Draußen vor der Tür: Ein Stück, das kein Theater spielen und kein Publikum sehen will
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Über dieses E-Book
Das zeichnet unsere Klassiker-Reihe aus:
- ungekürzter Originaltext (behutsam auf die neue Rechtschreibung angepasst)
- großzügiges Heftformat (DIN A5) in moderner Aufmachung
- lesefreundliches Textlayout (zeilen- und seitengleich mit den Hamburger Leseheften)
- breite Randspalte mit kurzen Worterläuterungen und Platz für eigene Notizen
- Biografie des Autors (alle wichtigen Infos kompakt zusammengefasst)
- ausführlicher Anmerkungs- bzw. Worterläuterungsteil
- umfangreicher Materialteil (nach Themenbereichen gebündelt)
- Navigationsleiste zur besseren Orientierung
Zum Inhalt:
Borcherts Drama dreht sich um den Kriegsveteranen Beckmann, der nach seiner Heimkehr aus der sibirischen Kriegsgefangenschaft nicht mehr in die Zivilgesellschaft zurückfinden kann. All seine Versuche, wieder Fuß zu fassen, sind fruchtlos: sein Zuhause gibt es nicht mehr und seine Mitmenschen bleiben ihm fremd, seine Fragen zur Verantwortung und Moral ungehört. Selbst die Elbe weist ihn zurück, als er sich zu ertränken versucht. „Draußen vor der Tür“ ist das zentrale Werk der sogenannten „Trümmerliteratur“ nach 1945 und erfuhr bei seiner Erstausstrahlung als Hörspiel 1947 unmittelbar eine große Resonanz beim Publikum.
Wolfgang Borchert
Wolfgang Borchert (* 20. Mai 1921 in Hamburg; † 20. November 1947 in Basel) war ein deutscher Schriftsteller. Sein schmales Werk von Kurzgeschichten, Gedichten und einem Theaterstück machte Borchert nach dem Zweiten Weltkrieg zu einem der bekanntesten Autoren der Trümmerliteratur. Mit seinem Heimkehrerdrama Draußen vor der Tür konnten sich in der Nachkriegszeit weite Teile des deutschen Publikums identifizieren. (Wikipedia)
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Buchvorschau
Draußen vor der Tür - Wolfgang Borchert
Text und Materialien
WOLFGANG BORCHERT
Draußen vor der Tür
Ein Stück, das kein Theater spielen
und kein Publikum sehen will
HAMBURGER LESEHEFTE PLUS
KÖNIGS MATERIALIEN
530. HEFT
Zur Textgestaltung
Der Text folgt der Ausgabe Wolfgang Borchert, Das Gesamtwerk, herausgegeben von Michael Töteberg unter Mitarbeit von Irmgard Schindler, Rowohlt Verlag, Reinbek 2015. Orthografie und Zeichensetzung wurden behutsam der gültigen Rechtschreibung angeglichen.
Analysiert und interpretiert mit Textverweisen auf dieses Heft wird Draußen vor der Tür in Königs Erläuterungen, Band 299, C. Bange Verlag.
1. Auflage 2023
Alle Drucke dieser Ausgabe und die der Hamburger Lesehefte sind untereinander unverändert und können im Unterricht nebeneinander genutzt werden.
Heftbearbeitung Text: Stefan Rogal
Heftbearbeitung Materialien: Dr. Oliver Pfohlmann
Umschlaggestaltung und Layout: Petra Michel
Umschlagzeichnung: Inka Kulpe
ISBN: 978-3-8044-2570-5
PDF: 978-3-8044-6570-1
EPUB: 978-3-8044-7570-0
© 2023 by C. Bange Verlag GmbH, Hollfeld
www.bange-verlag.de
ISBN: 978-3-87291-529-0
PDF: 978-3-87291-715-7
EPUB: 978-3-87291-665-5
© 2023 by Hamburger Lesehefte Verlag, Husum
www.hamburger-lesehefte.de
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Versdramen weisen zusätzlich zur Seitenzählung eine Versnummerierung in entsprechender Höhe auf dem Rand aus.
Inhaltsverzeichnis
Text
Personen
Vorspiel
Der Traum
Erste Szene
Zweite Szene
Dritte Szene
Vierte Szene
Fünfte Szene
Biografie
Wort- und Sacherklärungen
Materialien
Zugänge
Er hatte noch den ungeschminkten Krieg zu ertragen
Laternentraum
Brief aus Russland
Hamburg
Dann gibt es nur eins!
Heimkehr der ausgebrannten Männer
Heimkehrerschicksal
Heimkehr der ausgebrannten Männer
Drama nach 1945
Theater als moralische Anstalt
Das Drama der deutschen Nachkriegsbühnen
Entstehung
Der Krankheit abgerungen
Bühnenstück oder Hörspiel?
Zur Form
Ein Stationendrama
Ein Mysterienspiel
Deutungen
Der Andere als Verkörperung der positiven Lebenskraft
Auch eine Abrechnung mit der politischen Vergangenheit des deutschen Kleinbürgers
Beckmann und Rambo, zwei arme Teufel?
Der Heimkehrer Beckmann als Identifikationsfigur
Zur Wirkungsgeschichte
Borcherts Schrei löste tausend Zungen
Anhaltende Aktualität
Michael Thalheimer sucht das Universale im Stoff
Text
[4] PERSONEN
BECKMANN, einer von denen
seine FRAU, die ihn vergaß
deren FREUND, der sie liebt
ein MÄDCHEN, dessen Mann auf einem Bein nach Hause kam
ihr MANN, der tausend Nächte von ihr träumte
ein OBERST, der sehr lustig ist
seine FRAU, die es friert in ihrer warmen Stube
die TOCHTER, gerade beim Abendbrot
deren schneidiger MANN
ein KABARETTDIREKTOR, der mutig sein möchte, aber dann doch lieber feige ist
FRAU KRAMER, die weiter nichts ist als Frau Kramer, und das ist gerade so furchtbar
der ALTE MANN, an den keiner mehr glaubt
der BEERDIGUNGSUNTERNEHMER mit dem Schluckauf
ein STRASSENFEGER, der gar keiner ist
der ANDERE, den jeder kennt
die ELBE.
[5] Ein Mann kommt nach Deutschland.
Er war lange weg, der Mann. Sehr lange. Vielleicht zu lange. Und er kommt ganz anders wieder, als er wegging. Äußerlich ist er ein naher Verwandter jener Gebilde, die auf den Feldern stehen, um die Vögel (und abends manchmal auch die Menschen) zu erschrecken. Innerlich – auch. Er hat tausend Tage draußen in der Kälte gewartet. Und als Eintrittsgeld musste er mit seiner Kniescheibe bezahlen. Und nachdem er nun tausend Nächte draußen in der Kälte gewartet hat, kommt er endlich doch noch nach Hause.
Ein Mann kommt nach Deutschland.
Und da erlebt er einen ganz tollen Film. Er muss sich während der Vorstellung mehrmals in den Arm kneifen, denn er weiß nicht, ob er wacht oder träumt. Aber dann sieht er, dass es rechts und links neben ihm noch mehr Leute gibt, die alle dasselbe erleben. Und er denkt, dass es dann doch wohl die Wahrheit sein muss. Ja, und als er dann am Schluss mit leerem Magen und kalten Füßen wieder auf der Straße steht, merkt er, dass es eigentlich nur ein ganz alltäglicher Film war, ein ganz alltäglicher Film. Von einem Mann, der nach Deutschland kommt, einer von denen. Einer von denen, die nach Hause kommen und die dann doch nicht nach Hause kommen, weil für sie kein Zuhause mehr da ist. Und ihr Zuhause ist dann draußen vor der Tür. Ihr Deutschland ist draußen, nachts im Regen, auf der Straße.
Das ist ihr Deutschland.
[6] VORSPIEL
Der Wind stöhnt. Die Elbe schwappt gegen die Pontons. Es ist Abend. Der Beerdigungsunternehmer. Gegen den Abendhimmel die Silhouette eines Menschen.
DER BEERDIGUNGSUNTERNEHMER (rülpst mehrere Male und sagt dabei jedes Mal). Rums! Rums! Wie die – Rums! Wie die Fliegen! Wie die Fliegen, sag ich. Aha, da steht einer. Da auf dem Ponton. Sieht aus, als ob er Uniform anhat. Ja, einen alten Soldatenmantel hat er an. Mütze hat er nicht auf. Seine Haare sind kurz wie eine Bürste. Er steht ziemlich dicht am Wasser. Beinahe zu dicht am Wasser steht er da. Das ist verdächtig. Die abends im Dunkeln am Wasser stehn, das sind entweder Liebespaare oder Dichter. Oder das ist einer von der großen grauen Zahl, die keine Lust mehr haben. Die den Laden hinwerfen und nicht mehr mitmachen. Scheint auch so einer zu sein von denen, der da auf dem Ponton. Steht gefährlich dicht am Wasser. Steht ziemlich allein da. Ein Liebespaar kann es nicht sein, das sind immer zwei. Ein Dichter ist es auch nicht. Dichter haben längere Haare. Aber dieser hier auf dem Ponton hat eine Bürste auf dem Kopf. Merkwürdiger Fall, der da auf dem Ponton, ganz merkwürdig. (Es gluckst einmal schwer und dunkel auf. Die Silhouette ist verschwunden.) Rums! Da! Weg ist er. Reingesprungen. Stand zu dicht am Wasser. Hat ihn wohl untergekriegt. Und jetzt ist er weg. Rums. Ein Mensch stirbt. Und? Nichts weiter. Der Wind weht weiter. Die Elbe quasselt weiter. Die Straßenbahn klingelt weiter. Die Huren liegen weiter weiß und weich in den Fenstern. Herr Kramer dreht sich auf die andere Seite und schnarcht weiter. Und keine – keine Uhr bleibt stehen. Rums! Ein Mensch ist gestorben. Und? Nichts weiter. Nur ein paar kreisförmige Wellen beweisen, dass er mal da war. Aber auch die haben sich schnell wieder beruhigt. Und wenn die sich verlaufen haben, dann ist auch er vergessen, verlaufen, spurlos, als ob er nie gewesen wäre. Weiter nichts. Hallo, da weint einer. Merkwürdig. Ein alter Mann steht da und weint. Guten Abend.
DER ALTE MANN (nicht jämmerlich, sondern erschüttert). Kinder! Kinder! Meine Kinder!
BEERDIGUNGSUNTERNEHMER. Warum weinst du denn, Alter?
DER ALTE MANN. Weil ich es nicht ändern kann, oh, weil ich es nicht ändern kann.
BEERDIGUNGSUNTERNEHMER. Rums! Tschuldigung! [7] Das ist allerdings schlecht. Aber deswegen braucht man doch nicht gleich loszulegen wie eine verlassene Braut. Rums! Tschuldigung!
DER ALTE MANN. Oh, meine Kinder! Es sind doch alles meine Kinder!
BEERDIGUNGSUNTERNEHMER. Oho, wer bist du denn?
DER ALTE MANN. Der Gott, an den keiner mehr glaubt.
BEERDIGUNGSUNTERNEHMER. Und warum weinst du? Rums! Tschuldigung!
GOTT. Weil ich es nicht ändern kann. Sie erschießen sich. Sie hängen sich auf. Sie ersaufen sich. Sie ermorden sich, heute hundert, morgen hunderttausend. Und ich, ich kann es nicht ändern.
BEERDIGUNGSUNTERNEHMER. Finster, finster, Alter. Sehr finster. Aber es glaubt eben keiner mehr an dich, das ist es.
GOTT. Sehr finster. Ich bin der Gott, an den keiner mehr glaubt. Sehr finster. Und ich kann es nicht ändern, meine Kinder, ich kann es nicht ändern. Finster, finster.
BEERDIGUNGSUNTERNEHMER. Rums! Tschuldigung! Wie die Fliegen! Rums! Verflucht!
GOTT. Warum rülpsen Sie denn fortwährend so ekelhaft? Das ist ja entsetzlich!
BEERDIGUNGSUNTERNEHMER. Ja, ja, greulich! Ganz greulich! Berufskrankheit. Ich bin Beerdigungsunternehmer.
GOTT. Der Tod? – Du hast es gut! Du bist der neue Gott. An dich glauben sie. Dich lieben sie. Dich fürchten sie. Du bist unumstößlich. Dich kann keiner leugnen! Keiner lästern. Ja, du hast es gut. Du bist der neue Gott. An dir kommt keiner vorbei. Du bist der neue Gott, Tod, aber du bist fett geworden. Dich hab ich doch ganz anders in Erinnerung. Viel magerer, dürrer, knochiger, du bist aber rund und