Nordseestar. Ostfrieslandkrimi
Von Sina Jorritsma
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Über dieses E-Book
Der ostfriesische Schlagerstar Bubi Brückner soll vor laufenden Kameras an seinem eigenen Blut ersticken. Das kündigt zumindest der anonyme Drohbrief an, der einen Tag vor der großen Norddeicher Schlagersause bei der Presse eingeht. Doch nicht der Schlagerstar wird kurz nach Eingang des Briefes erdrosselt aufgefunden, sondern seine Verlobte Patricia. Sofort fällt der Verdacht auf Marisa Blue, denn die Affäre der jungen Sängerin mit Bubi Brückner ging gerade erst durch die Klatschpresse. Hat Marisa die lästige Konkurrentin in einem impulsiven Moment aus dem Weg geräumt? Der Tag der Schlagersause wird für die Kommissare Torsten Köhler und Gerrit Wolter von der Kripo Norden zu einer echten Herausforderung. Nicht nur jagen sie den Mörder, auch stehen die Drohungen gegen Bubi Brückner weiterhin im Raum. Und der will auf seinen Auftritt auf keinen Fall verzichten...
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Nordseestar. Ostfrieslandkrimi - Sina Jorritsma
Kapitel 1
»Eine Todesdrohung?«
Kommissar Torsten Köhler blickte auf, als Dortje Brannum ein Blatt Papier auf seinen Schreibtisch legte. Er saß in seinem Büro im Polizeikommissariat Norden, das er sich mit seinem Kollegen Gerrit Wolter teilte. Auch Wolter war anwesend. Der Ostfriese hatte gerade an einem Bericht gearbeitet und blickte nun zu Köhler und der blonden Kriminalreporterin hinüber.
Dortje nickte eifrig. Sie sagte: »Ja, dieser Drohbrief ist irgendwann während der Nacht in den Hausbriefkasten unserer Redaktion geworfen worden, wurde also nicht mit der Post zugestellt. Er ist bei mir gelandet, weil ich alle Kriminalthemen bearbeite. Und natürlich wollte ich die Sache gleich melden, bevor ich mit einer Exklusivstory beginne!«
Die junge Journalistin schaute die beiden Ermittler triumphierend an. Es war erst wenige Stunden her, seit Köhler seine Freundin zuletzt gesehen hatte. Sie wohnte inzwischen meist bei ihm, obwohl sie immer noch über eine eigene kleine Wohnung in Norden verfügte. Der Kommissarin schätzte ihre spontane, fröhliche Art und ihre Begeisterungsfähigkeit. In diesem Moment war er ihr vor allem dankbar dafür, dass sie die Information nicht vor der Polizei geheim hielt, wie es viele ihrer Berufskollegen getan hätten. Auch Dortje tat alles, um einen guten Zeitungsartikel abzuliefern. Doch sie wäre niemals auf den Gedanken gekommen, deshalb die Fahndung nach einem gefährlichen Verbrecher zu gefährden.
»Nimm doch bitte Platz«, sagte Köhler. Dortje ließ sich auf seinen Besucherstuhl nieder und schlug ihre langen Beine übereinander, die in dem gestreiften Minikleid besonders gut zur Geltung kamen. An diesem strahlend schönen Sommertag im Juni war es an der Küste warm genug für diese Kleidung.
Der Kommissar zog sich gewohnheitsmäßig Einweghandschuhe aus Latex an, bevor er den Brief berührte.
»Wer hat das Papier bisher berührt, Dortje?«
»Eike aus der Poststelle und ich, außerdem natürlich der Mörder!«
»Falls dieser Täter nicht ebenfalls Handschuhe getragen hat«, schränkte Köhler ein. »Außerdem ist noch kein Verbrechen geschehen, wenn ich das richtig sehe.«
»Ihr müsst den Mord verhindern, deshalb bin ich ja sofort zu euch gekommen«, betonte die Reporterin.
»Worum geht es denn überhaupt?«
Diese Frage kam von Wolter. Der ostfriesische Kommissar war meist sehr ruhig, fast einsilbig. Seine zurückhaltende Art wurde von unwissenden Menschen oft für geistige Schlichtheit gehalten. Dabei war er einer der intelligentesten Menschen, die Köhler kannte. Wenn er sich jetzt in das Zwiegespräch zwischen dem Kommissar und der Reporterin einmischte, war er anscheinend sehr stark an dem Thema interessiert. Andernfalls hätte Wolter nämlich gar nichts gesagt.
»Ach, ein gewisser Bubi Brückner soll angeblich getötet werden«, begann Köhler.
Dortje fiel ihm ins Wort: »Das klingt so, als ob du Bubi Brückner nicht kennen würdest, Torsten!«
Der dunkelhaarige Kommissar runzelte die Stirn.
»Sollte ich das tun?«
»Bubi ist ein Schlagerstar!«, erklärte die Reporterin. Offenbar machte Köhler ein verständnisloses Gesicht, denn sie schaute ihn irritiert an.
»Er ist seit vielen Jahren ein Star«, betonte Wolter. Daraufhin wandte Dortje sich dem ruhigen Ostfriesen zu.
»Meine Zeitung hat ihn damals entdeckt! Wenn das Friesenblatt dem kleinen Jungen aus Norddeich nicht seinen ersten Auftritt ermöglicht hätte …«
»Und zwar vor über dreißig Jahren. So lange erfreut uns Bubi schon mit seinen Melodien.«
Die Reporterin nickte lächelnd und sagte: »Ganz genau, Gerrit. Ahoi, mein Herz wird immer ein Hit bleiben. Das Lied habe ich schon als Kind geliebt.« Sie begann nun zu singen: »Ahoi, mein Herz, mich ruft die See …«
Wolter stimmte ein: »Das Fernweh ruft, Abschied tut weh …«
Köhler konnte nicht glauben, was er von seiner Freundin und seinem Kollegen zu hören bekam. Er unterbrach die beiden: »Vielen Dank für euer Ständchen, aber – wollt ihr mich eigentlich auf den Arm nehmen?«
»Diese Todesdrohung ist meiner Meinung nach ernst gemeint«, erwiderte Dortje stirnrunzelnd. »Nur, weil du Bubis größten Hit nicht kennst, ist dieser Mann trotzdem kein Unbekannter. Ich wette, dass die Norddeicher Schlagersause allein schon wegen seinem Auftritt ein voller Erfolg wird. Für Bubi ist es ja ein Heimspiel. So ein Open-Air-Konzert ist natürlich eine hervorragende Gelegenheit für ein Attentat. Womöglich hat Bubi auch durchgeknallte Fans, so wie John Lennon.«
»Ich weiß, wer John Lennon war«, gab Köhler zurück, dem dieser Wortwechsel auf den Wecker ging. Er interessierte sich nicht für Schlagermusik, warum sollte das ein Problem sein? Über diesen Bubi Brückner konnte der Kommissar sich später immer noch informieren. Nun schaute er sich zunächst den Drohbrief genauer an, der beim Friesenblatt eingeworfen worden war. Die Buchstaben hatte der Verfasser aus einem farbigen Prospekt ausgeschnitten, wobei ihm Groß- und Kleinschreibung offenbar egal gewesen waren:
»dAs GRoSSmaUL BuBI BrÜckNER wiRD an SEinem eigENEN blUT erstiCKen. HALTen Sie die KAMera drAUF, wenn er KREpIERT.«
»An dieser Botschaft kann man nichts missverstehen«, meinte Köhler. Er las die Sätze vor, damit sich auch sein Kollege ein Urteil bilden konnte.
Wolter nickte und sagte: »Der Täter will sicherstellen, dass die Presse bei dem Mordanschlag auf jeden Fall vor Ort ist. So könnte man diesen Brief verstehen. Und damit garantiert Zeitungsleute bei dem Schlagerabend erscheinen, hat der Kerl vorsichtshalber diesen Brief geschrieben.«
»Er bezieht sich nicht direkt auf die Norddeicher Schlagersause«, gab Köhler zu bedenken.
»Das ist aber die nächste Gelegenheit, bei der Bubi Brückner öffentlich auftritt«, erklärte Dortje.
»Wann findet diese Veranstaltung eigentlich statt?«
»Morgen, also am Samstag, Torsten. Du weißt wohl gar nichts!«
»Ich weiß immerhin, dass wir zunächst unseren Vorgesetzten informieren müssen«, erwiderte der Kommissar schmunzelnd. Er nahm seiner Freundin ihre Worte nicht krumm, zumal Dortje im nächsten Moment noch eine weitere Information für ihn hatte: »Übrigens wird der Fan-Finsterling die Buchstaben aus unserer Werbe-Beilage von gestern ausgeschnitten haben, mir kommen die Lettern sehr bekannt vor. Da die Zettel von diesem Supermarkt nur der Ausgabe von Norden und Norddeich beilagen, könnt ihr wahrscheinlich direkt hier vor Ort nach dem Kerl suchen.«
Während die Kriminalreporterin sprach, stand sie auf und fügte hinzu: »Ich mache mich lieber aus dem Staub, bevor ihr zu Freden geht. Am besten wäre es, wenn euer Boss gar nicht mitbekommt, dass ich euch auf den Drohbrief hingewiesen habe. Aber Freden ist nicht dämlich, jedenfalls nicht immer. Er wird sich denken können, dass ihr diesen Drohbrief nicht vom Weihnachtsmann bekommen habt.«
»Jedenfalls nicht mitten im Juni«, meinte Wolter und gab damit eine Kostprobe seines trockenen Humors. Es war ein offenes Geheimnis, dass der Dienststellenleiter des Norder Polizeikommissariats die quirlige Kriminalreporterin nicht ausstehen konnte. Wenn Freden eine Gelegenheit bekam, Dortje das Leben schwer zu machen, dann nutzte er sie auch aus.
Köhler blinzelte seiner Freundin zu.
»Es ist gut, dass du uns gleich benachrichtigt hast. Wir telefonieren später, einverstanden?«
»Ja, sicher. Ich werde erst mal mit dem Kollegen tauschen, der eigentlich den Artikel über die Norddeicher Schlagersause schreiben soll. Vielleicht kann ich dann ja auch noch über eine spektakuläre Verhaftung berichten …«
Mit diesen Worten flitzte sie aus dem Dienstzimmer. Köhler war nicht hundertprozentig überzeugt davon, dass dieser Brief überhaupt ernstgenommen werden konnte. Doch andererseits konnte die Polizei es nicht riskieren, die Hände in den Schoß zu legen. Es hatte in den letzten Jahren zu viele Attentate »mit vorheriger Ansage« gegeben. Also tat der Kommissar die schriftliche Morddrohung in einen Beutel für Beweisstücke und ging gemeinsam mit Wolter zu Hauptkommissar Freden, der die Norder Dienststelle leitete. Das Gesicht des Chefs schien immer länger zu werden, während Köhler ihm die bisherigen Fakten berichtete. Die beiden Ermittler hatten auf den Besucherstühlen vor Fredens Schreibtisch Platz genommen.
»Und Sie sind sicher, dass es sich nicht einfach um einen dummen Scherz Ihrer Freundin handelt?«, hakte der Hauptkommissar nach. Köhler versuchte, sich nicht über diese Unterstellung zu ärgern.
»Frau Brannum nimmt das Leben von der leichten Seite, aber über die Ankündigung eines brutalen Mordes würde sie niemals scherzen, Herr Freden.«
»Wenn Sie es sagen …«, begann der Chef, während er seine Stirn in Falten legte. »Wir sollten auf jeden Fall Kontakt mit Bubi Brückner aufnehmen. Wenn er morgen in Norddeich auftritt, wird er gewiss heute schon angereist sein oder im Lauf des Tages eintreffen. Fragen Sie nach, ob der Künstler womöglich schon mehrfach bedroht wurde. Ich möchte nicht erleben, dass in unserem Zuständigkeitsbereich ein Mensch getötet wird, wenn wir es verhindern können – egal, ob er nun ein Schlagerstar ist oder nicht.«
In diesem Punkt war Köhler mit Freden ausnahmsweise einer Meinung. Der Kommissar hatte schon mehrfach darüber nachgedacht, warum sein Chef Dortje nicht mochte. Womöglich war Freden heimlich in die attraktive Kriminalreporterin verliebt und behandelte sie nur deshalb mies, um diesen Verdacht gar nicht erst aufkommen zu lassen. Doch das war momentan nebensächlich.
»Wenn wir Glück haben, ist der Verfasser der Drohung schon einschlägig vorbestraft«, warf Wolter ein. »Wenn sich seine DNA an dem Schreiben nachweisen lässt, können wir ihn durch einen Abgleich des genetischen Fingerabdrucks überführen.«
»Das ist eine gute Idee«, unterstrich Köhler.
»Einen Versuch ist es wert«, räumte der Hauptkommissar ein. »Allerdings wird es das kriminaltechnische Labor nicht bis morgen schaffen, diesen Drohbrief zu analysieren. Ich kann dort anrufen und ein wenig Druck machen. – Und nun nehmen Sie so schnell wie möglich Kontakt mit dem Sänger auf!«
Köhler erhob sich von seinem Sitz, Wolter folgte seinem Beispiel. Bevor die Ermittler das Chefbüro verlassen konnten, hielt ihr Vorgesetzter sie zurück: »Eine Sache wäre da noch …«
»Ja, Herr Freden?«
»Könnten Sie sich bitte für mich ein Autogramm von Bubi Brückner geben lassen?«
***
Norddeich war ein Ortsteil von Norden. Mit dem Auto dauerte es nur ungefähr zehn Minuten vom Kommissariat bis zu dem Strandabschnitt, wo die Schlager-Veranstaltung stattfinden sollte. Wolter saß am Lenkrad des Dienstfahrzeugs, er wirkte so unerschütterlich wie immer. Köhler warf ihm einen irritiert wirkenden Seitenblick zu.
»Ich kann es immer noch nicht glauben, dass du und Dortje mir dieses Lied vorgesungen habt.«
»Hat es dir nicht gefallen, Torsten?«
»Darum geht es nicht, Gerrit. Und dann will auch noch der Chef ein Autogramm von diesem Schlagerfritzen … ich komme mir vor, als wenn ich auf einem anderen Planeten leben würde. Wieso habe ich noch nie etwas von diesem Bubi Brückner gehört?«
»Es gibt viele Menschen, die Schlager mögen«, stellte der Ostfriese schmunzelnd fest.
»Ja, den Eindruck habe ich inzwischen auch!«, gab Köhler seufzend zurück. »Das ist in Ordnung, ich bin eben nur gern gut informiert. – Was kannst du mir über diesen Bubi Brückner erzählen? Das ist doch nicht sein richtiger Name, oder?«
»Nur zum Teil«, entgegnete Wolter. »Bubi heißt eigentlich mit Vornamen Hansjörg, aber seine Fans nennen ihn immer noch Bubi. Unter diesem Namen trat er auf, als er mit zehn Jahren seine Karriere begann. Ahoi, mein Herz war sein erster großer Hit.«
»Wie lange ist das jetzt her?«
»Inzwischen müsste Bubi Ende vierzig oder Anfang fünfzig sein.«
»Ich werde einen erwachsenen Mann gewiss nicht Bubi nennen«, erklärte Köhler. »Ist dieser Herr Brückner denn immer noch populär?«
»Seine treuen Fans halten zu ihm, aber inzwischen ist es ruhiger um ihn geworden«, gab der ostfriesische Ermittler Auskunft.
»Gab es Skandale, von denen die Öffentlichkeit erfahren hat? Wer könnte Brückner ans Leder wollen? Dieser Drohbrief klang ja richtig hasserfüllt.«
»In der Klatschpresse stand nichts dergleichen, aber vielleicht konnte Bubi ja seine Fehltritte gut unter Verschluss halten«, mutmaßte Wolter. »Übrigens halte ich es für einen schweren Fehler des Täters, sein Vorhaben so vollmundig anzukündigen. So gibt er uns die Chance, Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Wenn ich ein Attentat begehen wollte, würde ich völlig überraschend in einem