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100 kleine Schauergeschichten
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eBook127 Seiten48 Minuten

100 kleine Schauergeschichten

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Über dieses E-Book

Romane und Erzählungen begründen den Ruf von S. Corinna Bille als bedeutendste Westschweizer Autorin des 20. Jahrhunderts. Aber Bille ist auch eine Meisterin der skurrilen Miniaturen. Selbst in ihren kürzesten Texten verschmelzen Gelebtes und Geträumtes, Argloses und Abgründiges, pechschwarzer Humor und bizarre Fantasien. In den 100 kleinen Schauergeschichten spiegelt sich das ganze literarische Universum der Autorin – und auch ihr realer Alltag als dreifache Mutter, dem sie jede Gelegenheit zum Schreiben abjagen muss.
SpracheDeutsch
HerausgeberRotpunktverlag
Erscheinungsdatum19. Juli 2023
ISBN9783858699916
100 kleine Schauergeschichten

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    Buchvorschau

    100 kleine Schauergeschichten - S. Corinna Bille

    1

    Adam und Eva

    Sie nahmen ein Bad. Sie waren nackt.

    Dank dem sanften, warmen Wasser, das sie umgab, verstand Eva endlich die Form ihres Körpers: das Runde und das Spitze der Brüste und dieses schwarze Grasbüschel zwischen den Beinen. Aber ihre Füße versanken im Sand. »Eine verstümmelte Frau! Wo sind meine Füße?«

    Auch Adam wundert sich. Seine braune Brust schiebt das grüne Wasser vor sich her, und durch die Liebkosung vergrößert sich sein Geschlecht. »Werde ich etwa zum Fisch?«

    Das sanfte Wasser wurde tiefer. Kleine Wellen drangen ihnen in Mund und Ohren. Die roten Haare unser aller Urmutter begannen auf und ab zu treiben, Adam hielt einen Schrei zurück.

    Doch mit ihrem Kinn in der Hand des Engels lernten sie zu schwimmen.

    2

    Die Vogelfrau

    Die Vogelfrau, die schön war, beherrschte einen weiten Talkessel aus Felsen und Tannen über der großen Ebene.

    Sie schwang sich in die Luft und zog fröhlich ihre Kreise. Ihr vom Wind gebräunter Körper war der einer Erdenfrau, aber vollkommen. Ihre beiden Flügel, durch eine feine Membran mit den Armen verbunden, waren von langen, schwarzglänzenden und grünschimmernden Federn bedeckt. Langsam schwenkte sie die Arme, ihre Flügel öffneten und schlossen sich.

    Der warme Luftstrom, der nach Harz, Feldthymian und Bärentraube duftete, schmiegte sich an ihre weichen Brüste, den Bauch und die Beine, an denen unnütz die Füße hingen.

    »Welche Wonne«, dachte sie, doch andere Gelüste lockten sie Richtung Boden.

    Sie setzte sich auf ein kleines Bohnenfeld, auf dem eine Bäuerin hackte.

    »Weißt du, ob es hier in der Gegend Männer gibt?«, fragte sie.

    »Ja, drüben im Wald, vier Holzfäller.«

    Und die Bergtochter schürzte gar seltsam die Lippen um ihre scharfen Zähne, die in Roggenbrot bissen.

    »Du auch, du magst Männer auch …« Die Vogelfrau zögerte. Sollte sie sie zum Festschmaus laden? Doch sie zog allein weiter. Und auf ihren Füßen ging sie auf die Holzfäller zu.

    »Ich würde euch gerne probieren«, sagte sie. Und sie stellte sich in ihre Mitte, wirbelte herum und schlug mit den Flügeln.

    Ob sie Angst bekamen, ist nicht bekannt, aber alle vier haben mit ihr geschlafen.

    3

    Der Riese

    Der Riese sagte:

    »Zwischen meinen Beinen fließt die Rhone. Mein rechter Fuß steht auf dem linken Ufer, der linke Fuß auf dem rechten Ufer. Ich brauche sie gar nicht stark zu spreizen. Die Rhone ist nicht breit hier in den Bergen. Im Winter ist sie sogar ganz klein.«

    Der Riese beugte sich vor:

    »Ich sehe Forellen und Alabasterkiesel, grüne, die aus Schlangenstein sind, und zwei, drei Goldpailletten. In meine Nase steigt ein köstlicher Duft von Absinth und Wacholder. An meinem linken Fuß in den Reben spüre ich ein Kribbeln und an meinem rechten ein Kitzeln. Und ich fühle mich so wohl, so wohl, dass ich Lust bekomme, eine Kaskade loszulassen.«

    4

    Der Bär

    Er streifte sich ein großes Bärenfell über und trat ins Zimmer.

    Das Mädchen sah ihn und fing an, ein bisschen Theater zu spielen. Sie ließ sich bäuchlings auf den Boden fallen, stellte sich tot. Der Bär, der ein Mann war und sie liebte, beugte sich über sie. Er blies ihr durch seine Maske hindurch seinen warmen Atem in den Nacken. Zweimal. Dieser Atem kam ihr so sanft vor, dass sie beinahe daran gestorben wäre. Beim dritten Mal drehte sie ihr Gesicht zur Schnauze des Bären. Sie lachte.

    Doch als sie die Augen öffnete, lag das Zimmer leer im Morgengrauen da.

    5

    Das Pferd

    Das Mädchen lief über die Weide, auf der es keine Stiere gab, nur Pferde. Sie waren seit Tagesanbruch gerannt und ruhten sich nun aus.

    Die junge Frau ging von Tanne zu Tanne, die Arme ausgestreckt wie deren Äste. »Ich suche meinen Liebsten«, sagte sie, »aber ich bin allein auf der Welt.«

    Sie blieb stehen. »Ich bin allein auf der Welt und mein Liebster ist tot.« Ein Pferd näherte sich. Es legte seine Zähne auf ihr Haar. »Oh«, rief sie, »das ist kein Gras!« Sie streichelte seine Stirn. »Pferd, Pferd!« Es starrte sie aus seinen großen ölschwarzen Augen an. Sie sah ihr Gesicht darin, ein verschrecktes Gesicht.

    Sie tat einen

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