Kleider machen Leute: Hamburger Leseheft plus Königs Materialien.
Von Gottfried Keller
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Über dieses E-Book
Die ganze Stadt überbietet sich darin, dem vermeintlichen Grafen, der seine Rolle, aus der er sich eigentlich heraussehnt, immer besser beherrscht, die Aufwartung zu machen. Als er sich jedoch mit Nettchen, der Tochter des Amtsrates, verlobt hat, ist es für ihn unmöglich, aus der Rolle auszubrechen. Gegen den Widerstand ihres Vaters bleibt seine Verlobte ihm treu, auch als er schließlich entlarvt wird. In Goldach bringt es der arme Schneider schliesslich zu verdientem Wohlstand.
Diese Novelle Kellers hat eine Reihe berühmter Verfilmungen erfahren.
Gottfried Keller
Gottfried Keller (1819-1890) war ein Schweizer Schriftsteller, der auch politisch tätig war. Kleider machen Leute ist sein bekanntestes Werk.
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Buchvorschau
Kleider machen Leute - Gottfried Keller
Text und Materialien
GOTTFRIED KELLER
KLEIDER MACHEN LEUTE
KLEIDER MACHEN LEUTE
HAMBURGER LESEHEFTE PLUS
KÖNIGS MATERIALIEN
518. HEFT
Zur Textgestaltung
Den Text unserer Ausgabe haben wir hergestellt nach dem der kritischen Ausgabe der Sämtlichen Werke Gottfried Kellers von Jonas Fränkel. Die Leute von Seldwyla sind enthalten im 7. und 8. Band, die 1926/27 in einer zweiten, neu bearbeiteten Auflage im Eugen Rentsch Verlag erschienen sind. Rechtschreibung und Zeichensetzung wurden den amtlichen Rechtschreibregeln behutsam angepasst.
Analysiert und interpretiert wird Kleider machen Leute in Königs Erläuterungen, Band 184, C. Bange Verlag.
3. Auflage 2022
Alle Drucke dieser Ausgabe und die der Hamburger Lesehefte sind untereinander unverändert und können im Unterricht nebeneinander genutzt werden.
Heftbearbeitung Text: F. Bruckner und K. Sternelle
Heftbearbeitung Materialien: Carina Orf
Umschlaggestaltung und Layout: Petra Michel
Umschlagzeichnung: Ingeborg Strange-Friis
ISBN: 978-3-8044-2584-2
PDF: 978-3-8044-6584-8
EPUB: 978-3-8044-7584-7
© 2020 by C. Bange Verlag GmbH, Hollfeld
www.bange-verlag.de
ISBN: 978-3-87291-517-7
PDF: 978-3-87291-704-1
EPUB: 978-3-87291-654-9
© 2020 by Hamburger Lesehefte Verlag, Husum
www.hamburger-lesehefte.de
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Versdramen weisen zusätzlich zur Seitenzählung eine Versnummerierung in entsprechender Höhe auf dem Rand aus.
Inhaltsverzeichnis
Text
Biografie
Wort- und Sacherklärungen
Materialien
Zeit- und literaturgeschichtlicher Hintergrund
Ein Kind seiner Zeit
Polens Leidensgeschichte
Novellenzyklus Die Leute von Seldwyla
Entwicklung der Leute von Seldwyla
Der Hochstapler Julius Schramm
Aspekte der Interpretation
Kellers „Hans-im-Glück-Modell"
Nettchen stellt das bürgerliche Frauenbild infrage
Wenzel Strapinski und die Frauen
Rezeption
Zemlinskys Oper Kleider machen Leute
Kleider machen Leute – und zwar in einem Sekundenbruchteil
Text
[3] An einem unfreundlichen Novembertage wanderte ein armes Schneiderlein auf der Landstraße nach Goldach, einer kleinen reichen Stadt, die nur wenige Stunden von Seldwyla entfernt ist. Der Schneider trug in seiner Tasche nichts als einen Fingerhut, welchen er, in Ermangelung irgendeiner Münze, unablässig zwischen den Fingern drehte, wenn er der Kälte wegen die Hände in die Hosen steckte, und die Finger schmerzten ihn ordentlich von diesem Drehen und Reiben. Denn er hatte wegen des Falliments irgendeines Seldwyler Schneidermeisters seinen Arbeitslohn mit der Arbeit zugleich verlieren und auswandern müssen. Er hatte noch nichts gefrühstückt als einige Schneeflocken, die ihm in den Mund geflogen, und er sah noch weniger ab, wo das geringste Mittagbrot herwachsen sollte. Das Fechten fiel ihm äußerst schwer, ja, schien ihm gänzlich unmöglich, weil er über seinem schwarzen Sonntagskleide, welches sein einziges war, einen weiten dunkelgrauen Radmantel trug, mit schwarzem Samt ausgeschlagen, der seinem Träger ein edles und romantisches Aussehen verlieh, zumal dessen lange schwarze Haare und Schnurrbärtchen sorgfältig gepflegt waren und er sich blasser, aber regelmäßiger Gesichtszüge erfreute.
Solcher Habitus war ihm zum Bedürfnis geworden, ohne dass er etwas Schlimmes oder Betrügerisches dabei im Schilde führte; vielmehr war er zufrieden, wenn man ihn nur gewähren und im Stillen seine Arbeit verrichten ließ; aber lieber wäre er verhungert, als dass er sich von seinem Radmantel und von seiner polnischen Pelzmütze getrennt hätte, die er ebenfalls mit großem Anstand zu tragen wusste.
Er konnte deshalb nur in größeren Städten arbeiten, wo solches nicht zu sehr auffiel; wenn er wanderte und keine Ersparnisse mitführte, geriet er in die größte Not. Näherte er sich einem Hause, so betrachteten ihn die Leute mit Verwunderung und Neugierde und erwarteten eher alles andere, als dass er betteln würde; so erstarben ihm, da er überdies nicht beredt war, die Worte im Munde, also dass er der Märtyrer seines Mantels war und Hunger litt, so schwarz wie des letztern Sammetfutter.
Als er bekümmert und geschwächt eine Anhöhe hinaufging, stieß er auf einen neuen und bequemen Reisewagen, welchen ein herrschaftlicher Kutscher in Basel abgeholt hatte und seinem Herren überbrachte, einem fremden Grafen, der irgendwo in der Ostschweiz auf einem gemieteten oder angekauften alten Schlosse saß. Der Wagen war mit allerlei Vorrichtungen zur Aufnahme des Gepäckes versehen und schien deswegen schwer bepackt zu sein, obgleich alles leer war. Der Kutscher ging wegen des steilen [4] Weges neben den Pferden, und als er, oben angekommen, den Bock wieder bestieg, fragte er den Schneider, ob er sich nicht in den leeren Wagen setzen wolle. Denn es fing eben an zu regnen, und er hatte mit einem Blick gesehen, dass der Fußgänger sich matt und kümmerlich durch die Welt schlug.
Derselbe nahm das Anerbieten dankbar und bescheiden an, worauf der Wagen rasch mit ihm von dannen rollte und in einer kleinen Stunde stattlich und donnernd durch den Torbogen von Goldach fuhr. Vor dem ersten Gasthofe, zur Waage genannt, hielt das vornehme Fuhrwerk plötzlich, und alsogleich zog der Hausknecht so heftig an der Glocke, dass der Draht beinahe entzweiging. Da stürzten Wirt und Leute herunter und rissen den Schlag auf; Kinder und Nachbarn umringten schon den prächtigen Wagen, neugierig, welch ein Kern sich aus so unerhörter Schale enthülsen werde, und als der verdutzte Schneider endlich hervorsprang in seinem Mantel, blass und schön und schwermütig zur Erde blickend, schien er