Der Sohn des Soldatenkönigs
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Buchvorschau
Der Sohn des Soldatenkönigs - Paul Oskar Höcker
Saga
„Fritz kommt!" rief die Prinzessin Wilhelmine, die vom Schlossturmfenster aus schon seit einer Viertelstunde die schmale Allee entlang gespäht hatte, lebhaft ihren Geschwistern zu.
Sofort erhob sich heller Jubel unter der kleinen Gesellschaft. Sie verliessen die verschiedenen Beobachtungsposten auf der Parkmauer und den beiden alten Kastanien und eilten zum Parktor — lachend suchte eines dem anderen zuvorzukommen.
In dem ganzen Jagdschloss Wusterhausen war es lebendig geworden. Die Hofmeisterin der Prinzessin Wilhelmine kam eilig ins Treppenhaus und fragte nach der Ursache der Aufregung. Die Prinzessin, die gleich den jüngeren Geschwistern dem Bruder entgegeneilen wollte, rief ihr die Botschaft fröhlich zu und trug ihr auf, sie auch der Königin auszurichten. Bald erschien fast in jedem Fenster des Schlösschens ein neugieriges Gesicht und spähte durchs Parktor in das goldene Herbstlaub, das die untergehende Sonne wie Feuer aufflammen liess.
Weit da draussen gewahrte man ein weisses Staubwölkchen, das näher und näher kam. Dazwischen blitzte es zuweilen im roten Licht der Abendsonne.
„Drei Reiter sind’s!" rief die Prinzessin Christine, die zweitälteste.
Die kleine Ulrike war auf den Eckstein am Schlossportal gestiegen. Sie hatte die schärfsten Augen. „Zwei Offiziere und ein Stallknecht! Fritz bringt Besuch mit. Oh, es ist der Page v. Borcke!"
Wilhelmine meldete das ausserordentliche Ereignis der Mutter, die an einem Fenster des rechten Schlossflügels erschienen war. Sie lachte dabei. „Wäre der Vater nicht verreist — in Preussen oben —, dann hätte sich sein Freund gewiss nicht hergewagt: in die Höhle des Löwen!"
Die Königin machte ein erschrockenes Gesicht, denn es waren verschiedene Leute vom Gesinde in der Nähe, die die Worte ihrer ältesten Tochter hören mussten. Am Hofe wurde viel geklatscht, und kamen dem König solch vorlaute Reden zu Ohren, so hielt er ein strenges Gericht.
König Friedrich Wilhelm forderte militärischen Gehorsam von seiner ganzen häuslichen Umgebung — nicht allein von den Prinzen und Prinzessinnen, sondern auch von der Königin. Er hiess allgemein der „Soldatenkönig. Seine Familie, sein Gefolge, seine Offiziere, seine „langen Kerls
, wie die ausgesucht grossen Mannschaften seines Potsdamer Garderegiments hiessen, — sie alle hatten grosse Furcht vor seiner unnachsichtigen Strenge.
Die Staubwolke war immer grösser geworden. Nun hörte man auch schon das Getrabe der drei Pferde.
„Guten Tag, Fritze, guten Tag!" Helle Kinderstimmen bewillkommneten den Bruder.
Bestaubt, verschwitzt, ermüdet vom langen Ritt, aber fröhlich gestimmt durch den herzlichen Empfang, sprang der Kronprinz Friedrich vom Pferde. Er tauschte Händedrücke aus und winkte der Mutter zu.
„Haste uns auch ’was middebacht?" fragte die jüngste Schwester und zupfte ihn am Uniformrock, dessen Taschen vollgestopft schienen.
„Ja, vom Schlossbäcker, dem Franzosen, ein paar Pfund Pfeffernüsse für euch Schleckermäuler! Und für dich, Wilhelmine, ein neues Buch. Auch ’was aus Frankreich. Von einem neuen Dichter. Voltaire heisst er. Du wirst staunen."
„Ach, Fritz, rief die Königin bekümmert, „du weisst doch, der Vater will es nicht, dass ihr euch so in die Bücher vergrabt — die französischen kann er nicht ausstehn — und du hast doch jetzt schon eine Bibliothek von dreitausend Bänden! Wo soll das hin?
„Lass mir doch die Freude! Vater ist ja nicht da! Wie sollte man in Potsdam leben können, wenn man nicht wenigstens seine Bücher hätte! Der junge Prinz klopfte dem Freund lachend auf die Schulter. „Freilich — mein guter Borcke kommt auch ohne Bücher aus.
Helmut v. Borcke, einer der Pagen des Königs, zählte siebzehn Jahre gleich dem Kronprinzen. Er hing mit grosser Liebe an Fritz. Da er, wenn der König in Potsdam war, ständig um ihn sein musste, so hörte er oft, was Friedrich Wilhelm über seinen Erstgeborenen sagte. Borcke hinterbrachte das dann gewöhnlich dem Kronprinzen, der konnte sich danach richten, und so blieb ihm mancher Verweis erspart.
Inzwischen hatten sich zwei Stallburschen eingefunden, die den Ankömmlingen die Pferde abnahmen. Im Vorraum des Stallgebäudes liessen sich die Reiter den schlimmsten Strassenschmutz von Rock, Hosen und Stiefeln abbürsten. Jeder nahm dann seinen Mantelsack in Empfang, um ihn selbst ins Schloss zu tragen. Für die persönliche Bedienung der Prinzen und Prinzessinnen hielt der sehr sparsame König Friedrich Wilhelm keine Dienerschaft, denn seine Kinder sollten sich schon frühzeitig an die grösste Einfachheit gewöhnen.
Seinen Freund Borcke schickte der Kronprinz zunächst in die Mansarde, in der sie beide übernachten sollten. Er selbst zog Arm in Arm mit seiner Lieblingsschwester Wilhelmine zur Königin, um sie zu begrüssen. Jede Woche durfte er seine Mutter einmal besuchen, solange der König auf seiner Inspektionsreise in Preussen weilte. Das war immer ein Fest für die ganze Familie.
„Hast du denn auch die Flöte mit? Und bringst du neue Noten?" fragte Wilhelmine.
Der Kronprinz strahlte. „Ein funkelnagelneues Stück für die Flöte."
„Wer hat es komponiert? fragte die Königin. „Ist es von Händel?
„Nein, von Händel nicht, und auch nicht von Bach."
„Oh, ich kann mir’s denken, sagte Wilhelmine, „es ist von dem Dresdener Virtuosen, den du im vorigen Jahr bei dem Besuch beim König von Polen kennen gelernt hast. Quanz heisst er, nicht?
Fritz lächelte. „Ihr erratet’s noch immer nicht? Ei, ich hab’ es selbst geschrieben."
In der Tür war die Hofmeisterin der Königin erschienen, Frau von Kameke, um zu fragen, ob sie den Kaffee im kleinen Jagdsaal oder im Zimmer der Königin servieren lassen solle.
„Im Saal ist es schon zu kalt," sagte die Königin.
„Und lassen wir im Kamin ein Feuer anzünden, so zankt Vater wieder, weil zuviel Holz verbraucht wird!" spottete der Kronprinz.
„Denken Sie an, Frau von Kameke, der Kronprinz hat ein Flötensolo komponiert, und wir werden es heute noch hören!" sagte die Prinzessin Wilhelmine eifrig.
„Es ist kein Solo, es ist ein Duett, verbesserte Fritz. „Du sollst es auf der Laute begleiten. Hier sind die Noten.
Auch die jüngeren Geschwister waren inzwischen eingetreten. Sie bekamen die Neuigkeit alle zu hören. Die kleine Ulrike nickte altklug. „Da müssen wir wieder furchtbar leise sein, wenn es gespielt wird," sagte sie mit einem tiefen Seufzer.
„Wird dir das so schwer, Ulla?" fragte der Kronprinz lächelnd.
Die Kleine schüttelte den Kopf. „Ach nein. Prinzessinnen müssen doch immer leise sein. Nur die Gärtnerskinder dürfen lustig sein. Und die Kinder vom Oberförster. Sogar wenn ihr Vater zu Hause ist. Die haben’s gut."
Sie sahen einander für einen Augenblick ganz melancholisch gestimmt an. Was die kleine Ulrike da sagte, hatte sie alle schon so oft gequält. Wenn der König im Schloss weilte, dann schwieg jedes Lachen, dann gab’s kein fröhliches Wort. Bei den Mahlzeiten durfte keines von ihnen den Mund auftun, nicht einmal die Königin, falls nicht der König selbst sie etwas fragte.
„Ich werde erst abends Besuch empfangen," sagte die Königin jetzt zu der wieder