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Alive - Jahre des Schreckens
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eBook305 Seiten4 Stunden

Alive - Jahre des Schreckens

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Über dieses E-Book

Der 24- jährige Tobey McClaine liegt erschöpft im Wasser. Kraftlos und verzweifelt lässt er sich zwischen Kaho'olawe und Lanai, zwei Hawaiianischen Inseln, im Meer treiben. Lynn, seine Freundin, welche er vor sieben Jahren auf tragische Weise verloren hat, gibt ihm Mut weiter zu schwimmen, nicht aufzugeben. Gelingt ihm die Flucht vor den Entführern, welche ihn nach Kaho'olawe gebracht haben? Sein Entführungstrauma, das er seit sechs Jahren mit sich herum trägt, und ihm jede einzelne Nacht zur Qual gemacht hat, scheint sich zu wiederholen...
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum18. März 2019
ISBN9783746985626
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    Buchvorschau

    Alive - Jahre des Schreckens - Daniela Menth

    Angst

    24. Juli 2019

    Ich sehe in den wolkenlosen Himmel und atme tief durch. Irgendwo zwischen Lanai und Kaho'olawe treibe ich im Meer. Ich versuche mich auf der Wasseroberfläche zu entspannen, neue Kraft zu schöpfen, um danach weiterzuschwimmen. Ich möchte nicht wieder zurück zu dieser Insel, aber mir ist bewusst, dass 25 Kilometer eine wahnsinnige Strecke ist und ich noch nie eine vergleichbare Distanz geschwommen bin. Sogar für mich, aufgewachsen an den berühmten Stränden von Malibu, ist es nicht realistisch diese Strecke zu schaffen. Die einzige Motivation, die ich habe, ist die Angst, auf Kaho'olawe, einer unscheinbaren, unbewohnten, hawaiianischen Insel, dem Tod in die Augen zu blicken. Ich möchte nach Lanai rüber, um Hilfe zu holen. Den brennende Schmerz an meinem rechten Oberarm versuche ich zu überwinden, indem ich mich auf meine Gedanken konzentriere. Ich schliesse die Augen. Ein Welle schwappt über mich und reisst mich wieder aus den Gedanken. Ich ärgere mich darüber. Ich beschliesse weiterzuschwimmen, sehe mich zur Orientierung um und schwimme weiter in Richtung Lanai. Doch nach kurzer Zeit fühle ich mich, als hätte ich einen bleiernen Gürtel an, welcher versucht mich in die Tiefe zu reissen. Das Schwimmen wird immer anstrengender und bald gebe ich es auf, gegen das Schweregefühl zu kämpfen. Ich tauche ab und öffne unter Wasser die Augen. Da ist nur blaues Wasser. Die Sonnenstrahlen, welche durch die Wasseroberfläche dringen, tanzen hin und her. Sie treffen nicht auf den Boden, nahtlos gehen sie in der Tiefe verloren. Plötzlich höre ich eine leise Stimme in meinem Kopf. Es ist Lynns Stimme. „Folge der Sonne, Tobey", sagt sie. Ich sehe mich um, doch kann ich sie nicht sehen. Ich bin verwirrt, sehe nach oben und bemerke, wie tief ich bereits im Wasser versunken bin. Ich nehme alle meine Kräfte zusammen, um die Wasseroberfläche zu erreichen. Dabei bemerke ich auch, dass Lynns Aufforderung, der Sonne zu folgen, Sinn macht. Die Sonne steht oben und dort muss ich wieder hin.

    Endlich oben angekommen lege ich mich auf das Wasser mit dem Gesicht gegen die Sonne. Ich habe keine Ahnung, wie weit ich schon bin, aber ich kann einfach nicht weiter. „Lynn!", rufe ich laut heraus und Tränen rinnen mir aus den Augen. Ich bin verzweifelt, denn ich muss doch Hilfe holen. Ich atme tief durch und schliesse wieder die Augen, denn die Sonne blendet mich. Bilder der letzten Jahre ziehen durch meinen Kopf. Schreckliche Bilder der Entführung überlagern die Bilder meiner Freunde Lynn, Julie, Ray und Claire. Tränen steigen in mir hoch. Gibt es eine Chance, sie wieder zu sehen? Ich bin voller Angst. Ich weiss, so wird das nichts mit der Entspannung. Ich muss die schlechten Bilder loswerden, wenn ich überleben möchte, und das will ich definitiv.

    Vor sechs Jahren hat alles begonnen, zu einem Zeitpunkt, in dem ich verletzlich und gefordert war. Ich sollte einen wichtigen Schritt in mein eigenständiges Leben tun und über meine Zukunft entscheiden.

    Reise in die Vergangenheit

    10. Juli 2013

    Ich sass im Flugzeug zwischen Los Angeles und Seattle. Der Flug dauerte nur zwei Stunden, doch ich langweilte mich schon. Ich wusste, was auf mich zukam, denn jeden Sommer flogen wir alle zusammen zu meinen Grosseltern und verbrachten dort einige Wochen. Mein Vater George, meine Mutter Helene, mein Bruder Jesse, welcher zwölf Jahre alt war, und ich, Tobey McClaine. Gerade war ich achtzehn Jahre alt geworden und hatte die High School abgeschlossen. Wir wohnten in Malibu und wuchsen dort behütet auf. Die Nähe zur Grossstadt war ein grosser Vorteil. Die Stadt bot uns alles, was wir uns wünschten.

    Mein Vater war Professor an der University of California Los Angeles. Nach den Sommerferien war geplant, dass ich auch an diese Universität gehen konnte. Obwohl ich noch nicht wirklich wusste, in welche Richtung mich mein Studium führen sollte. Nur eines wusste ich, ich eiferte meinem Vater in keinster Weise nach. Wir hatten zwar ein tolles Haus, direkt am Meer, trotzdem hing ich manchmal total in der Luft. Die Frage, was ich aus meinem Leben machen wollte und wohin ich gehörte, war mir absolut nicht klar und ich fühlte mich nicht wirklich am richtigen Ort. Obwohl ich doch alles für ein unbeschwertes Leben hatte. Nicht jeder hatte dieselben guten Möglichkeiten wie ich, das wusste ich, jedoch hatten andere echte Ziele vor Augen. Ich konnte mir aber nie wirklich erklären, warum das so war. Mein Vater liess keinen Tag aus, um mich zu erinnern, dass ich mich für Kurse entscheiden musste während den Sommerferien. Auch er spürte, dass ich mich noch in keine bestimmte Richtung entschieden hatte. Er drängte mich nie, in dieselbe Richtung zu ziehen, welche er eingeschlagen hatte. Er erklärte mir nur meine Möglichkeiten und Wege, die mir offen standen. Manchmal nervte es mich gewaltig, obwohl er mir doch nur helfen wollte. Ich musste meinen Weg auf jeden Fall selbst finden und wollte es irgendwann auch für mich entscheiden, jedoch noch nicht anfangs der Ferien. Mein Vater hat bis zu diesem Zeitpunkt schon genug für mich getan und ich wollte ihn niemals enttäuschen, deshalb war ich fest entschlossen, bis zum Start des neuen Schuljahres an der Universität mich entschieden zu haben.

    Ich starrte vor mich hin und fragte mich immer wieder, was ich tun sollte, wenn wir bei meinen Grosseltern waren. Denn ich hatte kaum die gleichen Interessen wie mein Bruder. Das lag vielleicht auch daran, dass er sechs Jahre jünger war als ich.

    Kaum waren wir in Seattle gelandet, empfingen uns unsere Grosseltern. Ich empfand die ganze Zeremonie zum Einschlafen, denn es war Jahr für Jahr dasselbe. Meine Grossmutter drückte mich wie ein kleines Kind. Das war mir sehr unangenehm. Sie schien mir sehr zerbrechlich geworden zu sein, seit ich sie das letzte Mal im letzten Winter gesehen hatte. Ihre grauen, kurzen Haare standen ihr sehr gut. So passte es wunderbar zur sportlichen Erscheinung meines Grossvaters, welcher noch immer täglich einige Kilometer joggte. Kurz darauf fuhren wir los zum Haus meiner Grosseltern. Meine Grossmutter redete während der ganzen Fahrt, nicht einmal meine Mutter kam zu Wort. Das Haus war auf Anderson Island, inmitten des Puget Sound. Vom Flughafen bis dort hin waren wir zwei Stunden unterwegs, inklusive der Überfahrt mit der Fähre. Die Insel war mehr ein Feriendomizil als ein permanenter Wohnsitz. Als mein Vater noch ein Kind war, wohnten sie in Tacoma und dieses Haus auf Anderson Island wurde als Wochenend- und Ferienhaus benutzt. Doch seit mein Grossvater nicht mehr arbeitete, wohnten sie das ganze Jahr dort. Sie genossen die Ruhe direkt an der East Oro Bay. Sie hatten ein kleines Boot, welches sie zum Fischen benutzten. Es war gerade am Steg hinter dem Haus festgebunden. Für mich war es hier eindeutig zu ruhig. Die grösste Fläche der Insel war wilder Wald. Das hingegen war das Einzige, was mir an diesem Ort gefiel. Das war eine willkommene Abwechslung zu Los Angeles.

    Als wir dort ankamen und unser Gepäck ins Haus gebracht hatten, überkam mich ein seltsames Gefühl. Ich fühlte mich leer und einsam. Ich wusste warum, denn Lynn fehlte mir. Ich stellte mein Gepäck ins Zimmer, welches ich mit meinem Bruder teilen musste, und ging hinaus. Ich sah den lieblich gepflegten Rosengarten meines Grossvaters an und atmete seufzend durch. Ich schnitt mit der Gartenschere, welche daneben lag, eine der schönsten roten Rosen ab. „Tobey, wo gehst du hin? Es gibt gerade Mittagessen, rief mein Vater. Kurz drehte ich mich um. Ich fragte mich, wie man schon wieder ans Essen denken konnte, denn ich war noch immer satt vom Essen, welches während dem Flug serviert wurde. „Ich habe keinen Hunger, sagte ich und ging der Bucht entlang bis zu dem Ort wo Lynn und ich uns bis letzten Sommer trafen. Lynn war im selben Alter wie ich und wohnte in der Nachbarschaft meiner Grosseltern. Sie lebte mit ihrer Familie das ganze Jahr hier auf der Insel. Kennen gelernt haben wir uns, als wir noch kleine Kinder waren. Wir verbrachten viel Zeit miteinander, wenn ich hier war. Zwischen uns hatte sich eine tolle Freundschaft gebildet. Wir erzählten uns alles. Ich war fasziniert von ihr, sie hatte eine riesige Lebensfreude. Sie hatte grosse Pläne für ihre Zukunft, im Gegensatz zu mir. Ich setzte mich auf einen Stein am Ufer an der Stelle, an der wir viel Zeit verbracht hatten, und sah hinaus auf den Puget Sound. Das Wetter war gut, die Sonne schien und die Weitsicht war gigantisch. In der Ferne sah ich den massiven vergletscherten Mount Rainier. Hier war unser Lieblingsplatz und genau hier passierte im letzten Sommer das Unglück. Tränen stiegen in mir hoch, denn an diesem Ort wurde die Erinnerung an Lynn und den schrecklichsten Tag in meinem Leben wieder lebendig.

    Lynn

    18. Juli 2012

    Wir sassen hier zusammen und sahen hinaus aufs Wasser. Die Sonne spiegelte sich im ruhigen Wasser. Seit einer Woche war ich hier auf Anderson Island und wir trafen uns täglich. Jeweils gleich nach dem Aufstehen bis zum Eindunkeln verbrachten wir die Tage miteinander. Meine Grosseltern vermissten mich jedes Mal zu den Familienaktivitäten. Es war ziemlich warm an diesem Tag und wir wollten ins Wasser, um uns etwas abzukühlen. Wir kletterten auf einen Felsen, welcher zwei Meter aus dem Wasser ragte. Von dort waren wir schon unzählige Male gesprungen. Kurz blieb ich oben stehen und sah sie an. Ihre blonden Haare fielen wunderschön über ihre Schultern und ihre blauen Augen strahlten regelrecht. Ich war fasziniert von ihr, denn sie entwickelte sich zu einer wunderhübschen Frau. Wir zogen unsere Kleider aus und warfen sie hinunter auf die Steine am Ufer. Sie trug einen Bikini darunter. Dieser Anblick verdrehte mir jedes Mal den Kopf. Sie sah mich ebenfalls an. Was dachte sie wohl über mich? Ich spürte, dass es bereits um mich geschehen war. Wir sprangen gemeinsam ab. Im kalten Wasser angekommen, durchflutete mich ein Adrenalinstoss. Ich wollte gleich nochmal hoch, um zu springen. Deshalb schwamm ich schnell zum Ufer. Es war ein steil abfallender, steiniger Strand, wie überall auf der Insel. Als ich am Strand ankam, wollte ich nach Lynn zurücksehen. Doch ich stellte mit Entsetzen fest, dass sie nicht da war. Mich durchfuhr ein Schreck, weil ich eigentlich fest damit gerechnet hatte, dass sie gleich hinter mir war. „Lynn!", rief ich laut. Doch niemand antwortete. Panik ergriff mich, als wenige Sekunden später noch immer niemand auftauchte. Das durfte doch nicht wahr sein, ich musste sie finden. Ich rannte zurück ins Wasser. Immer wieder rief ich ihren Namen. Ich tauchte nach ihr, immer und immer wieder. Doch ich fand sie nicht. Nach wenigen Minuten verstärkte sich meine Verzweiflung noch. Der Grund war so dunkel, dass ich beim Abtauchen kaum was erkennen konnte. Der Ort, an dem wir sprangen, war gut vier Meter tief. Ich holte kurz Luft und tauchte wieder ab. Dann endlich sah ich etwas, was wie eine Hand aussah. Ich war erst nicht sicher, schwamm dann doch näher ran und stellte mit Entsetzen fest, dass es Lynn war. Ich griff nach ihr und zog sie hoch. Sie hing schlaff in meinen Armen. Ich schüttelte sie, doch sie reagierte nicht. Ich schwamm ans Ufer. Meine Kräfte waren schon ziemlich am Ende, deswegen zog ich sie an den Armen über die Steine am Strand.

    Als ich sie endlich aus dem Wasser gezogen hatte, kniete ich neben sie. Ich strich ihre Haare aus dem Gesicht und sah ihre blauen Lippen. Ihr Körper schien mir noch blasser als sonst, denn sie hatte eine sehr helle Haut. „Lynn, nein!", rief ich verzweifelt. Ich wusste, dass es zu lange gedauert hatte, bis ich sie fand. Trotzdem wollte ich nicht kampflos aufgeben. Ich drückte auf ihren Brustkorb, für die Herzmassage. Ich machte immer weiter, keine Ahnung, wieviel Zeit verging, in der ich um ihr Leben kämpfte. Ich konnte einfach nicht begreifen, was gerade passiert war.

    Alles was ich tat, tat ich vergebens. Lynn gab kein Lebenszeichen mehr von sich. Weinend brach ich irgendwann neben ihr zusammen. Ich fror grässlich, zitterte am ganzen Körper.

    Plötzlich liess mich ein Motorengeräusch aufhorchen. Ich sah auf und bemerkte, dass ein Boot in unsere Richtung fuhr. Der Mann auf dem Boot kam in unsere Nähe und stellte den Motor aus. „Ist was passiert?, fragte er. Ich konnte nicht sprechen, ich nickte bloss. Er liess das Boot sanft am Strand auf die Steine auflaufen und stieg aus. Ich hatte den Mann schon einige Male gesehen, kannte ihn jedoch nicht persönlich. Er schien mir sehr gepflegt, doch immer alleine. Auf jeden Fall wohnte er hier auf der Insel und fischte praktisch jeden Tag auf seinem kleinen Boot. Er bemerkte sofort, wie aufgelöst ich war. Er ging zu Lynn und suchte ihren Puls. Doch auch er sah mich danach schockiert an. Er nahm sein Telefon hervor und wählte den Notruf. Der Mann fragte mich, was passiert war, doch ich konnte es ihm nicht sagen. Ich konnte mir nämlich absolut nicht erklären, warum Lynn ertrunken war. Sie war eine ausgezeichnete Schwimmerin. Ich stand unter Schock. Etwas später traf ein Rettungsboot ein. Sie nahmen Lynn und mich mit und gaben mir eine Decke, um mich aufzuwärmen. So schnell es ging, brachten sie uns ins Krankenhaus nach Tacoma. Sie brachten uns in verschiedene Behandlungszimmer. „Was macht ihr mit Lynn?, fragte ich. „Wir untersuchen euch beide. Was ist passiert?, fragte mich der Arzt. „Ich weiss nicht, wie das passieren konnte. Sie schwamm gleich hinter mir. Ich habe sie gesucht. Doch ich war zu spät, als ich sie endlich gefunden hatte, sagte ich traurig. Der Arzt nickte. „Wie ist ihr Name?, fragte er weiter. „Lynn Coleman, sagte ich knapp und mit Tränen in den Augen. Der Arzt notierte sich den Namen. „Wie ist dein Name, wie können wir deine Eltern erreichen?, fragte er weiter. „Mein Name ist Tobey McClaine, meine Eltern sind auf Anderson Island, sagte ich knapp. Der Arzt untersuchte mich und stellte Unmengen von Fragen, doch ich war mit meinen Gedanken bei Lynn und hatte keine Lust zu antworten.

    Nach der Untersuchung gab er mir etwas zu trinken. Kurz darauf verliess er das Untersuchungszimmer. Ich stand auf und ging zum Waschbecken rüber, um mir meine verweinten Augen auszuwaschen. Mein Blick traf auf den Spiegel und es erschreckte mich, mich so zu sehen. Meine kurzen dunklen Haare waren zerzaust und meine braunen Augen total gerötet. Meine Haut erschien mir blass in diesem Licht des Zimmers. Ich hatte sonst eine schön gebräunte Haut, beeinflusst durch das polynesische Aussehen meines Vaters und das Aufwachsen an den sonnigen Stränden Malibus.

    Nach einer Weile kam der Arzt, mit einem Plastiksack in der Hand, wieder. Es waren meine Kleider. Hastig zog ich sie an. „Was ist mit Lynn?, fragte ich. „Nun, da ist leider nichts mehr zu machen, sagte er zögerlich. Obwohl ich das eigentlich schon erwartet hatte, traf mich dieser Satz mit voller Wucht. „Dein Vater kommt dich abholen, meinte er noch. „Ich möchte Lynn sehen, sagte ich entschlossen. Der Arzt sah mich überrascht an. Nach einigen Sekunden stand er auf und meinte: „Na gut, komm mit. Er führte mich ins Zimmer nebenan. Wie angewurzelt blieb ich bei der Tür stehen, als ich sie sah, auf der Trage liegend und bis zur Schulter zugedecktem Körper. Der Arzt stellte einen Stuhl neben die Trage und zeigte mit einer Geste, mich dort hinzusetzen. Langsam, wie in Zeitlupe bewegte ich mich darauf zu und als ich endlich beim Stuhl angekommen war, verliess er das Zimmer. Traurig setzte ich mich auf den Stuhl und sah sie an. Meine Augen füllten sich mit Tränen, so dass ich kaum etwas sehen konnte. Ich nahm ihre Hand und umfasste sie sanft. „Lynn, es tut mir leid, sagte ich leise. Tränen rannen unaufhörlich über mein Gesicht. Sanft berührte ich ihre Wangen und hoffte, sie würde die Augen öffnen und lachen, wie sie es unzählige Male gemacht hatte. Doch ihr Lachen blieb aus und ich begriff langsam, dass ich es nie wieder sehen würde und ich mich nun für immer verabschieden musste. Ich küsste sanft ihren Handrücken und presste die Hand an meine Wange. Ich schloss die Augen und versuchte mir Lynn vorzustellen, wie sie mit ihrem fröhlichen Lächeln vor mir stand. „Es tut mir leid", sagte ich noch einmal.

    Der Arzt kam nach einer Stunde wieder. „Wir möchten sie nun auf eine andere Station bringen, meinte er diskret. Ich konnte mir schon denken, was dies bedeutete. Ich stand langsam auf und küsste sie auf die Wange. Ein letzter Blick in ihr Gesicht und eine letzte Berührung ihrer feinen, blonden Haare. Dann verliess ich mit gesenktem Kopf den Raum. Er brachte mich in ein anderes Zimmer. Ich setzte mich auf einen Stuhl und sah ihn erwartungsvoll an. „Es schmerzt, sagte ich und zeigte auf meine Brust. Er nickte. „Das ist der Verlust. Brauchst du etwas? Du darfst gehen, wenn dein Vater hier ist, meinte er. Ich schüttelte nur den Kopf. „Wenn etwas ist, melde dich. Du darfst hier warten, wenn du magst darfst du dich auch hinlegen, sagte er und zeigte auf die Trage in der Ecke. Ich nickte wortlos. Nachdem er den Raum verlassen hatte, legte ich mich hin und schloss die Augen.

    Es vergingen zwei Stunden, bis mein Vater kam. Ich reagierte nicht sofort, als die Tür aufging. Ich hörte Schritte auf mich zukommen und drehte mich langsam um. Als ich meinen Vater sah, setzte ich mich hin. „Tobey, was ist passiert? Geht es dir gut?, fragte er. „Nein, mir geht es nicht gut. Lynn ist…, ich konnte es nicht aussprechen, meine Stimme versagte. „Komm, wir gehen nach Hause", meinte er und legte tröstend seine Hand auf meine Schulter. Wortlos und mit gesenktem Blick folgte ich ihm. Wir fuhren zurück nach Anderson Island. Ich war so traurig und am Boden zerstört, dass ich kein Wort redete. Als wir an Lynns Elternhaus vorbeifuhren, sah ich, wie ein Polizeiauto davor stand. Vermutlich wurden ihre Eltern gerade darüber informiert, was passiert war. Betroffen sah ich zu Boden. Ich fühlte mich schrecklich.

    Als wir beim Haus meiner Grosseltern ankamen, kam meine Mutter herausgerannt. „Tobey!", rief sie. Doch ich lief an ihr vorbei direkt in mein Zimmer und legte mich ins Bett. Den Rest des Tages kam ich nicht mehr raus. Meine Familie war ratlos, was sie tun sollte.

    Am nächsten Morgen, ich sass gerade unten am steinigen Strand, nachdem ich nachts kaum geschlafen hatte, da sah ich, wie Schwertwale in die Bucht schwammen. Meine Mutter und mein Bruder rannten auf den Steg hinaus. „Toll!", rief mein Bruder. Doch mir war nicht danach, Wale anzusehen. Ich ging traurig ins Zimmer zurück.

    Eine Stunde später klopfte es zaghaft an meiner Zimmertür und sie öffnete sich langsam. Lynns Mutter stand vor mir. Ihre Augen waren total rot und ihr Gesicht erschreckend blass. Langsam stand ich auf. „Tobey, ich muss dir was sagen, begann sie. Erwartungsvoll sah ich sie an. Sie suchte nach Worten, das konnte ich spüren. „Du kannst nichts dafür, dass das passiert ist. Lynn hatte einen Herzfehler, schon von Geburt an. Wir wussten, es wird eines Tages passieren. Es tut mir leid, dass du es so erfahren musstest, meinte sie. Ich sah sie verwirrt an, denn Lynn hatte mir nie davon erzählt. Vor Entsetzen brachte ich kein Ton heraus. „Lynn wusste davon, seit sie sieben Jahre alt war. Im Krankenhaus hat man uns gesagt, dass du wohl hart um sie gekämpft hast, so dass zwei Rippen gebrochen waren. Der Kälteschock hat wohl den Herzstillstand verursacht, du kannst nichts dafür, erzählte sie. „Ich war zu spät, sagte ich beinahe ohne Ton. Sie schüttelte den Kopf. „Auch wenn du sie früher gefunden hättest, hätte das nichts geändert", sagte sie. Ich nickte betroffen und konnte es nicht fassen, dass Lynn mir nichts davon erzählt hatte. Wir hatten das nicht zum ersten Mal gemacht, von diesem Felsen zu springen. Warum musste das ausgerechnet an diesem Tag passieren? Kurz darauf ging sie wieder.

    Ihre Worte halfen mir etwas, mit Lynns Tod klarzukommen.

    Wenige Tage später reisten wir vorzeitig ab. Zuhause war es für mich leichter, das Erlebte zu verarbeiten.

    10. Juli 2013

    Traurig sah ich zu dem Ort hinüber, an dem ich zum letzten Mal ihre funkelnden Augen und ihr zauberhaftes Lächeln sah. Sie fehlte mir so. Eine Träne rann meine Wange hinab. Ich öffnete meine Hand, in der ich die Rose festhielt. Ich hatte ihren Stiel so fest umklammert, dass eine ihrer Stacheln sich in meine Handinnenfläche gebohrt hatte. Blut rann über meine Hand und tropfte auf den steinigen Boden. Es kümmerte mich nicht, dass ich blutete, und ich legte die Rose behutsam hin. Ich stand auf und warf einige Steine hinaus aufs Wasser. Ich schrie meinen Frust laut hinaus. Es war ein erleichterndes Gefühl, denn es hatte sich ein ganzes Jahr in mir aufgestaut. Eigentlich wollte ich nie wieder hierhin kommen, doch meine Eltern wollten nicht, dass ich den ganzen Sommer alleine zuhause war. Ich drehte mich um und wollte gerade wieder zurücklaufen, da hörte ich in der Nähe ein lautes, pustendes Geräusch. Ich erschrak und drehte mich zu dem Geräusch um. Ein Schwertwal war aufgetaucht, nur gerade drei Meter vom Ufer entfernt. Ich erstarrte einen Moment. Ich sah gebannt hinaus aufs Wasser. Da tauchten noch mehr Schwertwale auf. Ich hatte sie wohl durch den Lärm, den ich veranstaltet hatte, angelockt. Kurze Zeit blieben sie am gleichen Ort und sahen zu mir rüber, ehe sie weiterschwammen. Ich lief zurück zum Haus meiner Grosseltern und zog mich ins Zimmer zurück, nachdem ich mein Blut von der Hand abgewaschen hatte.

    Am nächsten Morgen beim Frühstück stocherte ich gelangweilt im Teller umher. „Wir möchten heute Morgen fischen gehen, möchtest du auch mitkommen, Tobey?, fragte mein Grossvater. „Nein, dazu habe ich keine Lust, sagte ich. Ich nahm mir einen Apfel aus der Früchteschale und ging raus. „Wo gehst du hin?, fragte meine Mutter. „Irgendwo, sagte ich eintönig und lief in den Wald. Ich hatte einfach keine Lust auf meine Familie. Eine ganze Weile lief ich durch den Wald, bis ich an den Lake Josephine kam. Ich hörte Stimmen, ging näher ran und sah, wie drei junge Männer ins Wasser sprangen, von einem Felsen herab. Offensichtlich hatten sie viel Spass dabei. Auf einer Anhöhe setzte ich mich zwischen den Bäumen hin und beobachtete das wilde Treiben. Doch ich wurde traurig, weil ich an Lynn denken musste. Ich versank in meinen Gedanken.

    „Möchtest du mitmachen?, fragte mich plötzlich eine Stimme neben mir. Ich erschrak erst und zuckte zusammen. Ein junger Mann stand neben mir. Ich hatte ihn gar nicht kommen hören und ausserdem dachte ich nicht, dass mich jemand hier zwischen den Bäumen entdeckt. „Ich habe nichts dabei, sagte ich, noch immer etwas überrumpelt. „Möchtest du eine Badehose von mir?, fragte er spontan. Ich war sehr überrascht von seinem Angebot, denn ich kannte ihn nicht. „Das ist nett, aber du kennst mich doch gar nicht, sagte ich. Er lachte. „Ich bin Ray, sagte er und streckte mir seine Hand entgegen. Ich lachte ebenfalls, denn seine offene Art gefiel mir. Ich schüttelte seine Hand und sagte: „Ich bin Tobey. „Na gut, mehr brauchen wir nicht, um Spass zu haben. Komm mit mir, ich wohne gleich da drüben", sagte er und zeigte auf ein Haus direkt am Ufer des Sees. Ich stand auf und lief ihm nach. Er hatte kurze, braune Haare, leichte Locken waren noch erkennbar.

    Seine Augen waren blau, wie jene von Lynn. Er gab mir eine Badehose aus seinem Schrank und wartete dann kurz vor der Tür, bis ich sie angezogen hatte. „Wir haben dieselbe Grösse, dachte ich es mir doch, meinte er zufrieden. „Vielen Dank, sagte ich. Wir liefen rüber zum Felsen und Ray stellte mich den anderen vor. Niemand stellte Fragen, sie liessen mich einfach am Spass teilhaben. Das empfand ich als goldrichtig für mich, um aus der Trauer um Lynn herauszukommen.

    Am Abend machten wir zusammen ein Feuer und grillierten etwas. Ich hatte schon lange nicht mehr so viel gelacht. Erst spät am Abend verabschiedete ich mich. „Wir sind den ganzen Sommer hier. Du kannst jederzeit wieder kommen, meinte Ray. „Danke, sehr gerne, antwortete ich. Ich lief durch den Wald zurück, obwohl es schon dunkel war. Als ich beim Haus meiner Grosseltern ankam, kam mir gerade meine Mutter entgegen. „Tobey, wo warst du? Wir haben uns Sorgen gemacht, sagte sie. „Ich bin kein Kleinkind mehr, Mam. Ich kenne mich hier aus. Ich habe einige Leute kennen gelernt am Lake Josephine, ich war nicht alleine, sagte ich. Irgendwie schien meine Mutter erleichtert. „Ich bin müde, gute Nacht", sagte ich und ging in mein Zimmer.

    Am nächsten Morgen machte ich mich gleich nach dem Frühstück wieder auf den Weg zum Lake Josephine. Dort traf ich wieder auf Ray und die Jungs aus seiner Nachbarschaft.

    Einige Tage später fragte mich Ray, ob ich Lust hätte, ihn nach Tacoma zu begleiten. Jeden Sommer besuchte er einmal den Jahrmarkt. Ich sagte zu.

    Augenblick

    14.Juli 2013

    Am nächsten Morgen holte Ray mich mit dem Auto seines Vaters ab. So konnten meine Eltern Ray auch mal kurz kennen lernen. Bisher wussten wir nur wenig voneinander, da wenn wir uns trafen, immer nur der Spass im Vordergrund stand. „Na gut, wir wünschen euch viel Spass. Kommt aber spätestens mit der letzten Fähre wieder nach Hause, meinte mein Vater. „Okay, sagte ich und wir fuhren los. Auf dem Weg zur Fähre begann Ray mich auszufragen. „Woher kommst du, Tobey? Wohnst du hier auf Anderson Island?, fragte er. „Nein, ich bin jeden Sommer hier bei meinen Grosseltern. Sie wohnen hier. Ich komme aus Los Angeles, sagte ich. „Ach, echt? So ein Zufall.

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