Jaun 2015: Gesammelte Blogartikel
Von Marlies Remy
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Über dieses E-Book
Marlies Remy
Marlies Remy hat bereits in ihrer Kindheit viel Zeit in fantastischen Welten verbracht, hauptsächlich in denen der Bücher. Später hat sie die Neugierde, woher die Leute mit dem merkwürdigen Dialekt stammen, nach Jaun, in eine für sie neue Welt gelockt. Um die »Geheimsprache« der Jauner zu verstehen, wollte sie die Leute im Tal und deren Leben kennenlernen. Entdeckt hat sie auf diesem Wege ein einzigartiges Tal, in dem die ringsum in die Höhe ragenden Berge Schutz und Gefahr zugleich sind und auf deren Gipfel man Blicke in die Ewigkeit erhaschen kann. Fasziniert vom starken Willen der Jauner hier im Einklang mit der Natur leben zu wollen, berichtet sie mit Begeisterung seit 2015 in ihrem Blog vom Leben der Leute in diesem besonderen Tal.
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Rezensionen für Jaun 2015
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Buchvorschau
Jaun 2015 - Marlies Remy
Schlittler willkommen!
1. Januar 2015
Das Schlitteln wird in der Schweiz wieder entdeckt. Was frü- her als Transportmittel für Heu von den Heuschürli ins Tal gedacht war, ist heute wieder eine Trendsportart. Bei uns wird zwar nicht olympisch gerodelt, dafür familiär geschlittelt.
Die zehn Millionen Jahre alten Gastlosen im Hintergrund sind eineeinmalige Kulisse. Wer sich Zeit nimmt, entdeckt sogar das „Grossmutterloch", ein Felsentor in der Bergkette. Der Weg ist übrigens auch im Sommer sehr attraktiv.
Dieses Jahr zieht die immer noch dünne Schneeschicht keine Massen Skifahrer an, jedenfalls in Jaun ist der Ansturm eher im unteren im Normalbereich. Alle sind zufrieden dass Schnee liegt, aber es ist eben doch knapp.
Die Schlittler ziehen jedoch unaufhaltsam in die Höhe. Dass Schlitteln wieder im Trend ist, merken wir nicht nur an der Kasse (meine Winterarbeitsstelle). In Kanton Freiburg sind wir momentan die einzige Station, die einen Schlittelweg mit Beförderung anbietet. Zur Erklärung der Schlittler lege ich jeweils einen Situationsplan vor und sage mein Sprüchlein auf:
Wir befinden uns hier an der Kasse. Sie gehen nun über die Brücke zur Talstation. Dort bekommen sie ihren gemieteten Schlitten oder Rodel gegen vorweisen der Quittung. Auch die mitgebrachten Bobs können dem Personal übergeben werden, welches die Gefährte sicher am Sessel aufhängen und in der Bergstation auch wieder abgeladen werden. Danach geht's ungefähr 10 Minuten zu Fuss auf gleicher Höhe zum Panoramaplatz, von da aus kann geschlittelt werden. In der Mitte sind nochmals 10 Minuten zu Fuss zu gehen und danach geht's rassant ins Tal. Unten ist die Quartierstrasse meist schwarz geräumt. Bleibt man auf der südlichen Bachseite, kommt man wieder direkt zur Talstattion der Sesselbahn, für eventuell eine weitere Fahrt oder um die Mietschlitten abzugeben. „Super!" kommt oft die Antwort und bezieht sich meist auf die optimale Situation, abseits der Piste zu Schlitteln und danach wieder im Skigebiet und in Parkplatznähe zu sein.
Heute wollte ich's mal etwas genauer wissen und habe die „Schlittlergemeinde beim Panoramaplatz unter die Lupe genommen. Letztes Jahr war ich viel mutterseelenallein auf dem Schlittelweg unterwegs. Heute hab ich aber meinem lädierten Knie nochmals einen Ruhetag gegönnt und eben
nur" einen Fussmarsch hin und zurück geplant.
Schon bei der Bergstation der Sesselbahn wurden die Schneegefährte unter Gelächter bis zum Bärghus ausprobiert. Dort machten die Gruppen schon mal einen Verpflegungsstopp.
Der Panoramaweg wurde diesen Sommer noch ganz fertig gestellt und der Schnee von den vielen Besuchern richtig hart gestampft. Nun ist er sehr gut begehbar. Der Panoramaplatz ist ideal gelegen, nach einer leichten Kurve eröffnet sich der Blick auf die Gastlosenkette und die Sonne entkräftet die steife Brise augenblicklich! Da lasse ich mich gerne nieder, um aufzutanken und zu beobachten.
Niemand ist alleine unterwegs. Familien, kleinere, grössere, jüngere und ältere Gruppen kommen an, machen Rast oder schlitteln gleich los. Ausser Deutsch und Französisch wurde auch mal Russisch (!) gesprochen, immer in heiterem Ton. Die Berge wurden bestaunt und fotografiert, meist mit einem Selfie verbunden.
So vielfältig wie die Menschen, sind auch ihre Gefährte. Neben den gemieteten Objekten waren die Bobs in traditioneller Form wie auch mit lenkbaren Kufen und erhöhtem Sitz, also veloähnlich, zu sehen. Die neueren Rodel laufen langsam dem traditionellen Davoser-Schlitten den Rang ab, was ich gut begreifen kann.
Ich habe die Rodel letztes Jahr selber getestet und war angenehm überrascht. Die gewobene Sitzfläche federt nämlich sämtliche Schläge ab und die Gleitfähigkeit ist eindeutig besser. Bei Pulverschnee, wie zu Beginn der Saison, sind die Bobs jedoch unschlagbar. Der Bob ist am einfachsten zu lenken, wenn man sich darauf kniet, da sich so das Gewicht verteilt und man nicht bei jedem hastigen Lenkmanöver aus der Bahn katapultiert wird.
Auch die Schlittler heute haben ihre eigenen Strategien, die hier diskutiert werden. So wird die Reihenfolge der Fahrer festgelegt, weil eben dies und jenes . . . , zwei Frauen haben gleich festgehalten, dass sie weder bremsen noch steuern könnten, also um Nach- und Rücksicht bitten.
Bekannte Jauner Gesichter sind auch auf dem Weg und freuen sich ebenfalls an der Sonne und der abwechslungsreichen Beschäftigung. Sogar ein Halt bei der neuen, heimeligen Buvette im Sattel wird eingerechnet und ist vorgesehen.
Sobald mein Knie wieder einsatzfähig ist, werde ich gerne von der Strecke, dem „Grossmutterloch" und meinen Iglus berichten. Bis dann Rodel ahoi!
Ein begeisterter Schlittler, der in Colorado wohnt und seine hier wohnende, aus Schottland stammende Mutter besuchte, hat letztes Jahr dieses unterhaltsame und witzige Video gedreht. Thanks to Madam Beckham and her family!
Um das Video anzusehen, scannen Sie einfach das Bild des QR Code mit einem Smartphone.
Senioren
7. Januar .2015
Ende Dezember ruft bei mir jeweils d'Agnes uf de Poscht
an, um nachzufragen, ob sie wieder die Lottokarten der Musikgesellschaft für das Senioren-Lotto ausleihen könne. Agnes ist gestern Vormittag natürlich nicht entgangen, dass ich diesmal die Karten vergessen habe und nachdem ich das Versäumnis rechtzeitig nachgeholt habe, hat sich ein interessantes Gespräch ergeben. So erzählte sie zum Beispiel, dass ihr Vater, mit über neunzig Jahren, auf die Anfrage, ob er nicht auch bei den Senioren mitmachen wolle, geantwortet hat: Jez no grad ned
, für Nichtjauner frei übersetzt: „Es ist noch ein wenig zu früh!". . .
Von Agnes wollte ich wissen, wie die Jauner Senioren organisiert sind. Also, die Senioren sind kein Verein, sie tun sich einfach nach Absprache zusammen, um die verschiedenen Aktivitäten zu organisieren. Im Januar findet das Lotto statt, im Februar organisiert der Samariterverein (!) einen Jassmatch für die Senioren. Gabriel im Fang organisiert jeweils mit Hilfe einen Ausflug im Sommer oder Herbst und im Dezember findet die Buss- und Adventsfeier statt.
Für die verschiedenen Anlässe würden die Senioren einfach um Mithilfe angefragt und sie seien immer gerne bereit, einen Dienst zu tun, man müsse einfach anfragen.
Agnes hätte eigentlich noch viele Ideen für Anlässe, aber zuviel bringe auch nichts. Es fehle ihnen auch an jüngeren Senioren, so ab 60 oder 65. Diese hätten wahrscheinlich noch andere Ideen und Bedürfnisse. So gesehen gehöre ich noch zu den unerhörten Grünschnäbeln.
Nichtsdestotrotz fand ich am Nachmittag einen kurzen Moment, um den Senioren am Lotto einen Besuch abzustatten. Um die dreissig Spieler sind anwesend und markant ist, dass sie alle zusammen spielen. Die Jüngeren und Rüstigeren unter ihnen schauen rechts und links, ob die Nachbarn keine Zahlen verpassen und wenn die Zahlen zu schnell angesagt werden, scheut sich niemand, langsamer zu rufen. Die Freude beim Gewinn eines Quin, Doublequin oder Carton wurde dann auch geteilt und niemand war verärgert oder gar 'verburscht'.
Schön, wenn Solidarität auch und erst recht im Alter gelebt wird, wer nicht dabei ist, ist selber schuld.
Schuster bleib bei deinen Leisten
15. Januar 2015
Eine steife Bise weht momentan unsern Bauern um die Ohren. Das Vertrauen zwischen Milchlieferanten und Milchkäufern hat in den letzten Jahren zu sehr gelitten und das Vertragsverhältnis wurde logischerweise aufgelöst. In Jaun steht nun ein rund zehnjähriger schöner Verkaufsladen und ein ebenso neuer Käsekeller im Besitz von Familie Küttel leer. Die Jauner Bauern fahren mit ihrer Milch aber für die nächsten zwei Jahre nach Charmey.
Der geplante Neubau einer Käserei auf dem Areal der alten Sägerei im Oberbach ist nun arg unter Zeitdruck. Ob dies dem Projekt zuträglich ist, wird sich weisen.
In einem Zeitungsartikel der FN von Mitte Dezember 2014 brachte der Syndic die verfahrene Situation auf den Punkt: Man weiss nicht, wem man glauben soll
. Die Jauner Bauern scheinen sich untereinander ebenfalls uneinig zu sein. Es wurde dafür und dagegen argumentiert, auf den Tisch gehauen und Dreck
geworfen, wie viel Mist dabei war, ist unklar . . .
Das Jaun mit Charmey gemeinsame Sache macht, ist ein Novum, auch wenn der Vertrag nur dreissig Monate läuft! Bis dann muss nämlich das neue Fabrikationsgebäude der Käsereigenossenschaft stehen, sonst verlieren die Bauern das Lieferrecht. Wenn man bedenkt, dass grössere Neubauten wie z. B. der Sessellift oder die Dorfdurchfahrt zwanzig Jahre und mehr brauchten, um realisiert zu werden, sind drei Jahre schon morgen!
Zu anderen Zeiten kümmerte sich der Schuster eben um seine Leisten, der Metzger um das Schlachtvieh und der Holzer um die Bäume. Der Erste stellte aber keine Gummisohlenfabrik auf, der Zweite keinen Mastbetrieb und der dritte keinen Baumgarten.
Die Milchlieferanten jedoch bauen eine Käserei und die Bergbahnen einen Restaurationsbetrieb, ohne dass sie Erfahrungen im Parallelsektor aufweisen können. Andernorts geschah dies schon vor zwanzig Jahren und alles wurde unterdessen wieder privatisiert. Welches ist nun die bessere Lösung?
Die Zukunft wird's weisen. Im Jauntal ist