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Die Mission des Stefano Cavallari
Die Mission des Stefano Cavallari
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eBook341 Seiten4 Stunden

Die Mission des Stefano Cavallari

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Über dieses E-Book

Auf Burg Sandomir an der Weichsel wird das Verschwinden von Katharina Tarnowska, Tochter des Grafen, beklagt. Sie ist kurz nach der Abreise eines gewissen Stefano Cavallari zum letzten Mal gesehen worden. Haben in diesen unruhigen Zeiten die Ereignisse miteinander zu tun? Konrad, den ihr Porträtgemälde überwältigt hat, begibt sich auf die Suche. Seine Wege führen ihn durch halb Europa und schließlich nach Rom, wo ihn die Wahrheit einholt.
SpracheDeutsch
HerausgeberXinXii
Erscheinungsdatum4. Nov. 2023
ISBN9783911115018
Die Mission des Stefano Cavallari
Autor

Christina Auerswald

Christina Auerswald schreibt historische Romane. Dass es dabei kriminell zugeht, ist keine Frage! Ob historische Skandale, Pleiten oder Morde – alles steckt voller Geschichten. Christina Auerswald ist in einer kleinen Stadt in Sachsen-Anhalt aufgewachsen. Von hier führten sie ihre Wege zum Studium der Volkswirtschaft an die Martin-Luther-Universität Halle. Hier bekam sie auch ihre beiden Kinder und lebte fast 20 Jahre in der Saalestadt. Später zog sie für einige Zeit ins Rheinland. Heute hat sie ihren Lebensmittelpunkt in Leipzig.

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    Buchvorschau

    Die Mission des Stefano Cavallari - Christina Auerswald

    Bildnis einer jungen Polin

    Niemand weiß, wer die junge Frau auf dem Gemälde ist. Keiner, der die Gelegenheit bekommt, es im Anton-Ulrich-Museum in Braunschweig in seinem goldenen Rahmen zu betrachten, weiß mehr als er mit eigenen Augen sieht: eine teuer gekleidete junge Frau, eine Schönheit, ihr Blick eine Mischung aus Neugier und Überheblichkeit, auf dem Bild festgehalten in einem Alter, in dem keine böse Erfahrung auch nur ein Stirnrunzeln hervorbringt.

    Dass kein Name überliefert ist, kein Schild und keine Beschriftung auf Details verweist, hat seinen Grund in der Mission eines Jesuiten, der im Jahr 1714 von Rom aus nach Polen aufbrach. Der Name der jungen Frau ist mit zorniger Hand von der Rückseite des Rahmens gekratzt worden. Die Art, wie die Furchen von rechts nach links in die Leisten gegraben sind, ihre Tiefe und ihr wilder Verlauf beweisen, dass derjenige, der es tat, mit diesem Ausbruch versuchte, mehr als nur einen Schriftzug auszulöschen.

    Der Maler des Gemäldes war Johann Kupezky, ein zu seiner Zeit, dem beginnenden 18. Jahrhundert, beliebten und begehrten Porträtmaler. Was Kupezky von anderen Malern unterschied, war, dass er den Charakter und die Besonderheiten eines Menschen vollständig zu erfassen vermochte. In seinen Bildnissen liegt so viel Tiefe und Genauigkeit, dass man auch dreihundert Jahre später glaubt, den abgebildeten Menschen in seiner Gänze begreifen zu können.

    Die junge Frau auf dem Bild trägt ein dunkelrotes Kleid mit einem Kragen aus Otterpelz. Goldene Schnüre am Oberteil und ein mit Goldfäden durchwirktes Seidenband in ihrem Haar zeigen, zu welchen hochgestellten Kreisen sie gehörte. Ihre Schönheit ist von einer feinen, beinahe durchsichtigen Art, ihr Blick verfolgt den Betrachter, ganz gleich, ob er die Dame von der Seite oder von vorn ansieht.

    Das »Bildnis einer jungen Polin« wurde im Sommer 1714 in Sandomir gemalt, einer einstmals bedeutenden polnischen Stadt an der Weichsel mit einer Burg, deren Besitzer der Vater jener schönen Frau war. Kupezky hielt sich sechs Wochen in Sandomir auf; sein Modell stand ihm kaum die Hälfte der Zeit zur Verfügung, weil das Stillsitzen nicht zu den herausragenden Fähigkeiten der jungen Polin zählte. Zu der Zeit, als das Bild gemalt wurde, war Katharina Tarnowska dreiundzwanzig Jahre alt. Der Auftraggeber des Bildnisses war ihr Verlobter, Graf Kasimir Orlowski, ein Führer der kurz darauf beginnenden Aufstände gegen August den Starken, den sächsischen König von Polen-Litauen.

    Erstaunlicherweise findet sich außer der Erwähnung in einigen Briefen Orlowskis an den Maler kein weiterer Beweis für die Existenz der jungen Frau. Ein Familienstammbuch der Tarnowskis aus dem frühen 18. Jahrhundert verzeichnet mehrere Verwandte, die auf der Burg geboren sind, aber keine Katharina. In Orlowskis Briefen sind begeisterte Schilderungen der Schönheit, Klugheit und Anmut seiner Braut zu lesen. Orlowski beschwört Kupezky, nach Sandomir zu reisen, weil das zu malende Bildnis auch den Maler unsterblich machen werde. Der Graf zählt die Vorzüge Katharinas auf und findet beinahe kein Ende, und einmal entschlüpft ihm, vermutlich ohne Absicht, ihr Kosename: Kasienka.

    Zwei weitere Indizien sprechen für die Wahrheit der nachfolgenden Geschichte: die Rechnung eines Weinhändlers aus Koblenz, der im Jahr 1714 eine Wagenladung besten Bacharacher Rheinweins nach Sandomir lieferte, auf deren Rückseite jemand mit ungelenker Hand »Kasienka« gekritzelt hat. Das zweite Indiz fand sich bis zum zweiten Weltkrieg in der romanischen Sankt-Jakobs-Kirche von Sandomir. Unter einer Figur des Märtyrers Stefan in der Nische hinter dem Nebeneingang war ein Schild angebracht. Es trug eine winzige deutsche Inschrift: »gestiftet von Konrad Enderlein und seiner Frau, im Andenken an Katharina Tarnowska«.

    Jene junge Frau hat verdient, dass ihre außergewöhnliche Geschichte so geschildert wird, wie sie über Generationen in den Erzählungen der Einwohner von Sandomir lebendig geblieben ist.

    Burg Sandomir, August 1714

    »Er kommt! Väterchen, ich sehe ihn! Die Staubwolke hinter dem Hügel, das kann nur Kasimir sein!« Katharina sprang um die Luke des Turms herum, dass das Holz unter ihr knarrte. Sie winkte ihrem Vater, der ein Stockwerk tiefer stand und die Hand über die Augen legte, weil ihn das Licht von oben blendete. Nach einem weiteren prüfenden Blick auf die sich in der Ferne bewegende Staubwolke kletterte sie die Leiter vom Dachboden herab. Sie hüpfte zu ihrem Vater, gab ihm einen Kuss auf die Wange und lief zur Treppe. Die Zipfel ihres grünen Kleides flogen, die Absätze ihrer seidenen Schuhe klapperten auf den Stufen.

    Mateusz Tarnowski stemmte die Hände in die Seiten und schüttelte den Kopf, aber er schimpfte nicht. Seine breiten weißen Augenbrauen blieben hochgezogen, als wäre er ärgerlich, aber in seinen Mundwinkeln standen die Falten der Belustigung. Katharina hatte vorher gewusst, dass ihr Vater nicht schimpfen würde. Er schimpfte nie, mit ihr nicht, mit allen anderen oft, aber nicht mit ihr. Sie war das Nesthäkchen, sie konnte ihren Vater so oft um den Finger wickeln, wie sie wollte.

    Als Mateusz Tarnowski eine Weile nach seiner Jüngsten auf dem Hof der Burg ankam, stand ihm Schweiß auf der Stirn. Er war an die siebzig, grauhaarig und beleibt. Seine Kasienka war ihm so spät geboren worden, dass ihre Geschwister schon drauf und dran waren, das Haus zu verlassen, als sie ein Säugling war. Darum wuchs sie beinahe wie ein einziges, geliebtes Kind des Grafen Mateusz Tarnowski auf, der sich um nichts auf der Welt Sorgen machte außer um seine Kasienka. Es schien beiden viele Jahre lang, als wären sie füreinander gemacht, Kasienka dafür, um einen alten Grafen nach vielen unruhigen Jahren für Krieg und Leid zu entlohnen, und Mateusz Tarnowski, als wäre seine wichtigste Aufgabe, diesem schönen Kind das Leben zu versüßen.

    Tarnowski schnaufte. Die Sommerhitze flimmerte über den Staub des Hofes, die Abfallgrube verbreitete ihren Geruch auf dem weiten Platz. Katharina stand am Burgtor, dessen weit geöffnete Flügel verrieten, dass gute Zeiten angebrochen waren, jetzt, wo es endlich einmal keinen Krieg gab. Ein geöffnetes Tor war das Zeichen der freundlichen Begrüßung für Ankömmlinge. Das Tor zu schließen, hätte ohnehin nichts gebracht, da von der Außenmauer nur noch das Stück mit dem hohen Torbogen stand, und seitdem hatten sie für die Angelegenheiten, für die das Gericht von Sandomir zuständig war, andere Räume finden müssen als die geborstenen Säle des Nebengebäudes. Die Zerstörung der Burg lag lange zurück, Jahrzehnte vor Katharinas Geburt. Daher kannte sie es nicht anders und machte sich nichts aus der mangelnden Sicherheit, über die ihr Vater häufig und wortreich lamentierte.

    Katharina am Burgtor lachte und winkte in Richtung der sich nähernden Reiter. Sie trug eine grüne Schleife im Haar, die dazu wippte. Zu Füßen der Burg Sandomir breitete sich die Stadt aus, die den gleichen Namen trug. Von dort führte der sandige Weg bergauf dem Burgtor zu, und schon von weitem konnte man an der Menge des aufgewirbelten Staubs sehen, wenn sich jemand näherte. Zuerst blitzte nur das Metall der Waffen in der Sonne, dann erkannte man Gestalten. So war es auch dieses Mal. Allmählich wurden zwei Reiter sichtbar, gefolgt von einigen Dienern.

    »Es ist Kasimir. Ich kann den Federbusch an seinem Hut erkennen.« Katharina drehte sich zu ihrem Vater und sprang auf der Stelle, als könnte sie damit für die Ankommenden deutlicher zu erkennen sein. Inzwischen liefen einige Mägde und Knechte zusammen, die die Rufe ihrer jungen Herrin gehört hatten. Katharina Tarnowska, genannt Kasienka, war die Hausherrin, seit die Frau des Grafen gestorben und die älteren Kinder fortgezogen waren, die Töchter in ihre wohl versorgten Stellungen als Damen vornehmer Güter, Tadeusz, der Sohn und Erbe, als Offizier. Katharina nahm den Platz der Herrin ein, obwohl sie mit ihrem ungestümen Wesen, ihrer kindischen Verspieltheit und ihren Streichen selten den Anforderungen ihrer adligen Geburt genügte.

    Hier draußen war das gleich. Ein Landadliger unterlag nicht den gleichen Pflichten wie einer in der Stadt. Auch Mateusz kleidete sich nachlässiger, als er es bei Hofe hätte tun müssen; er liebte seine Bequemlichkeiten und die bäuerlichen Späße. Der alte Graf ritt ab und zu in die Dörfer und besuchte Hochzeitsfeiern, wo er nach Herzenslust mit den Bauern trinken und tanzen konnte. Sie verübelten es ihm nicht, sondern fühlten sich geehrt, besonders, weil er jedes Mal ein paar silberne Münzen mitbrachte. Mateusz Tarnowski war trotz seiner polternden Art ein beliebter Herr. Ob er die Erziehung seiner Tochter vernachlässigte, war Ansichtssache, aber wirklich beurteilen konnte es kaum jemand, weil das Mädchen in der feinen Gesellschaft, am Hof in Krakau oder sonst wo, wenig bekannt war. Das lag an ihr selbst. Katharina zog es nicht in die Stadt, wo ein Haufen Zwänge das Verhalten einengte, wo man bestimmte Worte sagen und sich auf vorgeschriebene Weise bewegen musste. Sie blieb lieber in Sandomir. Hier konnte sie sich geben, wie sie wollte.

    Graf Kasimir Orlowski näherte sich. Er ließ sein Pferd im Schritt gehen, Seite an Seite mit einem anderen Reiter, älter als er, in einem ebenso guten Reisemantel wie seinem eigenen. Das Wappenzeichen auf dessen Satteldecke wies den Unbekannten als einen Ledóchowski aus. Katharina war vielleicht im höfischen Ritual nicht genügend gebildet – eine Bildung, auf die sie pfiff – aber wen sie vor sich hatte, konnte sie jederzeit sagen. Die Wappentafeln gehörten zu ihren liebsten Büchern. Ohnehin besaß ihr Vater nicht viele Bücher, eher Landkarten und praktische Dinge. Mateusz Tarnowski war ein gestandener Landherr, der Pferde liebte und die Schreibarbeit verachtete.

    Selbstbewusst trat Katharina den Ankommenden entgegen und grüßte, als sie abgesessen hatten, zuerst den Fremden. »Willkommen, Hochwürdiger Herr, Graf Ledóchowski.« Sie knickste. Dann warf sie sich dem anderen Mann entgegen. »Kasimir, ich bin so glücklich, dass du endlich wieder zu Besuch kommst!«

    Kasimir Orlowski lächelte. Das Blau seiner Augen strahlte im hellen Sonnenlicht besonders tief und eine Locke seines blonden Haars rutschte ihm ins Gesicht. Er erwiderte die Umarmung seiner Verlobten und küsste ihre Wange. »Kasienka, Schatz, du siehst blühend aus. Ich freue mich, dich bei guter Gesundheit zu sehen.«

    »Das ist doch keine Frage, ich bin immer gesund. Aber du, du bist wieder so weit gereist. Wen hast du diesmal mitgebracht?«

    Der ältere Mann deutete eine kurze Verbeugung an. »Stanisław Ledóchowski, zu Euren Diensten, Hochgeborenes Fräulein.«

    Sie strahlte ihn an. »Von Euch habe ich gehört. Ihr seid Marschall des Königlichen Tribunals, nicht wahr?«

    Der Mann nickte würdig. Er war größer als Kasimir, besaß einen mächtigen Bauch und einen noch mächtigeren Schnurrbart, dessen Enden über sein Gesicht hinausragten. Seine Frisur war genauso altmodisch, er trug das Haar in die Stirn gekämmt und dort kurz geschnitten. Er erwiderte Katharinas Lachen nicht, sondern sah über ihre Schulter hinweg auf ihren Vater, der nähergetreten war.

    »Seid willkommen, Marschall Ledóchowski, Graf Orlowski. Tretet ein und erfrischt Euch.«

    Die beiden Männer folgten dem Hausherrn, und Katharina schlüpfte hinterdrein, während die Knechte der beiden das Gepäck abzuladen begannen.

    In der großen Halle des Hauses nahmen die Männer Platz, an den oberen drei Stühlen der langen Tafel, wie es sich gehörte. Die Burg war nicht mehr so groß wie früher, seit die Schweden sie zu einer Karikatur ihrer selbst geschossen hatten, aber etliche Gebäude standen noch, vor allem das Haupthaus mit der Halle und dem Turm. Beim Gespräch der Männer hatte Katharina eigentlich nichts zu suchen, aber sie blieb, setzte sich in die Fensternische und hörte zu, wie die Besucher von ihrer Reise sprachen. Die Mauern des Hauses bestanden aus großen Steinquadern, die Fenster waren klein und spitzbogig, deshalb war es im Inneren dunkel und gleichbleibend kühl. Selbst im Sommer, wenn draußen die Hitze wallte so wie jetzt, fror Katharina in der großen Halle. Sie hatte ein Tuch um die Schultern gezogen, blau mit lustigen Troddeln daran, das knotete sie vor der Brust zusammen und beobachtete die Männer mit einem halb abgewandten Gesicht, das aussah, als würde sie aus dem Fenster nach draußen schauen.

    Man brachte Bier, die Männer hoben die Krüge. Sie redeten endlos von König August, der sich in Krakau aufhielt, von etlichen adligen Brüdern, den Steuern und der Quartigna. Auf ihre Zugehörigkeit zum Adel waren sie so stolz, dass es der Erwähnung nicht bedurfte. Man war unter sich. Kasimir und ihr Vater waren Mitglieder der Szlachta, Adlige mittleren Ranges, Graf Ledóchowski sogar ein Magnat vom höchsten Rang, und ihre Unterhaltung enthielt eine Menge von Worten, deren Benutzung die Stellung der Männer betonte. Katharina schwirrte der Kopf von den fremden Ausdrücken. Als sie für ihre Begriffe genug Geduld bewiesen hatte, stand sie auf, ging zu ihrem Vater und legte ihm die Hand auf die Schulter.

    »Väterchen, sag bitte, was ist eine Quartigna?«

    Die beiden Gäste wechselten einen Blick; auch Kasimir blieb ernst, obwohl er sonst ihre Wissbegier lobte. Lediglich der Vater nickte milde und sagte: »Das ist der Name unserer Kronarmee. Sie heißt so, weil ein Viertel der Einkünfte der königlichen Domänen zu ihrem Unterhalt verwendet werden.«

    Katharina erkannte, wann sie unerwünscht war. Kasimirs Blick blieb kühl und Marschall Ledóchowski sah sie nicht einmal an. Sie sagte nur: »Ach so«, als wäre es ihr gleichgültig, und verschwand mit aufreizend langsamen Schritten aus der Halle.

    Sie war böse auf Kasimir. Wie konnte er sie nur so behandeln! Sie war kein kleines Kind mehr, sie war dreiundzwanzig, und er brauchte sich nichts darauf einzubilden, dass er schon dreiunddreißig war. Klüger als sie war er nicht, das konnte sie schwören. Er war bloß ein Mann und glaubte, dass eine Frau bei seinen Männersachen nicht zuhören sollte.

    Derartige Auseinandersetzungen hatte es zwischen ihnen schon früher gegeben. Nicht, dass jemals einer von ihnen ein Wort dazu sagte! Nein, Kasimir drückte sein Missfallen aus, indem er sie nicht beachtete, und das konnte Katharina schlechter ertragen als einen offenen Streit. Sollte er doch sehen, was er davon hatte! Sie stieg die Treppe hinauf bis in den obersten Stock, in das Zimmer, von dem aus sie zur Turmspitze gelangen konnte. Sie liebte den Platz auf dem Turm. Man gelangte nur über eine Leiter auf den Dachboden, und das machte den Platz sicher vor ihrem Vater und den Dienern, selbst vor Kasimir, der ihren Lieblingsort auf der Burg nicht kannte.

    Die Sonne schien warm durch die geöffnete Luke auf Katharina hinab. Sie nahm die Sprossen der Leiter leichtfüßig und betrat den Holzboden, der zugleich das Dach der obersten Kammer darstellte. Es war ein Rund von nicht mehr als fünf Schritten von einer Seite zur anderen, und es genügte, um sich auszustrecken und mit hinter dem Kopf verschränkten Armen in den Himmel zu sehen. Wenn Katharina Lust hatte, stand sie stundenlang an der Mauer, die die Begrenzung des Turmbodens darstellte, und betrachtete die Ferne. Sie hatte gute Augen und konnte selbst die weit entfernten Häuser der nächsten Dörfer erkennen, die Schafe und Ziegen auf der Weide und wie das Korn auf den Feldern im Wind wogte.

    Dieses Mal legte sie sich auf den Rücken und starrte nach oben. Die Mauern schützten ihren Platz und machten ihn windstill und warm, aber über ihr im Himmel war es windig. Weiße Wolken zogen in dicken Ballen eilig über das Blau. Katharina starrte so lange nach oben, bis ihr die Augen zufielen. Sollte doch Kasimir nach ihr suchen! Sie würde ihn so lange zappeln lassen, bis er sich ausreichend Sorgen um sie gemacht hatte.

    Der Nachmittag verging, während Katharina auf dem Turm schlief. Sie erwachte, als die Dämmerung hereinbrach, vom fiepsenden Ruf einer Fledermaus. Es war kühl geworden, die Feuchtigkeit begann sich herabzusenken. In der Dämmerung wurde gewöhnlich zu Abend gegessen; Katharinas Magen knurrte. Niemand hatte nach ihr gesucht. Sie stieg die Leiter hinab, enttäuscht und entschlossen zu zeigen, was sie von solchem Benehmen hielt. Ihre junge Zofe wartete wie immer vor ihrer Kammer auf einem Stühlchen, das hatte Katharina selbst so verfügt.

    »Das Rote«, sagte sie leichthin, als wäre es nicht ihr bestes Kleid. Sie gedachte, Kasimir beim Abendessen zu beweisen, welchen Anblick er verpasst hatte. Sie scheuchte ihre Zofe hinaus, weil sie das Mieder allein nicht eng genug binden konnte, damit sie eine weitere Magd holte. Die beiden Mädchen schafften es, Katharinas Brustkorb so in das Kleid zu zwängen, dass sie kaum atmen konnte, aber dafür war sie so schön wie nie.

    »Husch, husch«, rief sie, damit die Mägde verschwanden, bevor sie sich ihre Perlen umlegte. Das tat sie jedes Mal allein. Sie betrachtete sich noch einmal in dem venezianischen Spiegel, den der Vater ihr geschenkt hatte. Dann stieg sie würdevoll die Treppe hinab.

    In der Halle brannte ein wärmendes Kaminfeuer. Die drei Männer standen dort und sie hörte den Marschall sagen: »Mag sein, dass Euch das Zeug schmeckt. Die Geschmäcker sind verschieden, ich bevorzuge Rheinwein. Solltet Ihr einmal in meinem Haus zu Gast sein, dann werde ich Euch welchen einschenken, den müsst Ihr unbedingt probieren. Es ist ein viel besserer Wein als der, den man hier bekommt. Wenn Ihr es Euch leisten könnt, dann bestellt Rheinwein, und von dem wiederum nur den besten, den bekommt man bei Enderlein in Koblenz. Ich sage Euch, das ist der beste Wein überhaupt. Aber er ist nur etwas für Leute, die ein bisschen was in der Truhe haben.«

    »Hab ich, hab ich«, antwortete Tarnowski und betrachtete den Weinbecher in seiner Hand mit einer Abscheu, als hätte Ledóchowski ihm die Freude an seinem Wein verdorben.

    Die Herren hatten sich zum Essen ebenfalls umgezogen. Alle drei trugen ihr Sarmatenkleid. Zu ihrem hohen Stand gehörte dieser Mantel, lang und rot, mit silbernen Knöpfen und einem Pelzkragen. Jeder, der ein solches Kleidungsstück besaß, war stolz darauf. Väter vererbten es ihren erstgeborenen Söhnen, und die, die einen Adelsbrief erlangten, ließen sich als erstes ein Sarmatenkleid machen. Nicht alle Mäntel waren so prächtig wie die ihres Vaters, ihres Verlobten und des Marschalls Ledóchowski, nicht jeder besaß einen solchen Pelzkragen wie die drei, aus silberglänzendem Otter und schwarzem Fuchs.

    Katharina hob den Kopf und trat ein.

    Kasimir sah ihr entgegen; endlich erkannte sie in seinen Augen die Bewunderung, auf die sie gehofft hatte. »Katharina, meine Liebe«, sagte er, »ich habe dich vermisst.«

    Na also, so ist es recht, dachte sie und lächelte. »Ich hatte etwas Wichtiges zu erledigen.«

    Das Lachen Ledóchowskis entging ihr nicht. Da hatte der Kerl bisher nicht ein einziges Mal für sie die Miene verzogen und tat es ausgerechnet, um sich über sie lustig zu machen.

    Kasimir schien ihren Unmut zu spüren, er sagte: »Jetzt will ich endlich wissen, ob das Bild fertig ist.«

    Das Bild! Natürlich! Kasimir hatte einen berühmten Maler beauftragt, ein Bild von ihr zu malen. Dieser Herr Kupezky war extra aus Wien angereist, wo er lebte, und hatte sechs Wochen lang bei ihnen gewohnt, in denen sie ihm Modell saß. Er war ein feiner Mann gewesen, trug Hofkleider mit einem breiten weißen Kragen und wischte sich die Farbe gewissenhaft von den Fingern, bevor er zum Essen kam. Katharina hatte ihn gemocht. Kasimir hatte ihr nicht gesagt, wie viel Geld er für das Bild ausgegeben hatte, aber es musste eine beträchtliche Summe gewesen sein, denn Kupezky brauchte sich in Wien um Aufträge nicht sorgen. Kupezky, ein Mann von Mitte vierzig, hatte während der sechs Wochen bloß von seiner Familie erzählt, von seinen Kindern, und Katharina vermutete, dass er sie auch für ein Kind hielt. Sie hatte viel Zeit, ihn zu betrachten, während sie für ihn saß. Er redete für ihren Geschmack zu wenig. Wenn sie nach Wien fragte, sprach er von den feinen Gesellschaften, auf die man ihn dort einlud, als wäre ihm Katharinas Gesellschaft und die des alten Grafen zu fade. Dabei musste er froh sein, dass er mit einem Grafen speisen durfte, aber er erweckte den Eindruck, als würde er das in Wien alle Tage tun.

    Kupezky erwarb sich Katharinas Sympathie mit seiner genauen Beobachtung. Er konnte sich einen halben Tag mit der Form ihrer Finger beschäftigen; als sie am Abend heimlich seine Skizzenbücher durchsah und ihre kleine Hand mit den schlanken Fingern neben die Bleizeichnung legte, fand sie eine perfekte Kopie, in der nicht eine einzige Linie vom lebendigen Original abwich. Katharina hatte nicht gewusst, dass so etwas möglich war. Sie folgte seitdem mit ihrem Blick bewundernd dem Strich seines Pinsels und saß stiller, wenn der Maler sie ermahnte. Als Kupezky abreiste und das Gemälde unter einem Tuch hinterließ, winkte sie seiner Kutsche hinterher, obwohl er nicht hinaussah.

    Kasimir wollte das Gemälde später in sein Haus bringen lassen, damit er, wie er sagte, bis zu ihrer Hochzeit nicht auf Katharinas Anblick verzichten musste. Jetzt war also der Augenblick gekommen, an dem er es zum ersten Mal sehen sollte. Sie nahm seine Hand und zog ihn hinter sich her in den angrenzenden Raum, der kleiner war als die Halle, aber immer noch groß genug für ein anständiges Essen. Hier stand das Bild auf einer Staffelei, wie der Maler es hinterlassen hatte. Es war noch ungerahmt und strahlte trotzdem einen Zauber aus, dem nicht einmal Katharina selbst sich entziehen konnte, obwohl sie es schon stundenlang betrachtet hatte. Das Licht aus der Halle fiel durch die Tür darauf, Mateusz Tarnowski folgte mit einem Leuchter. Zu dritt standen sie vor dem Bild, und eine Weile verging bei der Betrachtung in ehrfürchtigem Schweigen.

    Kasimir Orlowski war gerührt. Sie sah es an der Feuchtigkeit im Winkel seines Auges. Endlich öffnete er den Mund und flüsterte: »Wie schön es geworden ist! Dieser Maler hat dein Aussehen genau eingefangen. Deine zarte Haut, deine liebevollen dunklen Augen, die langen Bögen deiner Brauen, deinen Rosenmund, die helle Stirn. Es wird dir ganz und gar gerecht.«

    »Nicht wahr?« Auch Katharinas Vater war ergriffen. Er legte seinem künftigen Schwiegersohn die freie Linke auf die Schulter.

    »Kasimir«, wagte Katharina zu fragen, »wann werden wir heiraten? Ich kann es kaum erwarten.«

    Er hob ihre Hand an und küsste sie. »Ich werde es mit deinem Vater besprechen.«

    »Aber ich will es wissen.«

    »Die Verträge sind unter Männern zu regeln. Vorerst bin ich unterwegs. Du wirst kaum wollen, dass ich dich nur heirate, um dich dann alleinzulassen. Solange bist du bei deinem Vater besser aufgehoben.«

    »Aber…«

    »Da gibt es kein Aber.«

    Seine Stimme war sanft, das, was er gesagt hatte, nicht. Katharina kannte Kasimir seit ihrer Kindheit. Sie wusste, dass er zum Befehlen geboren war. Ihre Väter hatten viel Zeit miteinander verbracht und Katharina war oft genug Zeugin gewesen, wie der heranwachsende Kasimir die Kinderschar seines Gutes dirigierte. Sie hatte dazugehört, wenn sie mit ihrem Vater bei den Orlowskis zu Besuch war. Sie hatte sich genau wie alle anderen von ihm dirigieren lassen und war überzeugt, dass er der einzige Mann war, den sie als Ehemann dulden konnte. Deshalb hatte sie zugestimmt, als ihr Vater vor fünf Jahren die Verbindung vorschlug.

    Seit Kasimir mit diesem Besucher zusammen war, hatte er sich allerdings verändert. Er war steifer, vermied die Zärtlichkeiten, mit denen er sie sonst überschüttet hatte, und nannte sie Katharina, nicht Kasienka, wenn Marschall Ledóchowski zuhörte. Das machte sie zornig. Der schnauzbärtige Mann lehnte im breitesten Stuhl der großen Halle und grinste zu den dreien hinüber, die vor dem Bild standen.

    »Dann brauchst du auch das Bild noch nicht zu dir zu holen«, entgegnete sie ihrem Verlobten schnippisch. »Wenn du sowieso unterwegs bist, kann es auch noch hierbleiben.«

    Kasimir ließ ihre Hand los und drehte sich um. Er ging zurück in die Halle, wo ihnen der unverschämte Ledóchowski entgegensah.

    »Aber, aber«, sagte der Gast im südpolnischen Dialekt der Wolhynier, »ein Trotzköpfchen, Eure künftige Frau, mein lieber Orlowski.«

    Gelassen sah er zu, wie Kasimir die Röte ins Gesicht stieg und dieser sich, ohne Katharina den Stuhl zurechtzurücken, an den Tisch setzte.

    Rom, 1714

    »Eure Heiligkeit.«

    Stefano Cavallari verbeugte sich.

    Der Papst winkte mit dem Finger, damit er ein Stück nähertrat.

    »Bruder Simone«, sagte der Papst, und Cavallari fand sich ein weiteres Mal unwillig in den Namen, den ihm die Jesuiten gegeben hatten, einen Namen wie eine fremde Haut. »Komm näher. Keiner muss hören, was wir besprechen.«

    Cavallari sah sich um. Die vier großen Fenster aus gezogenem Glas gingen auf einen Hof mit wenig ergiebiger Aussicht, ließen aber genug vom gleißenden Frühlingslicht hinein, um jedes Detail zu beleuchten. Außer dem erhöhten Stuhl des Papstes gab es keine Möbel. Die Besucher des Heiligen Vaters hielten sich voneinander entfernt, aber nahe genug, um einander beobachten zu können und auf jedes Wort zu horchen. Sie befanden sich im kleinen Audienzzimmer des päpstlichen Palastes, einem Saal von der luftigen Höhe dreier ausgewachsener Männer, unter einem Deckengemälde von Raffael, das eine Szene der Anbetung Mariae zeigte. Cavallari senkte den Blick und betrachtete, während er näher zum Stuhl des Papstes trat, scheinbar den glatt polierten marmornen Boden. In Wahrheit musterte er

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