Draußen vor der Tür: Ein Stück, das kein Theater spielen und kein Publikum sehen will
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Im Zentrum der Handlung steht der deutsche Kriegsheimkehrer Beckmann, dem es nach dreijähriger Kriegsgefangenschaft nicht gelingt, sich wieder ins Zivilleben einzugliedern. Während er noch durch die Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs geprägt ist, haben seine Mitmenschen die Vergangenheit längst verdrängt. Auf den Stationen seiner Suche nach einem Platz in der Nachkriegsgesellschaft richtet Beckmann Forderungen nach Moral und Verantwortung an verschiedene Personentypen, Gott und den Tod. Am Ende bleibt er von der Gesellschaft ausgeschlossen und erhält auf seine Fragen keine Antwort.
Sowohl die Radioausstrahlung als auch die Bühnenpremiere von Draußen vor der Tür – laut Untertitel „Ein Stück, das kein Theater spielen und kein Publikum sehen will“ – wurden große Erfolge und machten den bis dahin unbekannten Borchert berühmt. Viele Zeitgenossen konnten sich mit Beckmanns Schicksal identifizieren. Borcherts Stück wurde als Aufschrei einer zuvor schweigenden jungen Generation gewertet und gilt heute als eines der wichtigsten Nachkriegsdramen. Obwohl in späteren Jahren vermehrt inhaltliche und formale Schwächen kritisiert wurden, blieb Draußen vor der Tür ein oft inszeniertes und in seiner Buchausgabe viel gelesenes Theaterstück.
Wolfgang Borchert
Wolfgang Borchert (* 20. Mai 1921 in Hamburg; † 20. November 1947 in Basel) war ein deutscher Schriftsteller. Sein schmales Werk von Kurzgeschichten, Gedichten und einem Theaterstück machte Borchert nach dem Zweiten Weltkrieg zu einem der bekanntesten Autoren der Trümmerliteratur. Mit seinem Heimkehrerdrama Draußen vor der Tür konnten sich in der Nachkriegszeit weite Teile des deutschen Publikums identifizieren. (Wikipedia)
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Buchvorschau
Draußen vor der Tür - Wolfgang Borchert
*
Die Personen sind
Beckmann, einer von denen
seine Frau, die ihn vergaß
deren Freund, der sie liebt
ein Mädchen, dessen Mann auf einem Bein nach Hause kam
ihr Mann, der tausend Nächte von ihr träumte
ein Oberst, der sehr lustig ist
seine Frau, die es friert in ihrer warmen Stube
die Tochter, gerade beim Abendbrot
deren schneidiger Mann
ein Kabarettdirektor, der mutig sein möchte, aber dann doch lieber feige ist
Frau Kramer, die weiter nichts ist als Frau Kramer, und das ist gerade so furchtbar
der alte Mann, an den keiner mehr glaubt
der Beerdigungsunternehmer mit dem Schluckauf
ein Straßenfeger, der gar keiner ist
der Andere, den jeder kennt
die Elbe.
Ein Mann kommt nach Deutschland.
Er war lange weg, der Mann. Sehr lange. Vielleicht zu lange. Und er kommt ganz anders wieder, als er wegging. Äußerlich ist er ein naher Verwandter jener Gebilde, die auf den Feldern stehen, um die Vögel (und abends manchmal auch die Menschen) zu erschrecken. Innerlich – auch. Er hat tausend Tage draußen in der Kälte gewartet. Und als Eintrittsgeld mußte er mit seiner Kniescheibe bezahlen. Und nachdem er nun tausend Nächte draußen in der Kälte gewartet hat, kommt er endlich doch noch nach Hause.
Ein Mann kommt nach Deutschland.
Und da erlebt er einen ganz tollen Film. Er muß sich während der Vorstellung mehrmals in den Arm kneifen, denn er weiß nicht, ob er wacht oder träumt. Aber dann sieht er, daß es rechts und links neben ihm noch mehr Leute gibt, die alle dasselbe erleben. Und er denkt, daß es dann doch wohl die Wahrheit sein muß. Ja, und als er dann am Schluß mit leerem Magen und kalten Füßen wieder auf der Straße steht, merkt er, daß es eigentlich nur ein ganz alltäglicher Film war, ein ganz alltäglicher Film. Von einem Mann, der nach Deutschland kommt, einer von denen. Einer von denen, die nach Hause kommen und die dann doch nicht nach Hause kommen, weil für sie kein Zuhause mehr da ist. Und ihr Zuhause ist dann draußen vor der Tür. Ihr Deutschland ist draußen, nachts im Regen, auf der Straße.
Das ist ihr Deutschland.
Vorspiel
(Der Wind stöhnt. Die Elbe schwappt gegen die Pontons. Es ist Abend. Der Beerdigungsunternehmer. Gegen den Abendhimmel die Silhouette eines Menschen.)
Der Beerdigungsunternehmer (rülpst mehrere Male und sagt dabei jedesmal): Rums! Rums! Wie die – Rums! Wie die Fliegen! Wie die Fliegen, sag ich.
Aha, da steht einer. Da auf dem Ponton. Sieht aus, als ob er Uniform an hat. Ja, einen alten Soldatenmantel hat er an. Mütze hat er nicht auf. Seine Haare sind kurz wie eine Bürste. Er steht ziemlich dicht am Wasser. Beinahe zu dicht am Wasser steht er da. Das ist verdächtig. Die abends im Dunkeln am Wasser stehn, das sind entweder Liebespaare oder Dichter. Oder das ist einer von der großen grauen Zahl, die keine Lust mehr haben. Die den Laden hinwerfen und nicht mehr mitmachen. Scheint auch so einer zu sein von denen, der da auf dem Ponton. Steht gefährlich dicht am Wasser. Steht ziemlich allein da. Ein Liebespaar kann es nicht sein, das sind immer zwei. Ein Dichter ist es auch nicht. Dichter haben längere Haare. Aber dieser hier auf dem Ponton hat eine Bürste auf dem Kopf. Merkwürdiger Fall, der da auf dem Ponton, ganz merkwürdig. (Es gluckst einmal schwer und dunkel auf. Die Silhouette ist verschwunden.) Rums! Da! Weg ist er. Reingesprungen. Stand zu dicht am Wasser. Hat ihn wohl untergekriegt. Und jetzt ist er weg. Rums. Ein Mensch stirbt. Und? Nichts weiter. Der Wind weht weiter. Die Elbe quasselt weiter. Die Straßenbahn klingelt weiter. Die Huren liegen weiter weiß und weich in den Fenstern. Herr Kramer dreht sich auf die andere Seite und schnarcht weiter. Und keine – keine Uhr bleibt stehen. Rums! Ein Mensch ist gestorben. Und? Nichts weiter. Nur ein paar kreisförmige Wellen beweisen, daß er mal da war. Aber auch die haben sich schnell wieder beruhigt. Und wenn die sich verlaufen haben, dann ist auch er vergessen, verlaufen, spurlos, als ob er nie gewesen wäre. Weiter nichts. Hallo, da weint einer. Merkwürdig. Ein alter Mann steht da und weint. Guten Abend.
Der alte Mann (nicht jämmerlich, sondern erschüttert): Kinder! Kinder! Meine Kinder!
Beerdigungsunternehmer: Warum weinst du denn, Alter?
Der alte Mann: Weil ich es nicht ändern kann, oh, weil ich es nicht ändern kann.
Beerdigungsunternehmer: Rums! Tschuldigung! Das ist allerdings schlecht. Aber deswegen braucht man doch nicht gleich loszulegen wie eine verlassene Braut. Rums! Tschuldigung!
Der alte Mann: Oh, meine Kinder! Es sind doch alles meine Kinder!
Beerdigungsunternehmer: Oho, wer bist du denn?
Der alte Mann: Der Gott, an den keiner mehr glaubt.
Beerdigungsunternehmer: Und warum weinst du? Rums! Tschuldigung!
Gott: Weil ich es nicht ändern kann. Sie erschießen sich. Sie hängen sich auf. Sie ersaufen sich. Sie ermorden sich, heute hundert, morgen hunderttausend. Und ich, ich kann es nicht ändern.
Beerdigungsunternehmer: Finster, finster, Alter. Sehr finster. Aber es glaubt eben keiner mehr an dich, das ist es.
Gott: Sehr finster. Ich bin der Gott, an den keiner mehr glaubt. Sehr finster. Und ich kann es nicht ändern, meine Kinder, ich kann es nicht ändern. Finster, finster.
Beerdigungsunternehmer: Rums! Tschuldigung! Wie die Fliegen! Rums! Verflucht!
Gott: Warum rülpsen Sie denn fortwährend so ekelhaft? Das ist ja entsetzlich!
Beerdigungsunternehmer: Ja, ja, greulich! Ganz greulich! Berufskrankheit. Ich bin Beerdigungsunternehmer.
Gott: Der Tod? – Du hast es gut! Du bist der neue Gott. An dich glauben sie. Dich lieben sie. Dich fürchten sie. Du bist unumstößlich. Dich kann keiner leugnen! Keiner lästern. Ja, du hast es gut. Du bist der neue Gott. An dir kommt keiner vorbei. Du bist der neue Gott, Tod, aber du bist fett geworden. Dich hab ich doch ganz anders in Erinnerung. Viel magerer, dürrer, knochiger, du bist aber rund und fett und gut