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Laozi - Gespräche: Einführung in die altchinesische Gedankenwelt
Laozi - Gespräche: Einführung in die altchinesische Gedankenwelt
Laozi - Gespräche: Einführung in die altchinesische Gedankenwelt
eBook457 Seiten4 Stunden

Laozi - Gespräche: Einführung in die altchinesische Gedankenwelt

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Über dieses E-Book

Alte chinesische Philosophie in ihrer überwältigenden Vielfalt

Laozi lässt uns an seinen einundachtzig nicht ganz frei erfun­denen Gesprächen mit mehr oder weniger bekannten Zeitge­nossen teilhaben. Seine Gesprächspartner kommen zu ihm und legen ihm ihre Ansichten dar, und er ist froh, wenn sie ihn wieder verlassen. Wir aber erhalten auf diese Weise einen guten Überblick über die altchinesische Gedankenwelt und die Protagonisten der sog. hundert Philosophenschulen.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum15. Okt. 2023
ISBN9783384039941
Laozi - Gespräche: Einführung in die altchinesische Gedankenwelt
Autor

Thomas Emmrich

Thomas Emmrich, geb. 1958 in Bielefeld, wohnt heute in Mettmann. Er befasst sich seit seinen Studien an der WWU Münster und der RFWU Bonn mit Fragen der klassischen chinesischen Antike. Die Idee zu diesem Buch entstand während eines 10jährigen Arbeitsaufenthalts an verschiedenen Orten in China.

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    Buchvorschau

    Laozi - Gespräche - Thomas Emmrich

    I. Anfang - Gespräch mit der Familie

    Am Anfang bin ich. Vor dem Anfang war nichts. Am Ende bin ich immer noch. Nach dem Ende kommt nichts. Ich weile in den Tai-Bergen. Der erste Frühlingsmonat ist da, und es ist einfach nur schweinekalt. Ich ziehe mich warm an, aber ich kann anziehen, so viel ich will, ich friere. Ich bewege mich, aber ich kann mich bewegen, so viel ich will, ich friere. Ich mache Feuer, aber ich kann Feuer machen, so viel ich will, ich friere und friere und höre nicht auf zu frieren. Meine Nase fühlt sich an, als sei sie ein Eiszapfen, meine Finger knacken bedenklich bei jeder Bewegung, und mich über andere Körperteile zu verbreiten verbietet mir die gute Sitte.

    Jeder Ort ist ein guter Ort, seine Gedanken schweifen zu lassen, also wohl auch dieser. Auch wenn es nicht viel hilft, die grässliche Kälte zu vertreiben, gehe ich am Ufer eines kleinen, gänzlich zugefrorenen Sees auf und ab und denke darüber nach, was zu tun und was zu unterlassen sei. Und da kommt mir wie so oft der Weg in den Sinn, der, den ich gehe, und dessen Beschreibung nicht nur mir solche Mühe bereitet. Und das Sinnieren über den Weg führt mich ganz natürlich zum Anfang aller Dinge und heute zur Abwechslung auch zu meinem eigenen Anfang.

    Und da komme ich.

    „Seid gegrüßt, werte Frau Mutter!"

    „Der kann ja sprechen!"

    „Seid gegrüßt, werte Frau Großmutter!"

    „Das ist doch unmöglich!"

    Nichts ist unmöglich!

    „Seid gegrüßt, werte Frau Muhme!"

    „Ein Wunder! Welch ein Wunder!"

    Es gibt natürlich keine Wunder. Aber warum sind Mutter, Oma und Tante so überrascht? Nur, weil ich sie, wie es sich für einen erstgeborenen Sohn, Enkel und Neffen gehört, begrüße? Ich kann doch nichts dafür, dass man andere Neugeborene erst schlagen muss, damit sie wenigstens anfangen zu schreien. Ich bin nun einmal von Anfang an anders. Und daran ändert sich auch nichts, bis ich die Welt nach Westen verlasse. Ich kann übrigens auch lesen und schreiben und überhaupt alles, was Andere auch nach viel mühseliger Lernerei entweder schlecht oder gar nicht beherrschen. Das merkt aber erst einmal niemand, da weder Bambusstreifen noch Pinsel oder Tusche zur Hand sind.

    Die aufgeregten Weiberleute rufen die Männer der Familie auf den Plan. Gerade spielen sie noch Karten und trinken ein Schäpschen, da stürzen sie herein und besehen sich die Bescherung.

    „Seid gegrüßt, werter Herr Vater!"

    „Das ist doch …"

    „Seid gegrüßt, werter Herr Großvater!"

    „Das kann doch nicht …"

    „Seid gegrüßt, werter Herr Ohm!"

    „Das gibt es doch nicht!"

    Oh doch!

    Den Herren bleibt im Nebel ihres leichten Rausches die Spucke weg. Sie machen einen etwas ratlosen und verstörten Eindruck. Als Erster fängt sich mein Vater.

    „Wieso hat das Kind einen Bart?"

    „Wieso hast du keinen Bart?"

    „Wir müssen ihm einen Namen geben!"

    „Wie soll er denn heißen?"

    „Langnase."

    „Die ist aber ganz klein und knuddelig."

    „Kullerauge."

    „Die sind aber ganz schmal und verschmitzt."

    „Schlappohr."

    „So ein Unfug."

    „Schmollmund."

    „Quark."

    Namensgebung ist immer wieder Anlass zu Streitereien, warum soll das in meiner Familie anders sein als in deiner. So dauert es also ein Weilchen, aber schließlich nennen sie mich Er, das hört sich an wie Öhr und bedeutet Ohr, und so heiße ich Li Er, weil unser Familienname Li lautet, aber unter diesem Namen kennt mich kein Schwein. Mich fragt man nicht, wie ich gerne heißen möchte, aber das ist mir egal. Später nennt man mich Lao Dan und Laozi, aber diese Namen sind für ein Neugeborenes erst einmal ungeeignet. Namen und Begriffe werden mich allerdings zeit meines ganzen Lebens auf allen Wegen begleiten.

    Nun, da ich einen Namen habe, kann ich auch eigene Entschlüsse fassen. Und während um mich herum noch ein großes Durcheinander herrscht, drehe ich mich um und verlasse den Ort und die Zeit des Geschehens. Sofort verblasst mein Name, es verblassen die Erinnerungen der Familienmitglieder an die Ereignisse, es verblasst meine ganze Existenz. Über die wird schon zu meinen Lebzeiten viel spekuliert. Dabei schaut der Betrachter in viele Richtungen und sieht überall nichts. Niemand weiß etwas Genaues, aber jeder hat Wesentliches dazu beizutragen. Ich selbst vertraue nur auf meine eigene Einschätzung und gehe meinen Weg.

    „Ist aber der Weg, der mögliche Weg, der absolute Weg?"

    „Das wird man sehen."

    „Und ist der Name, der mögliche Name, der ewige Name? „Doch wohl eher nicht.

    „Ist der Anfang von Himmel und Erde unnennbar?"

    „Für die meisten menschliche Dummköpfe wohl schon."

    „Ist immerhin die Mutter aller Dinge nennbar?"

    „Man kann es ja mal versuchen."

    „Begierdelos mag man den tiefen Sinn betrachten, voll von Begierde betrachtet man sicher nur die Oberfläche."

    „Beide haben wohl einen Ursprung aber verschiedene Namen. Man mag es dunkel nennen, und dann ist das Dunkelste vom Dunklen vielleicht das Tor zum tiefen Sinn."

    „Wer aber will durch dieses Tor eintreten?"

    Genug der Spekulation. Es ist an der Zeit, mich zurückzuziehen in die Natur, in die Ruhe einsamer und zugleich aufregend schöner Gegenden. Von nun an begegne ich anderen Menschen nur noch gelegentlich und nur für kurze Zeit, und das ist auch gut so. Und irgendwann höre ich auch auf zu frieren.

    II. Macht - Gespräch mit Qin Shihuangdi

    Heute weile ich in den Tiandi-Bergen. Der mittlere Frühlingsmonat ist da. Abends ist es zwar meist noch ziemlich frisch, aber tagsüber verleitet einen eine angenehme Wärme schnell zu zu leichter Bekleidung. Die Sonne scheint und lässt die trübe Welt in hellem Glanz erstrahlen. Wohin man blickt, blüht Leben. Die Pflanzen knospen, und nicht nur die Tiere fallen zum Zwecke der Vermehrung übereinander her. Über der Wiese flattern die Schmetterlinge, und während ich sie betrachte, muss ich sogleich an meinen alten Freund Zhuang denken. Dabei fröstelt es mich ein wenig.

    Ich bin wie immer am liebsten allein und meditiere und möchte dabei nicht gestört werden. Heute aber dringt völlig unverfroren ein junger Prinz mit seiner gesamten Entourage in meine Ruhe ein. Ich kenne ihn, das ist Ying Zheng aus dem Staate Qin, ein vorlauter und total verzogener Lümmel. Er hat eine große Schnauze und nichts dahinter, aber niemand wagt ihm zu widersprechen. Niemand?

    „Komm raus und zeig Dich, du Miniphilosoph!"

    „Troll dich, du Minikaiser!"

    „Du wagst es?"

    „Du sagst es!"

    „Holt ihn mir!"

    Eine ganze Horde ergebener Dienstlinge beginnt mich zu jagen. Sie hören meine Stimme, aber sie können mich nicht finden.

    „Wo bist du?"

    „Hier!"

    Aber das hilft ihnen auch nicht. Der Prinzenlümmel wird grün vor Wut und stampft wie ein Rumpelstilzchen auf die Erde.

    „Wenn du nicht herauskommst, lasse ich einen Dienstling erschlagen!"

    Das meint der doch jetzt nicht im Ernst, oder?

    „Ich sage das kein zweites Mal!"

    Na gut, ich habe ihn genug geärgert. Während die Dienstlinge noch Jagd auf mich machen, stehe ich dem hochwohl geborenen Jüngling und seinem beflissen bückelnden Adjutanten bereits direkt gegenüber und rette damit zumindest einem der trotteligen Dienstlinge das Leben.

    „Warum störst du meine Kreise?"

    „Das ist alles mein Land!"

    „Das ist keine Antwort auf meine Frage!"

    „Du hast mich gar nichts zu fragen, du Wurm!"

    Ein Regenwurm war schlechter Dinge, vor Einsamkeit hat er geweint.

    „Du könntest mich doch einfach in Ruhe lassen."

    „Ich lasse in Ruhe, wen ich Lust habe."

    „Ich habe gerade so schön meditiert."

    „Wozu soll das denn gut sein?"

    „Es entspannt den Körper und macht den Geist frei."

    „Es ist also völlig nutzlos!"

    „Und was machst du, wenn du nicht gerade mit anderen Leuten Streit suchst?"

    „Ich stähle meinen Körper und meinen Geist."

    „Wie machst du das?"

    „Ich trainiere meinen Körper und meine Kampfkraft mit den besten Trainern aus den Ländern der Mitte. Ich trainiere meinen Geist und meine Intelligenz und habe dazu die weisesten Gelehrten um mich versammelt und studiere ihre Lehren."

    „Soso."

    „In deinem Buch heißt es, wer sich selbst besiegt, ist unbesiegbar! Was bedeutet das?"

    „Ich kann mich nicht daran erinnern, so einen Quark verfasst zu haben. Und ein Buch habe ich schon gar nicht geschrieben."

    „Du lügst!"

    „Warum sollte ich?"

    „Und vom wem stammt der Satz, wenn alle das Schöne als schön erkennen, so ist dadurch schon das Hässliche gesetzt?"

    „Woher soll ich das wissen?"

    „Und der Satz, wenn alle das Gute als gut erkennen, so ist dadurch schon das Schlechte gesetzt?"

    „Von dir oder einem deiner Weisen?"

    „Das wäre zwar schön, entspricht aber leider nicht den Tatsachen. Dann hast du also auch keinen der folgenden Sätze gesagt: Sein und Nichtsein erzeugen einander."

    „Nein."

    „Schwer und Leicht vollenden einander."

    „Nein."

    „Lang und Kurz gestalten einander."

    „Nein."

    „Hoch und Tief verkehren einander."

    „Nein."

    „Klang und Ton stimmen einander."

    „Nein."

    „Vorher und Nachher folgen einander."

    „Und nochmal nein."

    „Und auch keinen der folgenden Sätze: Der Weise wirkt ohne Handeln."

    „Nein."

    „Er belehrt ohne Worte."

    „Wie das denn?"

    „Alle Wesen treten hervor, und er verweigert sich ihnen nicht."

    „Nein."

    „Er erzeugt und besitzt nicht."

    „Hmh."

    „Er wirkt und behält nicht."

    „Hmh."

    „Ist das Werk vollbracht, so nimmt er nichts dafür. Und weil er nichts nimmt, verliert er auch nichts."

    „Das immerhin hätte von mir sein können."

    „Du willst mir also keine klare Antwort geben?"

    „Ich denke, meine Antworten waren klar und deutlich."

    Er schnaubt. Bei all seinem körperlichen Training und all seinen gelehrigen Studien ist die Besänftigung seines aufbrausenden Charakters wohl etwas zu kurz gekommen.

    „Wer mich anlügt, muss bestraft werden!"

    „Bei wem hast du das denn gelernt?"

    „Ich habe mich intensiv mit der Lehre der Legisten vertraut gemacht!"

    „Ich bin schwer beeindruckt!"

    Ohne Warnung schlägt der Adjutant mir mitten ins Gesicht. Ich halte ihm die andere Wange hin, und er hält inne.

    „Wehr dich, du Feigling!"

    „Ich schlage mich nicht nur nicht mit den Adjutanten aufgeblasener Prinzlinge!"

    Wieder schlägt der Adjutant ansatzlos zu. Ich werde immer ruhiger. Wenn man eine ungerechte Strafe erhält, darf man sich zwar wehren, aber ich finde Gewaltanwendung einfach ekelhaft.

    „Verneige dich vor mir, Du Hund!"

    „Wenn du noch einmal Hund zu mir sagst, fange ich an zu bellen."

    Humor ist auch nicht gerade seine Stärke. Dabei will ich ihn nur mit einem harmlosen Witz zum Lächeln veranlassen. Aber er lächelt nicht.

    „Das sollst du büßen!"

    Inzwischen brechen auch die letzten Dienstlinge ihre erfolglose Suche nach mir ab, stehen um uns herum und feuern den Adjutanten ihres verehrten Prinzen an.

    „Gib's ihm!"

    „Immer auf die Schnauze!"

    „Mach ihn fertig!"

    Ich bin zwar immer noch eher ruhig und auch nicht besonders ängstlich, aber all die aufgeregten Claqueure rund um ihren schäumenden Lümmel von Herrn nebst gewalttätigen Adjutanten lassen mich schon ein historisches Schaudern verspüren. Zum Nachdenken ist jetzt aber keine Zeit, hier regiert die reine Physis. Und so beziehe ich eine Tracht Prügel, die sich gewaschen hat.

    Gut jetzt! Das muss doch langweilig sein, wenn man sich nicht wehrt. Aber auch ein wehrloses Opfer will erst einmal ein wenig traktiert werden. Hätte ich im Angesicht der rohen Gewalt nicht doch besser meinen Schnabel halten sollen? Oh nein, so einfach wollen wir es den Gewalttätigen dieser Welt dann doch nicht machen.

    Endlich ziehen sie ab. Ich habe zwei blaue Augen, meine Lippe ist aufgeplatzt und blutet, mein Nasenbein ist gebrochen, mein Kopf brummt und mein ganzer Körper ist voller blauer Flecken. Aber das alles tut nur eine Weile weh und vergeht.

    Ach, was sind die Menschen schon in ihrer Jugend dämlich! Und dieser aufgeblasene Lümmel will Kaiser werden. Na, herzlichen Glückwunsch!

    III. Verderben - Gespräch mit Lü Buwei

    Heute weile ich in den Ganzao-Bergen. Der letzte Frühlingsmonat ist da, und es wird immer wärmer. Und obwohl es ein wenig regnet, genieße ich die mich umgebende Natur und lasse meinen Gedanken freien Lauf. Bald wird der Frühling zu Ende gehen und die Hitze des Sommers Einzug halten.

    Ich sitze bei leichtem Nieselregen unter dem Schutz einer Zeder und pflege der Muße. Ich bin zwar an Jahren immer noch ziemlich jung aber jetzt schon weiser als alle, die vor mir gelebt haben und nach mir leben werden. Dabei ist Weisheit nichts, wonach ich strebe. Ich strebe allein nach Ruhe und Einklang mit der Natur, falls man das bei mir überhaupt Streben nennen mag. Heute stört mich Herr Lü. Er ist berühmt für seinen Reichtum, seine Macht und seinen Einfluss. Was mag er wollen?

    „Ich grüße dich, alter Meister!"

    „Alt bin ich nicht, und ein Meister will ich nicht sein."

    „Tu doch nicht so bescheiden!"

    „Ich bin wie ich bin. Du magst es gerne bescheiden nennen."

    „Nun gut."

    „Was willst du? Du störst."

    „Ich habe Angst."

    „Dann sind deine Erziehungsversuche also gescheitert."

    „Ich hätte es ahnen müssen. Wie will man auch jemand belehren, der schon als junger Mensch wehrlose Philosophen verprügeln lässt."

    „Und jetzt?"

    „Ich bin auf der Flucht."

    „Und was willst du hier?"

    „Zuspruch."

    „Da könntest du dich doch besser an deine eigenen Werke wenden."

    „Da steht zwar alles Wissenswerte drin, aber es hilft mir trotzdem nichts."

    „Das ist auch nicht verwunderlich."

    „Wieso?"

    „Die Frage hast du dir eigentlich schon selbst beantwortet."

    „Was soll ich tun?"

    „Schweigen und verschwinden."

    „Zwölf Zyklen, acht Betrachtungen und sechs Erörterungen, und alles vergeblich."

    „Du sollst nicht einmal laut denken."

    „Mir kommt immer wieder mein alter Freund, der Wagenlenker Qing, in den Sinn."

    „Wieso das denn?"

    „Er hat mit seinem Herrn nur eine kleine Ausfahrt in den Park gemacht."

    „Ja und?"

    „Sie kamen an eine Brücke und plötzlich scheuten die Pferde."

    „Weshalb?"

    „Das sollte Qing herausfinden. Sein Herr schickte ihn zur Inspektion der Brücke."

    „Und dann?"

    „Qing schaute unter der Brücke nach und entdeckte seinen alten Freund Yu, der so tat, als sei er tot, und der, wie es aussah, Übles im Schilde führte."

    „Er wollte wohl den Herrn ermorden?"

    „So ist es. Daraus ergab sich aber ein Dilemma für Qing: Entweder er meldete seine Entdeckung und verleugnete seine Freundschaft, oder er verschwieg seine Entdeckung und verleugnete sein Dienstverhältnis."

    „Wie hat er sich entschieden?"

    „Er beging Selbstmord."

    „Das war dann doch wohl etwas übertrieben."

    „Er wusste keine andere Lösung."

    „Und warum musst du dauernd an diese merkwürdige Geschichte denken?"

    „Ich befinde mich wohl auch in einem Dilemma."

    „Du bist den Herrschenden einfach nur ein wenig zu mächtig geworden."

    „Was kann ich tun?"

    „Warum fragst du mich das immer wieder?"

    „Du bist der Weiseste weit und breit."

    „Das stimmt zwar, aber dir ist nicht zu helfen. Entweder du wirst ermordet, oder du bringst dich selbst um."

    „Zuspruch ist das ja nun nicht gerade."

    „Warum hast du ihn bei mir erwartet? Du hättest die Tüchtigen nicht bevorzugen sollen, und niemand hätte Streit mit dir."

    „Die Tüchtigen sind aber doch der Rückhalt des Staatswesens."

    „Wenn du meinst. Dann hättest du wenigstens die Kostbarkeiten nicht schätzen sollen, und niemand wollte dir etwas stehlen."

    „Die Kostbarkeiten sind aber doch, wonach wir alle streben."

    „Ich zumindest strebe nicht danach. Nichts Begehrenswertes hättest du zeigen dürfen, und niemandes Herz wäre wirr geworden."

    „Lechzt nicht auch dein Herz nach den Wonnen der Begierde?"

    „Selbst wenn dem so wäre, würde ich es dir zuallerletzt zugeben. Denn der Weise regiert auf folgende Weise: Er leert die Herzen der Menschen und füllt ihre Bäuche. Er schwächt ihren Willen und stärkt ihre Knochen und macht, dass alle ohne Wissen und ohne Wünsche bleiben, und sorgt dafür, dass jene Wissenden nicht zu handeln wagen. Ohne Tätigkeit kommt so alles in Ordnung."

    „Das verstehe ich nicht."

    „Das wundert mich nicht."

    „Das ganze Gespräch mit dir ist wenig erbaulich."

    „Berichte das bitte weiter. Je weniger man von mir erwartet desto besser."

    Und so zieht er endlich wieder ab, seinem traurigen Ende entgegen. Und mich umgibt, was ich am höchsten schätze, wohltuende Ruhe. Und so sitze ich wieder bei leichtem Nieselregen unter dem Schutz einer Zeder und pflege der Muße.

    IV. Gesetze - Gespräch mit Han Feizi

    Mein Weg hat mich in die Beixiao-Berge geführt. Der erste Sommermonat ist da, und schon haben wir den Salat. Es ist so warm, dass ich nackt durch das Gelände laufen möchte. Immerhin ist die Zeit des Frierens für die nächsten Monate vorbei. Allerdings macht diese elende Hitze auch kein rechtes Vergnügen. Aber mir kann es das Wetter eh nie ganz recht machen.

    In diesen Bergen entspringt der Qin-Fluss, der hier oben noch ein Bach ist, in den ich gedankenversunken Kieselsteine werfe. Die machen ein so beruhigendes Plopp beim Eintauchen. Und wieder werde ich gestört, diesmal von Herrn Han, der die Frechheit hat, in seinem lausigen Werk so zu tun, als würde er meine Gedanken kommentieren.

    „Seid gegrüßt, alter Meister!"

    Welch eine dämliche Anrede!

    „Warum lässt du mich nicht in Ruhe und widmest dich deinen Machwerken?"

    „Dann hast du also schon davon gehört?"

    „Ich weiß mehr, als du dir vorstellen kannst!"

    Auch wenn es mir manchmal eher wie eine Last vorkommt.

    „Ich möchte deine Meinung zu meinen Kommentaren hören. „Ach ja? Und wenn ich zu dem Unfug keine Meinung habe? „Sei doch nicht so grantig! Ich habe gehört, du seist ganz nett."

    „Hör auf, dich einzuschleimen! Das macht mich erst richtig grantig. Du bist doch auch nur ein Dieb fremder Gedanken."

    „Wieso das denn?"

    „Dem Herrn Shang hast du den Einsatz von Gesetzen unter intensiver Anwendung von Bestrafung und Belohnung geklaut."

    „Das ist ein wichtiger Ansatz für eine gute Regierung."

    „Dem ersten Herrn Shen hast du die Methode politischen Handelns geklaut."

    „Den Gedanken habe ich mir geliehen."

    „Und dem zweiten Herrn Shen hast du die Ausübung von Macht geklaut."

    „Die Ausübung von Macht ist eine Erfahrungstatsache. Und sei doch nicht gleich eingeschnappt! Kennst du eigentlich folgendes Sprichwort aus alter Zeit? Regieren ist wie Haare waschen, man verliert zwar Haare dabei, aber man muss es tun."

    „In alter Zeit gab es keine leeren Sprüche. Ein Weiser aus alter Zeit sprach: Man stolpert nicht über einen Berg, aber über einen Ameisenhaufen."

    „Mir ist aber wichtig, die richtige Art zu Herrschen zu beschreiben."

    „Mir nicht. Herrschen ist schon an sich ein Fehler."

    „Aber ohne Herrschen geht es nicht!"

    „Wer sagt das?"

    „Ich! Und ich gebe dir gerne ein Beispiel für vorbildliches Herrschen."

    „Bitte nicht!"

    „Doch, doch! Vorbildliches Herrschen bedarf eines klarsichtigen Herrschers."

    „So etwas Ähnliches hatte ich schon befürchtet."

    „Der Weg eines klarsichtigen Herrschers entspricht nun der Antwort, die Herr Yu Herrn Fu gab."

    „Was soll das denn bedeuten?"

    „Hört sich ein klarsichtiger Herrscher Reden an, so lobt er die Beredsamkeit."

    „Vielleicht sollte er das Geschwätz besser unterbinden."

    „Beobachtet er Verhaltensweisen, so würdigt er deren Tragweite."

    „Das hört sich sehr beeindruckend an."

    „Deshalb gehen Minister, Beamte und das Volk in ihren grundsätzlichen Reden auf alle Umstände ein und gehen in die Tiefe. In ihrem persönlichen Verhalten entfernen sie sich von der gemeinen Welt."

    „Das sollten sie vielleicht besser nicht tun."

    „So antwortet Herr Tian dem König von Jing, so macht Herr Mo Weihen aus Holz und so baute der Sänger Gui den Wu-Palast. Medizin oder praktische Worte, klarsichtige Herrscher verstehen sich darauf."

    „Und? Was hat das mit der Antwort zu tun, die Herr Yu Herrn Fu gab?"

    „Herr Fu verwaltete die Stadt Shanfu."

    „Welch unbedeutendes Kaff."

    „Mag sein. Aber das spielt hier auch keine Rolle. Herr Yu besuchte ihn und erkundigte sich: Was seid ihr so abgemagert? Herr Fu antwortete: Der Fürst hat meine Untätigkeit ignoriert und mir befohlen, diese Stadt zu verwalten. Die Amtsgeschäfte machen mir Stress und Sorgen, deshalb bin ich abgemagert."

    „Da hätte er wohl besser auf das Amt verzichtet."

    „Hat er aber nicht. Herr Yu antwortete ihm: Einst schlug der legendäre Herrscher Shun die fünfsaitige Zither, sang das Lied vom Südwind, und alle Welt war wohlgeordnet. Ihr macht euch Sorgen über die Verwaltung dieser unwichtigen Stadt. Was wäre nur, wenn ihr die ganze Welt regieren müsstet? Hat man eine Strategie zur Lenkung der Welt, dann sitzt man oben in der Halle, hat den Teint einer Jungfrau, und trotzdem ist es der Regierung nicht abträglich. Hat man keine Strategie zur Lenkung der Welt, dann kann man sich persönlich verausgaben und abmagern, und es bringt trotzdem keinen Nutzen."

    „Also alles nur eine Frage der richtigen Strategie."

    „So ist es."

    „Na prima. Dann kannst du jetzt ja wieder verschwinden."

    „Erst erzähle ich dir noch einen Witz."

    „Auch das noch. Bitte verschone mich."

    „Auf keinen Fall. Ein Mann aus Zheng wollte Schuhe kaufen. Er nahm zuhause an seinem Fuß Maß, vergaß das Maß aber, als er auf den Markt ging. Dort fand er Schuhe, die er kaufen wollte. Da er aber das Maß vergessen hatte, ging er erst wieder nach Hause zurück, um es zu holen. Als er wieder zum Markt kam, war dieser bereits aus, und er bekam keine Schuhe mehr. Jemand fragte: Warum hast du sie nicht anprobiert. Er antwortete: Ich glaube lieber dem Maß als mir selbst."

    „Du kennst wirklich keine Gnade."

    „Eine Anekdote hab' ich noch."

    „Warum hilft mir bloß keiner?"

    „Ein Bauer aus Song hatte einen Edelstein gefunden und wollte ihn dem Herrn Han darbringen. Herr Han nahm ihn nicht an. Der Bauer sprach: Das ist ein Schatz, ein Gerät für einen edlen Herrn wie euch und nichts für einen kleinen Mann wie mich. Herr Han antwortete: Für dich ist der Edelstein ein Schatz, für mich ist das Nichtannehmen des Edelsteins ein Schatz. Das ist nun ein gutes Beispiel für die Forderung des alten Meisters: Das Nichtbegehren begehren und schwer zu erlangende Güter nicht überschätzen."

    „Der alte Meister fordert dich auf zu verschwinden."

    „Eine Anekdote hab' ich noch."

    „Nimmt denn das überhaupt kein Ende?"

    „Ein Bauer aus Song bestellte seinen Acker, in dessen Mitte sich ein alter Baumstumpf befand. Eine Hase rannte mit hoher Geschwindigkeit über den Acker, knallte gegen den Baumstumpf und brach sich dabei das Genick. Daraufhin gab der Bauer die Bestellung seines Ackers auf und wartete lieber auf den nächsten blöden Hasen. Ein solcher kam aber nie und er wurde von den Leuten in Song verspottet. Wenn man aber die Leute der Gegenwart mit den Methoden der Vergangenheit regieren will, dann verhält man sich genau wie dieser Bauer."

    „Ich sagte bereits, dass ich mich nicht für deine Ansichten zur Regiereritis interessiere."

    „Schade."

    „Ist nicht der Weg ein unerschöpfliches Gefäß, abgründig wie der Urahn aller Dinge."

    „Was soll das denn jetzt?"

    „Mildert er nicht ihre Schärfe? Löst er nicht ihre Wirrsale? Mäßigt er nicht ihren Glanz? Vereinigt er sich nicht mit ihrem Staub?"

    „Du redest irre."

    „Ist er nicht tief und doch wie wirklich? Wessen Sohn er auch sei, er scheint früher zu sein als der himmlische Herrscher."

    „Nun reicht es aber wirklich."

    „Warum bist du nur so bockig und uneinsichtig?"

    „Ich bin weder bockig noch uneinsichtig."

    „Da hast du den Beweis. Wenn du jetzt nicht verschwindest, werfe ich die Kieselsteine nicht mehr ins Wasser sondern an deine Birne."

    „Niemand hat gesagt, dass du so aggressiv werden kannst."

    „Nun zieh endlich Leine und verkünde der Welt, was für ein Arschloch ich bin."

    „Ich nehme mal an, du willst dich wirklich nicht zu meinen Kommentaren äußern."

    „Der erste wahre Satz."

    „Dann muss ich also unverrichteter Dinge meines Weges ziehen."

    „Ja doch."

    „Schade!"

    Auch dieser arme Mann findet ein schlimmes Ende. Ein scheinbarer Freund verleumdet ihn, er wird ins Gefängnis geworfen und zum Selbstmord gezwungen. Da geht er hin, und ich kann und will ihn auch nicht retten. Ich sehe ihn in der Ferne verschwinden und habe endlich wieder meine Ruhe. Die nutze ich, um wieder gedankenversunken Kieselsteine in den Bach zu werfen. Die machen ein so beruhigendes Plopp beim Eintauchen.

    V. Weiße Pferde - Gespräch mit Gongsun Longzi

    Heute weile ich in den Niuyang-Bergen. Der mittlere Sommermonat ist da. Ein leichter Sommerregen mildert die Hitze nicht wirklich. Besteht die Feuchtigkeit auf meinem Körper überwiegend aus Regentropfen oder Schweißperlen? Wer könnte das wie feststellen? Lassen wir die Fragen offen und frönen weiterhin der Muße.

    Da sitze ich nun am Flussufer und schaue Schildkröten zu in der Hoffnung, nie auf ihre angeblichen Heilkräfte angewiesen sein zu müssen. Alles könnte so herrlich friedlich sein, hätte sich nicht der Herr Gongsun aufgemacht, mich mit seinen Spiegelfechtereien auf die Palme zu bringen.

    „Es ist mir ein große Ehre, alter Meister!"

    Mir nicht. Warum mache ich mich nicht einfach auf und davon?

    „Gongsun, du alte Nebelkrähe, warum verschonst du mich nicht vor deinem Gewäsch?"

    „Was du so boshaft Gewäsch nennst, ist die Wissenschaft vom richtigen Gebrauch der Sprache."

    „Ach, du liebe Güte!"

    Ich bin schon müde und gelangweilt, bevor er mit seinem Sermon anhebt.

    „Einst fragte mich jemand, ob es stimmt, dass ein weißes Pferd kein Pferd ist, und ich

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