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Dina und der kleine Herzog
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eBook243 Seiten3 Stunden

Dina und der kleine Herzog

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Über dieses E-Book

Als die junge Pianistin Dina Antze in einer Pension am Berliner Kurfürstendamm tot aufgefunden wird, geht man zunächst von Selbstmord aus. Doch schon bald stellt sich heraus, dass sie umgebracht wurde. Eine wichtige Rolle spielt dabei Helma Doost, die aus dem gleichen Heimatort wie Dina am Rhein stammt. Nach und nach entwickelt sich vor den Augen des Lesers eine dramatische Mordgeschichte, deren Motive Liebe, Geltungsbewusstsein und Habgier sind. AUTORENPORTRÄT Paul Oskar Höcker, geboren 1865 in Meiningen, gestorben 1944 in Rastatt, war ein deutscher Redakteur und Schriftsteller. Höcker verfasste Lustspiele, Kriminalromane, Unterhaltungsromane, historische Romane und auch etliche Jugenderzählungen. Er galt in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts als überaus erfolgreicher Vielschreiber. Einige seiner Romane wurden verfilmt.
SpracheDeutsch
HerausgeberSAGA Egmont
Erscheinungsdatum10. Juli 2015
ISBN9788711445440
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    Buchvorschau

    Dina und der kleine Herzog - Paul Oskar Höcker

    Saga

    Vier Zeitungsmeldungen

    Montag, den 11. Januar (Abendausgabe). — Selbstmord der Pianistin Dina Antze. Das einzige Berliner Konzert des Sontmar-Vokalquartetts, das heute abend stattfinden sollte, mußte in letzter Stunde abgesagt werden. Die ständige Begleiterin des Quartetts, die bekannte Pianistin Dina Antze, hat in der Pension R. am Kurfürstendamm Selbstmord verübt. Unser Konzertleben verliert in der Dahingeschiedenen eine Musikerin, die durch Feinhörigkeit und Fingerspitzengefühl für das schwierige, nicht immer dankbare Amt des Akkompagnements besonders befähigt war. Wer erinnert sich nicht gern des Scharms und der silbernen Brillanz, womit sie z. B. die Brahmsschen Liebeswalzer zu begleiten wußte! Dina Antze stammte aus einer Lehrersfamilie am Rhein. Sie stand im zweiunddreißigsten Lebensjahr. Am gestrigen Sonntag hatte die Künstlerin mit dem Sontmar-Quartett noch bis zum Abend geprobt. Sie war auch diesmal wieder in der Pension R. abgestiegen, wo eine Landsmännin von ihr wohnte, Fräulein Helma D., Gesangsschülerin der Hochschule. Die junge Dame hatte der von der Probe abgespannt heimkommenden Künstlerin als Schlafmittel eine Veronaltablette verabreicht. Als heute vormittag das Sontmar-Quartett bis 10½ Uhr vergebens auf seine Begleiterin zur Saalprobe warten mußte, ergab sich bei der Nachforschung in der Pension R., daß die Pianistin tot im Bett lag. Der Rest des in einem Cocktailglas aufgelösten Schlafmittels läßt, nach Meinung des Arztes, darauf schließen, daß die Unglückliche mindestens zehn (!) Veronaltabletten zu sich genommen hat. Fräulein Helma D. betont, daß sie an Dina Antze nicht die Spur eines Lebensüberdrusses wahrgenommen habe, im Gegenteil von neuem überrascht gewesen sei von der außerordentlichen Frische und dem rheinischen Temperament ihrer Lehrerin und Freundin.

    Dienstag, den 12. Januar (Morgenausgabe). — Dina Antze nicht durch Selbstmord geendet. Racheakt? Die Leiche beschlagnahmt. Ein Stubenmädchen der Pension R. am Kurfürstendamm, die neunzehnjährige Elli Rejewski, unter dem Verdacht, der Künstlerin Gift beigebracht zu haben, am gestrigen Abend verhaftet.

    Dienstag, den 12. Januar (Abendausgabe). — Die Mordkommission in der Pension Reitmeyer am Kurfürstendamm. Die dem schweren Schlaftrunk erlegene Pianistin Dina Antze das Opfer eines Raubmordes. Auch der Bräutigam der Rejewski, der Monteur Otto Ruhwe, in Haft genommen.

    Mittwoch, den 13. Januar (Abendausgabe). — Sensationelle Wendung in der Raubmordaffäre Dina Antze. Frau Lucy Schlentzig, die Inhaberin der Autofahrschule Knesebeck, deren beide Garagen am Sonnabendnachmittag durch den Gerichtsvollzieher versiegelt worden sind, ist unter dem Verdacht, ihre Pensionsgenossin betäubt und beraubt zu haben, verhaftet worden. Die Verhaftete, bekannte Autosportlerin, lebt von ihrem Mann getrennt; Ehe vor vier Monaten geschieden; Frau Lucy Sch. hierbei wegen ihrer Geldverschwendung als schuldiger Teil erklärt; völlig zerrüttete Vermögensverhältnisse.

    *


    Die Gesangstudierende der Hochschule Helma Doost hat noch bei jedem Aufenthalt, den das Sontmar-Vokalquartett für ein Konzert in Berlin nimmt, ihre Landsmännin, die Pianistin Dina Antze, als Gast zu sich gebeten, um unter ihrer Leitung an eigenen Programmen zu arbeiten. Aber nie zuvor ist ihre erwartungsvolle Spannung so stark gewesen wie diesmal; denn für Anfang März plant sie doch ihren allerersten eigenen Liederabend im Bechsteinsaal.

    Helma ist Waise, wie Dina, und aus Dinas Heimat Runnswick am Rhein stammte auch ihr früh verstorbener Vater. Die Familie Doost lebte aber schon seit Jahrzehnten in Amsterdam, wo Helmas Mutter, die im vorigen Frühjahr dem Gatten in den Tod gefolgt ist, der Reederei van Kuypers & Cie. vorstand, deren einzige Besitzerin sie seit 1927 war.

    Ein Besuch der rheinischen Freundin bringt Helma also nicht nur künstlerische Anregung, sondern auch stimmungsvolles Wiederaufleben von viel frohen Erinnerungen an Ferientage am Rhein und an künstlerische Feierstunden in Amsterdam. Helmas Mutter galt mit Recht für sehr kunstsinnig; solange sie am Leben war, bildeten die Wohltätigkeitskonzerte im Hause Doost-van Kuypers stets einen künstlerischen und gesellschaftlichen Mittelpunkt für die oberen Vierhundert der alten Handelsstadt. Auch das Sontmar-Quartett hat dort manchen Triumph feiern können.

    Ankunft und Einholung des Sontmar-Quartetts wird von der Berliner Konzertdirektion und den Freunden und Anhängern der Künstler und Künstlerinnen gern zu einem kleinen Festakt ausgestaltet. Reklame kann ja auch solch prominenten Leutchen nicht schaden. Es gibt viel Blumen, es gibt viel Tücher- und Hüteschwenken. Meist ist auch ein Kurbelmann, mindestens ein Photograph, ganz bestimmt ein Pressevertreter zur Stelle.

    Auch diesmal, fünf Tage vor dem Singakademie-Konzert, das jetzt schon beinahe ausverkauft ist, hat sich auf dem Bahnsteig des Anhalter Bahnhofs eine stattliche Gruppe von Herren und Damen eingefunden und begrüßt die Ankömmlinge mit großem Enthusiasmus. Der Tenor ist ein eleganter, nicht mehr ganz junger Künstler, dem viele Abenteuer nachgesagt werden. Der Baß vertritt den Typ des modernen Sportsmannes und Naturburschen: auch wenn er von Prag nach Berlin reist, steckt er im Golfanzug. Die Altistin mit dem Madonnenscheitel und den dunklen Augen ist der besondere Schwarm der Konservatoristinnen. Erika Sontmar, die etwas füllige Sopranistin, ist gewohnt, sämtliche Huldigungen, die dem Vokalquartett dargebracht werden, auf sich allein zu beziehen, auf dem Podium wie bei sonstigen Gelegenheiten. So nimmt sie auch Helma Doost, die bei der Zugeinfahrt ihrem Fenster erster Klasse zunächst steht, mit ihrem berühmten gnädigen Lächeln den für Dina Antze bestimmten großen Nelkenstrauß aus der Hand, haucht einen Kuß hinein und schwenkt die Blumen über den Köpfen des neben dem Wagen mitwandernden Empfangstrupps. Es wirkt wie ein Engrosgruß an Berlin.

    „Dina, also du wohnst bei mir! Nein, schläfst nicht auf der Couch, wie im Herbst. Du hast dein eigenes Zimmer. Den Flügel hab’ ich gestern stimmen lassen. Du, ich freue mich mächtig! Wie lange bleibt ihr? Ist’s wahr, daß ihr schon am Mittwoch nach Paris weiter müßt? Ekelhaft, diese Hetze immer! Mädel, was ist das für eine unmögliche Mephistokappe, die du da trägst?"

    „Ist das neueste Prager Modell. Kühne Behauptung, nicht? Erika hat mir das Ding ausgesucht."

    „Kannst du in Berlin unmöglich tragen! Das steht in jedem Warenhausfenster zu Dutzenden mit vier Mark fünfundneunzig ausgezeichnet. Du bist wieder märchenhaft verwahrlost, göttliche Dina!"

    „Denkst du denn, du kleiner Aff’, ich will hier Triumphe feiern wie ein Tenor? Ausfaulenzen will ich ... Mein Gott, Helma, Wilhelma, Willemintje, was hast du doch für süße Augen! Die sind inzwischen noch blauer geworden. Gib dir bloß keine Müh’ um mich und mein Hütchen, du Kleine! Gegen dich Bündel Jugend und Frechheit und Blondheit und Angelhaken im Geschau komm’ ich alte Scharteke ja doch nicht auf!"

    Sie umarmen sich lachend auf dem Bahnsteig. Dina ist um einen halben Kopf größer als Helma, agiert viel mit den langen, etwas knochigen Armen und hat unbedingt etwas Exaltiertes. Dabei sagt sie, es sei ihr Traum, so vornehm wie Helma oder auch nur wie die Altistin des Quartetts zu wirken. Manchmal persifliert sie sich selbst, indem sie in Gang und Haltung eine junonische Würde annimmt. Man kann Tränen über sie lachen, wenn sie mal so richtig aufgezogen ist.

    In der Pension Reitmeyer wird sie in der kleinen Diele halbstocks von Frau von Scheidegg liebenswürdig begrüßt. Die gewandte Pensionsinhaberin weiß gleich dabei einzuflechten, daß ihr der Chopin-Abend vom Winter 1928 unvergeßlich sei. Helma Doost-van Kuypers hat damals verschwenderisch Freibillette verteilt.

    „Ja, damals war ich noch jung und schön ... Geschenkt, geschenkt, Frau von Scheidegg! Dina schiebt lachend ihren Arm in den Helmas. Im Lift sagt sie: „An den Chopin-Abend denk’ ich nur noch zurück, wenn ich Alpdrücken habe. Ein Deibel ritt mich damals. Ich raste den Minutenwalzer in neunundvierzig Sekunden herunter. Das Publikum tobte Beifall — aber die Kritik hat mich hernach erbarmungslos skalpiert. Ach, man hat schon so seine Glücksstunden im Künstlerleben ... Furchtbar komisch ist sie, deine Landlady!

    „Lästre nicht, Dina! Sie opfert sich für mich auf. Und die himmlischen Tulpen, die sie dir auf Nummer dreißig hingestellt hat! Sie öffnet die Tür. „Da — bitte!

    „Ich bin ein Rabenaas — ich weiß. Dina kneift das Gesicht zusammen, so daß die scharfe Nase noch mehr heraussticht, und schielt grauenhaft. „Guck, Helma! So ein Kölner Hänneschen hab’ ich in Runnswick als gehabt. So guck doch, du! Länger kann ich die Fratz’ nicht halten.

    Dinas umfangreiches Gepäck wird aus dem Lift geschafft; die Damen sind so lange noch vor der offenen Zimmertür stehengeblieben.

    „Nette Käschperle-Vorstellungen gibst du da wieder, Dina!" sagt Helma, die belustigt im Spiegel über dem Anrichtetisch bemerkt hat, daß Herr Prinz, ihr Flurnachbar, aus Nr. 23 herausgetreten ist, von Exzellenz von Malchow bis zur Tür begleitet.

    Nun gewahrt auch Dina erschrocken die Fremden. Sofort legt sie ihr Gesicht wieder artig zurecht und sieht unschuldsvoll in den Spiegel.

    „Aber das ist doch Fräulein Antze! ruft die Generalswitwe und tritt voller Begeisterung auf die Pianistin zu, beide Hände nach ihr ausstreckend. „Die berühmte Dina Antze! Ja, ja, ich weiß: das Sontmar-Quartett!

    „Exzellenz von Malchow!" stellt Helma vor.

    „Haben Sie mich etwa auch Chopin spielen hören, Exzellenz?" fragt Dina, mit einem Augenblinzeln zu Helma.

    „Ihr himmlischer Sopran!" sagt die fast taube alte Dame, mit einem entrückten Augenaufschlag.

    „Exzellenz ist schwerhörig," erläutert Helma halblaut.

    „Na ja: Wenn ihr mein Klaviergepauke schon als himmlischer Sopran erschienen ist —?" bemerkt Dina, plötzlich in tiefem Baß murmelnd.

    Helma kann sich kaum des Lachens erwehren. Sie wendet sich nach Herrn Prinz um. „Darf ich Sie auch gleich mit meiner Freundin bekannt machen, Herr Prinz?"

    „Ich hörte schon von Ihrem triumphalen Einzug, gnädiges Fräulein. Er beugt sich leicht auf Dinas Hand. „Fräulein Doost-van Kuypers hat nämlich mit ihrer freudigen Aufregung die ganze Pension angesteckt.

    Prinz ist ein auffallend gutgewachsener und wohlgepflegter Herr von höchstens vierundzwanzig Jahren. Er stammt aus den Vereinigten Staaten, beherrscht die deutsche Sprache aber fast ohne Akzent. Dina ist überrascht von seinem schöngeformten Kopf, den ausdrucksvollen, klaren grauen Augen. Obwohl Prinz noch bis vor kurzem in Hollywood tätig gewesen ist, besitzt er doch nichts, was an den Filmschauspieler erinnert. Dabei hat man ihn drüben den Zweiten Valentino genannt. Seine liebenswürdige Art wirkt sehr zurückhaltend, auch durch die immer etwas gedämpfte Sprechweise.

    „Hoffentlich wird Sie mein Musizieren nicht stören, Herr Prinz? fragt Dina. „Manchmal kommt man sich beim Üben so unausstehlich grausam gegen seine Mitmenschen vor.

    Er lächelt — Dina ist gleich ein bißchen verliebt in sein wundervolles natürliches Gebiß — und nickt Helma freundlich zu. „Durch Fräulein Doost-van Kuypers bin ich hier schon ein bißchen erzogen worden für ernste deutsche Musik. Übrigens war ich nie ein Schwärmer für Negerrhythmen. Beunruhigen Sie sich meinetwegen gar nicht, gnädiges Fräulein!"

    „Der ist ja bezaubernd, Willemintje! sagt Dina hernach. „Bist du mit ihm befreundet? Habt ihr einen netten kleinen Flirt miteinander?

    „Gar nicht! Sie machen ihm hier ja schon alle so schrecklich den Hof. Wer? Nun, alle Weibchen. In der ganzen Pension. Bei Tisch ist es manchmal unerträglich, wie sie ihm heimlich, auch im Spiegel, zulächeln oder zutrinken. Ich wollte so tun, als könnt’ ich ihn nicht leiden, wollte der Bekanntschaft überhaupt ausweichen. Aber da kam der Zimmerwechsel. Nämlich Frau Schlentzig, die das Zimmer neben mir hatte, beschwerte sich darüber, daß ich manchmal schon früh um acht Uhr Solfeggien übe; Frau von Scheidegg vermittelte; Herr Prinz war gefällig, gab Nummer einundzwanzig frei und zog auf Nummer vierundzwanzig, und so kam’s dann doch dazu, daß er mir vorgestellt wurde."

    „Ihr seid hier fabelhaft vornehm, Willemintje. Eine Exzellenz — so ein eleganter Herr Prinz ... Sie bricht ab: „Nein, weißt du, daß mir da gleich eine frappante Ähnlichkeit aufgefallen ist?

    Helma lacht. „Kunststück! Du wirst Bilder von ihm gesehen haben. In tausend Journalen. Mister Balthasar Prinz als X, als Y, als Z. Immer in neuen, berauschend schönen Kostümen. Oder auch fast ohne. Als ich in Amsterdam zum erstenmal in einen Film mit durfte, sah ich ihn als kleinen Lord Fauntleroy. O Gott, hab’ ich damals für den Bengel geschwärmt! Und dann war er der süße Karl-Heinz in ‚Alt-Heidelberg‘. Und Aiglon war er auch."

    „Richtig, richtig! Aber ich hab’ noch eine ganz besondere Erinnerung ... Zum Kuckuck, Mädel, krieg’ ich denn nichts zu essen? Klingle doch mal! Zwei weiche Eier, Toast mit Butter und Tee."

    „Ach, du Spielverderber! Du alter Philister! Heut gibt’s doch ein Festmahl! Wir schlüpfen sofort in mein Auto und fahren in mein Leiblokal. Ich hab’ extra ein paar Spezialitäten bestellt. Rheinische und holländische. Du wirst staunen!"

    „Und nachts stöhnen! Dina droht ihr und macht wieder ihre tragikomischen Schielaugen. „Ha — Verführerin! Jetzt steht sie am Waschtisch und erklärt: „Du, aber große Toilette wird heut nicht gemacht!"

    „Bewahre! Bloß ein bißchen Puder auf die Nase! Deine Sommersprossen sind übrigens kaum mehr zu sehn, Dina. In drei Minuten also Abfahrt!"

    „Und wer packt aus? Etwa ich? Etwa du? Wenn wir, des süßen Weines voll, von deiner lasterhaften Orgie um Mitternacht hier landen?"

    „Elli packt aus. Macht das glänzend."

    Dina klingelt also dem Stubenmädchen Elli, um ihr die Kofferschlüssel anzuvertrauen. Aber dann schlägt sie sich an die Stirn. „Geht nicht."

    Helma wendet sich in der Tür um. „Was geht nicht?

    „Abgang! Raus! Vorhang! — Elli, kommen Sie mal geschwind her! Hier in diesem Sack ist meine seidene Wäsche. Die muß unbedingt noch heute abend gewaschen und geplättet werden ... Und hier sind die Spitzen abgetrennt — da fehlen auch die Bändchen ..."

    Ein Dutzend Aufträge, wenn nicht mehr, würden jetzt folgen. Helma kennt ja ihre unberechenbare Dina. Sie entzieht sie jeder Widerrede der störrisch dreinblickenden Elli und macht sich zu dem gemeinsamen Ausgang fertig. — —

    Eine „lasterhafte Orgie" ist es dann doch nicht geworden; denn sie gingen gleich von den Vorspeisen zum Mokka über. Soviel hatten sie einander zu erzählen. Aber gemütlich war die Ecke in dem alten Schlemmerrestaurant auf alle Fälle, und Helma ist sehr stolz darauf, es entdeckt zu haben; es erinnert sie an ein berühmtes kleines Frühstücksstübchen in Amsterdam. Die halbe Flasche Hautes Sauternes hat sie aber beide doch so müde gemacht, daß Helma es dem Pagen überläßt, den Wagen in die Garage zu fahren.

    Früh um acht Uhr bereits kommt Dina, in Schlafanzug und Kimono, über den Gang herüber zu Helma, die die beiden Eckzimmer bewohnt, Nr. 25 und 26, und setzt sich an den großen Konzertflügel. Der Klavierauszug von „Madame Butterfly liegt da aufgeschlagen. Sie beginnt zu spielen. Dazwischen ruft sie ins Nebenzimmer: „Du, Willemintje, was sind denn das für Seitensprüng’? Willst du etwa umsatteln und zum Theater?

    Helma lehnt sich verschlafen an den Türpfosten, hüllt sich fester in den Kimono, schüttelt sich und gähnt mitleiderweckend. „Du bist von einer barbarischen Grausamkeit, Dina! Ich begreife nicht, wie du jetzt schon ausgeschlafen sein kannst. Das ist pervers! Und, ‚Butterfly‘, vor dem Frühstück? Das kommt mir vor wie Aal mit Himbeersoße!"

    „Brrr! Mit einem schrill dissonierenden Akkord springt Dina auf. Aber wie schuldbewußt setzt sie sich sogleich wieder nieder und fügt eine schulgerecht auflösende Schlußkadenz à la Haydn hinzu. „Du, Willemintje, ich hab’ dir doch gestern von der Ähnlichkeit erzählt, nit? Sie nimmt das Päckchen wieder auf, das sie auf die Flügeldecke gelegt hat. „Grad’ wie ich den Schreibtisch einräumen will, gerät mir das Bildchen zwischen die Finger. Ich kann mich von dem alten Kram ja nicht trennen. Guck bloß einmal selbst! Das ist mein kleiner Herzog als ‚Blue boy‘. In Runnswick damals." Sie holt ein paar Liebhaberaufnahmen aus dem kleinen Paket und breitet sie aus.

    Helma beginnt ihren Morgen sonst immer mit Solfeggien. Sie fühlt sich in ihrem Tagesprogramm gestört. Aber dem impulsiven Gast kann sie das nicht klarmachen. „Moment mal! Ich drehe bloß das Bad für dich auf."

    „Für mich? Danke! Ich bade um sechs Uhr abends. Seit tausend Jahren. Müßtest du wissen! Donnerwetter, warum schlüpfst du nicht in deine Pantoffel? Ach so, ich soll deine bildhübsch polierten Fußnägel bewundern? Gemacht! Jetzt setz’ dich her, Willemintje, und guck!"

    „Ich guck schon. Aber Tee will ich noch rasch bestellen, ja?"

    „Hab’ ich längst getrunken. Er war scheußlich. Verzeih schon, Willemintje! Der Einfachheit halber hab’ ich eurer Elli auch gleich anvertraut: Was ihr Berliner hier Tee nennt, das nennen sie auf Sumatra Abwaschwasser."

    „Du scheinst dich ja wieder fabelhaft beliebt zu machen, göttliche Dina."

    „Das sowieso! Dina nimmt eine Zigarette. „Also, die Spitzenwäsch’, die euch eure Huldinnen hier abliefern dürfen — na! Ich hab’ euerm Wuschelkopf mal gleich ein Privatissimum darüber im Damenbad erteilt. Die hat nicht schlecht die Augen aufgerissen, eure Elli.

    „Heil und Sieg, praeceptor Germaniae!"

    Dina nimmt eines der Bilder auf. „Das da ist aus dem Jahr zwölf oder dreizehn. Ich war damals auf Schloß Runnswick herzogliche Kindergärtnerin."

    „Also mit elf oder zwölf Jahren? Grauenhaften Unsinn verzapfst du einem so auf nüchternen Magen, Dina!"

    „Na ja, der Herzog nannte es nur ‚Gespielin‘. Aber Vater hatte doch bloß sein kleines Lehrergehalt und mußte darauf sehen, daß diese erste Sprosse auf meiner Glücksleiter in einen bestimmten Lohntarif fiel. Sie reicht ihr ein Bild nach dem andern. „Hier der kleine Herzog allein — hier mit seinen Eltern — hier seine Mama im Schloßhof ... Ach, die Ärmste, sie war doch nicht standesgemäß, und was hat es damals für Kämpfe mit dem Heroldsamt gegeben! — Und da der kleine Herzog mit seiner Kindermuhme Dina!

    Helma lacht hellauf. „Das bist du?"

    „Leibhaftig! Ich würde das lange Gestell auch eher für einen Stockfisch im Hängerkleidchen halten. So schön wie heut war ich damals natürlich nicht. Was verlangst du auch, Willemintje? Ja — und das ist nun mein Lieblingsbild ... Guck mal: Percy als ‚Blue boy‘! Ist das nicht allerliebst? Der Bengel war ja zum Küssen. Da hatten sie ein großes Fest auf dem Schloß. Das war knapp ein Jahr vor dem Zusammenbruch von Runnswick. Das Geld der Herzogin floß damals noch in Strömen. Sie war doch unser Goldsischchen aus Amerika. Nach Runnswick paßte sie ja nicht, überhaupt nicht nach Deutschland. Aber der Herzog hatte sich doch derart verknallt in sie — es war tatsächlich eine Liebesheirat. Und der Sommernachmittag auf der Schloßterrasse — mit all den schönen Menschen in den schönen Kostümen —, die paar Stunden kommen mir immer wieder ins Gedächtnis, wenn ich an die Vorkriegszeit denk’."

    Helma kniet auf der Polsterbank am Klavier und betrachtet die Bilder. „Ja, du hast recht, Dina: Fabelhaft ist die Ähnlichkeit! Man muß sich natürlich die Pagenfrisur wegdenken. Aber genau so muß auch Balthasar Prinz als Knabe ausgesehn haben. Das kecke Näschen und der trotzige Mund ..."

    „Und die Augen, Willemintje, die Augen!"

    „Na ja, da haben wir’s! Nun bist du auch schon restlos eingefangen von ihm — wie alle Frauensleut’ hier!"

    „Menschenskind, ich bin doch nicht, wie ihr, in euern Filmprinzen verschossen! Ich konserviere meinen Jugendschwarm!"

    „Du mußt mir noch unendlich viel über Runnswick und deine früherotischen Dämmerzustände erzählen, meine teure Dina. Aber jetzt verzeih! Ich muß mir

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