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Bianca Arztroman Band 62: Dir gehört mein Herz / Dr. Rainfords große Liebe / Ein Rivale für Dr. Brooke /
Bianca Arztroman Band 62: Dir gehört mein Herz / Dr. Rainfords große Liebe / Ein Rivale für Dr. Brooke /
Bianca Arztroman Band 62: Dir gehört mein Herz / Dr. Rainfords große Liebe / Ein Rivale für Dr. Brooke /
eBook488 Seiten6 Stunden

Bianca Arztroman Band 62: Dir gehört mein Herz / Dr. Rainfords große Liebe / Ein Rivale für Dr. Brooke /

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Über dieses E-Book

Dir gehört mein Herz von Roberts, Alison
Schwester Jessica lebt nur für ihren kleinen Sohn Ricky - sie hat keine Augen für ihren verliebten Kollegen Joe. Erst als der Rettungssanitäter sein Leben riskiert, um ihren Jungen aus den Trümmern eines eingestürzten Gebäudes zu befreien, merkt sie, wie viel auch er ihr bedeutet... Zu spät?

Dr. Rainfords große Liebe von McArthur, Fiona
Im Gladstone Hospital begegnet die Hebamme Bella ihrer Jugendliebe Dr. Scott Rainford. Als sie zusammen mit dem gut aussehenden Arzt auf der Entbindungsstation arbeitet, fühlt sie sich sofort wieder zu ihm hingezogen. Bekommt ihre Liebe womöglich eine zweite Chance?

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SpracheDeutsch
HerausgeberCORA Verlag
Erscheinungsdatum1. Juni 2011
ISBN9783864944338
Bianca Arztroman Band 62: Dir gehört mein Herz / Dr. Rainfords große Liebe / Ein Rivale für Dr. Brooke /
Autor

Alison Roberts

Alison wurde in Dunedin, Neuseeland, geboren. Doch die Schule besuchte sie in London, weil ihr Vater, ein Arzt, aus beruflichen Gründen nach England ging. Später zogen sie nach Washington. Nach längerer Zeit im Ausland kehrte die Familie zurück nach Dunedin, wo Alison dann zur Grundschullehrerin ausgebildet wurde. Sie fand eine Stelle als Lehrerin im Norden des Landes, wo sie ihren Traummann kennenlernte, der einen Wirbelsturm aus romantischen Gefühlen in ihr auslöste. Der Sturm gipfelte in der Hochzeit mit dem jungen Doktor und jetzigen Professor Mark. Es folgten zwei Jahre in Glasgow, Schottland. In dieser Zeit vollendete sie ihren ersten Roman – einen Medizinthriller mit einer ordentlichen Portion Romantik. Mit der Rückkehr nach Neuseeland begann ein neues turbulentes Kapitel in ihrem Leben, in dem sich alles darum drehte, sich um ihre kleine Tochter zu kümmern, ein altes Farmhaus zu renovieren, einen großzügigen Garten zu gestalten und ihre kleine Menagerie – Esel, Schafe, Hühner, Hunde und Katzen – zu versorgen. Neben ihrem Zuhause, der Familie und dem Schreiben engagiert sich Alison leidenschaftlich beim Rettungsdienst. Bei dieser Arbeit erhält sie viele Anregungen für ihre Arztromane. Die aufregenden Stunden im Einsatz und die Rettung von Patienten bilden den perfekten Ausgleich für die einsamen Stunden des Schreibens.

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    Buchvorschau

    Bianca Arztroman Band 62 - Alison Roberts

    Alison Roberts, Fiona McArthur, Maggie Kingsley

    Bianca Arztroman Band 62

    IMPRESSUM

    Bianca Arztroman Band 62 erscheint in der Harlequin Enterprises GmbH

    Veröffentlicht im ePub Format im 08/2012 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

    eBook-Produktion: readbox, Dortmund

    ISBN 978-3-86494-433-8

    Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.

    CORA Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

    Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:

    ROMANA, BIANCA, BACCARA, TIFFANY, MYSTERY, MYLADY, HISTORICAL

    www.cora.de

    Alison Roberts

    Dir gehört mein Herz

    1. KAPITEL

    „Das ist doch wohl nicht Ihr Ernst!"

    „Sie können mich nicht daran hindern. Das lasse ich nicht zu." Jessica McPhail richtete sich zu ihrer vollen Größe von einem Meter fünfundsechzig auf. Die Absätze ihrer schweren Stiefel und der Sicherheitshelm verliehen ihr noch einige Zentimeter zusätzlich. Böse sah sie den Mann vor ihr an.

    „Da passen Sie mal auf, Lady, gab der Polizist, der zu dem Sondereinsatzkommando gehörte, ungerührt zurück. „Sie sind wohl kaum in der Lage, etwas dagegen zu unternehmen.

    Jessica spürte den eisernen Griff, mit dem er sie am Oberarm gepackt hielt. Sie versuchte sich zu befreien, woraufhin sich der Druck seiner Finger so verstärkte, dass es schmerzte.

    „Sie gehen jetzt, befahl der Mann, „sonst lasse ich Sie verhaften.

    „Das werden Sie nicht tun."

    Die tiefe Stimme, die unerwartet hinter Jessica ertönte, löste in ihr eine ganze Reihe von Emotionen aus – Dankbarkeit, Erleichterung, sogar Hoffnung. Joe Barrington war hier, und mit ihm auf ihrer Seite hatte sie eine viel größere Chance, diesen Streit zu gewinnen.

    „Wenn Sie Jessica verhaften, müssen Sie auch mich verhaften. Dann haben Sie ein Rettungsteam ohne medizinisches Personal."

    Der Polizist sah ihn ungeduldig an. „Wir verschwenden unsere Zeit. Wo ist Ihr Einsatzleiter?"

    „Hier. Tony Calder, der Rettungsspezialist, war bereits herbeigekommen. „Was ist los?

    „Ihre Kollegin hier geht nicht zurück an den Einsatzort. Ich will, dass sie sich vom Schauplatz entfernt."

    Tony warf erst Jessica und dann dem hoch gewachsenen Sanitäter neben ihr einen erstaunten Blick zu. Mit einem Kopfschütteln zeigte Joe ihm, dass auch er noch nicht wusste, worum es ging.

    „Was ist das Problem?" fragte Tony daher.

    „Sieht so aus, als ob ihr Kind irgendwo da drin wäre."

    Ein kurzes Schweigen entstand. Seit mehr als zwölf Stunden arbeiteten sie jetzt hier am Ort des größten Unglücks, das jemals in Neuseeland geschehen war. Die Explosion und der Einsturz des größten Teils eines Einkaufszentrums hatte schon mindestens sechsundzwanzig Todesopfer gefordert, davon acht Kinder, dazu Dutzende von Verletzten. Bis zu dreißig Personen wurden noch vermisst, und darunter ein fünfjähriger Junge.

    „Stimmt das, Jessica?"

    Sie nickte knapp. „Ich kann das, Tony. Ich muss."

    Tony schüttelte den Kopf. „Kommt nicht infrage. Ich verstehe, wie du dich fühlst, Jessica, und es tut mir schrecklich Leid, aber du kannst auf gar keinen Fall wieder zurück an die Einsatzfront. Diese Arbeit ist schon gefährlich genug, ohne dass man persönlich beteiligt ist."

    „Aber ich habe es doch schon getan. Nur weil ihr es jetzt herausgefunden habt, macht das doch keinen Unterschied."

    „Was? Tony blieb der Mund offen stehen. „Hast du die ganze Zeit davon gewusst?

    „Anscheinend war ihre Mutter das letzte Todesopfer, das wir bei unserer ersten Schicht gefunden haben", sagte Joe ruhig, da Jessica die Antwort schuldig blieb.

    „Du hast es gewusst? fuhr Tony ihn an. „Du bist Sanitäter, Joe. Du weißt genauso gut wie ich, dass so etwas das rationale Verhalten eines Menschen beeinflussen kann. Das könnte das gesamte Team in Gefahr bringen. Du bist der Chef des medizinischen Personals in unserer Einheit. Es lag in deiner Verantwortung, Jessica aus dem Team zu nehmen.

    „Da wusste ich es ja noch nicht. Sie hat es mir nicht gesagt. Und ganz sicher habe ich nicht gewusst, dass ihre Mutter das Kind bei sich hatte." Joe war gekränkt. Auch wenn Jessica und er zuvor lediglich Kurskameraden gewesen waren, so hatten sie in den vergangenen zwölf Stunden doch unter Bedingungen zusammengearbeitet, die Kooperation und Vertrauen voraussetzten.

    „Ich habe es niemandem gesagt. Jessica bemühte sich, die Erinnerung daran beiseite zu schieben, als der leblose Körper ihrer Mutter unter dem Schutt hervorgezogen worden war. Der Schock hatte genügt, um sie zu betäuben. Trauer konnte sie sich jetzt aber nicht leisten, denn sie musste sich darauf konzentrieren, ihren Sohn zu finden, und zwar lebend. „Ich wusste, was ihr sagen würdet, verteidigte sie sich. „Und ich wollte mich von niemandem davon abhalten lassen, wieder da reinzugehen."

    „Wir haben die Verwandtschaft gerade erst festgestellt. Der weiße Helm des Polizisten zeigte eine höhere Position an. „Der Aufruf, die nächsten Verwandten zu benachrichtigen, führte das Polizeiteam zum USAR-Notfallrettungskurs. Wir haben Jessica ausfindig gemacht, in der Annahme, dass sie nichts davon wusste. Und dann hat sich herausgestellt, dass sie sehr wohl Bescheid wusste. Und sie hat wieder da drin gearbeitet. Ungläubig starrte der Mann sie an. „Sie haben geholfen, Ihre eigene Mutter zu bergen, und sind trotzdem wieder reingegangen."

    „Mein Sohn ist noch da drin. Er ist fünf Jahre alt, und … er lebt vielleicht noch."

    Diesmal dauerte das Schweigen länger. Jessica merkte, wie die Männer um sie herum die geringe Wahrscheinlichkeit berechneten, dass dies der Fall sein könnte. Sie sah Joe an.

    Ob er mich jetzt weniger schätzt, weil ich diese schreckliche Information für mich behalten habe? fragte sie sich. Hat er erraten, dass ich in der Pause nach unserem ersten Einsatz im leeren Bus des Rettungsteams gesessen und versucht habe, meine Trauer und meine Angst in den Griff zu bekommen? Jessica hielt Joes Blick fest, damit er ihre Stärke sah, eine Stärke, gepaart mit äußerster Entschlossenheit und mehr Mut, als sie jemals zuvor hatte aufbringen müssen.

    Joe konnte nicht wegschauen. Das lag nicht daran, dass die körperliche Anziehung, die er Jessica gegenüber schon häufiger gespürt hatte, sich wieder regte. Im Augenblick trug sie einen formlosen, schmutzigen Overall, und die dichten, kastanienbraunen Locken waren unter dem orangefarbenen Helm verborgen. Eine Staubmaske hing unter ihrem verschmierten Gesicht, und die Sicherheitsbrille hatte einen roten Rand um ihre Augen hinterlassen. Das, was Joe bis ins tiefste Innere traf, hatte nicht das Geringste mit körperlicher Anziehung zu tun. In Jessicas dunklen Augen lag ein Ausdruck, der ihn auf einer wesentlich tieferen Ebene berührte. Das Interesse an ihr hatte er recht schnell verloren gehabt, sobald er erfahren hatte, dass sie eine allein erziehende Mutter war. Aber niemand konnte sich diesem flehentlichen Appell entziehen, der ihrer verzweifelten Entschlossenheit zu Grunde lag, ihr Kind zu finden und zu beschützen. Jessica würde sich nicht unterkriegen lassen.

    Falls Joe jemanden gebraucht hätte, der an seiner Seite kämpfte, hätte er sich jemanden mit genau dieser Haltung gewünscht. Joe sah eine Stärke in ihr, die er dieser schüchternen, stillen Krankenschwester gar nicht zugetraut hätte. Schließlich wandte er den Blick ab, um den Zivilschutzbeamten anzusehen. Bei seiner Größe von einem Meter neunzig konnte er problemlos auf den Mann hinunterschauen.

    „Jessica hat längst bewiesen, dass sie in der Lage ist, ihre Arbeit fortzusetzen. Wir haben uns gerade gemeinsam um ein Multitrauma-Opfer gekümmert, das aus unserem Sektor geborgen wurde. Die Frau hatte innere Blutungen und eine durchbohrte Lunge mit einem Pneumothorax, was eine qualifizierte medizinische Intervention erforderte. Ich kann dafür bürgen, dass Jessicas klinische Fähigkeiten nicht beeinträchtigt waren. Tatsächlich hätte ich ohne ihre Hilfe meinen Job nicht machen können."

    Jessica senkte den Blick. Das unerwartete Lob lenkte sie vorübergehend von ihrem Ziel ab. War ihre Unterstützung für Joe wirklich so wichtig gewesen?

    „Wir haben ohnehin zu wenig medizinisches Personal hier, fuhr er fort. „Ich denke, wir sollten es ihr gestatten, wieder mit reinzukommen.

    „Auf gar keinen Fall", lehnte der Mann mit dem weißen Helm entschieden ab.

    Tony Calder blickte ebenfalls zweifelnd drein. „Es ist zu riskant, Joe."

    „Ich übernehme die Verantwortung für das Risiko, erklärte Joe. „Wie du schon sagtest, Tony, ich bin der medizinische Chef in unserem Team. Jessica schafft das. Und falls irgendjemand gefährdet werden sollte, ziehe ich sofort die Notbremse. Lass sie wenigstens diese Schicht noch zu Ende machen! Das gibt uns die Zeit, einen Ersatz für sie zu finden. Danach kann Jessica aufhören. Dann brauchen wir sowieso alle eine Pause.

    Das folgende Schweigen war angespannt. Hier wurde kostbare Zeit verschwendet.

    „Bitte!" sagte Jessica leise und eindringlich. „Bitte, lass mich das tun … Tony?"

    „Wir können nicht einfach die anderen Einsatzkräfte ignorieren, die hier mit beteiligt sind. Geoff? Tony wandte sich an den Polizeibeamten: „Wir haben schon häufiger zusammengearbeitet. Können wir diese Sache unter uns klären, oder müssen wir uns an die Kommandozentrale wenden?

    „Das möchte ich nicht. Die haben mehr als genug zu tun. Müde schüttelte Geoff den Kopf. „Und ich auch. Ich überlasse dir die Entscheidung, Tony. Ich denke, ich kenne dich gut genug, um deinem Urteil zu vertrauen.

    Tony suchte Joes Blick, und die beiden Männer entfernten sich außer Hörweite von der kleinen Gruppe. Sie mussten nicht weit gehen, denn der Lärmpegel war unglaublich hoch. Ein riesiger Container in der Nähe des Haupteingangs wurde von einem Schaufelbagger mit Schutt gefüllt. Das Geräusch der Betonschneider und Presslufthämmer verschmolz mit dem dumpfen Lärm von anderem schweren Gerät. Ein paar Meter weiter wurde eine Kettensäge getestet.

    Tony musste die Stimme erheben, um den aufheulenden Motor zu übertönen. „Joe, bist du dir sicher, dass du dich mit dieser zusätzlichen Verantwortung belasten willst? Glaubst du wirklich, dass sie es schafft?"

    Da die Kettensäge gerade still war, brauchte Joe nicht zu schreien. „Sie ist absolut kompetent, Tony. Sie ist eine verdammt gute Krankenschwester, und ich würde jederzeit in einer Notfallsituation mit ihr zusammenarbeiten."

    „Ihre klinischen Fähigkeiten stelle ich ja gar nicht infrage. Ich war von Kursbeginn an von ihren Leistungen beeindruckt, und das hat sich bestätigt, seit wir zu diesem Einsatz gerufen wurden. Aber ich weiß nicht, wie gut sie damit fertig wird, wenn sie nach ihrem eigenen Sohn sucht." Tony sprach schnell, da die Zeit drängte.

    „Aber genau das hat sie doch seit Beginn dieser Schicht schon getan. Und es hat sie nicht daran gehindert, ein Opfer zu behandeln, auch wenn es nicht ihr Sohn war."

    „Aber was ist, wenn sie ihn selbst findet? Bereits tot?"

    „Dann wird sie vermutlich einen Zusammenbruch erleiden", gab Joe zu. „Wir bringen sie raus, und ich mache allein weiter. Aber falls er nicht tot ist, wäre es vielleicht gut, Jessica dabeizuhaben. Sie kann am besten mit ihm umgehen."

    „Was weißt du über den Jungen?"

    Achselzuckend erwiderte Joe: „Ich glaube, Jessica spricht nicht viel über ihn." Und Joe hatte sich keine Mühe gegeben, weiter nachzufragen. Die Existenz eines Kindes war ohnehin eine Enttäuschung für ihn gewesen. Es hatte ihn davon abgehalten, sich auf eine Affäre mit ihr einzulassen.

    „Er ist nicht ganz normal, oder?"

    „Ich glaube, er ist auf irgendeine Weise behindert", bestätigte Joe.

    „Körperlich?"

    „Es scheint eher eine intellektuelle oder eine Verhaltensstörung zu sein."

    „Das Kind könnte da drin also eine Zeitbombe sein. Tony seufzte. „Wenn er lebt und sich bewegen kann, könnte er sich und andere gefährden.

    „Mit Sicherheit mehr, als es bei Jessica der Fall wäre."

    „Meinst du, du kannst damit umgehen?" Tony wollte eine Entscheidung.

    Joe schmunzelte. „Mit Jessica oder dem Kind?"

    „Mit beiden, falls nötig."

    Joes Schmunzeln schwand, als er an das verzweifelte Flehen in Jessicas Augen dachte. Ein Flehen, durch das sich jeder Mann verpflichtet gefühlt hätte, ihr alle erdenkliche Unterstützung zukommen zu lassen. Er nickte. Seine Miene war ernst.

    „Ich kann damit umgehen, Tony. Und ich möchte es auch."

    Tonys Nicken war knapp. „Dann lass uns weitermachen und sehen, was wir noch tun können!"

    Jessica ging hinter Joe her.

    „Wir sind jetzt woanders zugeteilt worden, hatte Tony ihnen erklärt. „Ein Teil von Sektor 5 ist inzwischen freigeräumt worden, so dass es einen Zugang zu einem vorher verschütteten Gebäudeteil gibt. Die Ingenieure haben ihn gerade als sicher eingestuft.

    Jessica folgte ihrem Team und versuchte, sich dabei den Lageplan ins Gedächtnis zurückzurufen, der ihnen bei der anfänglichen Einsatzbesprechung gezeigt worden war.

    „Kannst du dich noch an den Plan erinnern, June? Jessica wandte sich an eine ältere Kollegin, die neben ihr ging. „Wo genau ist Sektor 5?

    „Ich glaube, entweder an der Sutherland oder an der Desmond Street", antwortete June.

    Jessica nickte düster. Auf jeden Fall war dieser Eingang weit weg von der Stelle, wo man ihre Mutter gefunden hatte. Dennoch war es ihr sehr viel lieber, an der Unglücksstelle zu sein, anstatt von der Suche ausgeschlossen zu werden. Einfach nur herumzusitzen und zu warten wäre für sie unerträglich gewesen.

    „Bist du dir sicher, dass du mit dabei sein willst?"

    Jessica nickte stumm.

    „Mir würde es genauso gehen." June tätschelte mitfühlend Jessicas Schulter und lächelte ihr aufmunternd zu. Mit Mitte fünfzig war June, die seit über dreißig Jahren für das Rote Kreuz arbeitete, die älteste Teilnehmerin an dem Kurs für Notfalleinsätze gewesen. Sie hatte vier Kinder großgezogen und war inzwischen sogar Großmutter. Sie konnte Jessica verstehen.

    Das Team ging rasch an einem Parkplatz vorbei, von dem alle Privatfahrzeuge geräumt worden waren, damit er als Operationsbasis für alle Einsatzkräfte dienen konnte, die mobilisiert worden waren. Für eine neuseeländische Stadt war dies ein nie zuvor da gewesenes Geschehen, und obwohl der grelle Schein der starken Stromgeneratoren nun wieder durch helles Tageslicht abgelöst worden war, wirkte der Unglücksort noch immer so unwirklich wie eine Filmkulisse.

    Jessica hatte jedes Zeitgefühl verloren. Die massive Explosion hatte offenbar in dem großen Supermarkt des Einkaufszentrums kurz nach halb vier am Freitagnachmittag stattgefunden – gerade als Jessica und die übrigen Teilnehmer ihres Kurses das dreiwöchige Training beendet und die Ergebnisse ihrer Abschlussprüfung über ihre neu erworbenen Kenntnisse in einem Such- und Rettungstrupp bekommen hatten. Sie hatten alle angenommen, der Ruf, sich an der Rettungsaktion zu beteiligen, sei lediglich eine letzte praktische Übung.

    Freitagnachmittag war ein Zeitpunkt, an dem sich zahlreiche Kunden in dem beliebten Einkaufszentrum befanden, um ihre Wochenendeinkäufe zu erledigen. Hunderte von Menschen waren von der Explosion überrascht worden, von der vermutet wurde, dass sie durch eine undichte Gasleitung ausgelöst worden war. Das Unglück zog selbst internationale Aufmerksamkeit auf sich, wie man an den Fernsehteams sehen konnte, die über die Katastrophe berichteten.

    Die Rettungskräfte, die in dem eingestürzten Gebäude gearbeitet hatten, waren leicht zu erkennen. Sie waren alle staubbedeckt, trugen verschmierte Sichtbrillen und Atemmasken und besaßen alle denselben Gesichtsausdruck der Entschlossenheit, trotz ihrer Erschöpfung weiterzumachen.

    Jessica sah, wie die Hundeführer ihre hoch qualifizierten Suchhunde für den Einsatz vorbereiteten. Die Wahrscheinlichkeit, noch weitere Überlebende zu finden, sank ständig, doch es war nicht unmöglich. An diesem Gedanken hielt Jessica sich eisern fest, als ihr Team vor einem Seiteneingang stehen blieb. Das Bedürfnis danach, einfach in das Gebäude hineinzustürzen und nach ihrem Sohn zu rufen, musste sie ebenso unterdrücken wie die Trauer um ihre Mutter.

    Ich kann das, dachte sie. Es mochte sie zwar ihre gesamte Willenskraft kosten, doch Jessica wusste, dass sie es schaffen würde. Allein das war schon eine Offenbarung. Wie war es möglich, dass sie eine solche innere Stärke besaß und in den dreißig Jahren ihres Lebens bisher nichts davon gewusst hatte? Ihr hatte es immer an Selbstvertrauen und Selbstachtung gemangelt. Sie war immer schnell bereit, sich selbst klein zu machen, ehe andere es tun konnten.

    Sie blickte sich um, während sie die Anweisungen befolgte, die Staubmaske und die Sichtbrille aufzusetzen, ihr Funkgerät zu überprüfen und die Lampe an ihrem Helm einzuschalten. Jessica hatte ein hervorragendes Team mit einem erfahrenen Einsatzleiter um sich. Die beiden Feuerwehrmänner Bryan und Gerry gehörten ebenfalls zu der sechsköpfigen Rettungseinheit USAR 3.

    „Alle bereit? Nach einem prüfenden Blick über sein Team nickte Tony. „Gut, gehen wir!

    Die Sicherheitsschranke wurde gehoben, um sie durchzulassen. Dies schien ein von der Explosion relativ unberührter Teil des Einkaufszentrums zu sein. Abgesehen von zersplitterten Schaufenstern und zerstörten Auslagen wirkte die Gebäudestruktur normal. Die Teammitglieder drehten die Köpfe hin und her, um mit dem Strahl der Kopflampe die Umgebung abzuleuchten. Sie versuchten, verborgene Gefahren einzuschätzen, so viele Informationen wie möglich aufzunehmen und sich zu orientieren.

    Glasscherben knirschten unter ihren Stiefeln, als sie an mehreren kleineren Geschäften vorbeigingen, ehe sie ein offenes Restaurant betraten. Der Geruch nach gekochtem Essen bildete eine willkommene Abwechslung zu dem unangenehmen Staubgeruch. Aber der menschenleere Raum, die umgestürzten Stühle und halb aufgegessenen Gerichte auf den Tischen verliehen der Szene eine unheimliche Atmosphäre.

    In einem Halter auf einer Theke steckten Eiswaffeln, deren Inhalt längst geschmolzen war. Jessica schluckte einen schmerzhaften Kloß in ihrem Hals hinunter. Wie oft hatte sie schon ein Eis aus einem solchen Halter genommen und es Ricky in die begierig ausgestreckten Hände gegeben?

    Das Restaurant lag längst hinter ihnen, als es ihr endlich gelang, ihre Gedanken wieder unter Kontrolle zu bringen.

    Warum sind die beiden schon so früh hergekommen? Jessica hatte sich zwar mit ihrer Mutter und Ricky hier verabredet, aber erst für fünf Uhr, nach dem Ende ihres Kurstages. Als sie alle zum Katastrophenort gerufen wurden, war Jessica eher besorgt gewesen, dass ihre Mutter sich wesentlich länger um Ricky kümmern musste als ursprünglich vereinbart.

    Selbst als sie telefonisch niemanden im Motel erreicht hatte, hatte Jessica sich keine unnötigen Sorgen gemacht. Sobald das Team den Einsatzort erreicht hatte, war keine Zeit mehr für persönliche Dinge gewesen. Es war der erste offizielle Einsatz für das Team, und Jessica war selbst erstaunt darüber, wie gut sie mit der Situation fertig wurde. Sie war an der Bergung und Behandlung der beiden Überlebenden beteiligt gewesen, die ihr Team gefunden hatte. Selbst die Bergung der Leichen aus dem Tunnel, der zu der Tiefgarage führte, hatte sie bewältigt. So lange, bis sie eines der Opfer erkannt hatte.

    Ihre eigene Mutter.

    Die Frau, die sie ohne jede Hilfe aufgezogen hatte, die Jessica als Mittelpunkt ihres Lebens betrachtet und für sie gesorgt und sie beschützt hatte. Und die für ihre Tochter da gewesen war, als auch diese schwanger und verlassen wurde.

    Der Schock des Wiedererkennens hatte Jessica den Boden unter den Füßen weggezogen. In diesem Moment wäre sie beinahe ohnmächtig geworden. Dennoch war es ihr mit größter Mühe gelungen, ihren Schock zu überwinden und sich aufrecht zu halten, als andere ihre Mutter fortgebracht hatten. Die Sorge um ihren Sohn hatte sie an der Frontlinie ausharren lassen, bis der Bereich offiziell als geräumt erklärt wurde. Beim Zusammenbruch dieses Gebäudeteils hatte es keine weiteren Opfer gegeben.

    Wo also war Ricky?

    Für ihn gab es nichts Schöneres, als sich Autos anzuschauen. Aber warum hatten sie sich nicht auf einem Parkplatz draußen aufgehalten? Und was war während des Einsturzes passiert? War Ricky schnell genug gewesen, um fortzulaufen, als die Decke des Tunnels nachgegeben hatte?

    „Jessica? Bist du okay?"

    „Klar." Dankbar für die Unterbrechung ihrer Gedankengänge, lächelte sie Joe flüchtig zu.

    „Pass auf, wenn wir anfangen zu klettern! Achte darauf, dass du immer drei Kontaktpunkte mit dem Schutt hast!"

    Jessica nickte. Fast hätte sie sich von ihren Gefühlen überwältigen lassen. Sie hatte nicht einmal bemerkt, dass ihr Team im Begriff war, einen Schuttberg zu durchsuchen, der den Weg vor ihnen blockierte.

    „Stellt euch im Abstand von jeweils einem Meter auf! befahl Tony. „Hoffentlich kommen wir hier schnell durch, aber wir machen eine Rufsuche beim Durchkämmen des Gebietes.

    Die schweren Maschinen in der Nähe waren ausgestellt. Jessica trat probeweise auf ein Stück Holz, das vor ihr aus dem Durcheinander ragte, und nutzte es dann als Tritt, um sich so dicht wie möglich an den Schuttberg zu lehnen. Sie lauschte aufmerksam, während die anderen in der Reihe mit ihren Rufen begannen.

    „Hier ist das Rettungsteam. Können Sie uns hören?"

    Die Stille wurde vom Geräusch eines Presslufthammers unterbrochen, gefolgt von Schreien, die den Lärm unterbinden sollten. Bryan musste seinen Ruf wiederholen und dann noch einmal auf eine mögliche Antwort warten.

    „Nichts gehört", berichtete er.

    June war die Nächste. „Hier ist das Rettungsteam. Können Sie mich hören?"

    Erneute Stille. „Nichts gehört."

    Bei Jessica war es dasselbe, und danach bewegte sich das Team wieder weiter vorwärts. Joe rutschte ab, als er weiter nach oben wollte, und ein Metallstück fiel herab.

    „Alles okay bei dir?"

    „Ja. Joe hatte rasch das Gleichgewicht wiedergefunden. „Und bei dir?

    Jessica nickte. Die Rufkette hatte erneut begonnen.

    „Hier ist das Rettungsteam. Können Sie mich hören?"

    Als Jessica weiter emporkletterte, verfing sich ihr Handschuh in einem Stück Stoff.

    „O Gott!" murmelte sie.

    Joe wandte sich ihr zu. „Zieh dran!" riet er.

    Jessica zog, und der leere Ärmel eines Kleidungsstückes erschien in einer Staubwolke.

    Joe nickte. „Hier drin befindet sich der Teil eines Bekleidungsgeschäftes. Da sind überall Stofffetzen."

    Bei der nächsten Vorwärtsbewegung überquerten sie die Spitze des relativ kleinen Schuttberges. Sobald sie ihre Rufkette erfolglos beendet hatten, meldete Tony dies über sein Funkgerät, woraufhin die schweren Maschinen ihre Arbeit wieder aufnahmen. Die folgende Mannschaft würde nun den Schutt eimerweise beiseite räumen, bis man absolut sicher sein konnte, dass keine Opfer darunter verschüttet lagen. Danach würde vermutlich ein Bagger kommen, um den nächsten Bereich freizumachen.

    Das Team musste warten, während Tony sich mit den Ingenieuren und Sicherheitsbeamten besprach, die den Bereich hinter dem Schuttberg erkundet hatten. Sie hatten nach Anzeichen für mögliche weitere Risse in der Decke gesucht und die Luft auf ihren Gasgehalt untersucht. Beides hätte es zu gefährlich für das USAR-Team gemacht, weiter vorzudringen.

    Jessica blickte sich um, wobei sie ihre Kopflampe benutzte, um selbst eine Einschätzung der Einsturzmuster in der näheren Umgebung vorzunehmen. Die Innenwände eines Geschäftes waren umgefallen, doch die Decke hielt noch. Man konnte die Risse in dem Beton sehen, auf dem sicherlich das Gewicht eines Geschäftes im zweiten Stockwerk lastete. Von unten gab es nicht mehr viel Halt.

    Deshalb wurden Holzbalken aufgerichtet, um die Decke abzustützen. Jessica schaute zu und bemühte sich, ihre Gedanken nicht abschweifen zu lassen. Doch das war schwierig. Sie war völlig erschöpft und ertappte sich bei dem Wunsch, dass ihre Schicht hoffentlich bald zu Ende sei. Es war nicht leicht abzuschätzen, wie lange sie bereits hier drinnen waren – vielleicht drei Stunden?

    Sobald die Bauarbeiter den Gebäuderahmen abgesichert hatten, wurden große Stücke an Schutt aus dem Raum entfernt, bei dem es sich offenbar um einen Laden mit Partyzubehör handelte. Alle erschraken ein wenig, als plötzlich mehrere bunte Heliumballons aufstiegen. Aber die Ballons waren schnell vergessen, als sie ein Loch fanden.

    „Hier ist das Rettungsteam. Können Sie mich hören?" Tony steckte den Kopf durch die Öffnung.

    Das Schweigen schien länger zu dauern als die üblichen fünfzehn bis zwanzig Sekunden. Jessica sah, wie Tony seine Position veränderte und den Arm in die Öffnung streckte. Sein Kopf und seine Schultern verschwanden. Die Spannung stieg, und Jessicas Erschöpfung war auf einmal wie weggeblasen. Hatte Tony jemanden gefunden? Einen Erwachsenen … oder ein Kind?

    Tony kam wieder aus dem Loch zum Vorschein. Er winkte die Soldaten herbei, die nicht weit entfernt standen. Auch das Team von USAR 3 trat näher heran.

    „Da drin ist jemand, und ich glaube, die Person lebt. Ich kann nur den Kopf und einen Arm erreichen. Wir müssen das Zeug wegräumen, damit unsere beiden Sanitäter einen Zugang bekommen."

    Alle arbeiteten schnell, motiviert davon, dass sie möglicherweise einen Überlebenden gefunden hatten. Drahtkörbe wurden mit kleinen Steinen und Schutt gefüllt und über die von der Armee gebildete Menschenkette hinausbefördert. Das Team vom Zivilschutz übernahm die größeren Trümmer, die ohne maschinelle Hilfe beseitigt werden konnten. Die Betonplatte, die das Dach über der Öffnung bildete, wurde mit hydraulischem Gerät in Stücke geschnitten. Nicht alles konnte entfernt werden, ohne das Opfer darunter zu gefährden, aber sie versuchten, genügend Raum für die Bergung zu schaffen. Der Krach war ohrenbetäubend, und der Platz wurde ständig knapper, weil immer mehr Einsatzkräfte sowie weitere Ausrüstung eintrafen.

    Jessica und Joe standen neben einem Bergungskorb, der mit medizinischer Ausrüstung beladen war. Der stabile Korb mit der Plastikliege fasste eine Menge Material, wofür die beiden dankbar waren, sobald sie nahe genug an ihren Patienten herankamen. Um diese Aufgabe erfolgreich zu bewältigen, mussten sie all ihre Fähigkeiten und alles medizinische Gerät einsetzen, das ihnen zur Verfügung stand.

    Das Opfer war ein Mann Anfang vierzig, der in tiefer Bewusstlosigkeit lag.

    „Halt seine Atemwege frei, Jessica, und gib ihm hoch konzentrierten Sauerstoff. Fünfzehn Liter mit der Maske!"

    Der Schutt, unter dem die Beine des Patienten vergraben waren, wurde fortgeräumt, während die beiden Sanitäter mit ihrer Arbeit begannen. Joe überprüfte Brust und Unterleib, und Jessica schob dem Mann einen harten Tubus in den Mund, um seine Atemwege freizuhalten. Sie legte ihm eine Sauerstoffmaske an und befestigte sie an einem tragbaren Sauerstoffzylinder, ehe sie das Ventil öffnete.

    „June, könntest du mir bitte eine Halsmanschette aus dem Korb holen?"

    „Und auch die Rolle mit den IV-Utensilien, ergänzte Joe. Er schaute zu Jessica auf. „Keinerlei schweres Trauma hier zu erkennen. Er ist erstaunlich gut geschützt gewesen. Aber er ist noch immer platt wie ein Pfannkuchen. Der Puls ist kaum zu tasten. Wie siehts mit der Karotis aus?

    „Schnell und schwach." Jessica nahm die Halsmanschette von June entgegen.

    „Ich lege hier einen IV-Zugang. Kannst du einen auf der anderen Seite machen?"

    „Natürlich." Jessica befestigte die Halsmanschette mittels Klettverschlüssen, ehe sie nach den IV-Utensilien griff – Schlauchbinde, Alkoholtupfer, Kanüle und Verbindungsstecker.

    Die Klarheit, mit der ihr Verstand unter diesen Bedingungen funktionierte, war erstaunlich. Die Art und Weise, wie sie auf eine kritische Situation reagierte, war immer dieselbe, ob es sich dabei um einen Herzstillstand bei einem ihrer Patienten zu Hause handelte, um einen Verkehrsunfall oder wie hier in einem winzigen Loch innerhalb eines eingestürzten Einkaufszentrums. Es war, als ob während eines Notfalls eine andere Person an ihre Stelle trete.

    Die Venen des Mannes waren vollkommen flach, weil er sich in einem Schockzustand befand. Selbst die normalerweise leicht zu treffende Vene im Ellenbogen musste sie blind finden, und erleichtert sah Jessica das Aufleuchten in der Kanülenkammer, die anzeigte, dass der Einstich erfolgreich verlaufen war. Sie nahm einen Beutel mit Salzlösung und wollte mit der Infusion beginnen, doch Joe schüttelte den Kopf.

    „Warte noch! Wir legen ihn zuerst in den Korb, damit wir schneller arbeiten können."

    Mit Mühe gelang es ihnen, dem Patienten ein Brett unter den Rücken zu schieben. Dann zogen sie ihn mit Hilfe des gesamten Teams aus dem Loch.

    „Stopp!" rief Joe. „Sein Fuß ist eingeklemmt."

    Er versuchte, das Hindernis zu beseitigen, und beugte sich vor, um besser mit seiner Kopflampe zu sehen. Dann fluchte er vernehmlich.

    „Der Fuß steckt fest, erklärte er grimmig. „Er ist von der Kante der Betonplatte zerquetscht. Am Knöchel ist er halb abgetrennt, und der Mann blutet jetzt wieder wie verrückt.

    Sofort riss Jessica ein großes Verbandspäckchen auf und kroch näher. Sie drückte den Verbandsstoff auf die Wunde und presste sie fest zu. „Daher kommt also der starke Blutverlust. Anscheinend hat die Blutung irgendwann von selbst aufgehört, sonst wäre der Mann schon tot."

    „Bei dem Versuch, ihn rauszuziehen, haben wir die Wunde wieder geöffnet. Joe stocherte in den Trümmerstücken herum, unter denen der Fuß eingeklemmt war. Dann winkte er Tony herbei. „Das Zeug kriegen wir keinesfalls mit bloßen Händen weg. Wir brauchen den Betonschneider. Wer weiß, was noch alles oben auf dieser Platte drauf ist. Ich will nicht, dass irgendwas davon auf unseren Patienten fällt. Sein Zustand ist so schon schlimm genug.

    Tonys Miene war ebenso grimmig wie die von Joe. „Das wird weder leicht noch schnell gehen."

    „Es muss aber schnell gehen. Ihm bleibt nicht mehr viel Zeit, wenn wir ihn nicht bald irgendwohin bringen, wo es bessere Wiederbelebungsmaßnahmen gibt."

    Jessica überwachte die Atmung des Patienten, und was sie da sah, gefiel ihr ganz und gar nicht. „Seine Atmung wird schwächer." Sie griff nach einer Beutelmaske und befestigte den Atmungsschlauch daran. Dann legte sie dem Mann die Maske an und unterstützte seine Atmung, indem sie in regelmäßigen Abständen den Beutel drückte, der mit der Maske verbunden war.

    In der Nähe ertönten laute Schreie. Drei scharfe Pfeiftöne durchdrangen die staubige Luft. Aus irgendeinem Grund wurde das Signal zum Rückzug gegeben, und plötzlich stieg die allgemeine Anspannung bis ins Unerträgliche. Die Drahtkorb-Brigade löste sich auf. Der Betonschneider wurde abgesetzt, und alle Einsatzkräfte zogen sich rasch zurück. Der Einsatzleiter der Zivilschutzeinheit eilte herbei.

    „Es bilden sich neue Risse. Dieser Sektor ist instabil. Ihr müsst hier raus, und zwar sofort!"

    Joe nickte nur und griff nach der Metallschere an seinem Gürtel. Jessica blieb der Mund offen stehen, als sie sah, was er vorhatte.

    „Er hätte den Fuß sowieso verloren, meinte Joe knapp. „Auf diese Weise bleibt er vielleicht wenigstens am Leben.

    Der Geräuschpegel um sie herum sank drastisch, da alles Gerät zurückgelassen wurde und die Rettungskräfte sich so schnell wie möglich in Sicherheit brachten. In den wenigen Sekunden der Stille, in denen Joe den rechten Fuß des Patienten amputierte, vernahm Jessica einen neuen Laut – ein Furcht einflößendes, unmenschliches Ächzen. Es war nicht laut, reichte jedoch, dass ihr die Haare zu Berge standen und ihr der kalte Schweiß ausbrach. Irgendetwas, etwas Riesiges bewegte sich. Nur ein bisschen, aber wie lange brauchte es, bis dieses Etwas seinen Halt endgültig verlöre? Wie viele Minuten oder gar Sekunden hatten sie noch Zeit, ehe dieser kritische Punkt erreicht war und der Raum, in dem sie sich befanden, von solch gewaltigen Kräften verschluckt wurde, dass sie nicht die geringste Chance hatten, jemals zu entkommen?

    Hastig legte Joe einen Druckverband um das Bein des Mannes an. „Los, raus hier!" brüllte er dann.

    Andere packten das Brett und legten den Verletzten vorsichtig in den Bergungskorb. Zum Festbinden war keine Zeit mehr. Die medizinische Ausrüstung ließen sie zurück. Die Männer, die den Korb trugen, schlugen einen raschen Gang an. Als sie den Eingang zu dem Restaurant erreichten, hörte man erneut das ächzende Geräusch. Dieses Mal war es lauter und endete in einem Knall wie Gewehrfeuer. Tony stieß einen Fluch aus. Das Hamburger-Restaurant war nicht mehr da. Ein Teil des Fußbodens war in den Raum darunter gestürzt, so dass nur noch ein riesiges bedrohliches Loch zu sehen war. Die Rettungskräfte, die vor ihnen waren, hatten bereits einen Pfad gesucht, um dieses neue Risiko zu umgehen. Manche hatten es schon bis zum Tageslicht geschafft, das den dichten Staub durchdrang und Sicherheit bedeutete. Plötzlich hielt jemand neben den beiden, die den Verletzten trugen, inne und schrie etwas.

    Die Träger setzten ihren Weg unbeirrt fort. Jessica konnte nun über den Rand des Bodenloches schauen. Ein Stahlträger ging quer durch die Mitte des Loches. An dem einen Ende hing er noch oben fest, doch das andere Ende lag auf der zerschmetterten Kühlerhaube eines Wagens. Und auch die Betonplatte, die das Loch umgab, löste sich aus den sie verstärkenden Eisenstangen. Doch trotz des herabfallenden Trümmerregens und der aufgewirbelten Staubwolke hatte sich ein kleines Sichtfenster in die Tiefgarage hinunter geöffnet.

    Wieder hörte man den lauten Ruf. „Da unten ist jemand, und er bewegt sich!"

    Alle blieben wie erstarrt stehen.

    Der Ruf hatte eine ähnliche Wirkung auf die Gestalt unten in der Tiefgarage. Die Bewegung hörte auf, und dann spähte ein kleines Gesicht hinauf, dorthin, wo der Laut herkam. Ein kleines Gesichtchen mit einem Schopf widerspenstiger schwarzer Haare.

    „Ricky…y…y!"

    Ich kann da runterkommen, dachte Jessica verzweifelt. Ich kann an dem Stahlträger hinunterrutschen, und dann wäre ich unten. Dann kann ich die Arme ausstrecken und Ricky auffangen, wenn er auf mich zugelaufen kommt. Und ich werde ihn nie wieder loslassen.

    Sie musste nur einen Fuß über den bröckelnden Rand setzen, sich an dem Stahlträger festhalten und daran entlangrutschen. Mehr als ein oder zwei Schritte wären nicht nötig, und Jessica hatte tatsächlich bereits ihren Fuß über dem Loch, als sie merkte, dass jemand sie zurückhielt. Wie eine wütende Löwin fuhr sie herum.

    „Lass mich los, Joe!"

    „Auf gar keinen Fall. Joe verstärkte seinen Griff um ihren Arm noch und zerrte sie von dem Loch zurück. „Was zum Teufel tust du da?

    „Ricky ist da unten. Jessica starrte Joe durch die schmutzverschmierte Sichtbrille an, völlig fassungslos, dass er nicht begriff, was sie tun wollte. „Ich hole ihn da raus.

    „Das wirst du nicht." Tony hielt nun ihren anderen Arm fest. Die beiden Männer zogen die widerstrebende Jessica energisch von dem Loch fort.

    „Das ist meine Sache. Ihr könnt mich nicht davon abhalten!"

    „Beruhige dich, Jessica!" sagte Tony warnend.

    Sein Blick zu Joe sprach Bände. Genau das hatten sie befürchtet. Jessica gefährdete sich und andere Mitglieder des Teams. Das unheimliche Rumpeln hörte nicht auf, und hier zählten die Sekunden. Noch während die beiden Männer einen Blick wechselten, bildete sich an der Wand vor ihnen ein neuer Riss.

    „Wir werden einen anderen Weg in die Tiefgarage finden, Jessica. Joe zog sie noch immer hinter sich her. „Hier ist es zu gefährlich, für uns alle.

    Die durchdringende Evakuierungssirene ertönte jetzt auch von anderen Sektoren des Einkaufszentrums. Die beiden Männer schleppten Jessica weiterhin mit, um sie in Sicherheit zu bringen. Die übrigen Teammitglieder waren ihnen schon weit voraus. Sobald sie den Seiteneingang

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