auf seinem Programm. Vor allem musste er für sein Pflegetöchterchen Peggy zwei neue T-Shirts kaufen, denn Peggy war mächtig gewachsen in letzter Zeit. Mit langen Schritten machte sich der etwas untersetzte Verfasser von Reise- und Tierbüchern auf den Weg. An einer Kreuzung stand die Ampel auf Rot, und er musste warten. Ein Junge von etwa fünf Jahren nahm die Gelegenheit wahr, sich mit unter seinen Schirm zu stellen. Lächelnd ließ Eugen Luchs das Kind gewähren. Der Bub blieb von nun an beharrlich an seiner Seite. Er war bereits völlig durchnässt und trug weder einen Mantel noch eine Kopfbedeckung. An einem Textilgeschäft machte Eugen Luchs Halt. »Ich möchte hier hineingehen«, erklärte er dem Jungen. »Dann warte ich so lange«, erwiderte der kleine Bursche mit verblüffender Selbstverständlichkeit. »Na schön, wenn du den gleichen Weg hast.« Der Schriftsteller lächelte und strich mit der freien Hand über seinen rötlich blonden Bart. Im Geschäft konzentrierte er sich ganz und gar auf seinen Einkauf.
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Buchvorschau
Thomas weiß, was er will - Aliza Korten
Sophienlust Bestseller
– 144 –
Thomas weiß, was er will
Unveröffentlichter Roman
Aliza Korten
Es regnete in Strömen, als der Schriftsteller Eugen Luchs das Stuttgarter Funkhaus verließ. Missbilligend schaute er zum Himmel und spannte seinen großen schwarzen Schirm auf. Er hatte einige spannende Tiergeschichten auf Band gesprochen, die zu späterer Zeit gesendet werden sollten. Seine lebendigen Erzählungen erfreuten sich bei jung und alt großer Beliebtheit. Doch standen auch noch einige Besorgungen auf seinem Programm. Vor allem musste er für sein Pflegetöchterchen Peggy zwei neue T-Shirts kaufen, denn Peggy war mächtig gewachsen in letzter Zeit. Mit langen Schritten machte sich der etwas untersetzte Verfasser von Reise- und Tierbüchern auf den Weg. An einer Kreuzung stand die Ampel auf Rot, und er musste warten. Ein Junge von etwa fünf Jahren nahm die Gelegenheit wahr, sich mit unter seinen Schirm zu stellen. Lächelnd ließ Eugen Luchs das Kind gewähren.
Der Bub blieb von nun an beharrlich an seiner Seite. Er war bereits völlig durchnässt und trug weder einen Mantel noch eine Kopfbedeckung. An einem Textilgeschäft machte Eugen Luchs Halt.
»Ich möchte hier hineingehen«, erklärte er dem Jungen.
»Dann warte ich so lange«, erwiderte der kleine Bursche mit verblüffender Selbstverständlichkeit.
»Na schön, wenn du den gleichen Weg hast.«
Der Schriftsteller lächelte und strich mit der freien Hand über seinen rötlich blonden Bart. Im Geschäft konzentrierte er sich ganz und gar auf seinen Einkauf.
Er erstand für Peggy nicht nur zwei, sondern sogar vier Baumwollhemden, jedes anders und allesamt so knallbunt und lustig, wie Peggy es liebte. Sicher würden sie dem kleinen Waisenmädchen aus dem fernen Afrika gut stehen.
Die Verkäuferin verpackte die Sachen in einer wasserfesten Plastiktüte. Vor dem Eingang wartete geduldig der Junge. Er hatte sich nicht von der Stelle gerührt. Mit seinen braunen Augen blickte er Eugen Luchs vertrauensvoll entgegen.
»Wie heißt du eigentlich?«, fragte der Schriftsteller.
»Thomas.«
»Willst du jetzt noch weiter mit mir gehen? Ich muss da rechts herum zum Parkplatz.«
»Ja, ich komme mit.« Thomas trottete neben Eugen Luchs her und hielt sich eng neben ihm, um den Schutz des Schirms auszunützen.
Nach etwa zehn Minuten erreichten sie den bewachten Platz, auf dem Eugen Luchs den Wagen abgestellt hatte. »So, da wären wir, Thomas. Weißt du was, ich fahre dich schnell nach Hause. Komm, steig ein!«
Thomas ließ sich das nicht zweimal sagen. Er kletterte auf den Rücksitz und strich sich aufatmend das feuchte Haar aus dem kleinen ernsten Gesicht.
»Wohin also?«, fragte Eugen Luchs, als er hinter dem Steuer saß.
Thomas schüttelte den Kopf. »Ich will nicht nach Hause.«
»Ach so, du bist wohl fortgelaufen?« Damit hatte Eugen Luchs nicht gerechnet. »Was sollen wir denn jetzt machen? Ich bleibe nicht in Stuttgart, denn ich wohne nicht hier.«
»Kannst du mich nicht mitnehmen? Ich mag nicht allein sein.«
»Allein? Wie meinst du das, Thomas?«
»Eben allein. Meine Mutti ist nicht heimgekommen. Das war vorgestern. Ich habe gewartet und gewartet. Heute wollte ich sie suchen. Aber dann fing es an zu regnen. Vielleicht kannst du mir helfen.«
Eugen Luchs drehte sich halb nach rückwärts und betrachtete seinen verregneten Findling mitleidig. »Nun wollen wir der Sache einmal auf den Grund gehen, Thomas. Ich bin Onkel Luchs aus Sophienlust. Verrätst du mir deinen Familiennamen? Oder ist das ein Geheimnis?«
»Nein, ein Geheimnis nicht. Thomas Harder heiße ich.«
Eugen Luchs erfuhr, dass Thomas fünf Jahre alt war. Auch seine Adresse konnte der Junge angeben. Seine Mutti arbeitete, berichtete er. Leider wusste er nicht, wo sie beschäftigt war. Er pflegte den Tag in einem Kindergarten zu verbringen. Vorgestern war seine Mutti nicht gekommen, um ihn abzuholen wie gewöhnlich. Da sie sich manchmal ein wenig verspätete, hatte der Vater eines kleinen Mädchens Thomas mitgenommen und vor dem Wohnhaus der Harders abgesetzt. Mit dem Schlüssel, den Thomas für alle Fälle an einem Kettchen um den Hals trug, war er in die Wohnung gelangt. Seitdem wartete er vergeblich auf die Rückkehr seiner Mutti.
»Hast du auch einen Vati, Thomas?«, erkundigte sich Eugen Luchs mit wachsender Besorgnis.
»Nein, einen Vati haben wir überhaupt nicht.«
»Warum bist du nicht zu den Nachbarn gegangen? Es ist doch sonnenklar, dass etwas nicht stimmt, wenn deine Mutti plötzlich nicht heimkommt.«
»Ich – ich habe mich nicht getraut, Onkel Luchs. Frau Weber schimpft nämlich immer, wenn ich mit nassen Schuhen die Treppe heraufkomme oder so was.«
»Du bist also seit vorgestern ganz allein gewesen? Hast du denn etwas zu essen gehabt?«
»Doch, es war noch was im Kühlschrank. Ich hatte auch keinen richtigen Hunger, denn es macht keinen Spaß, wenn man ganz allein ist, Onkel Luchs.«
»Ja, das verstehe ich, Thomas. Weißt du was? Wir fahren jetzt zur Polizei. Irgendwie müssen wir deine Mutti doch schließlich finden.«
»Auf der Polizei? Glaubst du, dass sie dort ist?«
»Nein, das nicht, Thomas. Aber die Polizei wird uns helfen. Dafür ist sie nämlich da.«
Eugen Luchs warf einen Blick auf seine Uhr. Es würde eine ganze Weile dauern. Aber er musste sich jetzt um diesen Jungen kümmern. Wer weiß, was Thomas noch alles zustoßen mochte, wenn er ihn jetzt sich selber überließ. Er startete und setzte den Wagen aus der Parklücke. Bei der Ausfahrt zahlte er und erfuhr vom Kassierer, dass sich zwei Straßen weiter ein Polizeirevier befand.
Wenig später betraten Eugen Luchs und Thomas die Amtsstube, wo zwei uniformierte Beamte sie nach ihren Wünschen befragten. Der Schriftsteller berichtete, was er in Erfahrung gebracht hatte. Einer der beiden Polizisten nahm sofort ein Protokoll auf. Thomas saß auf einem Stuhl und baumelte mit den Beinen. Sein blondes Haar begann nun schon zu trocknen.
»Haben eure Nachbarn Telefon?«, erkundigte sich der Beamte bei Thomas. »Ich meine die Webers, weißt du?«
Thomas nickte. »Doch. Telefon haben sie. Aber die Nummer weiß ich nicht.«
»Das macht nichts. Die finden wir im Telefonbuch.«
Es gab viele Webers, doch schließlich fanden sich die mit der richtigen Adresse. Gespannt hörten Eugen Luchs und der Junge zu, wie der Polizist seine Nachforschungen fortsetzte.
»Aber Frau Weber weiß bestimmt nicht, wo meine Mutti ist«, meinte Thomas mit gesenkter Stimme.
»Abwarten, Thomas«, sagte Eugen Luchs. »Möglicherweise kann sie uns doch irgendwie helfen.«
Der Beamte, der einige Notizen gemacht hatte, legte den Hörer auf. »Frau Weber und ihr Mann haben nichts davon bemerkt, dass der Junge allein in der benachbarten Wohnung war. Sie sagten, sie hätten sich sonst um ihn gekümmert. Frau Jutta Harder arbeitet als Fremdsprachensekretärin in einem Chemiewerk. Zwar konnte mir Frau Weber den Namen der Firma nicht nennen, aber sie gab mir die dienstliche Telefonnummer ihrer Nachbarin, die diese für alle Fälle bei ihr hinterlegt hatte. Jetzt werden wir feststellen, ob deine Mutti zum Dienst gekommen ist, Thomas. Das bringt uns vielleicht ein Stück weiter.«
Thomas antwortete nicht. Er blickte vielmehr recht kläglich und sorgenvoll drein. Solange er neben dem Schriftsteller unter dem Schirm durch die Stadt gestapft war, hatte er seine Angst ein wenig vergessen gehabt.
Das nächste Telefongespräch ergab eine betrübliche Nachricht. Jutta Harder war vor zwei Tagen im Betrieb so unglücklich gestürzt, dass sie bewusstlos in ein Krankenhaus gebracht werden musste. Geschickt vermied es der Beamte, dass Thomas hiervon sogleich etwas erfuhr. Er ließ sich die Nummer der Klinik geben und setzte seine Erkundigungen fort. Das Ergebnis war entmutigend. Die Verletzte hatte einen Schädelbruch erlitten und das Bewusstsein noch nicht wiedererlangt.
»Deine Mutti ist krank, Thomas«, erklärte der Beamte dem Jungen. »Sie hatte einen Unfall und muss einige Zeit im Krankenhaus liegen. Es wird wohl eine Weile dauern, bis sie wieder gesund ist. Hast du vielleicht eine Omi oder eine Tante, zu der wir dich bringen können?«
Thomas kämpfte mit den Tränen. »Ich – ich habe keine Omi. Was ist mit meiner Mutti passiert?«
»Sie ist hingefallen. Dabei hat sie sich stark am Kopf geschlagen. Du brauchst dich nicht zu fürchten. Wir sorgen schon dafür, dass du unterkommst.«
»Hast du denn gar keine Verwandten, Thomas?«, wandte sich der Schriftsteller an das Kind. »Weißt du niemanden, bei dem du eine Zeit lang wohnen kannst?«
Thomas hob die Schultern und schwieg.
»Wir müssen einen Platz in einem städtischen Heim für ihn finden«, ließ sich der zweite Polizist vernehmen, der inzwischen sein Protokoll beendet hatte. »Am besten setzen wir uns mit dem Jugendamt in Verbindung.«
Thomas griff nach der Hand des Schriftstellers. »Ich mag nicht in ein Heim, Onkel Luchs«, stieß er hervor. »Warum kann ich nicht bei dir bleiben, bis meine Mutti wieder gesund ist?«
Eugen Luchs betrachtete den Buben voller Mitleid. Es war tatsächlich für Thomas keine angenehme Situation. Und in Sophienlust gab es schließlich immer einen freien Platz. Der Schriftsteller räusperte sich. »Falls keine Einwendungen bestehen, könnte ich Thomas in einem ausgezeichneten privaten Kinderheim unterbringen. Glauben Sie, dass man die Genehmigung des Jugendamtes erhalten könnte?«
»Es kommt darauf an, um welches Heim es sich handelt. Das Jugendamt legt da strenge Maßstäbe an. Aber ich könnte mir vorstellen, dass man froh sein wird, wenn das Problem sich auf diese Weise lösen lässt, Herr Luchs.«
Das war wenigstens keine glatte Absage. Es sollte allerdings noch mehrere Telefongespräche und umständliche Rückfragen erfordern, bis die Erlaubnis erteilt wurde. Das Kinderheim Sophienlust war beim Jugendamt wohl bekannt. Nachdem Eugen Luchs seine Personalien angegeben und sich