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Das Glück zu finden
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eBook396 Seiten5 Stunden

Das Glück zu finden

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Über dieses E-Book

Ben und Mia erleben eine wundervolle Zeit. Schwer verliebt und mit Heiratsplänen schweben sie auf Wolke sieben. Als Mia auch noch schwanger wird, scheint das Glück perfekt. Doch dann nimmt ihr Leben eine traumatische Wendung.

7 Jahre später: Mia und Nico versuchen trotz der dunklen Vergangenheit glücklich zu werden. Doch die Ereignisse lassen Mia nicht los. Bens Schatten hängt über ihrem Leben, ihrer Ehe, dem Glück ihrer Kinder. Letztendlich trifft das ein, wovor Mia sich am meisten fürchtet. Nico verlässt sie, da er den beständigen Kampf gegen Bens Phantom aufgibt.
Mias beste Freundin Julia will helfen und versucht Licht in die schattenhafte Vergangenheit zu bringen. Für Julia stehen dabei einige Überraschungen bereit und sie lässt sich vom Schicksal tragen...
Aber auch Nico sucht einen Weg zurück zu Mia.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum11. Dez. 2015
ISBN9783732367788
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    Buchvorschau

    Das Glück zu finden - Ivonne Isabell Springer

    1

    Ein Wildentenpaar flog flügelschlagend über ihren Köpfen hinweg. Die Flugtiere landeten mit lautem Zischen auf der Wasseroberfläche und wurden durch das aufgebrachte Gequake ihrer Artgenossen begrüßt.

    Mia lehnte mit ihrem Rücken an Bens Oberkörper und warf den Neuankömmlingen Brot zu. Sie saßen auf einem alten Holzsteg im Naturschutzgebiet. Es dämmerte bereits und sie waren völlig allein. Gerade noch hatten sich Familien zum Sonntagspicknick getroffen, Paare waren am See entlang geschlendert oder Rentner hatten ihre Räder an ihnen vorbei geschoben.

    Doch vor einer viertel Stunde war es still geworden. Eine Ruhe hatte sich über den Ort gelegt, die geradezu mystisch anmutete. Jetzt, Ende März, wurde es, sobald die Sonne verschwand, noch ziemlich schnell kühl. Mia spürte davon nichts. Sie fühlte sich innerlich gewärmt und schwebte geradezu über den endlichen Dingen. Dieser Moment hier, erschien ihr wie der perfekteste Augenblick in ihrem Leben. Ben war hier. Er war bei ihr und damit war Mias Welt ganz. Ein vollkommenes Glücksgefühl füllte sie aus und hätte die stärkste Brise für sie abgewehrt.

    Vor ein paar Stunden noch war das anders gewesen. Sie hatte zuhause gesessen und sich gefragt, wieso sie sich in letzter Zeit so unruhig und unzufrieden fühlte. Das war doch zuvor nicht so gewesen. Plötzlich hatte sich das Gefühl eingeschlichen, etwas zu vermissen.

    Doch dann war Ben vom Fußballplatz zurückgekommen, wo er mit ein paar Freunden gekickt hatte. Er war ganz aufgekratzt unter die Dusche gesprungen und hatte etwas von einem gemeinsamen Ausflug gefaselt. Nachdem er frisch aus dem dampfenden Bad kam, holte er unter der Spüle einen Jutebeutel hervor und schwenkte ihn in der Luft. Er habe spontan Lust, sie zum See zu entführen und Enten zu füttern, meinte er. Normalerweise war es Mia, die solche Vorschläge machte und so war sie über seinen Einfall doch etwas überrascht. Aber wie könnte sie etwas dagegen haben, schließlich ließ sie sich auch gerne einmal überraschen.

    Sie stellten ihre Räder am Rande des Naherholungsgebiets ab. Ben legte den Arm um Mias Schulter und sie schlenderten gemeinsam den gesplitteten Weg entlang. Es wäre alles wie sonst gewesen, hätte Mia nicht ständig zu Ben hinüberschielen müssen. Irgendetwas ging in ihm vor, da war sie sich ganz sicher. Sie kannte ihn einfach zu gut. An ihrem Lieblingsplatz angekommen bückte sich Mia, um hineinzuschlüpfen.

    Diese besondere Stelle hatten sie bei einem ihrer Besuche ganz zufällig entdeckt. Sie waren damals, am Ende eines herrlichen Sommertages, auf dem Weg zu ihren Fahrrädern gewesen, da war Mia die Thermoskanne aus dem Rucksack gefallen und ins Gebüsch gerollt. Ben kroch ihr hinterher und war gleich darauf von den wild wachsenden Büschen verschluckt worden. Mia war schon langsam ungeduldig geworden, da hörte sie ihn nach ihr rufen. Müde und etwas entnervt, begann sie sich zu ihm durchzukämpfen. Dicht an dicht drängten sich Hartriegelsträucher, sodass ein Hindurchkommen im ersten Moment unmöglich schien. Doch nach ein paar unwegsamen Metern, die sie sich durch das rot schimmernde Geäst gekämpft hatte, wurde sie belohnt.

    Eine Lichtung tat sich auf, wie man es nicht für möglich gehalten hätte. Eine Trauerweide hatte sich mit ihrem dicken Stamm und den tief daran herunterhängenden Ästen ihren Platz geschaffen. Wie in einer kleinen Oase konnte man sich unter ihre Zweige setzen. Durch das seichte Ufer, an dem das Wasser heranschwappte, wirkte es wie ein kleiner Strand. Sie hatten sich niedergelassen und waren ganz still geworden. Mit offenen Mündern bestaunten sie dieses Wunder. Ehrfürchtig der Natur gegenüber, die solch einen Luxus für die Seele erschaffen konnte. Damals war es ihre private Geheimbucht geworden.

    Das war jetzt schon sagenhafte drei Jahre her. Seitdem waren Ben und Mia unzählige Male hier gewesen. In vielen heißen Sommernächten hatten sie sich hier an Ort und Stelle geliebt. Sie waren immer darauf bedacht, dass niemand sie beim Hineinschlüpfen beobachtete, denn teilen wollten sie ihr Versteck auf keinen Fall.

    Als sie heute durch die Äste krochen, merkte Mia, dass sie ihren dicker werdenden Bauch deutlich spürte. Ben war sehr zuvorkommend und versuchte ihr zu helfen, indem er die Äste weit zur Seite bog, um sie durchschlüpfen zu lassen. Endlich am Sandplatz angekommen, ließ Mia sich auf den weichen Untergrund plumpsen und hielt sich den Bauch.

    »Also bald werde ich da nicht mehr durchpassen.« stöhnte sie.

    »Na dann ist es ja gut, dass ich Dich heute nochmal hierher gebracht habe!« Bens Lausbubengrinsen ging ihr durch und durch. Eine Welle der Zuneigung für diesen Mann, der jetzt schon diese lange Zeit mit ihr das Leben teilte, durchströmte Mia.

    »Was.ist.eigentlich.mit.Ihnen.los.Herr Simor?« wollte sie nun aber mit Bestimmtheit wissen und betonte deshalb jedes Wort. Ben jedoch antwortete nicht, sondern grinste nur noch breiter und hielt ihr den Jutebeutel entgegen.

    »Du darfst heute zuerst.« meinte er nur. Mia zeigte ihm einen Vogel und protestierte: »Ich kann doch jetzt nicht seelenruhig Enten füttern, wenn du etwas im Schilde führst!« Mit gespielter Entrüstung blickte sie ihn an.

    »Oh doch, glaub mir das solltest du!« Seine Augen wollten sie fast durchdringen und Mia begriff, dass der Beutel etwas mit seinem Plan zu tun haben musste. Er schüttelte selbigen immer heftiger vor ihren Augen. Endlich griff sie danach und zog ihn an sich.

    »Na dann, gib mal her.« Sie fasste hinein und konnte es nicht glauben. Statt lauter kleiner Semmelstücke und Brotreste, lag darin ein ganzer Laib.

    »Ben? Was soll…« Er legte ihr den Zeigefinger auf die Lippen.

    »Nicht die richtige Zeit für Fragen!!« Mia zog das Brot heraus und wollte gerade protestieren, dass das für die Enten doch viel zu viel sei, da hielt sie inne. Ihre Finger tasteten langsam die Rinde ab. Nun spürte sie es ganz deutlich. Es war etwas hineingeritzt worden. Sie hielt das Brot vor sich, um genau sehen zu können was es war. Da waren zwei Herzen und ein verschnörkeltes und dazwischen. Ein M in dem einen Herz, ein B in dem Anderen. Mia glaubte zuerst nicht richtig zu sehen und blickte ungläubig zu Ben hinauf. Dieser zog gerade etwas aus der Hosentasche und kniete sich vor Mia hin. Er hielt eine samtene, dunkelrosa Schatulle in Händen, öffnete sie direkt vor ihren Augen und ein zarter Silberring mit einem winzigen Glitzerstein kam zum Vorschein.

    Mia drückte sich das riesige Laib Brot reflexartig an die Brust und traute sich kaum zu atmen.

    »Liebe Mia,… ich muss dich unbedingt heiraten. Die letzten Jahre mit dir waren die schönsten meines Lebens. Du hast mir wieder eine Heimat gegeben. Ich hoffe, auch du willst mit unserem kleinen Wurm da drin und mit mir, dein restliches Leben verbringen. Du bist meine Familie Mia.«

    Sie nickte und eine kleine Träne rollte über ihre Wange. Mia war gerührt, wusste sie doch, wie wahr diese Worte für ihn waren.

    »Was sagst du?«

    Mia schüttelte sich. Ihr war bewusst, dass sie viel zu lange zögerte. Sie konnte auf Bens Gesicht schon eine leichte Ungeduld erkennen. Sie wollte ja sprechen, aber es kam einfach nichts heraus.

    »Ich liebe dich auch!« stieß sie schließlich hervor. Bens Gesicht veränderte sich jetzt zusehends. Die Ungeduld in seinem Blick wurde zu Verwirrung, die Verwirrung zu Verzweiflung. Er stapfte mit dem Fuß auf.

    »Ja, das weiß ich. Aber was heißt das jetzt?«

    Mia nickte wieder und endlich löste sich ihre Zunge.

    »Ja, natürlich will ich dich heiraten. Was denkst du denn!«

    Ben ließ sich erleichtert zurück auf die Knie sinken. Er umfing Mia mit seinen langen, kräftigen Armen.

    »Oh, Gott sei Dank. Für einen Moment dachte ich schon…«

    »Tut mir leid!« flüsterte Mia ihm zu und küsste seine Wange immer wieder. Er wiegte Mia hin und her.

    »Du bist die Liebe meines Lebens. Weißt du das?« flüsterte er in ihr rot-golden schimmerndes Haar, das jetzt durch die Schwangerschaft noch voller und lockiger war und noch intensiver diesen herrlichen Geruch verströmte. Mia nickte nur wieder und Ben sog gierig ihren Duft in sich hinein.

    »Du riechst so besonders. Das werde ich nie vergessen.« nuschelte er an sie geschmiegt. Mia schob ihn von sich und betrachtete ihn. Er hörte sich plötzlich so ernst an.

    »Das wirst du auch nicht müssen, hörst du. Du darfst ihn ja ab heute zur Zugewinngemeinschaft zählen.« Sie grinste, konnte aber nicht umhin seine Melancholie zu spüren. Mia zog Bens Kopf an ihre Brust zurück. Um seinen angespannten Körper zu lockern, strich sie ihm über den Rücken.

    »Denkst du an deine Eltern und deinen Bruder?« Ben nickte an Mias Brust gedrückt. Er war nicht wild darauf den warmen, weichen Platz zu verlassen.

    »Ich hab das Gefühl, sie beobachten uns. Genau in diesem Moment. Das ist das Gute an den Verstorbenen. Ihnen muss man nichts erzählen, denn sie sind überall dabei - mittendrin.«

    Mia wollte Ben von sich drücken, um sein Gesicht zu sehen. Doch er wehrte sich und schmiegte sich nur um so fester an sie, wobei er immer näher auf die Mitte des einen Objekts seiner Begierde zusteuerte.

    Sie sah an sich hinunter und entdeckte das selbe spitzbübische Grinsen wie kurz zuvor.

    »He!…« rief sie und schob ihn endgültig von sich.

    »…Ich mache mir hier einen Kopf und du hast solche Dinge im Kopf.«

    »Na ganz so ist es nicht. Ich habe den tröstenden Platz unbedingt gebraucht.« Er zog sie an sich und küsste sie. Mia war froh, dass das Trauma ihn im Moment nicht wirklich eingeholt hatte.

    Bens Eltern und sein Bruder waren kurz bevor Mia ihn kennenlernte ums Leben gekommen. Besonders schlimm für Ben war der jähe Riss, den der Tod seines Zwillingsbruders in ihm verursacht hatte. Dass Ben noch lebte, war reiner Zufall.

    Die Brüder hatten ihren 22ten Geburtstag gefeiert und nach einer langen Partynacht mit Freunden spontan beschlossen ihre Eltern zum Essen einzuladen. Es war vorgesehen, dass Ben die Beiden abholen und mit ihnen in die Stadt fahren sollte. Micha wohnte dort ganz in der Nähe des Lokals das sie für ihr Treffen ausgewählt hatten.

    Doch wie es das Schicksal wollte, sprang Bens Wagen nicht an und die Brüder disponierten kurzerhand um. So sollte Micha nun zu den Eltern fahren und danach zu Ben, um alle mit in die Stadt zu nehmen. Doch seine Eltern und sein Bruder kamen nie bei ihm an.

    Im Polizeibericht stand, dass sie keine Chance gehabt hatten. Der Wagen war auf der vereisten Fläche einer Brücke außer Kontrolle geraten, gegen die Leitplanke gekracht und schließlich Frontal gegen einen Baum geprallt. Alle Insassen waren sofort tot.

    Ben hatte den Kopf mittlerweile auf Mias Schultern gelegt, tastete sich aber soeben wieder voran, bis er mit der Nase an der einen Brust hängen blieb.

    »So eine Schwagerschaft hat ja schon Vorteile.« murmelte er in ihre Oberweite.

    »He, was machst du da schon wieder?« Mia strich ihm übers Haar. Wie sie das liebte. Wenn sie das tat, kringelten sich seine blonden Locken um ihre Finger. Sie kicherte.

    »Das kitzelt.«

    »Mmmh…« brummelte er nur.

    Als er schließlich begann an ihrem Oberteil herumzunesteln zog sie ihn hoch.

    »Jetzt ist aber mal Schluss. Lass uns lieber auf unsere Verlobung anstoßen.«

    Ben stand murrend auf und half Mia dabei aus dem Dickicht zu kriechen.

    Sie schlenderten zu einem nahen Lokal und bestellten zwei Gläser Sekt. Mia nippte nur an ihrem und überreichte es dann Ben, der es hinabstürzte. Das Herzbrot stand mitten auf ihrem Tisch und Mias Ring funkelte im Sonnenlicht.

    Immer wieder strich sie behutsam darüber und mit einem Mal spürte sie es. Das komische Gefühl, das sie die letzten Wochen beschlichen hatte, war verschwunden. Das war es also gewesen, was sie so unruhig gemacht hatte. Sie hatte das selbe Bedürfnis in sich getragen wie Ben, nur hatte er es erkannt und wahr werden lassen. Mia war einfach nur glücklich.

    Sie beugte sich zu ihm und küsste ihn innig. Dann fiel ihr Blick auf das große Laib Brot und sie klopfte mit dem Finger dagegen. Es klang dumpf, hohl und hart.

    »Also mein Schatz. Ich liebe dich ja, aber du verlangst hoffentlich nicht von mir, dass ich das noch esse?«

    »Nein, das bekommen die Enten.« Er setzte einen übertrieben melancholischen Gesichtsausdruck auf und seufzte: »Dann können sie auf ewig mit unseren Herzen im Magen auf dem Wasser ihre Bahnen ziehen.«

    Mia boxte ihn in die Seite. »Du Spinner!!«

    »Komm lass uns lieber gehen, sonst wird es noch dunkel bevor wir das gute Stück an die Enten verteilt haben.«

    Gesagt, getan. So saßen sie nun da und fütterten. Und da das Brot wirklich riesig war, hatten sie noch viel Zeit die Stille zu genießen, die nur vom Schnattern und Schmatzen der Tiere unterbrochen wurde.

    2

    Am nächsten Morgen erwachte Mia als Erste. Sie kuschelte sich noch etwas tiefer unter die Decke. Der Wind, der durch den Spalt der gekippten Balkontür drang, bauschte den weißen Baumwollvorhang.

    Mia blinzelte in die helle Morgensonne und als ihr einfiel, was gestern geschehen war, stahl sich ein Lächeln auf ihre Lippen.

    Vorsichtig zog sie am Deckenzipfel, der Bens Gesicht teilweise verdeckte. Ihr Zukünftiger gab ein knurrendes Geräusch von sich, wie sie es von ihm kannte, wenn er noch nicht geweckt werden wollte. Sie strich ihm mit dem Daumen vorsichtig über die Stirn, in die einige seiner himmlisch weichen Locken gefallen waren.

    Dann lag sie einfach nur still da und betrachtete ihn. Wieder einmal wunderte sie sich darüber, wieso sie sich nie an ihm satt sehen konnte. Sie liebte es ihn zu beobachten und dies durfte sie nun ihr Leben lang tun. Ihr Herz machte einen Sprung vor Freund und etwas in ihrem Bauch bewegte sich.

    Sie setzte sich kerzengerade auf.

    »Oh mein Gott!! Ben, es hat sich bewegt. Unsere Kleine, ich habe es ganz deutlich gespürt.«

    Ben murmelte etwas, das Baby bewegte sich wieder, diesmal noch deutlicher spürbar und Mia begann Ben zu schütteln.

    »Wach endlich auf Papa. Deine Kleine hat sich bewegt. Das willst du doch nicht verpassen.«

    Ben schoss so schnell hoch, dass er sich erst mal den Kopf halten musste, um das Pochen darin zu beruhigen.

    »Was ist? Wer hat sich bewegt?« Ben sah sie verschlafen an. »Dein Baby, du Superpapa!« scherzte Mia. Nun war er hellwach.

    »Wo, zeigs mir.« Mia nahm Bens Hand und führte sie genau an eine Stelle ihrer kleinen Kugel.

    »Da, genau da.« Doch nun tat sich nichts mehr und er sah sie ratlos an.

    »Nein, warte hier!« Sie schob seine Hand auf die gegenüberliegende Seite ihres Bauches. Nach einigen gespannten Minuten meinte Ben: „Ich spür nichts. Bewegt es sich noch?"

    »Hab Geduld. Sicher rührt es sich gleich wieder…. Ah, hier!« Wieder schob sie seine Hand herum und diesmal hielt sie genau in der Mitte der Rundung an. Sie sah Bens konzentrierten Gesichtsausdruck und musste Grinsen.

    »Wie kann es sein, dass es da überall mal zuckt. Das muss doch genauer zu orten sein. Also ich fühl nichts.« murrte er. Mia warf seine Hand von ihrem Bauch auf die Bettdecke.

    »Was weiß ich denn? Ich bin schließlich auch das erste Mal schwanger. Ich hab auf alle Fälle was gespürt.«

    Der Wecker piepte. Ben schlug auf den Ausknopf.

    »Ich glaub dir ja. Aber für mich ist das nicht immer einfach. Alles spielt sich da drin ab, da bin ich manchmal gar nicht richtig dabei.«

    »Ach Süßer. Wenn sie da ist, dann überlasse ich dir auch den Hauptteil beim Windeln wechseln. Na, das ist doch ein Kompromiss, oder?« Sie drückte ihn in die Kissen zurück und schmatzte ihn ausgiebig ab. Als Ben wieder Luft bekam piepte der Wecker erneut.

    »Jetzt stell das Ding endlich richtig ab und schwing dich aus dem Bett zum Bäcker. Sonst wird das nichts mehr mit unserem gemeinsamen Frühstück.«

    Er gehorchte, schlüpfte trotz der Kühle nur in Jeans, T-shirt und Flip Flops. Dann kam er noch einmal zu Mia und küsste sie ausgiebig.

    »Jetzt geh schon, sie hat Hunger.« Lächelnd schob sie ihn zur Tür. Er war schon fast draußen, da drückte er die Tür nochmal auf.

    »Wieso sagst du eigentlich dauernd sie? Wir wissen doch noch gar nicht was es wird.« Mia grinste.

    »Ich wünsche mir für das Kleine, dass es ein Mädchen wird, weil du mit Mädels so gut umgehen kannst.« Nun war Ben daran breit zu grinsen.

    »Ich glaub trotzdem, dass es ein Junge wird.«

    »Na klar!" rief Mia ihm hinterher, doch diesmal war er wirklich gegangen.

    Mia machte die üblichen morgendlichen Streifzüge durch die Wohnung. Sie wusch sich, ging ins Schlafzimmer und zog sich an. Schließlich landete sie in der hellen, offenen Küche wo sie sich eine Wäscheklammer auf die Nase setzte. Dann machte sie einen Kaffee für Ben und einen Fencheltee für sich. Sie hatte angenommen, der Verzicht auf Kaffee würde ihr schwerfallen, doch seit sie an der typischen, morgendlichen Übelkeit litt, konnte sie ihn nicht mal mehr riechen. Honig, Marmelade, Schokocreme und Butter landeten auf ihrem kleinen Frühstückstablett. Dann trug sie alles zum Tisch. Aus der Vitrine holte sie Teller und Tassen heraus. Sie arrangierte alles und dachte dabei daran, wie praktisch es doch war, direkt gegenüber vom Bäcker zu wohnen. So konnte sie den Kaffee schon einschenken und war sicher, dass er nicht kalt wurde bis Ben zurück war.

    Sie setzte sich und ging im Kopf ihren Tag durch, während sie vorsichtig an dem noch heißen Tee nippte. Die fünfte Klasse, die sie dieses Jahr leitete, war heute mit der Schwimmstunde dran. Sie runzelte die Stirn. Früher war das eines ihrer Lieblingsfächer gewesen, doch seit sich ihr Bauch zu wölben begann, kam sie sich vor wie das achte Weltwunder. Nicht nur die Mädchen schielten heimlich zu ihr hin!! Auch, nachdem sie den Kindern von der Schwangerschaft erzählt hatte, hörte dieses eigenartige Phänomen nicht auf.

    Andererseits endete der Unterricht heute mit Kunst und diese Stunde war weiterhin erfreulich. Auch die Tatsache, dass um 13 Uhr Schluss war, kam ihr sehr gelegen.

    Heute wollte sie sich, das erste Mal seit der Schwangerschaft, einen richtig intensiven Besuch in der wunderschönen Babyboutique an der Ecke der Fußgängerzone gönnen. Länger konnte sie dem Wunsch, etwas anzufassen was einmal ihrem Baby gehören sollte, nicht widerstehen. Der ein oder andere Strampler würde ganz bestimmt seinen Weg nach Hause finden.

    Ihre Hand wanderte auf ihren Bauch. Dann fiel ihr Blick auf die Uhr und schließlich zur Balkontür.

    »Wo bleibt der Papa nur, hmm?« Sie sah noch einmal auf die Backofenanzeige auf der in großen gelben Zahlen 7.16 zu lesen war. Auch ihre Armbanduhr zeigte kein anderes Ergebnis.

    Sie nahm ihre Tasse wieder zur Hand. Ihre Augen streiften die gegenüberliegende Wandseite, doch an der Tür tat sich immer noch nichts. Ihre Gedanken wanderten zurück zum Kunstunterricht. Sie webte mit den Kindern gerade Armbänder die man mit Magnetverschlüssen schließen konnte. Die Mädchen waren natürlich vollauf begeistert, aber einige der Jungen machten Ärger und kamen nicht wirklich voran. Besonders Jonas musste sie im Auge behalten. Wenn er nicht voll ausgelastet war, konnte er die ganze Klasse in Unruhe versetzen.

    Der Wecker piepte aus dem Schlafzimmer unüberhörbar zweimal. 7.30 stand auch auf ihrer Armbanduhr.

    »Ok, jetzt wird’s aber knapp. Der hat sich doch nicht etwa verquatscht. Ausgerechnet heute." Sie ging zur Fenstertür hinüber und öffnete den einen der beiden großen Flügel. Von hier aus konnte man direkt ins Fenster des Brotladens sehen. Als sie hinaustrat brauste gerade ein schwarzes Auto vorbei. Wieder so ein Lebensmüder, dachte sie.

    Sie hatte angenommen, Ben würde unten vor dem Laden stehen und mit einem der Nachbarn reden, wie es oft am Wochenende vorkam. Dann hätte sie ihn einfach gerufen und daran erinnert, dass heute ein Wochentag war. Aber da stand er nicht und auch im Laden, war bis auf eine Frau mit Kleinkind im Buggy, niemand zu sehen.

    Mia fröstelte und schlang sich ihre Weste enger um den Bauch. Sie ging wieder hinein und schloss die Balkontür. Langsam wurde sie unruhig und die Gedanken begannen schneller zu werden.

    »Sicher ist er schon im Treppenhaus.« Sie öffnete die Haustür um hinauszurufen, dass er sich beeilen solle. Aber es war niemand zu sehen oder zu hören. Ihr Herzschlag beschleunigte sich nun deutlich spürbar.

    Reg dich nicht auf! Das ist nicht gut fürs Kind! Ben ist ein erwachsener Mann und kann auf sich selbst aufpassen. Es gibt ganz sicher einen guten Grund für das hier, redete sie sich gut zu, während sie ihre Sachen für die Schule zusammensuchte. 7.43 Uhr zeigten die gelben Zahlen als sie ihren Notizblock aus der Küche holte.

    »Mist, Ben ich kann nicht mehr auf dich warten.« Das war vollkommen untypisch für ihn. Gedanken jagten durch ihren Kopf, als sie ihre braune Ledertasche über die Schulter warf. Sie schlang sich den orangen Schal ungeschickt um den Hals und riss, beim Hinausstürmen, ihre Jacke vom Haken.

    »Meinst du die Uhren ticken jetzt anders, nur weil wir verlobt sind. Meine Schüler warten trotzdem um acht Uhr auf mich.« schimpfte sie vor sich hin. Diesen Morgen hatte sie sich wahrlich anders vorgestellt.

    Sie wollte eben die Haustür hinter sich ins Schloss werfen, da kam ihr der Inhalt des Schlüsselkästchens in den Sinn. Sie war gerade daran vorbeigestürmt und sie war sich sicher; Bens Schlüssel hing dort. Sie stieß die Tür noch einmal auf und tatsächlich - da war er! - mitsamt diesem lächerlichen, rot-weißen Fußballschuh dran.

    »Verdammt, ich kann doch die Tür nicht offen stehen lassen.«

    Hektisch kramte sie in ihrer Tasche nach dem Handy. Sie drückte die eingespeicherte Kurzwahltaste und hoffte Ben hätte wenigstens das Telefon dabei. Die Hoffnung zerschlug sich in dem Moment, als sie es in der Küche klingeln hörte.

    »Scheiße, Scheiße, Scheiße!!« rief sie und stapfte mit dem Fuß auf.

    7.52 Uhr, der Schweiß brach ihr aus. Sie ließ die Tür angelehnt und stürmte die Treppe hinunter. Draußen sah sie sich hektisch um, aber auch hier war er nicht zu sehen. Was jetzt? Völlig ratlos rannte sie in die Bäckerei. Hier sagte man ihr, er wäre schon vor einer viertel Stunde wieder gegangen. Mia verstand die Welt nicht mehr. Wo konnte er sein?

    Als sie aus dem Brotladen wieder auf die Straße trat, schlug die Kirchturmuhr achtmal.

    Mit unerlaubt hoher Geschwindigkeit raste sie zur Schule. Ihr Kopf spulte immer wieder den selben Satz herunter. Wo ist Ben?

    Er würde sie nie so stehen lassen. Besonders nicht, wenn er wusste, dass sie zur Arbeit musste. Ganz zu schweigen von ihm selbst. Gewöhnlich verließ er mit Mia gemeinsam das Haus.

    Als sie den Lehrerparkplatz erreichte, wurde ihr auf einen Schlag überwältigend übel. In diesem Moment würde sie sich in den Wagen erbrechen, dachte sie. Gerade noch schaffte Mia es, das Auto an den Rand zu lenken. Sie riss die Tür auf und erbrach sich ins Gebüsch. Das war ihr während der ganzen Schwangerschaft noch nicht passiert.

    Sie quälte sich in Richtung Schulgebäude, im Ohr das Klingeln für die erste Stunde. Mit aller Gewalt versuchte sie sich auf das Alltägliche zu konzentrieren. Alles ist wie immer, sagte sie sich, mit Blick auf das ihr so gut bekannte Schulgebäude. Darin warteten ihre Schüler, so wie jeden Morgen, doch das Gefühl, dass sich ihr Leben heute drastisch verändert hatte und etwas Schreckliches passiert war, ließ sich nicht mehr aufhalten. Es kroch erst in ihren Kopf, dann in ihren Magen, in ihre Eingeweide bis tief hinein in ihre Knochen. Als es ihr Herz erreichte, hatte sie das Gefühl sie würde ersticken. Sie schleppte sich keuchend die letzten Stufen der Schultreppe hinauf. Doch ihr Körper schien mit einem Mal wie gelähmt zu sein. Oben angekommen verschwamm ihr Blick, und kurz bevor sie zusammenbrach, sah sie es genau vor sich.

    Die Tür war immer noch angelehnt.

    Die Wohrung war immer noch leer.

    Ben war nicht nach Hause gekommen

    und er würde es auch nicht:

    nie mehr!

    3

    7 Jahre später

    Mia hievte den kleinen Frankie auf ihre Hüfte, lief auf dem Weg zu seinem Stühlchen nochmal zur großen Terrassentür und rief zum gefühlt hundertsten Mal hinaus: »Kommt jetzt endlich raus und trocknet euch ab. Es ist schon spät.«

    Mit einem Blick auf die Küchenuhr die über dem braunen Brettchen an der Wand hing, auf dem sich alltäglicher Kram wie Schlüssel, Briefe, Notizen, Krimskrams der in einer bunt gemusterten Keramikschale auf wundersame Weise immer mehr wurde, setzt Mia ihren Eineinhalbjährigen in seinen Hochstuhl.

    Schon halb sieben, registrierte sie und belegte eine Scheibe Brot mit Wurst. Hektisch zerteilte sie es in kleine Stücke, füllte in Frankies Becher Saft nach und warf es ihm fast auf das kleine Tischchen, das an seinem Stuhl befestigt war. Sie eilte hinaus, stapelte dort die Trinkgläser auf dem Terrassentisch standen, ineinander.

    »Paula, Micha, raus jetzt, sonst werde ich richtig sauer!«

    Mia balancierte die Gläser, die Saftkanne hatte sie unter den Arm geklemmt, die Keksschüssel in der anderen Hand, in die Küche. Vorsichtig stellte sie den hohen Turm auf die Küchenanrichte. Dann rannte sie wieder hinaus. Im Vorbeilaufen stellte sie Frankies Becher gerade hin, registrierte, dass er nur die Wurst von den Brotstücken stibitze und entschied, es kurzerhand zu ignorieren.

    Paula war bereits auf der Terrasse und wickelte sich umständlich in das große Badetuch. Ihr Zwillingsbruder hingegen planschte immer noch im Pool herum. Mia zog ihn am Arm heraus und schimpfte: „Warum könnt ihr eigentlich nie hören wenn ich es eilig habe?"

    »Aua, du tust mir weh.« protestierte Micha und zog seinen Arm weg, den Mia gerade etwas unsanft abrubbelte.

    »Ich hab auf dich gehört!« beschwerte sich Paula und stapfte mit ihren immer noch nassen Füßen, das lange Handtuch an dem der Dreck und das Moos der Terrassenplatten hängen blieb, hinter sich herschleifend, ins Haus. Der empfindliche Holzboden würde sich von ihrer Nachlässigkeit nie erholen, schoss es Mia durch den Kopf. Er würde noch mehr von diesen hässlichen, weißen Flecken bekommen wenn sie die Nässe nicht gleich wegwischte. Gleichzeitig war ihr jedoch völlig klar, dass sie dies nicht mehr schaffen würde.

    Noch einmal rubbelte Mia über das immer noch tropfende Haar ihres Sohnes. Ein lautes Klirren von zerberstendem Glas drang aus dem Haus und ein schriller Schrei folgte. Mia fuhr aus der Hocke hoch und stieß dabei mit der Schulter an die Eisenkante des Tisches. Ihr schossen Bilder von Splittern in offenen Wunden durch den Kopf. Den dumpfen Schmerz, der sich mittlerweile bis in ihren Oberarm ausbreitete ignorierend, spurtete sie nach drinnen.

    Paula stand inmitten unzähliger Glasscherben und schrie aus Leibeskräften. Mia registrierte mit einem Rundumblick, dass die Splitter sich auf der Küchentheke und auf dem Fußboden in alle Himmelsrichtungen verteilt hatten.

    Ihr Hauptaugenmerk aber lag auf ihrer Tochter. Vorsichtig stieg sie über die Scherben zu ihr hin und schalt sich selbst, den Gläserturm nicht auseinandergenommen zu haben. Sie scannte Paula von oben bis unten ab, doch sie schien nirgends zu bluten.

    »Tut dir irgendetwas weh?« Mia tastete Paula ab, drehte das immer noch schreiende Mädchen um und besah sich ihre Rückseite. Als sie auch hier kein Blut entdecken konnte, nahm sie ihre Tochter auf den Arm und trug sie aus der Gefahrenzone.

    Jetzt begann Frankie zu kreischen. Ob aus Eifersucht oder Mitleid mit seiner weinenden Schwester, war schwer zu sagen. Mia ging zu ihm und registrierte ganz nebenbei, dass er die Brotstücke mit Butter auf dem Boden verteilte.

    Als Frankie sich zu seiner Mutter drehte, um nach ihr zu greifen, stieß er an seinen Becher. Der Deckel sprang auf, von wegen auslaufsicher, schoss es Mia durch den Kopf, schon ergoss sich der gesamte Inhalt über den Tisch, den Boden, Mias Jeans und Frankies Oberkörper.

    »Alles nass!« kreischte er jetzt um so lauter.

    Wenigstens Paula beruhigte sich langsam und Mia stellte sie auf dem Boden ab.

    »Alles wieder ok?« Paula nickte mit dem herzzerreißenden, - mach der Mama noch ein schlechteres Gewissen - Ausdruck in den Augen.

    »Jetzt geh zu deinem Bruder ins Bad und zieht euch eure Schlafanzüge an.« Paula trollte sich und Mia zog den tränen- und saftnassen Frankie aus dem Stuhl. Sie wippte ihn auf der Hüfte auf und ab während sie mit „Schscht…" versuchte ihn zu beruhigen. Sein durchnässter Nickistrampler war vollgesogen und gab bereitwillig die klebrige Flüssigkeit durch Mias Oberteil an ihre Haut weiter. Sie warf die Essensreste in den Mülleimer und holte Besen und Schaufel aus dem Schrank. Als Frankie das knallrote Plastikwerkzeug sah, griff er danach und hörte prompt auf zu weinen. Froh über die Ruhe, setzte Mia ihn damit in den Laufstall. Mit was sollte sie nun die Scherben beseitigen? Kurz entschlossen holte sie den Terrassenbesen herein und fing gerade an die Scherben aufzufegen als es klingelte.

    Erschrocken fiel Mias Blick auf die Uhr. Es war tatsächlich schon sieben. Sie öffnete Annica, dem Nachbarmädchen.

    »Hallo Annica, komm rein. Ist noch etwas chaotisch, aber das kriegen wir schon hin, ja?« Annica ließ ihren Blick über Mia gleiten. Wenn sie nicht blind war, musste sie den roten Kirschsaft, Mias verschwitztes Gesicht und ihre zerzausten Haare sehen.

    »Alles in Ordnung?« fragte die Dreizehnjährige dann auch mit hochgezogenen Augenbrauen, so als wäre sie vom Jugendamt beauftragt worden, hier nach dem Rechten zu sehen. Auf ihre übliche Offenheit, hätte Mia heute getrost verzichten können.

    »Ja ja, ich habs einfach ein bisschen eilig. Kannst du Frankie schon mal ausziehen? Sachen hängen alle im Bad. Dann kannst du auch gleich mal schauen was die anderen Beiden da so treiben.

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