Der Schmetterling: Eine Entwicklungsbiografie
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Buchvorschau
Der Schmetterling - Reinhard Hellmann
Wie es einer »seelischen Raupe« gelang,
aus dem familiären Raupenmantel
in die Freiheit zu gelangen.
Der Schmetterling will seine Hülle durchbrechen.
Er zerrt an ihr, er zerreißt sie.
Da blendet und verwirrt ihn das unbekannte Licht,
das Reich der Freiheit.
FRIEDRICH NIETZSCHE:
MENSCHLICHES, ALLZUMENSCHLICHES
Inhaltsverzeichnis
Die Vorfahren
Die Romanze
Geburt und frühe Jahre
Enttäuschungswut
Herr und Hund
Die Großmama
Vaterfiguren und Berufsstationen
Zwischenruf
Reinhard als Vater
Der Junge findet seinen Weg
Reinhard als Dozent an der Universität
Die Suche nach Freunden
Die Eigenanalyse macht Fortschritte – Reinhard wird stabiler
Erfahrung mit neuen Wegen zur Spiritualität
Begegnung mit Tod, Krankheit und Kraft
Die Vorfahren
GROSSELTERN MÜTTERLICHERSEITS: Franz Freiherr von Dalwigk zu Lichtenfels mit Maria Huberta Blanka Gräfin Beissel. In zweiter Ehe: Vera Gräfin Grote (ab 1924).
Elisabeth, meine Mutter, wurde als fünftes Kind und einziges Mädchen in Torgau/Sachsen geboren. Ihre Mutter verstarb, als das Kind ein Jahr alt war, an Tuberkulose. Dies war wohl der erste und schwerste Verlust im Leben von Elisabeth, meiner Mutter. Sie wuchs mit den vier recht wilden Brüdern und diversen Betreuerinnen auf, die der Witwer organisieren konnte. Als Elisabeth drei Jahre alt war, kam die Stiefmutter »Grötelchen« (geb. Gräfin Grote) ins Haus. Sie nahm sich die fünf Kinder mit Strenge und militärischer Konsequenz vor, wie sie es als Rotkreuzschwester beim Militär gelernt hatte. Elisabeth war von den fünf Kindern die intelligenteste, doch musste sie unter der sehr strengen Stiefmutter am meisten leiden. Diese Stiefmutter verzieh Männern viel, aber sich selbst und Frauen gar nichts. Ihrem geliebten Gatten Franz schenkte sie noch einen Sohn, Thomas, und eine zweite Tochter, Vera. Somit waren inzwischen sieben Kinder zu betreuen. Die strenge Rotkreuzschwester schuf Ordnung und Disziplin in der Familie. Für Einfühlung und Sensibilität für die Bedürfnisse der Kinder hatte sie kein Empfinden. Als Elisabeth später ihren geliebten Fritz heiraten wollte, hatte die grausame Stiefmutter große Bedenken, weil er nicht adelig war.
Großeltern väterlicherseits: Paul Hellmann, Baurat der Stadt Frankfurt/Main, mit Katharina geb. Rettig. Fritz Hellmann, mein Vater, wurde als erstes Kind – seine Schwester kam zwei Jahre später – ebendort geboren. Vater Paul Hellmann war ein gutmütiger, schwacher Papa, der allerdings, wenn seine launische, jähzornige Frau ihn darum bat, die Kinder mit der Reitpeitsche verprügelte. Fritz machte nach einem Einser-Abitur schnell erfolgreiche Studienschritte auf dem Gebiet der Altphilologie, also dem Studium der alten Sprachen Griechisch und Latein. Rasch promovierte er zum Dr. phil. Die Habilitation zum Dr. phil. habil schloss sich an. Als er dann später seine geliebte Elisabeth heiraten wollte, hatte seine Mutter große Bedenken wegen der adligen Schnösel aus Berlin.
Eltern: Vater: Dr. phil. habil. Fritz Hellmann, Dozent für alte Sprachen an der Humboldt-Universität in Berlin. Mutter: cand. med. Elisabeth Huberta Blanka Freiin von Dalwigk, Studentin der Medizin an den Universitäten Berlin und Freiburg/Breisgau.
Die Romanze
AN EINEM NEBLIG-TRÜBEN Sonntagmorgen im Jahr 1939 stand um 9.30 Uhr der Eilzug von Berlin nach Freiburg, mit Umstieg in Stuttgart, in Berlin zur Abfahrt bereit. In diesem Zug, im Wagen Nummer 32, saß im Abteil zweiter Klasse die Studentin Elisabeth von Dalwigk. Ihr Vater, der General der Kavallerie Franz Freiherr von Dalwigk hatte seine hübsche, einzige Tochter fürsorglich bis zu ihrem Sitzplatz im Abteil begleitet und sich dann, die Tochter in Sicherheit wähnend, von ihr mit vielen guten Wünschen verabschiedet. Den aufkommenden Abschiedsschmerz verbarg der disziplinierte Militärmann von altem Adel hinter freundlicher Geste. Elisabeth saß nun in dem gut gewärmten Abteil. Sie schloss die Augen und genoss einen kurzen Tagtraum: Sie sah sich im Hörsaal mit vielen Studenten sitzen. Am Rednerpult sprach ihr Dozent Fritz Hellmann in geschliffener Philologensprache. Was er sagte, war in dem von Verliebtheit getränkten Traum völlig unwichtig. Sie genoss es, dass alle seine Worte nur an sie gerichtet waren, und war so glücklich, der einzige Mensch für ihn zu sein. Damit war der Traum zu Ende.
Was Elisabeths sorgender Vater und Militärstratege nicht wusste, war, dass sich in der unweit vom Abteil seiner Tochter befindlichen Toilette ein junger, ansehnlicher, sportlicher Mann befand, der ungeduldig der Abfahrt des Zuges gen Süden entgegenfieberte. Es war der Dozent für alte Sprachen der Humboldt-Universität Berlin, Dr. Fritz Hellmann.
Elisabeth hatte ihn während ihres ersten Semesters in Freiburg zum