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Die Rose Feuerzauber
Die Rose Feuerzauber
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eBook267 Seiten3 Stunden

Die Rose Feuerzauber

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Über dieses E-Book

In der Familie Nidders, einer der mächtigsten Industriellenfamilien Berlins, wird heftig an der künftigen Unternehmensleitung gebastelt. Der alte Nidders ist leidend, seine beiden Söhne verstorben, also soll seine mittlere Tochter, die schöne Minna, ihren Vetter Fritz heiraten und er die Firmenleitung übernehmen. Minna aber ist heftig in Bert von Überling verliebt, einen eher unsicheren Kandidaten. Und wie verhält sich der treue Fritz, der bisher seine Interessen denen des Unternehmens untergeordnet hat. Wäre da nicht die junge Gärtnerin Fränze, deren Onkel gerade mit der Rose Feuerzauber eine Züchtungssensation gelungen ist, die für alle Möglichkeiten eröffnet.-
SpracheDeutsch
HerausgeberSAGA Egmont
Erscheinungsdatum10. Juli 2015
ISBN9788711445617
Die Rose Feuerzauber

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    Buchvorschau

    Die Rose Feuerzauber - Paul Oskar Höcker

    Saga

    Die Stammgäste aus Berlin, die das hübsche Kurbad Pyrmont in jedem Mai auf seiner Kurpromenade sah, waren wieder versammelt. Sie kannten einander alle nach Namen und Rangklasse, vielleicht sogar Steuerstufe. Aber einen Verkehr über die Standesgrenzen hinweg pflog man nicht. Die Damen der Garde, von der Exzellenz an bis zur jüngsten Sekondeleutnantsfrau, bildeten unter sich einen Ring, in den nur dem Adel vom Lande noch Zutritt gewährt wurde. Gelegentlich führte eine Hofdame der Kaiserin, die ihren kurzen Urlaub der Bade- und Brunnenkur widmete, ein paar Damen von ausländischen Diplomaten ein oder aus der Finanzwelt, aus den Kreisen hervorragender Industrieller. Für die Dauer eines grossen Wohltätigkeitsfestes verwischten sich dann die Grenzen ein wenig. Aber hernach lebte jeder Kurgästekreis wieder für sich.

    Der jedem Berliner bekannte Name Nidders war alljährlich mehrmals in Pyrmont vertreten. Im Mai erschien regelmässig Frau Trude Nidders. Sie hatte viele Jahre im Hause von E. F. W. Nidders, nach dem Tode von dessen Gattin, das Zepter geführt, war die Witwe eines Zahlmeisters und hatte an dem ungeheuren Reichtum ihres Schwagers E. F. W. keinen Anteil. Die alte Dame lebte hier in einer behaglichen Pension am grossen Park und suchte wohl kaum Anschluss, wie andere einsame Kurgäste. Trubel, Aufregungen, Verkehr, Bekanntschaften, grosse Sorgen und kleine Freuden waren ihr als dem vielverantwortlichen Hausfrauenersatz des mächtig emporstrebenden Kommerzienrats reichlich zuteil geworden. Aber diesmal hatte sie ihre Nichte mitgebracht, die Mittelste der drei blonden Töchter von E. F. W.

    „Das ist Fräulein Minna Nidders!" erklärte einer dem andern auf der Kurpromenade.

    Minna war schlank, war hübsch und wendig, war vierundzwanzig Jahre alt. Und war eben eine der Erbinnen des Grossindustriellen E. F. W. Nidders.

    „Man nennt ihn in Berlin bloss mit den Anfangsbuchstaben seiner Vornamen. Wahrscheinlich heisst er Ernst Friedrich Wilhelm. Es gibt ja noch mehrere reiche Nidders in Berlin, den Rolf Nidders, den Heinrich, den Kompagnon von Pinneke, und was weiss ich. Aber E. F. W. hat doch den allergrössten Betrieb. Er fabriziert nicht nur die hunderttausend Röhren und Leitungen für Gas und Wasser und Kanalisation der Berliner, er führt die Riesenbauten in und über und unter der Erde auch mit seinem eigenen Arbeiterheer aus. Dabei hat er ganz klein angefangen. Mit fünfzehn Jahren ist er barfuss nach Berlin gekommen. Gerade ist er fünfundsechzig geworden. Jetzt haben wir 1895. Also in einem halben Jahrhundert hat er sich Berlin erobert. Zu seinem Jubiläum hat er den Roten Adler Dritter gekriegt. Tja, K.-O. drei besass er schon lange. Schade, dass er keinen Sohn mehr hat. Die beiden Jungen sind ihm vor acht Jahren an Scharlach gestorben. Waren dabei famose Bengels."

    „Also muss Fräulein Minna Stammhalterin werden?"

    „Die jungen Herren von der Rennbahn nennen sie den ‚Grossen Preis von Berlin‘. Sie reitet besser als ihre Schwestern, sieht zu Pferde wie eine Prinzessin aus, hat ganz königliche Haltung, tatsächlich. Aber sie soll schon verlobt sein. Geben Sie sich also keine verlorene Liebesmühe, Herr Professor!"

    „Schade. Ich habe sie aber noch nie mit einem Herrn gesehn."

    „Ihr Verlobter steckt natürlich zu Hause in der Arbeit. Kann ebensowenig aus Berlin heraus wie E. F. W."

    „Und wer ist nun der Glückliche?"

    „Es soll ein Vetter sein. Vetter zweiten oder dritten Grades. Fritz Nidders. Dessen Vater ein Münchner Kindl geheiratet hatte. E. F. W. hat sich seiner angenommen, hat ihn nach England ins College geschickt, dann auf die Technische Hochschule. Der wird das Rennen wohl machen."

    „Und die Schwestern?"

    „Sind ebenso blond, ebenso blauäugig wie Minna, natürlich ebenso reich, aber bei weitem nicht so fesch. Die Älteste, die Dora, schon mal geschieden, ist etwas füllig, bisschen träge, dabei sehr hochnäsig und aufgeblasen, und die Jüngste ist Martha, die sich jetzt mit dem jungen Pinneke verlobt hat. Ja, dem von den landwirtschaftlichen Maschinen Pinneke und Nidders."

    Im Vorbeischlendern hörte Minna Nidders, deren Sinne alle sehr geweckt waren, ihren Namen. Flüchtig blickte sie über die Gruppe der Spaziergänger hin, die sofort verstummten. „Kennst du die Herren?" fragte sie leise, fast ohne die Lippen zu bewegen.

    Tante Trude lächelte. „Irgendein paar alte Kurveteranen. Einer davon führt den Ehrennamen ‚Rang- und Quartierliste‘. Der wird es wohl gewesen sein. Ich komme sonst selten zum Frühkonzert her. Aber du sollst doch nicht den lieben langen Tag in der Pension bei mir sitzen. Musst doch etwas vom Badeleben hier geniessen."

    Minna lachte kurz auf. „Man wird taumelig, so aufregend ist es. Etwa wie der Bummel im Berliner Zoo beim Nachmittagskonzert, wenn die Franzer oder die Maikäfer spielen."

    „Ich höre am liebsten die Kürassiere. Wenn die ihre Fanfarenmärsche blasen, dann fühle ich mich wieder jung. Ich bin doch in der Kaserne aufgewachsen. — Mein Gott, Mädel, wie weltenfern du manchmal dreinsehen kannst!"

    „Bin’s gar nicht, Tante Trude. Sie nahm den Arm der alten Dame. „Aber wollen wir jetzt nicht heimgehen? Du bist doch brav deine vierzig Minuten gewandert.

    Tante Trude kniff ein Auge zu. „Du schwindelst, Mädel! Willst bloss rasch wieder hören, ob Post angekommen ist."

    „Post —! Die paar Einladungen und Ansichtskarten und Drucksachen! Sie atmete auf. „Heiss ist es heute, nicht?

    „Doch gar kein Staub. Gut gepflegte Promenaden haben sie hier. Zum Glück dürfen keine Schleppen mehr getragen werden."

    „Fussfrei möchte man gehen. Sieh doch nur: Sämtliche Damenröcke berühren den Erdboden. Deswegen tragen wir ja alle die fürchterlichen Stosskanten. Und wie die immer durchgerieben sind!"

    „Na, mein Kind, du hast dir in deinem jungen Leben noch keinmal Mühe geben müssen, deine Stosskanten zu stopfen oder zu erneuern!"

    „Nun wirst du mir sicher gleich wieder erzählen, liebe Tante, dass du in der Kaserne aufgewachsen bist, dass du als Stubenmädchen deine Laufbahn hast anfangen müssen ... Tante Trude, ich halte es nicht mehr aus ... Nein, um Gottes willen, ich will dich ja nicht kränken!"

    „Du hast noch nicht gefrühstückt, Minna, bist hungrig, das gibt dir schlechte Laune. Nur für drei Minuten muss ich mich hier noch hinsetzen."

    Minna sagte rasch: „Ich gehe voran und bestelle alles."

    „Ach, mein Kind, allein möcht’ ich dann doch nicht — —"

    Also fügte sich Minna. Aber in ihr zitterte alles vor Ungeduld. Dort vorn war soeben der Briefträger in die Ahornallee eingebogen. Vielleicht hatte er endlich Nachricht von Bert gebracht? Bert musste ihr doch antworten, ob es ihm gelang, sich wenigstens für einen einzigen Tag von Berlin frei zu machen. War er nicht selbst der Leiter vom Tattersall? Konnte er nicht eine wichtige Abhaltung erfinden? Wenn er den ersten Frühzug nahm, kam er mittags hier an. Mit Tante Trude wollte sie dann schon fertig werden. Sie ging einfach zur Bahn, als ob sie einen vergessenen Brief dort in den Zug zu werfen hätte, wie zufällig begegnete sie auf dem Perron Bert von Überling, sie wanderten gemeinsam durch den Kurpark irgendwohin durch den Wald ... Und auf Tante Trudes kleinem Tischchen lag ihr beschwichtigender Entschuldigungszettel ...

    Von den Kurgästen, die hier vorbeikamen, flatterten in den Musikpausen allerlei Gesprächsfetzen herüber. Minna sah den Menschen immer schon an, worüber sie sprachen, bevor sie noch ein Wort von ihnen vernommen. Die Backfische, die unnatürlich hell kicherten und sich dabei Arm in Arm hin und her schoben, hatten sich natürlich ein Erlebnis aus der Tanzstunde zu erzählen. Die vier Herren und drei Damen, die immer wieder stehenblieben, sprachen gewiss über die Berliner Königlichen Schauspiele. Richtig: Da fielen schon die Namen Rosa Sucher, Ida Hiedler, Betz und Bulss. Mit schwärmerischen Augen sprach die blasse Dame von Matkowsky. Ein ganzes Programm lag in diesem Ausdruck. Minna erwärmte sich mehr für Kainz, den sie im Deutschen Theater als Hamlet zusammen mit der Agnes Sorma als Ophelia gesehen hatte. Aber was ging sie jetzt überhaupt das Theater an?

    „... Und wenn’s durchgeht, dass wir in Berlin eine grosse Ausstellung haben werden, dann wird sich auch der Strassenverkehr noch stärker entwickeln, und geben Sie acht, dann ist die Freigabe des Zweiradverkehrs erst recht nicht mehr durchzusetzen ..."

    „Seien Sie überzeugt, dass Kaiser Wilhelm auch ohne den grollenden Alten im Sachsenwalde zur Schliessung der sozialdemokratischen Wahlvereine für unsere Berliner Reichstagswahlkreise gelangen wird, gelangen muss. Es besteht doch noch immer das Gesetz vom März achtzehnhundertfünfzig über den Missbrauch des Versammlungs- und Vereinsrechtes."

    „Die Vilma von Parlaghi ist jetzt rechtskräftig geschieden, die Malerin —?"

    „... Darum handelt sich’s in der Angelegenheit von Kotze ja gar nicht, wer nun wirklich der Verfasser der anonymen Briefe war. Als Zeremonienmeister musste er Herrn von Schrader vor die Pistole fordern, nicht beim Staatsanwalt die Verfolgung wegen Verleumdung beantragen ..."

    „Es ist tatsächlich das erste Jahr, dass niemand vom Detmolder Hof hier zur Kur ist. Aber dass das irgendwie mit der Lippeschen Thronfolgefrage zu tun hätte ..."

    „Nein, das Fest beim Oberbürgermeister Zelle hat keinen offiziellen Charakter, es werden auch keine Reden gehalten. Ja, Miquel war da, der Finanzminister. Und der Polizeipräsident von Windheim. Natürlich Bürgermeister Kirschner. Auch Boetticher, Berlepsch, Thiele, Bosse und andere Minister. Köller hab’ ich nicht gesehn. Aber Professor Virchow ..."

    „Und ich habe aus Künstlerkreisen gehört, der Kaiser sei entschlossen, die Siegesallee grossartig auszuschmücken. Begas war zur Audienz befohlen. Einunddreissig bis zweiunddreissig Denkmäler sollen dort aufgestellt werden: sämtliche Herrscher aus der brandenburgischen und preussischen Geschichte in Nischen von karrarischem Marmor. Nein, nein, Begas soll sie nicht alle selber machen; das hat er ja gleich betont."

    „Ich nehme früh vor dem Brunnen gar nichts zu mir. Aber wenn ich jetzt ins Hotel komme, dann fliegt schon der Ober mit wedelnden Frackschössen an meinen Platz, ich kriege Spiegelei mit Lachsschinken, frischen Toast ..."

    Minna erhob sich. „Wenn du jetzt noch keinen Frühstücksappetit bekommen hast, Tante Trude, dann wundere ich mich."

    Mit einem flinken Blick stellte Minna fest, dass in ihrem Postfach nur Ansichtskarten steckten. Während Tante Trude ins Frühstückszimmer voranging, warf Minna der kleinen Sekretärin, der sie ein paar Sonderaufträge erteilt hatte, einen fragenden Blick zu.

    Die Sechzehnjährige zog mit der geheimnisvollen Umständlichkeit eines ungelernten Silberdiebes aus einem quietschenden Kasten ein Telegramm und flüsterte: „Gleich nachdem die Damen das Haus verlassen hatten —"

    „Na, Minna, wer hat denn geschrieben?"

    „Ach, paar Grüsse." Minna konnte das Telegramm nicht öffnen, ohne dass Tante Trude es gesehen hätte; sie verbarg es am Tisch in der Serviette. Es war doch unbedingt von Bert. Eine Geschäftsempfehlung, die alle Gäste erhalten hatten, zerriss sie mit scheinbarer Gleichgültigkeit, riss dabei aber den Umschlag der Depesche mit auf. Zum Glück war Tante Trude etwas kurzsichtig.

    „Und Martha hat noch immer nichts von sich hören lassen?"

    „Nein. Nun — sie weiss ja —" Halb unter dem Tisch hielt Minna das eingerissene Blatt. Während sie sich bemühte, eine gleichgültige Unterhaltung in Fluss zu bringen, entzifferte sie den Inhalt. Das Telegramm lautete: ‚Hinkommen ganz unmöglich. Halbstündiger Spaziergang auf Kurpromenade gäbe neuen Krawall im Hause N. Ebenfalls sehr traurig. Gruss.‘

    „Was weiss die Martha? Du musst die Sätze doch zu Ende sprechen, Kind!"

    „Die Martha? Minna zwang sich jetzt zu äusserster Kühle und Beherrschtheit. „Die Martha weiss, dass meine Abreise dicht bevorsteht. Jawohl, ich will und muss nach Berlin! Pa hat gesagt: Bis Mitte Mai. Heute ist der Vierzehnte. Du sagst nun plötzlich, du bliebest bis zum ersten Juni. So lange bleibe ich nicht. Ich muss auch zum Professor. Die Zähne. Ja, da oben rechts. Nein, hier zu einem wildfremden Zahnarzt zu gehen, das fällt mir nicht ein. Übrigens hab’ ich für Montag doch schon die Hertzig bestellt, zur Anprobe.

    Tante Trude begann ihr Frühstück. „Weisst du, mein Kind, ein Grund kann stichhaltig sein. Zwei Gründe sind verdächtig."

    „Was für einen Verdacht hast du denn nun schon wieder?"

    „Wir wollen doch mal ernsthaft und verständig miteinander sprechen, liebe Minna! Ich möchte endlich aufhören können, immer noch den Wauwau für dich zu spielen. Du weisst doch, oder ahnst es, was Pa von mir verlangt. Ich soll ihm Bericht erstatten, sobald ich der ehrlichen Überzeugung bin, dass Herr von Überling dich endlich in Ruhe lässt — —"

    „Tut er doch. Bitte sehr."

    „— — und dass auch du die Aussichtslosigkeit eingesehen hast und von deiner Gereiztheit und Unzufriedenheit endlich erlöst bist."

    „Ich bin ja so herrlicher Laune. Etwa nicht?"

    „Minna, ich schwöre dir zu: Ich habe von Pa keinen Auftrag bekommen, dir auch nur mit einem Wort zuzureden, dass du Fritz die Möglichkeit gibst — —"

    „Um mich anzuhalten! fiel sie zornig ein. „Du schwörst, also muss ich dir glauben. Aber seit Jahren ist es sein ausgesprochener Befehl. Fritz ist ein anständiger Kerl. Gottlob. Er hätte mir Theater vorspielen können, hätte mir den Hof machen können, weil er ein armer Teufel ist und ich die Erbin von Pa bin. Er ist mir eher ausgewichen. War immer ein guter Kamerad. Ich rechne ihm das hoch an. Aber Liebe besteht zwischen uns beiden nicht. Und zu einer Heirat wird es zwischen uns nicht kommen, weil — nun, vielleicht gerade, weil auch ich ein anständiger Kerl bin. Wir sind uns wahrscheinlich beide zu gut dafür, uns aus Geschäftsrücksichten von Pa verkuppeln zu lassen.

    „Geschäftsrücksichten ... Mein liebes Kind: E. F. W. ist kränker, als du ahnst. Er wird all den Anstrengungen nicht mehr lange gewachsen sein. Die beiden guten Jungen, auf die er jetzt bald hätte rechnen können als seine Mitarbeiter und Nachfolger, sind ihm genommen worden. Dora hat ihm keine Stütze ins Haus gebracht. Martha bringt ihm Herrn Pinneke junior."

    „Für Martha wird Pinneke noch eben genügen, liebe Tante Trude."

    „Aber nicht für die Firma. Ein viel zu kleiner Kopf, Minna. Der Nachfolger von Pa muss ein Mensch von grossem Format sein. Vor allem ein Charakter. Weder ein wichtigtuender Spiessbürger, wie Pinneke, noch ein Verschwender, ein Schuldenmacher, wie — wie Herr von Überling."

    „Es gibt also nur das eine Juwel auf der ganzen Welt, das E. F. W. retten kann: den Vetter Fritz."

    „Bist du je gedrängt worden, Minna?"

    „Nein. Aber ich bin von Pa in Arrest gesteckt worden. Hierher. Zu dir, liebe Tante Trude. Du hast es schwer mit mir gehabt, ich weiss. Denn du hast immer gut sein wollen zu mir. Aber für mich war es oft zum Verzweifeln. Lasst mich jetzt nach Berlin zurück! Ein stiller Pakt: Es wird weder zu mir noch zu Fritz über die Sache gesprochen. Zunächst bis — sagen wir: zunächst bis Weihnachten."

    „Dann bist du fünfundzwanzig, Kind."

    „Vielleicht also noch vernünftiger als heute."

    Tante Trude seufzte. „Das gebe Gott! Gut, ich schreibe an Pa."

    Minna stand auf und küsste sie auf die Wange. „Lass mich’s dann lesen, Tante Trude, bitte!"

    ... Eine Stunde später las sie den Brief, schloss ihn rasch und klebte die Freimarke drauf.

    „Wir müssen uns doch aber erst über den Tag einigen?"

    „Morgen ist der Fünfzehnte. Ich packe hernach. Hier hab’ ich noch eine Ansichtskarte von deinem Lieblingsplatz. Für Dora und Martha. Mit der Freudenbotschaft, dass ich am Fünfzehnten abends dort bin. Ich bringe beides jetzt gleich zur Bahnhofspost. Punktum!"

    Sie schrieb die Karte im Stehen und trocknete die Schrift, indem sie beim Verlassen des Zimmers sich damit Luft zufächelte. Auf der Karte war der Sechzehnte angegeben statt des Fünfzehnten. Sie wollte Spielraum haben. Denn von der Bahn aus telegraphierte sie an Bert, dass sie morgen in Hannover einen Zug überspringen werde. Sie nannte ihm das Hotel, das sie von der städtischen Feier her kannte. War er verhindert, so durfte er ihr nicht wieder nach Pyrmont Nachricht schicken. Es war ein langes, umständliches Telegramm. In ihrer Angst, in ihrer Sehnsucht, in ihrer Verzweiflung wusste sie sich nicht kürzer zu fassen.

    Wenn Fränze Daus von der Köpenicker Landstrasse abbog und den Feldweg entlangging, der zur Gärtnerei ihres Onkels führte, dann pfiff sie klar und schmetternd das Siegfriedmotiv.

    Julius Bottschau nannte das Pfeifen unweiblich. Doch sooft er das ohrfällige Ankunftssignal hörte, huschte ein Lächeln über sein braunes Gesicht. Nicht weil er sich je am Kampf um Richard Wagner beteiligt hätte — in der Königlichen Oper war er ja überhaupt noch nie gewesen —, sondern weil er sich über Fränze und ihr keckes Zwanzigjahrschnäuzchen freute. So lange hatte er hier allein gesessen, auch abends immer. Seit dem Tode seiner Frau hatte es für ihn nur Arbeit gegeben. Mit Berlin besass Treptow kaum Verbindung. Ja, durch eine Pferdebahn, aber die klingelte nur jede Stunde einmal durch die entsetzlich langen Vorstadtstrassen. Solange Fränze in Charlottenburg wohnte, als sie die neue Gartenbauschule für Frauen besuchte, hatte sie immer nur auf ein paar Sonntagsstunden hier herauskommen können. Dann war sie in Trier und Köln und Hamburg in modernen Blumengeschäften in Stellung gewesen. Von dem grossen Leben dort draussen wusste sie nun Wunderdinge zu erzählen, über die man eigentlich staunen konnte. Aber Julius Bottschau liess sich so leicht nicht verblüffen. Theoretisch wusste er über viel mehr Bescheid als über Dinge aus dem Grossstadtleben. Er war eine unersättliche Leseratte. Und seine Rosenzucht stellte ihn stets vor fremde Wunder und Rätsel, die ihm doch noch wichtiger schienen als etwa das neuerfundene Telephon, die Quasselstrippe, an der man auf dem Postamt in der dunklen Zelle hören konnte, was Müller und Schulze am andern Ende von Berlin sagten. Er war ja froh, wenn er das gar nicht erfuhr ...

    Fränze erstattete Bericht über die Arbeiten, die heute am Baumschulenweg in den Rosenplantagen erledigt worden waren. „Peter versteht die Sache, ist ordentlich und fleissig, auch wenn man ihm nicht auf die Finger guckt. Aber den Edu musst du dir mal wieder vorbinden. Mit dem schaff’ ich’s alleine nicht."

    „Ist er frech geworden?"

    „Dann ging’s noch eher. Dem wär’ ich gewachsen. Das Unglück ist grösser: Er ist erstens dumm und zweitens verliebt."

    „Etwa in dich?"

    „Dann hätt’ ich doch nicht an seiner Intelligenz gezweifelt. Wie? So viel Eva steckt doch auch wieder in mir. Obwohl ich Klugheit und Verliebtheit noch selten vereint gesehen hab’."

    Sie lachten beide. Julius Bottschau erhob sich mit einem leisen Ächzen und tat ein paar Schritte am Stock durch das kleine Treibhaus. „Sobald ich wieder humpeln kann, komm’ ich anmarschiert. Taugt er nischt, dann fliegt er achtkantig zum Tempel ’raus. Er wies durchs Fenster nach der dicken Wolke, die über dem Berliner Südosten und seinen Fabrikschornsteinen lag. „Es muss Regen kommen, das merk’ ich im Knie. Im Herbst wird’s ein Vierteljahrhundert, dass sie mir die Franzosenkugel herausgeschnitten haben, und noch jedesmal, wenn das Wetter umschlägt — — Olle Kamellen! unterbrach er sich. Er folgte Fränze in die kleine Küche, in der sie flink die von der Aufwartefrau getroffenen Vorbereitungen für die Abendmahlzeit besichtigte, Teewasser aufsetzte und Brot schnitt. „Aber weisst du, Mädel, so vor dem Siebziger Krieg damals, da hat deine Mutter, die Helma, ebenso hochnäsig wie du jetzt über die Verliebtheit geschwatzt. Und nach dem Truppeneinzug? Hat sie richtig ihren strammen Vizewachtmeister Daus geheiratet."

    „Ei, der Daus! Fränze winkte ihm überlegen mit dem Brotmesser ab. „Ja, du, so hast du gerufen, als Mutter mit ihm ankam. Die Geschichte kenn’ ich nun schon. Kann mir aber nicht passieren. Keine Angst!

    „Vizewachtmeister? Nee. Dafür hast du viel zuwenig Subordination in den Knochen."

    „Stimmt. Väterliches Erbe. Wie?"

    Er setzte sich an den Abendbrottisch. „Von deinem Vater hast du sogar eine ganze Menge mit. Nee, im Ernst, Mädel. Nicht nur die hellen Augen, die mausgrauen. Er war ein Durchgänger und Draufgänger, aber man konnte ihn riesig gut leiden. Wär’ deine Mutter nicht so früh gestorben, wer weiss —"

    „Jetzt kommt die Sache mit der Wirtschafterin

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