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Mord in Genf
Mord in Genf
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eBook259 Seiten3 Stunden

Mord in Genf

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Über dieses E-Book

War es ein Unfall, Selbstmord, Mord?

Ein unerwarteter Fund bringt Unruhe in das beschauliche Leben von drei älteren Damen.
… »Am letzten Wochenende war ich in Münster auf dem Flohmarkt. Stellt euch vor! Ich habe eine Kiste Bücher für fünf Euro gekauft!« …
Bei dem Fund handelt es sich um ein Buch, das vor fast 25 Jahren von einem jungen Mann geschrieben wurde.
… »Schaut Euch das mal an! Er berichtet, dass er den Mord hautnah erlebt hatte. Für mich war immer klar, dass das kein Selbstmord war! Ich habe mir meinen gesunden Menschenverstand nicht nehmen lassen!« …
Das Werk eines Wichtigtuers?
Eines Aufschneiders?
Oder der Versuch eines jungen Mannes, traumatische Ereignisse zu verarbeiten?
Oder die besondere Form, eine Lebensversicherung abzuschließen?
Oder alles zusammen?

… »Dann sollte sich jeder Wichtigtuer überlegen, was er in gedruckter Form auf den Markt bringt. Es könnte ja sein, dass irgendwann eine Krimiautorin das Werk in die Finger bekommt und ihn ernst nimmt. Und spätestens dann bringt ihm seine Aufschneiderei ein Problem ein!« …

Die Autorin zieht den Leser in die Zeit des Kalten Krieges. Sie lässt Opfer zu Tätern, Täter zu Opfern werden. Was ist Fiktion, was ist Realität?

… »Es ist doch nur ein Krimi. Du könntest auf den letzten Seiten ein UFO im Genfer See versinken lassen! Was soll denn passieren? Schreib einfach: Das ist ein Krimi, in dem fast alles frei erfunden ist!« …
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum6. Okt. 2012
ISBN9783844893083
Mord in Genf
Autor

Tuna von Blumenstein

Unter dem Pseudonym Tuna von Blumenstein hat die Autorin vier Kriminalromane veröffentlicht: »Der Tote im Zwillbrocker Venn« 2010 »Der hässliche Zwilling« 2011 »Mord in Genf« 2012 »Blauregenmord« 2013 Die Bilder für das Cover »Blauregenmord« sind im Garten Picker entstanden. www.garten-picker.de Die Autorin lebt im Westmünsterland www.ein-buch-lesen.com www.ein-buch-lesen.de

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    Buchvorschau

    Mord in Genf - Tuna von Blumenstein

    Die Autorin:

    Unter dem Pseudonym Tuna von Blumenstein hat die

    Autorin zwei Kriminalromane veröffentlicht:

    »Der Tote im Zwillbrocker Venn« 2010

    und

    »Der hässliche Zwilling« 2011.

    Die Autorin lebt im Westmünsterland.

    www.ein-buch-lesen.com  www.ein-buch-lesen.de

    pyrrhus

    könig von epirus

    siegte und siegte

    er war ein großer krieger

    so groß

    dass man heute noch

    von ihm spricht

    es blieben nicht mehr viele

    die seine siege

    hätten feiern können

    zu groß waren die verluste

    und denen

    die übrig blieben

    dürfte die lust am feiern

    vergangen sein

    aber

    er hatte gesiegt

    und er war

    ein so großer krieger

    dass man noch heute

    von seinen siegen

    spricht

    Text: Sylvia B.

    Wie alles begann.

    Helma liebt Bücher und ihren Kater. Der heißt Taxi. Eine interessante Anrede für einen Kater. Taxi ist Freigänger und er hört auf seinen Namen. So steht Helma allabendlich vor ihrer Haustür und ruft: ›Taxi!‹ Das brachte sie schon hin und wieder in merkwürdige Situationen. Aber mittlerweile haben sich die Nachbarn und auch die Taxiunternehmen an Helma und ihren Kater gewöhnt.

    Ohne ihren geliebten Kater Taxi im Haus und ein Buch, das sie als Abendlektüre mit in ihr Bett nimmt, kann Helma nicht einschlafen. Muss ich erwähnen, dass sie am liebsten Kriminalromane liest? Ihr Wohnzimmer gleicht einer Bibliothek. An den Wochenenden besucht sie die Flohmärkte der Umgebung. Denn Helma liebt alte Bücher. Kriminalromane, die vor langer Zeit geschrieben wurden, kleine Schätze und Kostbarkeiten. So ist ein solcher Flohmarktbesuch auch immer eine Schatzsuche für sie.

    Auf die Idee mit den Büchern habe ich sie gebracht. Helma brauchte eine Aufgabe und sie brauchte Beschäftigung, als ihre Kinder das Haus verließen. Hiltrud, eine gemeinsame Freundin, hatte ihr dann irgendwann den Kater geschenkt. Wir treffen uns regelmäßig freitags zu Kaffee und Kuchen bei Helma. Immerhin kocht sie den besten Kaffee im ganzen Umkreis.

    Es war im Spätsommer des Jahres 2011. Diese Kaffeevisite ist mir in bleibender Erinnerung geblieben.

    »Am letzten Wochenende war ich in Münster auf dem Flohmarkt. Stellt euch vor! Ich habe eine Kiste Bücher für fünf Euro gekauft!«

    Der Gelegenheitskauf, den Helma auf dem Flohmarkt getätigt hatte, brachte ein besonderes Buch zutage.

    »Schaut Euch das mal an! Er berichtet, dass er den Mord hautnah erlebt hatte. Für mich war immer klar, dass das kein Selbstmord war! Ich habe mir meinen gesunden Menschenverstand nicht nehmen lassen!«

    Wie ein Prediger hielt sie ein Buch in die Höhe, das ich ihr umgehend aus den Händen nahm. Offenbar war es als Eigenverlagspublikation erschienen, wie ich dem Impressum entnehmen konnte. Stutzig machte mich die Auflage. Sie war mit 1-78 Tausend beschrieben. Vor 23 Jahren wurde es veröffentlicht.

    Mein Interesse als Krimiautorin war natürlich geweckt. Dass Hiltrud auch ein Krimifan ist, brauche ich nicht extra zu erwähnen. So saßen wir alten Krimitanten an diesem denkwürdigen Tag bis in die Nacht hinein in Helmas Küche, lasen uns aus dem Roman vor, machten Stichpunkte und überlegten, wie wir unsere Erkenntnisse umsetzen sollten.

    Hiltrud fasste ihre Ergebnisse in kurzen Worten zusammen: »Das ist das Werk einer überbordeten Persönlichkeit. Das hat ein Wichtigtuer geschrieben, der sich auf problematische Art und Weise interessant machen wollte!«

    Umgehend meldete Helma Protest an: »Meine Kinder sind mir bis heute dankbar, dass sie mit mir über alles reden konnten und können. Ich habe sie immer ernst genommen, mit all ihren großen und kleinen Problemen. Wir sollten auch diesen jungen Mann ernst nehmen! «

    Hiltrud seufzte. »Dieser Autor hat Schulaufsätze ausgegraben und mit Kommentaren versehen!«

    »Du musst zwischen den Zeilen lesen, Hiltrud. Er schreibt auch über seine Eltern. Der Vater interessiert sich nicht für ihn und der Mutter ist nur wichtig, dass er die Schuhe auszieht, wenn er das Haus betritt.«

    Es war Helma anzusehen, dass sie nach passenden Erklärungen suchte. Sie fand auch eine und teilte sie uns mit: »Jetzt sage ich euch meinen Lieblingsspruch, eine alte Indianerweisheit: ›Großer Geist, bewahre mich davor, über einen Menschen zu urteilen, ehe ich nicht eine Meile in seinen Mokassins gegangen bin.‹ Dieses Buch kann nur verstehen, wer sich in die Gefühlswelt eines 18 jährigen Mannes hineinversetzt. Das habe ich getan und habe einen tiefen Schmerz gespürt, der sich durch jede Zeile zog.«

    Nachdem sie ihre Worte auf uns wirken gelassen hatte, sprach sie weiter: »Mit 18 Jahren sollten junge Leute Flausen im Kopf haben und nicht solche Bücher schreiben! Dieser junge Mann muss ein ganz schlimmes Erlebnis gehabt haben. Und konnte sich nur dem Papier anvertrauen. So sehe ich das!«

    Nun war meine Meinung gefragt. Ich studierte meine Notizen.

    »Ich gebe dir recht, Hiltrud. Es sind auch aus meiner Sicht Aufsätze eingearbeitet worden. Aber es kommt mir so vor, als wenn die nur der Verschleierung dienen. Mein erster Eindruck von den Texten ist der, dass dieser junge Mann eine Art Versicherung durch dieses Buch abgeschlossen hatte. Es ist sehr kryptisch geschrieben. Das Wort ›Lebensversicherung‹ wird mir zu oft erwähnt. Dafür spricht auch dieser merkwürdige Hinweis über die Auflage im Impressum.

    Mein zweiter Eindruck ist der, und da gebe ich Helma recht, dass dieser junge Autor schwer traumatisiert war, als er das Buch geschrieben hatte. Dieses Trauma versuchte er zu verarbeiten. Scheinbar konnte er sich wirklich niemandem anvertrauen. Was mich sehr stutzig macht ist, dass er über Dinge schreibt, die zu diesem Zeitpunkt nicht bekannt waren. Diese Informationen kann er nicht aus dem Fernsehen oder den Zeitungen bezogen haben.«

    Taxi lag zusammengerollt auf seinem Katzensofa. Ich betrachtete ihn, wie er friedlich schlief. Leise sprach mich Helma an: »Wenn es so war, wie der junge Mann es beschrieben hatte, wird er dieses Trauma bis heute mit sich herumschleppen!«

    Diese Aussage musste auch Hiltrud traurig abnicken.

    »Helma, selbst wenn wir ihn ernst nehmen und es war so, wie er es schildert, was sollen wir praktisch in der Sache tun?«

    Hiltrud sah mich mit großen Augen an, bevor sie sagte:

    »Mache einen Krimi daraus!«

    Nachdenklich betrachtete ich den Umschlag des Buches.

    »Wenn es das Werk eines Wichtigtuers war? Wenn es doch ganz anders geschah? Der Mord ist bis heute nicht geklärt!«

    Spontan meldete sich Hiltrud zu Wort.

    »Dann sollte sich jeder Wichtigtuer überlegen, was er in gedruckter Form auf den Markt bringt. Es könnte ja sein, dass irgendwann eine Krimiautorin das Werk in die Finger bekommt und ihn ernst nimmt. Und spätestens dann bringt ihm seine Aufschneiderei ein Problem ein!«

    Auf seinem Sofa reckte sich Taxi, um sich umgehend wieder einzurollen.

    Helma legte ihre Hand auf meine.

    »Wenn wir genau hinschauen würden, könnten wir feststellen, dass wir uns nach dem Krieg eine Scheuklappe vor das rechte Auge, und nach der Wende, eine auf das linke Auge gesetzt haben. Dass uns das sehbehindert macht, haben wir noch nicht bemerkt. Und dazwischen sollten wir um unseren gesunden Menschenverstand gebracht werden! Und der hat gesagt: Es war ein Mord!«

    Das gab Hiltrud und mir zu denken.

    »Es könnte so geschehen sein, oder anders. Darum schreibe doch auch über diese Zeit. Die Zeit, als der Kalte Krieg tobte. Es ist so viel Unrecht geschehen, das bis heute nicht gesühnt worden ist. Es gab zu viele Opfer. Und sehr viele Täter, die nie zur Rechenschaft gezogen wurden. Denke an diese Menschen und dann schreibe einen Krimi. Schreibe über die Opfer, die zu Tätern, und die Täter, die zu Opfern wurden. Es ist doch nur ein Krimi. Du könntest auf den letzten Seiten ein UFO im Genfer See versinken lassen! Was soll denn passieren? Schreib einfach:

    Das ist ein Krimi, in dem fast alles frei erfunden ist!«

    Die Polizeisirenen schrillten, der Schall prallte von den Häuserwänden ab, erzeugte eine harte Kakofonie und fügte sich in das Chaos ein, am Schauplatz des Geschehens. Der Platz vor dem Hotel war durch Flatterband abgesperrt. Polizisten sicherten und ließen nur Berechtigte in den geschützten Bereich. In dem wimmelte es von Beamten in Uniform und Zivil. Schaulustige hatten sich eingefunden.

    Es war an einem Sonntag im Oktober des Jahres 1987.

    Etwas abseits stand ein junger Mann. Er blickte apathisch auf die Szenerie. Sein lichtes Haar war ungekämmt. Um die Augen hatte er dunkle Ränder. Seine Wangen wirkten eingefallen. Er war nicht rasiert und machte insgesamt einen ungepflegten Eindruck.

    »Mein Junge, du bist ja immer noch hier!«

    Ein älterer Mann legte die Hand auf die Schulter des Jüngeren. Der wandte seinen Blick, wollte die Hand mit einer Bewegung wegwischen. Aber die Finger des Mannes krallten sich schmerzhaft in seinen Schultermuskel.

    »Ich bin nicht Ihr Junge, lassen Sie mich los, Sie tun mir weh!« zischte der Jüngere. Sein Blick fiel auf die Karte, die der Mann an seiner Brusttasche festgesteckt hatte. Es war ein Presseausweis. Ausgestellt durch den Allgemeinen Deutschen Nachrichtendienst auf den Namen Wilhelm Schubert.

    »Alexander, du siehst völlig erledigt aus, komm, lass uns zum See gehen und dort weiter sprechen.«

    Schubert flüsterte. Dann löste er den Klammergriff und Alexander rieb sich die Schulter.

    »Komm schon, oder möchtest du auf dich aufmerksam machen?«

    Alexander folgte Schubert. Sie ließen die Sirenen hinter sich. Als beide an der Promenade ankamen, war diese von Menschen verlassen. Still ruhte der See.

    »Was gibt Ihnen die Sicherheit, dass ich nicht zur Polizei gehe und alles erzähle?«

    Schubert lachte. »Nur zu, wenn dir danach ist! Reihe dich in die lange Warteschlange der Spinner ein, die überall Verschwörungen wittern! Je nach Prominenz eines Toten gehen bis zu 1.000 verrückte Meldungen ein!« Er blickte über den See und fügte an: »Nach einem solchen Ereignis.«

    »Es war Mord! Etwas anderes wird bei der Untersuchung nicht herauskommen! Sie kommen damit nicht durch!«

    Alexander hielt die Hände vor sein Gesicht und wiederholte: »Es war ein feiger Mord! Und Sie sind ein Mörder!«

    Schubert atmete schwer aus, blickte auf den See und erwiderte: »Alexander. Ich bin Soldat und kein Mörder! Und ich garantiere dir, dass die Ermittler die Akten schließen werden! Weil es Selbstmord war! Die Behörden ermitteln nicht weiter, wenn es um Ereignisse in Geheimdienstkreisen geht. Das ist so, glaube mir!«

    »Irgendjemand wird sich erinnern! Vielleicht sogar an Ihren Namen! Was machen Sie dann?« Trotzig sah Alexander den Mann an. Der lachte nur und antwortete: »Es gibt keinen Wilhelm Schubert beim Allgemeinen Deutschen Nachrichtendienst!«

    Alexander sah den Mann an. Der war unrasiert. Hatte etwas Schäbiges an sich. Er wirkte wie ein Penner. Außerdem roch er nach Schnaps. Angewidert wendete sich der junge Mann ab.

    Mehr zu sich selbst sagte er leise: »Dann heißt sie auch nicht Katja?!«

    »Nein, sie heißt nicht Katja und auch nicht Schubert und sie ist auch nicht die Nichte von Liz!«

    Alexander sah auf den See.

    »Was hat er Ihnen denn getan? Warum musste er sterben?«

    »Mir hat er nichts getan, ich kannte ihn nicht! Ich bin Soldat. Ich bekomme einen Befehl, den befolge ich und frage nicht, nach dem ›Warum‹. Gut, ich habe freie Hand bei der Umsetzung. Das hätte ich auch anders machen können. Aber ich habe mir das gerade so überlegt, wie es gemacht worden ist. Das Endergebnis zählt!«

    Er sah Alexander an, der ihn fassungslos betrachtete, und beantwortete dann die zweite Frage.

    »Vermutlich hat er Zicken gemacht. Er war ja gewarnt. Als er merkte, dass seine Reputation demontiert wird, hätte er zurückrudern können. Das hat er nicht getan!«

    Dann griff er in seine Tasche, holte einen Flachmann heraus, öffnete den Verschluss und nahm einen Schluck. Bot ihn Alexander an, der angewidert abwinkte. Gleichmütig zuckte er kurz mit den Schultern, dann fuhr er fort:

    »Soll ich dir jetzt die große Politik erklären? Es ist halt glattes Parkett, auf dem sich Politiker bewegen. Ab einer bestimmten Größenordnung wird es gefährlich. Vermutlich sollte ein Exempel statuiert werden. In Zukunft dürfte es keine Schwierigkeiten mehr geben. Oder meinst du, es will noch jemand so enden, wie er? Sein Ruf ist über seinen Tod hinaus ruiniert. Und das wird auch so bleiben!«

    Beide schwiegen sich an und sahen auf den See.

    Nach einer Weile wandte sich der ältere Mann wieder an Alexander.

    »Du siehst aus, als könntest du ein Frühstück vertragen.«

    Alexander schüttelte zornig den Kopf.

    »Die Ereignisse waren zu viel für dich. Das kann ich verstehen. Und du hast Liebeskummer, das sehe ich dir an.«

    Alexander schwieg.

    »Möchtest du sie denn wiedersehen?«

    Der junge Mann überlegte kurz, bevor er schweigend nickte.

    »Dann lass uns gehen!«

    Der Mond hatte sich hinter Wolken versteckt, an diesem frühen Sonntagmorgen im November des Jahres 1968. Karim al-Bakari blickte von dem Matratzenlager, das Petra für sie beide arrangiert hatte, an die Decke des Studentenzimmers. Wie viel Zeit mochte vergangen sein, seit sich die beiden leidenschaftlich geliebt hatten? Eine Stunde oder zwei? Petra atmete gleichmäßig und verlangsamt, ihr Blutdruck und ihre Herzfrequenz waren gesunken, sie befand sich in der Tiefschlafphase.

    Warum betrachtete er die Dinge aus der Sicht eines Mediziners? Karim überlegte und er fragte sich, ob das der Duft der Liebe war, der ihn umgab. Er meinte sich aber gut zu beraten, wenn seine romantischen Gedanken einer sachlichen Betrachtungsweise weichen würden.

    Auf der Kommode stand ein Wecker. Das Ticken des Sekundenzeigers zerriss die Stille und ermahnte Karim, dass er nicht mehr viel Zeit hatte. Seine Tasche war gepackt und wartete darauf, mit ihm am Vormittag nach Damaskus zu fliegen. Aber etwas Zeit blieb ihm noch an der Seite seiner Geliebten. Zeit, die er brauchte, sein bisheriges Leben zu betrachten, um seine Gefühle zu ordnen, um dann, nach Ablauf dieser kurzen Zeit, eine Entscheidung zu treffen.

    Zusammen mit seinem Cousin Achmad hatte er in Syrien die Hochschulreife erworben. Für beide war schon früh klar gewesen, dass sie in Deutschland studieren wollten. Achmad ging nach Münster, seine Familie finanzierte das Studium. Karim bekam als Bester in seinem Abschlussjahrgang ein Stipendium und ein monatliches Taschengeld.

    Die Semesterferien verbrachten sie all die Jahre gemeinsam in Syrien. Achmad verliebte sich zuerst in das Münsterland und dann in Mechthild, die Karim bei seinem letzten Besuch im vergangenen Sommer in Damaskus dort kennenlernte.

    Achmad stellte Mechthild der Familie vor und eröffnete ihr gleichzeitig, dass sie heiraten und er in Deutschland bleiben würde.

    Karim betrachtete die schlichte Lampe, die an der Decke des Zimmers hing. Draußen, in der Nähe des Gebäudes, stand ein Baum und in dessen Nähe am Weg, der um das Gebäude führte, eine Laterne. Deren Licht schien durch die kahlen Äste des Baumes und zeichnete bizarre Muster an die Decke der Unterkunft.

    Petras Zimmer und die Einrichtungsgegenstände unterschieden sich nicht merklich von seiner Bleibe, stellte er fest. Der Geruch, den das Linoleum abgab, legte sich langsam wie ein Tuch auf das Paar, als wollte es den Duft des Beischlafs aufsaugen.

    Im hereinfallenden Licht der Laterne betrachtete Karim die Frau, die in den flüchtigen Momenten ihrer Begegnungen seine Seele berührt hatte. Sie atmete schneller, ihre Augenlider bewegten sich, Petra träumte. Er kannte sie schon länger, war ihr immer wieder auf dem Unigelände begegnet. Er hätte es aber nie gewagt, sie anzusprechen. Warum sollte er auch? Karim war es immer klar gewesen, dass er eine Syrerin heiraten würde.

    Er hatte sich verpflichten müssen, nach dem Studium eine geraume Zeit für den syrischen Staat zu arbeiten. Das Leben in Deutschland verlief in anderen Bahnen, als in seiner Heimat. Darum konnte er sich nie vorstellen, dass eine deutsche Frau an seiner Seite in Syrien glücklich werden könnte. Und jetzt lag er neben Petra und musste seine Gefühle ordnen.

    Am Donnerstagnachmittag hatten es beide eilig gehabt, das Uniklinikum zu verlassen. Petra hatte Karim überholt, als es ihr plötzlich einfiel, dass sie doch noch etwas vergessen zu haben glaubte. Sie stockte in der Bewegung, drehte sich um und Karim hatte Petra in seinen Armen.

    Es war ein Moment, der für die Ewigkeit geschaffen war. Karim hatte das Bedürfnis, diese Frau nicht mehr loslassen zu wollen. Plötzlich hatte sie es auch nicht mehr eilig. Zusammen verbrachten sie den Rest des Tages mit Gesprächen und lachten viel. Karim brachte Petra zu ihrem Wohnblock. Nachdem sie sich für Samstagabend verabredet hatten, küssten sie sich.

    Am Freitag schwebte Karim wie auf Wolken bis zu dem Moment, als er ins Sekretariat gerufen wurde. Es wurde ihm ein Telegramm ausgehändigt.

    Sein Bruder teilte ihm darin mit, dass der Vater schwer erkrankt sei und dass sein

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