Cecilias Geheimnis
Von Bettina Priewe
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Buchvorschau
Cecilias Geheimnis - Bettina Priewe
September 1850
Es regnete in Strömen und ein kühler Wind wehte über die Köpfe der Trauernden. Cecilia stand neben ihrer Mutter und ihren beiden Schwestern und hatte große Mühe etwas zu sehen, denn der Regen rann ihr in die Augen und machte es fast unmöglich, sie offen zu halten. Ihre Sicht war verschwommen.
Ihr eigener Sarg wurde gerade abgelassen und sie hörte ein lautes Aufschluchzen. Die beiden kleinen Mädchen standen stumm da und hielten jeweils eine Hand ihrer Mutter. Es war so traurig, ihre Mutter herzzerreißend weinen zu sehen und zu hören, wie die Schwestern in ihren Ärmel schnäuzten. Wie hatte es nur soweit kommen können, was hatte sie getan? So viele Fragen schossen ihr durch den Kopf und es tat ihr unendlich leid, dass sie keine Chance mehr hatte, ihrer Familie alles zu erklären. Wie sehr sie doch bereute, ihnen nichts von ihren Problemen erzählt zu haben.
Cecilia beobachtete, wie ihre Mutter und ihre Schwestern Rosen in das Grab auf ihren Sarg warfen. Sie wussten, wie sehr sie Rosen liebte, besonders gelbe. Mit einer kleinen Schaufel wurde Erde in das Grab geworfen. Cecilia konnte nichts fühlen, sie konnte den Duft des nassen Grases nicht riechen, konnte das Prasseln des Regens nicht hören. Sie empfand nur eine unsagbare Leere und Traurigkeit. Das schlimmste aber war, dass sie Hendrik nichts erklären konnte. Hendrik, der mit gesenktem Kopf vor ihrem Grab gestanden hatte und mittlerweile, ohne auch nur ein Wort zu sagen, gegangen war.
Hendrik, ihre große Liebe...
Irgendetwas war falsch.
Warum kann ich meine eigene Beerdigung sehen? Warum bin ich nicht im Jenseits gelandet, habe kein Licht gesehen?
Das war es jedenfalls, was man ihr immer erzählt hatte, was nach dem Tod passieren würde. Vollkommenheit und ewiger Frieden – sie aber war immer noch hier auf der Erde, aber nicht so richtig.
Auf einmal wurde ihr schlagartig klar, was sie zu tun hatte, aber dafür brauchte sie Hilfe, egal, wie lange es dauern würde.
Der Umzug
Ganz schön stressig, den Inhalt eines Sechs-Zimmer-Hauses in einen Umzugswagen zu bekommen. Da war er, der große Tag, an dem wir unsere Sachen in einen riesigen Container packten, der gleichzeitig ein Umzugswagen war. Von einigen Dingen mussten wir uns trennen, aber das war nicht schlimm. Ich war total gespannt, wie es dort werden würde, welche neuen Freunde ich haben würde. So verabschiedeten wir uns an einem kalten Novembertag von Bayern.
Gerade an diesem Tag fiel der erste Schnee und ein kleines bisschen Wehmut lag schon über uns, aber aufgedreht waren wir auch, auf der Fahrt in unsere neue Zukunft.
Wir fuhren über zehn Stunden. Auf dem Rücksitz neben mir stand ein Vogelkäfig mit meinen Kanarienvögeln und Wellensittichen darin. Eng war es für sie, in dem kleinen Käfig, aber anders war der Transport nicht möglich. Auf meinem Schoß hatte ich einen Transportkorb mit meinem Chinchilla Monti darin. Ab und zu fasste ich hinein, um ihn zu streicheln, denn er war sehr aufgeregt. Nachdem er sich beruhigt hatte, konnte ich die Box auf der anderen Seite neben mich stellen.
Am Abend kamen wir in unserem neuen Zuhause an. Prerow, direkt an der Ostsee. Wir bezogen das Haus mit Schlafsäcken, denn die Möbel sollten erst einen Tag später ankommen. Das war schon eine besondere erste Nacht, so ganz nah an meine Eltern gekuschelt, in einem Schlafsack zu schlafen. Ich schloss die Augen und dachte darüber nach, was ich hier alles erleben würde.
Würde ich glücklich werden?
In Mecklenburg-Vorpommern waren Gott sei Dank Ferien, also hatten wir noch ein bisschen Zeit, uns hier einzugewöhnen und die Gegend zu erkunden, bevor wir in die Schule mussten.
Am nächsten Tag kam der Umzugswagen und wir hatten alle Hände voll zu tun, die Sachen in das Haus zu bringen und einzurichten. Ich sprang im Zimmer auf und ab und überlegte, was ich wohin stellen wollte. Einen großen Platz nahmen meine zwei Volieren ein, die ich mit Papa zusammenbauen musste, denn für den Transport im Umzugswagen hatten sie zerlegt werden müssen. Ich freute mich zu sehen, wie die Vögel es genossen, wieder Platz zum Fliegen zu haben, nachdem ich einen nach dem anderen in die Voliere gelassen hatte. Die zweite Voliere war für Monti und auch er war hocherfreut, wieder in seinem eigenen Revier klettern zu können. Er sprang sofort auf den obersten Ast, um einen guten Überblick zu haben. Ich war froh, meine geliebten Tiere bei mir haben zu können, sie gaben mir ein Gefühl von Vertrautheit. Ansonsten war da mein Bett, ein schwarzes Metallgestell, das auf antik gemacht war, eine große Kommode mit einem im gleichen Holz gerahmten Spiegel darüber, der genauso lang war, wie die Kommode selbst, ein antiker Schreibtisch mit passendem Stuhl und ein kleines Nachtkästchen neben meinem Bett.
Mein Vater war gerade dabei, meine gelben und grünen Dekoschals auf die Gardinenstange aufzuhängen, während ich mein Bett, das ich gerade überzogen hatte, mit einer grünen Tagesdecke bedeckte und mit Kissen dekorierte, um es tagsüber als Couch verwenden zu können. Über dem Bett hing ein kleines Holzregal, auf dem eine Musikanlage stand und auf einer Seite meines überdimensional großen Schreibtisches stand mein Flachbildfernseher. Ich hatte alles, was ich brauchte, um mich in meinem Zimmer wohl zu fühlen.
Am Abend war ich fertig mit meinem neuen Reich. Ich ließ mich auf mein Bett fallen, schloss die Augen und dachte über die Zukunft nach.
Hier ist nun dein neues Leben, lass es auf dich zukommen, Sophie!
Cecilia
Ich war traurig, fühlte mich wieder einmal einsam, wie so oft in letzter Zeit.
Meine Mutter war noch nicht von der Arbeit zu Hause und so beschloss ich, mit dem Fahrrad an den Strand zu fahren. Es war nur ein kurzer Weg dorthin, aber ich genoss diese Fahrt durch das Dorf Richtung Dünen und durch ein kleines Kiefernwäldchen. Dieser kleine Wald war voll von uralten Bäumen. Er wirkte magisch auf mich. Der Wind blies durch die Äste und ließ sie ganz leicht schaukeln. Es machte großen Spaß, mir vorzustellen, dass hier Elfen und Kobolde leben könnten. Wie schön es doch wäre, jetzt einen Kobold einzufangen und mir etwas wünschen zu dürfen. Ich wusste gar nicht genau, was ich mir wünschen würde, aber ich wäre wirklich glücklich über einen guten Freund, mit dem ich dieses Wäldchen und seine Geheimnisse teilen könnte. Ich sog den würzigen Geruch der Kiefern und des Mooses ein und als ich näher an die Dünen kam, konnte ich den frischen säuerlichen Duft des Sanddorns, der in voller Blüte stand, riechen.
Am Strand zog ich meine Schuhe aus und schlenderte barfuß am Wasser entlang, genoss den kühlen Sand an meinen Fußsohlen und das kühle Wasser, das bei jeder Welle meine Fußrücken berührte. Ich hatte so viele Gedanken im Kopf und fühlte, wie ich Heimweh nach Bayern bekam. Tränen trübten meinen Blick und ich setzte mich in den Sand, um meine Augen trocken zu reiben. Ich beobachtete die Bewegung des Meeres und hörte dem Rauschen zu. Mir wurde kalt und ich zog meine Sweatjacke fester zu. Meine Hand schützend über die Augen gelegt, sah ich zum Himmel hinauf, doch die Sonne schien nach wie vor und es war kein einziges Wölkchen zu sehen. Ich stand auf und ging weiter. Nach ein paar Metern war mir wieder warm und ich musste meine Jacke öffnen.
Nach einem kurzen Spaziergang am Strand, drehte ich um. Als ich an die Stelle kam, an der ich vorhin saß, fühlte ich die Kälte erneut und bekam eine Gänsehaut.
Komisch, wie kann es denn an nur einer Stelle kälter sein?
Ich ging ein kleines Stück weiter und suchte einen anderen Platz, um mich erneut hinzusetzen. Kaum hatte ich es mir bequem gemacht, fing ich wieder an zu frösteln und schlang die Arme um mich. Ich drehte mich nach rechts und erkannte, ein wenig entfernt von mir - ein Mädchen, das in meinem Alter sein konnte, vielleicht auch ein bisschen älter. Es saß auf einer Buhne und ließ die Füße im Wasser baumeln. Etwas an ihr kam mir seltsam vor. Bei genauerer Betrachtung fiel mir auf, dass sie ein sehr altmodisches Kleid an hatte, das bis zu den Knöcheln reichte.
Warum saß sie in einem langen Kleid am Strand?
Sie hatte braunes, lockiges Haar, das ihr weit über die Schultern hing und sie wirkte auf mich sehr zart und zerbrechlich. Ich konnte einfach nicht mehr wegsehen, etwas Faszinierendes ging von ihr aus, deshalb verhielt ich mich ruhig und beobachtete sie. Das Mädchen saß vollkommen reglos da und starrte auf das Meer hinaus, ganz so, als würde es nach etwas Ausschau halten. In dieselbe Richtung blickend, versuchte ich zu erkennen, was sie dort erwartete, aber ich konnte nichts entdecken. Plötzlich drehte sie ihr Gesicht zu mir und sah mich mit großen Augen an. Ihr Blick wirkte traurig. Ich lächelte sie an, doch sie drehte ihr Gesicht wieder in Richtung Meer.
Soll ich zu ihr hingehen? Soll ich sie ansprechen?
Dann fasste ich den Entschluss zu ihr rüber zugehen um sie anzusprechen, doch als ich aufstand und in ihre Richtung gehen wollte, war sie auf einmal weg.
Wie vom Donner gerührt, stand ich da.
Wo war sie auf einmal hin?
Ich schaute in beide Richtungen den Strand entlang, sah aber nur ein paar Menschen mit Hunden und spielende Kinder. Möwen kreisten um Muscheln, die an den Strand gespült wurden. Das Frösteln lies nach, denn die Wärme kam zurück. Jetzt wurde ich unruhig und ein seltsames Gefühl beschlich mich.
Sollte ich mir das Mädchen nur eingebildet haben?
Nachdem ich mich noch ein paar Mal vergewissert hatte, dass sie wirklich nirgends zu sehen war, schlenderte ich zurück zu meinem Fahrrad. Auf der Fahrt nach Hause ging mir dieses Mädchen nicht mehr aus dem Kopf. Ich hatte noch nie so ein trauriges Gesicht gesehen.
Als ich zu Hause ankam, war meine Mutter bereits von der Arbeit zurück. Sie hatte in der Zwischenzeit etwas zu Essen gemacht und während wir aßen, erzählte ich von meiner Begegnung am Strand. Meine Mutter konnte sich auch keinen Reim daraus machen, wo das Mädchen abgeblieben war. Ich nahm mir jedenfalls vor, am nächsten Tag wieder zum Strand zu fahren, um nach ihr Ausschau zu halten.
In dieser Nacht schlief ich sehr unruhig und hatte einen sehr beängstigenden Traum. Auf der Flucht, lief ich durch den Wald, denn jemand verfolgte mich. Ich glaubte den kleinen Kiefernwald zu erkennen, durch den ich immer zum Strand fuhr. Ich trug ein langes Kleid, mir war heiß und ich hatte furchtbare Angst. Auf meiner Stirn und auf meiner Oberlippe hatten sich Schweißperlen gebildet. Wenn ich mit der Zunge über meine Lippen fuhr, was das Salz zu schmecken, das der Schweiß gebildet hatte. Während ich lief, blickte ich immer wieder über meine Schulter zurück, um nach meinem Verfolger zu sehen, doch ich musste aufpassen, nicht über eine Wurzel zu stolpern. Er kam immer näher, unser Abstand verringerte sich stetig. Mein Herz trommelte gegen die Brust und ich konnte kaum noch atmen. Die Angst schnürte mir die Kehle zu. Ich konnte ihn stoßweise atmen hören und wurde so panisch, dass ich anfing zu wimmern. Ein tiefhängender Ast streifte mein Gesicht und kratzte mir über die Wange und mein rechtes Auge. Ich hob die Hand darüber, um mich zu schützen und da passierte es, ich stolperte über einen am Boden liegenden Ast. Ich fühlte einen stechenden Schmerz in den Händen und spürte in meinem Nacken den heißen Atem des Verfolgers…
Ich schreckte hoch, mein Puls war viel zu schnell. Die Angst schien mich zu lähmen und hörte einen Schrei.
War das etwa mein eigener?
Endlich bemerkte ich, dass ich mich in meinem Bett befand und brauchte eine ganze