Die Spur führt zu Frederik: Sophienlust 371 – Familienroman
Von Aliza Korten
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Über dieses E-Book
Diese beliebte Romanserie der großartigen Schriftstellerin Patricia Vandenberg überzeugt durch ihr klares Konzept und seine beiden Identifikationsfiguren.
Der Konzertsaal war bis auf den letzten Platz ausverkauft. Das Züricher Publikum hatte sich aus doppeltem Anlaß um die teuren Karten gerissen. Zum einen, weil die weltbekannte Pianistin Renata Orsoni spielte. Das war an und für sich schon ein Ereignis, das musikbegeisterte Menschen magisch anlockte. Doch die festliche Veranstaltung sollte auch einem wohltätigen Zweck dienen. Die Bürger der Stadt und des gesamten Kantons waren aufgerufen, sich durch den Kauf einer Karte am Neubau eines Kinderheims zu beteiligen. Begleitet vom großen Orchester, spielte Renata Orsoni nun als letztes Stück Beethovens Klavierkonzert Nr. 1 in C-Dur. Gebannt lauschten die Menschen, bis der letzte Akkord verhallte. Dann setzte jubelnder Beifall ein. Blumen wurden der begnadeten Künstlerin überreicht, Bravorufe ertönten. Renata Orsoni mußte schließlich den letzten Satz wiederholen, als Zugabe und Dank an ihr Publikum. Ein Abgesandter der Stadtverwaltung bat schließlich um Ruhe. Er teilte mit, daß der Reinerlös dieses unvergeßlichen Abends den zehn Kindern in der Villa der Mama Elisa zugute kommen solle. Schon am nächsten Morgen wollte Renata Orsoni dem Haus im Gebirge einen Besuch abstatten, um sich persönlich davon zu überzeugen, daß ein Neubau dringend nötig sei. Dieser werde dann bis zu fünfzig Kindern als neue Heimstatt dienen. Der Sprecher der Stadt forderte die Gäste auf, weiterhin durch Spenden zu dem guten Werk beizutragen und auch im Bekanntenkreis dafür zu werben. Renata Orsoni stand schön und lächelnd neben ihm. Sie hatte gern auf ihr Honorar verzichtet. Im Künstlerzimmer wartete wie gewohnt Tim Fernow auf sie.
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Die Spur führt zu Frederik - Aliza Korten
Sophienlust
– 371 –
Die Spur führt zu Frederik
Er hatte die Hoffnung schon aufgegeben …
Aliza Korten
Der Konzertsaal war bis auf den letzten Platz ausverkauft. Das Züricher Publikum hatte sich aus doppeltem Anlaß um die teuren Karten gerissen. Zum einen, weil die weltbekannte Pianistin Renata Orsoni spielte. Das war an und für sich schon ein Ereignis, das musikbegeisterte Menschen magisch anlockte. Doch die festliche Veranstaltung sollte auch einem wohltätigen Zweck dienen. Die Bürger der Stadt und des gesamten Kantons waren aufgerufen, sich durch den Kauf einer Karte am Neubau eines Kinderheims zu beteiligen.
Begleitet vom großen Orchester, spielte Renata Orsoni nun als letztes Stück Beethovens Klavierkonzert Nr. 1 in C-Dur. Gebannt lauschten die Menschen, bis der letzte Akkord verhallte. Dann setzte jubelnder Beifall ein. Blumen wurden der begnadeten Künstlerin überreicht, Bravorufe ertönten. Renata Orsoni mußte schließlich den letzten Satz wiederholen, als Zugabe und Dank an ihr Publikum.
Ein Abgesandter der Stadtverwaltung bat schließlich um Ruhe. Er teilte mit, daß der Reinerlös dieses unvergeßlichen Abends den zehn Kindern in der Villa der Mama Elisa zugute kommen solle. Schon am nächsten Morgen wollte Renata Orsoni dem Haus im Gebirge einen Besuch abstatten, um sich persönlich davon zu überzeugen, daß ein Neubau dringend nötig sei. Dieser werde dann bis zu fünfzig Kindern als neue Heimstatt dienen.
Der Sprecher der Stadt forderte die Gäste auf, weiterhin durch Spenden zu dem guten Werk beizutragen und auch im Bekanntenkreis dafür zu werben. Renata Orsoni stand schön und lächelnd neben ihm. Sie hatte gern auf ihr Honorar verzichtet.
Im Künstlerzimmer wartete wie gewohnt Tim Fernow auf sie. Er sah äußerst zufrieden aus, zupfte eine Rose aus einem der Gebinde und überreichte sie Renata mit einer theatralischen Verbeugung.
»Glorios«, erklärte er aufatmend, »du hast mal wieder wie eine Göttin gespielt. Die Leute können sich nicht beklagen. Sie haben zwar sträflich viel bezahlen müssen für ihre Plätze, aber du hast ihnen dafür einen herrlichen Genuß geboten.«
Die Künstlerin lachte. »Es hat mir Spaß gemacht, Tim. Weiter nichts. Es ist irgendwie befreiend, einmal nicht für Geld zu spielen.«
Tim Fernow, der bewährte Manager, rieb sich die Hände.
»Ein einträgliches Geschäft ist es trotzdem, Renata. Dieses Wohltätigkeitskonzert bedeutet für dich eine wirksame Reklame. Zuerst war ich dagegen, als du damit ankamst. Jetzt gebe ich dir recht. Es war eine hervorragende Idee.«
»Mir ist der Werbeeffekt gleichgültig, Tim.Ich wollte wirklich etwas für die armen Kinder tun. Du warst nicht dort in dieser halbverfallenen Villa der Mama Elisa. Die Bambini darin sind höchst armselig gekleidet, und zum Dach regnet es herein. Du wirst es morgen bei der offiziellen Besichtigung selbst erleben. Weißt du, ich war früher selber nicht auf Rosen gebettet. Deshalb mußte ich einfach etwas für die Kinder tun.«
Der Manager runzelte die Stirn. »Manchmal bist du ganz schön sentimental, Renata. Glücklicherweise gehen solche Launen bei dir schnell wieder vorüber.«
»Das ist mehr als eine Laune, Tim«, verteidigte sich Renata.
*
Mama Elisa war eine mildtätige alte Dame gewesen. Sie hatte eine Villa im Gebirge unweit von Zürich bewohnt und irgendwann damit begonnen, Waisenkinder aufzunehmen, die sonst kein Mensch haben wollte. Sie selbst soll aus einem adeligen Geschlecht gestammt haben und sogar mit einem europäischen Fürstenhaus verwandt gewesen sein. Doch das hatte ihr wenig oder gar nichts bedeutet. Sie hatte sich grundsätzlich um nichts und niemanden gekümmert, sondern nach ihren eigenen ungeschriebenen Grundsätzen gelebt. Mildtätigkeit und Hilfsbereitschaft hatten ganz oben auf ihrer Liste gestanden.
So waren nach und nach immer wieder Kinder bei ihr untergeschlüpft, waren Findelkinder vor ihre Tür gelegt worden. Sie hatte sie alle behalten. Ohne auf ihre finanziellen Möglichkeiten Rücksicht zu nehmen, hatte sie für ihre Schützlinge gesorgt, bis das Geld immer knapper geworden war. Trotzdem hatte sie weitergemacht, eigenhändig im Park Gemüse angebaut, eine Kuh gehalten, um genügend Milch zu bekommen. Es war weitergegangen, wenn auch mühevoll.
Eines Tages war sie gestorben, still und unauffällig, wie sie gelebt hatte. Nun blieb der öffentlichen Verwaltung nichts anderes übrig, als dieses private kleine Refugium für verlassene oder vergessene Kinder in ihre Obhut zu nehmen. So war man auf die Idee gekommen, an die Hilfe der Bürger zu appellieren.
Renata Orsoni hatte sogleich zugestimmt, als sie gebeten worden war, ein Konzert zu geben. Jetzt, beim festlichen Diner mit den Prominenten der Stadt, wurde ihr selbstloser Einsatz nochmals lobend hervorgehoben.
Renata winkte ab. »Ich freue mich, daß ich helfen kann«, erklärte sie. »Zu danken braucht mir niemand. Morgen werde ich mir die zehn Kinder noch einmal genau anschauen und mich ein wenig nach ihren Schicksalen erkundigen.«
»Da schneiden Sie ein betrübliches Kapitel an, Madame«, erwiderte der Bürgermeister bedauernd. »Mama Elisa war eine außergewöhnliche Frau. Daran besteht kein Zweifel. Wir haben sie mit ihrer privaten Initiative stets gewähren lassen, weil sie ja ganz persönlich für die entstehenden Kosten aufkam. Leider haben wir uns auch um ihre Aktenführung und dergleichen nicht gekümmert. Nun stellt sich heraus, daß sie es damit sehr großzügig gehalten hat. Offenbar ging es ihr um das Humane. Dokumente, Daten, Namen und dergleichen erschienen ihr nicht wichtig. Die Kinder befanden sich bei ihr in den allerbesten Händen, aber wir werden nun bei einigen Buben und Mädchen Schwierigkeiten haben, Herkunft und Identität einwandfrei festzustellen.«
Renata war überrascht. »Das ist erstaunlich. Bei Findelkindern erscheint es erklärlich, aber von anderen Kindern sollten doch wenigsten die Namen bekannt sein.«
»Wir haben unter den zehn Buben und Mädchen vier, deren Herkunft vorläufig im Dunkeln liegt. Vielleicht lassen sich diese Schicksale nachträglich aufklären. Für den Augenblick ist es nicht wichtig. Wir haben eine Schwester in die Villa entsandt, die dafür sorgt, daß zunächst alles irgendwie weitergeht. Der Neubau soll auf demselben Gelände errichtet werden. Wir hoffen, daß etwa um Weihnachten herum das Haus so weit fertig sein wird, daß es die Kinder aufnehmen kann, dazu weitere vierzig Waisen aus überfüllten anderen Heimen.«
»Nun, den Grundstein haben wir gewissermaßen heute mit dem Konzert gelegt. Ich glaube, daß das, was Sie sich vorgenommen haben, Herr Bürgermeister, im Sinne der verstorbenen Dame ist«, sagte Renata höflich.
*
Am nächsten Vormittag holte der Bürgermeister Renata vom Hotel ab, um mit ihr im Wagen hinaus zu Mama Elisas Villa zu fahren.
»Das Fernsehen wird dort sein. Wir erhoffen uns davon weitere Spenden für das Heim«, sagte er unterwegs. »Es macht Ihnen doch hoffentlich nichts aus?«
»Nein, nein – warum auch? Ohne ein bißchen Publicity kann man heutzutage nichts gewinnen. Ich kenne da sdurch meinen Beruf.«
Sie erreichten den verwilderten Park mit den unregelmäßig angelegten Gemüsebeeten. Die Villa wirkte immer noch stolz. Erst auf den zweiten Blick sah man, daß sie vom Verfall gezeichnet war.
Die Schwester hatte ihre zehn Schützlinge auf der brüchigen Steintreppe aufgestellt. Sie sangen ein einfaches Lied. Es war rührend, wenn auch nicht gerade melodisch. Die Leute vom Fernsehen bemühten sich eifrig, einige Szenen einzufangen.
Renata Orsoni mußte den Scheck insgesamt dreimal überreichen, ehe die wichtige Angelegenheit zufriedenstellend gefilmt war. Dann endlich hatte sie den offiziellen Teil hinter sich und durfte sich ungezwungen mit den Kindern unterhalten. Sie waren allesamt äußerst armselig gekleidet, doch munter, gesund und gar nicht schüchtern.
»So schnell konnten wir nicht für neue Sachen sorgen«, entschuldigte sich die Schwester. »Immerhin hatten die Kinder stets genug zu essen.«
Die Künstlerin setzte sich zwischen die Buben und Mädchen auf die Stufen. Ein Junge, der einen etwas schäbig gewordenen Fellhasen im Arm hielt, erregte ihre Aufmerksamkeit.
»Wie heißt du?« erkundigte sie sich und strich über sein Haar.
»Frederik!« Große Augen, ein feines Knabengesicht. Renata war fasziniert.
»»Und – weiter?«
»Nur Frederik«, wiederholte das Kind. »Niemand weiß meinen zweiten Namen. Wenn ich zur Schule muß, kriege ich vielleicht einen.«
»So, wenn du zur Schule gehst...«
»Wir kennen seinen Namen tatsächlich nicht«, raunte die Schwester ihr zu.
»Das ist interessant. Ist Frederik schon lange hier?«
»Ich müßte nachsehen. Wir haben damit angefangen, eine ordentliche Kartei anzulegen und alles einzutragen, was wir über die Kinder herausfinden können.«
»Frederiks Karte möchte ich gern ansehen, wenn das erlaubt ist.«
»Warum nicht?«
Renata legte den Arm um die schmalen Schultern des Buben. Sie summte ihm eine einfache Melodie ins Ohr. »Kannst du das nachsingen?« fragte sie leise.
Klar setzte die Knabenstimme ein. Frederik sang völlig rein.
»Du hast Musik im Blut«, stellte Renata entzückt fest. »Gibt es in diesem verwunschenen Haus vielleicht ein Klavier?«
»Ja, aber es ist sicherlich nicht gestimmt.«
Renata ließ sich nicht abschrecken. Neugierig folgten ihr die Kinder und Erwachsenen.
Im früheren Festsaal des Hauses, in dem die Kinder jetzt ihre Mahlzeiten einnahmen, stand ein Flügel. Er war mit einer zerschlissenen Seidendecke bedeckt.
»Mama Elisa hat manchmal für uns gespielt – abends«, berichtete ein schwarzhaariges Mädchen von etwa acht Jahren verträumt. »Sie spielte sehr, sehr schön.«
Erwartungsvoll klappte Renata den Deckel hoch und schlug die Tasten an. Das Instrument erwies sich als tadellos gestimmt.
Die Künstlerin begann zu spielen. Sogleich setzten sich die Kinder auf den verschrammten Parkettboden, in dem sich vor Zeiten das Licht festlicher Kerzen gespiegelt haben mochte. Andächtig