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Sissy Band 1 - Der kleine Wildfang
Sissy Band 1 - Der kleine Wildfang
Sissy Band 1 - Der kleine Wildfang
eBook275 Seiten16 Stunden

Sissy Band 1 - Der kleine Wildfang

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Über dieses E-Book

Am Heiligen Abend des Jahres 1837 kommt im Palais der Wittelsbacher in München ein goldiges Mädchen zur Welt.
Die glücklichen Eltern, Herzog Max von Bayern und seine Gemahlin Ludovica, ahnen nicht, dass Prinzessin Elisabeth in den Strudel der Ereignisse im Machtzentrum Europas geraten wird.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum4. Nov. 2016
ISBN9783700444312
Sissy Band 1 - Der kleine Wildfang

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    Buchvorschau

    Sissy Band 1 - Der kleine Wildfang - Marieluise von Ingenheim

    wird.

    Sissy kommt zur Welt

    Es war das Jahr 1837, ein düsterer Himmel hing über der bayrischen Königsstadt. Es schneite nicht, war aber bitterkalt, das Jahr ging schon zur Neige. Durch die Straßen der Residenzstadt München eilten geschäftige Menschen, Männer und Frauen, in dicke Mäntel und Pelze gehüllt und mit vor Kälte geröteten Wangen. Viele von ihnen waren mit großen und kleinen Paketen behangen, und die Vorfreude auf den brennenden Lichterbaum, unter welchem der Inhalt der Päckchen das Entzücken der Beschenkten hervorrufen würde, leuchtete aus ihren Augen. Denn es war der Heilige Abend, und für die Kinder war das Christkind unterwegs...

    Im Palais der Wittelsbacher in der Münchener Ludwigstraße aber wartete man auf eine Bescherung besonderer Art. Es herrschte ein nervöses Kommen und Gehen, und im ersten Stockwerk ging alles bis herab zur Dienerschaft nur auf Zehenspitzen durch die Gänge.

    Eben hielt eine Droschke vor dem Portal, und eine dickliche, der Kälte wegen gänzlich vermummte Frauenspersonkletterte schnaufend ins Freie. Der livrierte Türsteher stürzte herbei und half der Frau, eine umfängliche Tasche in Empfang zu nehmen, welche ihr der von seinem Bock gekletterte Droschkenkutscher aus dem Inneren des Gefährtes herausreichte.

    „Na endlich, Frau Sirninger, begrüßte sie der Portier erleichtert. „Drin sind schon alle aus dem Häusl! Haben S' Ihnen denn net ein bissel beeilen können?

    „Beeilen? Heut, am Heiligen Abend? Ich hab' Kinder und einen Mann!" erwiderte die also Gerügte empört.

    „Na, die Frau Herzogin kann sich den Tag schließlich net aussuchen, net wahr? Das muss man halt nehmen, wie's kommt und wie's der Himmel will, versetzte der Portier. „Gehn S' nur schnell rauf, man wart' schon sehnsüchtig!

    „Auf mich warten immer alle sehnsüchtig, wehrte Frau Sirninger schmunzelnd ab. „Aber zu spät kommen bin ich noch nie, meistens is' noch Zeit g'nug. Also regen S' Ihnen net auf, Herr Steinpichler, ist schließlich net das erste Mal, dass mich die Frau Herzogin rufen lasst.

    Resolut nahm sie die Ledertasche wieder an sich, und Steinpichler ließ sie ein. Er wagte keinen weiteren Widerspruch, und abgesehen davon, hatte Frau Aloisia Sirninger ja auch ganz Recht.

    Die Einfahrt war erleuchtet, der Aufgang zur Linken wies auf den steinernen Treppenstufen viele feuchte Trittspuren auf. Die Sirninger hatte nichts anderes erwartet, dennoch seufzte sie mitleidig. Man war eben in einem herzoglichen Haus, in welchem die Tradition selbst zu Zeiten regierte, wo sie hätte besser der Vernunft Platz machen sollen.

    Die beiden Linien der Wittelsbacher hatten nun seit beinahe siebenhundert Jahren in Bayern das Sagen. Dieses Palais hatte der König erbauen lassen; nun residierte darin Herzog Max in Bayern aus der Birkenfelder Linie. Und seine Gemahlin, die resolute Herzogin Ludowika, war ausgerechnet heute in die Wehen gekommen. Sie hätte sich nach Frau Sirningers Ansicht recht gut noch ein paar Tage Zeit lassen können, beispielsweise bis nach dem Stephanitag. Aber wie schon der Portier Steinpichler bemerkt hatte, die Frau Herzogin hatte sich's eben nicht aussuchen können, und so würde denn das kleine Erdenwürmerl, das da ans Licht wollte, ein richtiges kleines Christkindl werden.

    Seufzend blieb die Hebamme auf dem Treppenansatz stehen, um kurz zu verschnaufen. Ihre Tasche, in welcher sie alle Utensilien, die sie benötigte, mit sich führte, wog nicht gerade leicht. Glücklicherweise überholte sie eben den Diener Ferdinand.

    „Ferdinand, laufen S' doch net an mir vorbei, helfen S' mir ein bissel, ich bin ja reinweg ganz außer Atem!"

    „Jösses, die Frau Sirninger! erbarmte sich Ferdinand augenblicklich und riss ihr förmlich die Hebammentasche aus den Händen. „Kommen S' nur gleich, der Doktor ist schon da, der Frau Herzogin geht's miserablich, die ganze hoch-wohlgeborene Sippschaft macht s' ganz nervös.

    „Kein Wunder, Ferdinand, sagte sie schnaufend und stapfte nun eilig neben ihm die restlichen Stufen der Feststiege empor, die mit Tannenreisern geschmückt war, welche einen festlichen Duft verströmten, „Ich bin heilfroh, dass ich net als Herzogin zur Welt 'kommen bin. Mich hat meine Mutter net in aller Öffentlichkeit gebären müss'n. - Wo ist 'n Seine Hoheit?

    „Beim G'sind' unten, er trinkt grad sein' Kaffee. Der lasst sich net aus der Ruh' bringen. Ich komm' grad von ihm - die Frau Herzogin hat mich g'schickt und ihn fragen lassen, ob er was braucht. Die lasst die Zügel net aus der Hand, net einmal an einem Tag wie heut."

    „Das schaut ihm ähnlich, brummte die Hebamme. „Sitzt beim G'sind' und trinkt Kaffee, während die arme Frau...

    „Aber was sollt' er denn machen, Sirningerin? Er kann ihr ja doch net helfen, und's Kind statt ihr zur Weh bringen kann er auch net, verteidigte Ferdinand seinen Herrn. „Der Doktor ist bei ihr, und jetzt kommen auch noch Sie! Und die ganze unnötige G'sellschaft sitzt vorm Paravent und wart', bis es soweit ist. Der Doktor schimpft wie ein Rohrspatz, wenn sich einer untersteht, sich ein Zigarrl anzuzünden!

    Jetzt erreichten sie die Vorhalle. Die Gebärende hatte man in den Roten Salon verlegt, der eine größere Anzahl von Personen fassen konnte. Das Prunkbett - das man eigens zum feierlichen Anlass aus dem Mobiliendepot hatte kommen lassen - stand hinter einem mächtigen Paravent, dessen einzelne Flügel anmutige Schäferszenen mit herzigen kleinen Putten zeigten. Der Paravent gewährte der in den Wehen hegenden Herzogin Ludowika ein kleines bisschen Intimität, denn jenseits dieses Schutzschirms waren an die zwanzig Personen versammelt, die sowohl der herzoglichen Verwandtschaft als auch dem Königlichen Hausministerium angehörten. Der zu erwartende Erdenbürger konnte Thronanspruch erben; es war diese Geburt also ein offizieller Akt ebenso sehr wie ein familiäres Ereignis. Ja, letzteres war es sogar erst in zweiter Linie.

    Der Leibarzt des Königs, Doktor Reichhardt, saß an der Seite der Leidenden, welche ihr Weh mit Anstand ertrug. Solange es ging, Verbiss sie ihre Schmerzen, die freilich in Abständen immer heftiger wurden. Aber bisher war immer noch alles gutgegangen. Sie vertraute den geschickten Händen der Hebamme ebenso wie dem Doktor und vor allem auch der Hilfe der Heiligen Muttergottes, die sie mit zusammengepressten Lippen immer wieder in Gedanken anflehte, dass es doch möglichst bald vorüber sein möge.

    Das Gemurmel der Wartenden drang an ihr Ohr wie ein fernes Brausen, aber sie blieb sich stets des Umstandes bewusst, dass hier sie die Hausfrau war und als solche Pflichten wahrzunehmen hatte.

    Herzogin Ludowika war eine sehr resolute und standesbewusste Person. Ihr Gatte hingegen, der Herzog, war da ganz anders, er war ein vierschrötiger, gemütlicher Geselle, der nichts so sehr hasste wie Standesdünkel und Zeremoniell.

    Wäre die Hebamme nicht die Treppe emporgestiegen, sondern hätte sie das rückwärtige Tor der Einfahrt benutzt, welches in den Hof des Palais führte, dann wäre sie vor einer winterlich verschneiten Zirkusarena gestanden. Eine solche samt den Holzbänken für Zuschauer ringsum hätte man normalerweise nicht in einer Residenz eines Herzogs in Bayern vermuten dürfen. Herzog Max hingegen hatte sich hier eine solche bauen lassen. Er ritt höchstpersönlich die Hohe Schule und produzierte andere „Kunststückln" angesichts eines besagte Bänke füllenden, in seiner Zusammensetzung höchst gemischten Publikums, dessen Applaus zu seinen höchsten Genüssen zählte. Es waren etliche seiner Kumpane aus dem Hofbräuhaus darunter, und sie waren keineswegs von Adel; und auch aus dem Künstlerviertel Schwabing kamen durchaus nicht hoffähige Leute zu des Herzogs Privatvorstellungen, der offen zugab, er wäre am liebsten nicht Herzog, sondern Zirkusdirektor geworden, wenn er die Wahl gehabt hätte.

    Herzog Max in Bayern war ein, wie man zu sagen pflegte, „leutseliger Herr, und genau das, was seine Gemahlin Ludowika mit schierem Entsetzen erfüllte, machte seine Popularität bei der Münchener Bevölkerung aus. „Müsst's mich halt nehmen, wie ich bin, pflegte er allen jenen zu erklären, die an seiner Lebensweise Anstoß nahmen. Bis auf die Herzogin hatten sich schließlich alle daran gewöhnt, dass Herzog Max ebenso war und nicht anders, und selbst der König nahm keinen Anstoß mehr daran, dass Max mit genagelten Bergschuhen und in Lederhosen im Schloss aufkreuzte. Frau Ludowika hingegen gab in gewohnter Hartnäckigkeit noch nicht die Hoffnung auf, ihn zu bessern, so dass er, um ihren steten Nörgeleien zu entgehen, immer häufiger auf die Jagd und auf Reisen ging.

    Inmitten der freien Natur fühlte er sich überhaupt am wohlsten, und den Kontakt mit der Landbevölkerung liebte er. So war er denn im wahrsten Wortsinn ein leutseliger Mann, und dass er die Gesindestuben den Gesellschaftsräumen in seinem Palais vorzog, war die logische Folge davon.

    Ludowika liebte er auf seine Art. Sie tat ihm leid, er machte sich Sorgen um sie, sagte sich aber genau wie Ferdinand, dass er ihr jetzt nicht helfen könne und nur die Zahl der im und vor dem Roten Salon herumstehenden Leute vermehren würde. Er trank also seinen Kaffee und suchte sich einzureden, dies sei ein Tag wie jeder andere. Aber das war schwer genug, denn es war eben kein gewöhnlicher Tag, sondern noch dazu Heiliger Abend!

    Im Familienzimmer stand ein geschmückter Weihnachtsbaum. Ludowika hatte noch selbst beim Schmücken der Tanne mit Hand angelegt, so gut sie es vermochte. Ein zweiter, kleiner und bescheidenerer Christbaum stand im Erdgeschoß, dort, wo das Gesinde zusammenzukommen und seine Mahlzeiten einzunehmen pflegte. Auf zwei Gabentischen lagen die Geschenke bereit.

    Ludowika hatte auf nichts und niemanden vergessen. „Auch nicht beim Kinderkriegen", dachte Herzog Max und ließ diesem Gedankengang einen kräftigen Schluck aus der Kaffeetasse folgen. Und daran schloss er die Hoffnung an, dass es diesmal wieder ein Bub werden möge. Denn Buben konnte es in einem herzoglichen Hause nicht genug geben.

    Der Erstgeborene, Prinz Ludwig Wilhelm, war 1831 zur Welt gekommen. Luis, wie er gerufen wurde, war jetzt sechs Jahre alt und verständig genug, um zu wissen, dass heute nicht nur das Christkind, sondern auch der Storch erwartet wurde, doch, ehrlich gestanden, das Christkind mit seinen Geschenken interessierte ihn mehr.

    Das zweite Kind, das ihm Ludowika schenkte, war wieder ein Bub gewesen, doch Wilhelm lebte nur wenige Monate, dann war er „ein unschuldiges Engerl 'worden, wie Ludowika zu sagen pflegte, wenn sie in schmerzlicher Erinnerung seiner gedachte. Zwei Jahre nach Wilhelm, 1834, kam Karolin-Therese zur Welt. Sie hatte noch einen dritten Namen: Helene. Den liebte sie besonders, wohl deshalb, weil er am leichtesten auszusprechen war. Um ihn sich noch mundgerechter zu machen, hatte das kleine, herzige Plappermäulchen ihn zu „Nené verkürzt. Und „Nené" sollte sie auch bis an ihr Lebensende heißen.

    Nené war jetzt fast vier Jahre alt und ein aufgewecktes Kind. Anders als Bruder Luis war sie neugieriger auf das Geschenk des Storches. Was würde er ihr wohl bringen, ein Brüderlein oder ein Schwesterlein?

    Nachdem Mama Ludowika sich bisher mit schöner Regelmäßigkeit alle zwei Jahre ins Wochenbett gelegt hatte, Heß sie sich nach Neues Geburt ein Jahr länger Zeit. Daran mochte wohl eine längere Reise von Papa Max schuld gewesen sein.

    Doch nun stand der 24. Dezember 1837 auf dem Kalenderblatt, und es war wieder einmal so weit. Und dieser 24. Dezember fiel außerdem auch noch auf einen Sonntag! Ob das ein gutes Omen war?

    „Es hat auf jeden Fall etwas zu bedeuten", brummte Max und tat seinen letzten Schluck Kaffee. Es war halb sechs Uhr abends, ein wenig spät für die Jause und doch zu früh für die Bescherung, die er mit den Kindern würde alleine bestreiten müssen, wenn sich Ludowika Zeit ließ. Denn bevor nicht alles vorüber war, durften die Kinder natürlich nicht zu ihr.

    „Weihnachtsabend ohne Mutter, brummte Max fast vorwurfsvoll und schlug ähnliche Gedankengänge ein wie vorhin auf der Treppe Frau Sirninger Ludowika hätte sich noch ein paar Tage Zeit lassen können. Und damit fühlte er nun auch ein wenig Mitleid für das noch gar nicht geborene Wesen. „Dem fallen ja Geburtstag und Heiliger Abend auf einen Tag z'samm', räsonierte der werdende Vater. „Net zu beneiden, wegen die Geschenk' ..." Er, Max, ließ sich gerne beschenken.

    Um sieben Uhr abends, der Herzog hatte sich inzwischen nach einem kurzen Besuch im Kreißzimmer in die Bibliothek verkrochen, in der sich, durch Foliantendeckel getarnt, ein Likörschrank mit besonderen Spezialitäten befand, ließ ihn die Herzogin durch den Diener Josef wissen, es sei noch immer nicht soweit mit ihr und dem Kind, doch da es die gewohnte Stunde der Bescherung sei, möge er die Kerzen auf den Christbäumen anzünden lassen, sich mit Luis und Nené zum Gabentisch begeben und dem Gesinde auch in ihrem Namen ein frohes Fest wünschen.

    Der Herzog freute sich über die ihm von seiner Gattin zugedachte Meerschaumpfeife. Luis erhielt Trommel und Trompete und eine kleine Ziehharmonika (letztere von Papa), und Nené war überglücklich über ein richtiges Puppenhaus mit vielen Zimmern, die allesamt komplett eingerichtet waren. Dazu kamen noch ein Springreifen und ein Ball von Papa.

    Die Päckchen, die das Christkind für Mama gebracht hatte, blieben vorerst noch unberührt.

    „Wann kommt Mama sie denn anschauen? fragte Nené mit großen Augen. „Und wann sieht sie denn den wunderschönen Weihnachtsbaum?

    „Ja, wann denn? Es wird ja schon spät!" mahnte auch Luis.

    „Ich gehe einmal rasch noch zu Mama und erzähl' ihr, wie schön hier alles ist!" sagte Papa Max.

    „Dann kannst du ihr aber auch gleich ihre Geschenke mitbringen!" riet Nené.

    „Die will sie sicher selbst unterm Christbaum auspacken, tröstete sie der Papa ein wenig verlegen. „Spielt nur inzwischen. Nachher essen wir, ich krieg' langsam Hunger.

    Da war es halb acht. Frau Sirninger hatte absolut Recht, sie war auch diesmal nicht zu spät gekommen.

    Den Gästen vor dem Paravent wurden Erfrischungen gereicht.

    „Wieder a Madel!"

    Die Gesindebescherung war durch die Gäste im Haus und das „große Ereignis" empfindlich gestört. Zwar zeigte sich der Herzog jovial wie gewöhnlich, doch er war nicht bei der Sache. Der Besuch bei seiner Frau hatte ihn besorgt gemacht, obwohl ihm der Arzt versicherte, dass zu Befürchtungen kein Anlass bestehe.

    Ludowika und er waren gleichaltrig, standen nun beide im neunundzwanzigsten Lebensjahr. Eine Frau von neunundzwanzig Jahren war schon nicht mehr die Jüngste, während sich ein Mann dieses Alters in seinen besten Jahren befand. Aber Ludowika war kerngesund, würde sich, wie Max hoffte, noch etliche Male ins Wochenbett legen.

    Der Herzog brachte seine beiden Kinder zu Bett. Gemeinsam beteten sie und schlossen besonders die Mama in ihre guten Wünsche ein. Die Geschwister wollten nicht recht einschlafen. Die Bescherung und die damit verbundene Freude über die Geschenke war es nicht allein, was ihre Unruhe bewirkte. Es lag ein großes Geheimnis über diesem Haus und diesem Abend.

    Es wurde zehn Uhr, halb elf. Die Luft im Gebärzimmer war zum Schneiden dick, der Raum überheizt, jedermann gereizt. Nach einer kurzen Ruhepause, welche auf eine Phase der Ermattung folgte, setzten die Wehen mit erneuter Heftigkeit ein, und Ludowika stöhnte und schrie schließlich zum Erbarmen. Es war keine leichte Geburt. Der Arzt sorgte sich um die Gebärende, aber die Hebamme behielt die Nerven und schickte Josef, den Herzog zu holen. „Sagen Sie ihm, er soll schnell kommen, jetzt ist es soweit!" Sie wischte der Herzogin den Schweiß von der Stirn, während der Diener hinauseilte.

    Zielsicher strebte Josef der Bibliothek zu, wo er den Herzog bei seinem geheimen Likörschrank zu finden hoffte. Er hatte sich nicht getäuscht.

    „Königliche Hoheit", begann er gemessen.

    Der Herzog schnitt ihm mit einer heftigen Handbewegung das Wort ab. „Sagen Sie schon, rief er ärgerlich, „ist es endlich soweit?

    „Sehr wohl. Josef nickte steif. „Die Frau Herzogin geruht niederzukommen.

    „Dann geruhe ich, zu ihr hinaufzukommen, sagte der Herzog erleichtert und machte so große Schritte, dass ihm Josef kaum zu folgen vermochte. „Pfui Deibel, rief er aus, kaum dass er das Zimmer betreten hatte, in dem sich die Herzogin in ihrem Bett wand. „Macht denn hier kein Mensch ein Fenster auf?!" Er wandte sich einem Fenster zu.

    „Um Himmels willen, wollen Sie Ihre Hoheit umbringen?" Ein Sekretär trat ihm entgegen.

    „Na ja, mahnte der Herzog brummend, „manche Leut' erfrieren halt eher, bevor sie im G'stank ersticken!

    In diesem Moment stieß die Herzogin einen langgezogenen Schrei aus, und dann hielt der königliche Leibarzt das neugeborene Menschenbündelchen in seinen Armen und konstatierte lautstark für die Stenographen, während sich die Hebamme „um die hochwohle Nachgeburt kümmerte":

    „Geboren ist am Sonntag, dem 24. Dezember 1837, ein wohlgestaltet Menschenkind weiblichen Geschlechtes um zehn Uhr abends und dreiundvierzig Minuten hernach..."

    Die Gesellschaft vor dem Paravent brach in Beifallskundgebungen aus und gratulierte dem Herzog. Der aber murmelte enttäuscht in seinen Backenbart hinein: „Wieder a Mädel!"

    Was das eine Freude und ein Gratulieren ringsum - auch wenn es „nur a Madl" war. Die kleine Prinzessin, ein rosiges, etwas runzeliges kleines Bündelchen Mensch, war aber auch von Anbeginn an offenbar schon recht lebhaft. Der königliche Leibarzt hatte es nicht nötig, ihr mit dem obligaten sanften Klaps auf das rosige Hinterteil den ersten Schrei zu entlocken. Den tat sie auch so, und als der Herr Papa sein Prinzesslein im Arm hielt, tat sie es gleich noch einmal recht kräftig. Der Papa hob sie empor und zeigte sie allen, die sie bestaunen wollten, und sie ließ ihr gar nicht so zartes Stimmchen hören, als wolle sie damit sagen: Seht her, hier bin ich, ihr Lieben! Fröhliche Weihnachten, allesamt!

    Max betrachtete das kleine Stimmwunder nun endlich selbst näher, und als sie wieder einmal den Mund auftat, entfuhr ihm eini höchst erstauntes „Sapperlot! Und dann holte er sich auch gleich den mit der Mutter beschäftigten Doktor herbei und zeigte ihm sein Wunderkind. „Doktor, seh' ich recht oder täusch' ich mich? Gucken S' ihr doch einmal genau in den Mund, wenn sie wieder schreit!

    Der Doktor rückte seine Brille zurecht und tat, wie ihm geheißen. Und als sich das Mäulchen nach einem weiteren kräftigen Lebenszeichen wieder schloss, meinte er: „In der Tat, in der Tat, Eure Hoheit, es ist außergewöhnlich!"

    „Nicht wahr, sie kriegt ja bereits einen Zahn! Man sieht's ganz deutlich, wie er durchs Kieferl durchkommt. Mein armes Kind, ja mein, es kommt ja reinweg grad mit Zahnschmerzen zur Welt!"

    „Da kann ich aber wirklich nix dafür, Hoheit, und die Frau Gemahlin auch net", versicherte der Leibarzt, als fühle er sich für den Umstand verantwortlich gemacht, dass das kleine Prinzess lein in Bezug aufs Zahnen gewissermaßen seiner Zeit voraus war.

    Sicherlich war dieser Umstand eine Erklärung dafür, dass das Kind in der letzten Zeit im Mutterleib reichlich unruhig gewesen und die Geburt ein wenig umständlicher verlaufen war, als es der Mutter lieb gewesen sein mochte.

    „Aber wenn sie schon einen Zahn kriegt, dann ist das ja ein Glücksomen, versicherte die weißhaarige Gräfin Hohenstein, indem sie das Baby mit dem Lorgnon in Augenschein nahm. „Sie ist ein Sonntagskind und hat noch dazu einen Glückszahn - und das alles am Heiligen Abend! Sie wird einmal ein ganz besonderer Mensch werden, das lässt sich heute schon voraussagen, versicherte sie dem Vater.

    „So, meinte der zweifelnd. „Und woher woll'n S' denn das nachher so genau wissen?

    „Aber, Herzog, das sind doch uralte chinesische Weisheiten", sagte die Gräfin leicht pikiert.

    „Ja mein, wir sind aber in München und net in Peking, brummelte Max kopfschüttelnd. „Aber das mit'm Heiligen Abend, da erinnern S' mich wahrhaftig an was.

    „An was denn, wenn ich fragen darf?"

    „Gewissermaßen an ein väterliches Versäumnis. Bei der ganzen Remasuri hat kein Mensch daran gedacht, verstehen S'? Dass wir nämlich für das Kleine hier noch gar kein Weihnachtsgeschenk haben!"

    Die Gräfin schlug lachend die Hände zusammen. „Aber,

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