Drei Musketiere - Eine verlorene Jugend im Krieg, Band 12
Von Frank Hille
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Rezensionen für Drei Musketiere - Eine verlorene Jugend im Krieg, Band 12
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Buchvorschau
Drei Musketiere - Eine verlorene Jugend im Krieg, Band 12 - Frank Hille
Martin Haberkorn, 8. Juli 1943, Hamburg
Als er immer noch total benommen, mit dröhnendem Kopf, zitternden Beinen und vollkommen mit Ziegel- und Betontaub bedeckt über die von den Feuerwehrleuten und Hitlerjungen freigelegte enge Stelle an der Kellerwand über Betonbrocken nach oben gestiegen war, fiel Martin Haberkorn nach wenigen Schritten mit den Knien auf den Boden. Er stützte sich mit den Händen ab und hatte Mühe nicht umzufallen. Keineswegs war es eine schwere körperliche Anstrengung gewesen die ihn so erschöpft hatte, aber er war mit den anderen Überlebenden des Bombenangriffes in dem Keller eine für sie unendlich erscheinende Zeit verschüttet gewesen und die Befürchtung, daraus nicht mehr lebend entkommen zu können, hatte seine Nerven bis aufs Äußerste zerrüttet. Haberkorn nahm trotz seines Zustandes wahr, dass um ihn herum nur noch Ruinen standen, Brände flackerten und Rauchwolken über die Stadt zogen. Ringsum heulten immer noch Sirenen der Feuerwehr oder von Sanitätsfahrzeugen. Im nahegelegenen Hafenbecken kurvte ein Schlepper zwischen aus dem Wasser ragenden Aufbauten von versenkten Schiffen umher und versuchte offensichtlich vorsichtig aus dem nunmehr größtenteils unbefahrbaren Gebiet herauszukommen. Nach dem krachenden Inferno des Luftangriffes war es jetzt fast unnatürlich still und lediglich die Rufe der Rettungsmannschaften waren in der Nähe zu vernehmen.
„Vergiss es hörte er deutlich „die kannste nur noch mit ner Grabegabel und Schaufeln rausholn. Weißt doch sowieso nich, wer wer is, sind doch alle total zusammengebackn. Das war n Ausbläser. Is durch das ganze Haus durchgerauscht und dann im Keller nich explodiert, sondern der Sprengstoff is nur schnell abgefackelt. Jedenfalls ham die armen Schweine davon nich mehr viel gemerkt. Los, weiter zum nächsten Keller, hat doch keinen Sinn mehr hier.
Martin Haberkorn hatte sich auf den Boden gesetzt und mit dem Rücken gegen ein noch intaktes Mauerstück gelehnt. Der Obersteuermann saß wie schon im Keller wieder neben ihm und starrte wortlos und mit leerem Blick in die Gegend. Beide Männer tröstete etwas, dass sie sich keine Sorgen um ihre Familien oder Angehörigen machen mussten, die Frau und die Kinder des Obersteuermanns lebten in Kiel, und Marie war in Frankreich weit weg. Haberkorn war dennoch erschüttert, mit welcher Brutalität Krieg gegen Frauen und Kinder geführt wurde. Auf den Gedanken, dass deutsche Bomber lange vor den britischen Bombardements englische Städte angegriffen und ebenfalls vor allem die Zivilbevölkerung terrorisiert hatten kam er in diesem Moment nicht, zu groß war sein Entsetzen gewesen und sollte sich unauslöschlich in seine Erinnerungen einbrennen. Bis vor wenigen Stunden hatte er noch geglaubt, dass eine lange Wasserbombenverfolgung das Höchstmaß an nervlicher Anspannung und Todesangst wäre, jetzt aber wusste er, dass dieses Grauen noch Steigerungen erfahren konnte. Es war vor allem die Gewissheit gewesen, der Bedrohung aus der Luft vollkommen ausgeliefert zu sein und sich nicht einmal mit den blanken Händen dagegen wehren zu können. Dass die Menschen in den nur notdürftig geschützten Luftschutzkellern bei der Abwehr des Angriffes so scheinbar allein gelassen worden waren bestürzte ihn, aber er wusste natürlich, dass es nicht so war. Rings um die Stadt waren schwere Luftabwehrbatterien mit den gewaltigen 8,8-Zentimeter Flakgeschützen stationiert, die von als Flakhelfern eingesetzten Hitlerjungen bedient wurden. Keineswegs waren diese jungen Männer schlechtere Kanoniere als die wenigen dort dienenden älteren Männer, vielfach war sogar das Gegenteil der Fall. Haberkorn war inzwischen durch seine eigenen Kriegserlebnisse von einem nahezu kritiklosen und begeisterungsfähigen jungen Mann zu Beginn seines Dienstes in der Marine zu einem erfahrenen Soldaten gereift, der die Dinge nicht mehr mit dem verklärten Blick der Jugend und deren Lust auf Abenteuer sah, sondern seine eigenen Schlüsse ziehen konnte. Als er anfangs als Dieselheizer auf einem VII C-Typ eingestiegen war hatte ihn die scheinbar willkürlich angeordnete Technik an Bord des Bootes heillos verwirrt. Erst nach und nach war ihm aufgegangen, was für ein kompliziertes System so ein U-Boot darstellte und dass das auf den ersten Blick planlose Durcheinander der technischen Apparaturen einem wohldurchdachten, aber durch verschiedene Zwänge bedingtem Plan folgte. Der Spagat zwischen der unbedingten militärischen und damit vorrangigen Zweckerfüllung dieser riesigen Maschine und den Anforderungen an ordentliche Lebensbedingungen der Besatzung konnte den Konstrukteuren gar nicht gelingen, und Komfort war auch nicht unbedingt gewollt, das war ihm schnell klar geworden. Ganz ähnlich wie in einem Panzer waren die Männer in einer Stahlhülle eingeschlossen aber der Unterschied war eben der, dass sie in Phasen ohne Bedrohungslagen nicht einfach ihre Zelte an der frischen Luft aufschlagen konnten, sondern fast ununterbrochen im eigenen Mief, Dieselgestank, unter künstlichem Licht, vorrangig von Konservennahrung und in einem ungesunden Rhythmus der Wachwechsel leben mussten. Sein Freund Fred Beyer hatte ihm in den letzten Briefen geradezu begeistert von seinem neuen Panzer, einem „Panther, berichtet. Haberkorn als Techniker hatte schon seit einiger Zeit erkannt, dass der deutsche Generalstab im Vertrauen auf die absolute Überlegenheit der eigenen Waffen grundlegende Neukonstruktionen oder echte Weiterentwicklungen nicht für notwendig erachtet hatte. Man ging davon aus, dass die fast alle schon Mitte der 30iger Jahre entstandenen – und damals führenden Rüstungsprodukte – bei Weitem ausreichen würden, die potentiellen Gegner in schnellen Waffengängen zu besiegen. Dass diese Rechnung nicht aufgegangen war konnte er auch in Bezug auf die deutschen U-Boote feststellen. Haberkorn hatte sich in den furchtbar angstaufgeladenen Stunden in dem verschütteten Keller Flugzeuge gewünscht, die auch bei Nacht erfolgreich gegen die Bomber vorgehen konnten. Er wusste nicht, dass es diese Muster bereits gab. In der Nacht vom 11. auf den 12. Juni 1943 hatte der erste Fronteinsatz einer Heinkel He 129 „Uhu
stattgefunden. Dieser mit einem Bordradar FuG 212 Lichtenstein C-1 ausgerüstete und speziell für die Nachtjagd konzipierte zweimotorige Jäger hatte innerhalb kurzer Zeit 5 schwere britische Avro Lancaster Bomber abschießen können. Dass diese modernen Flugzeuge erst jetzt eingesetzt werden konnten war allgemein symptomatisch für den der Entwicklung nachhinkenden technischen Ausrüstungsstand aller deutschen Teilstreitkräfte.
„Da sind wir ja gerade noch mal mit viel Glück klargeslippt" sagte Haberkorn leise zum Obersteuermann.
„Kann man wohl so sagen, Herr Oberleutnant. Andere haben nicht so viel Dusel wie wir gehabt."
Haberkorn folgte seinem Blick. Direkt auf ein von Trümmern freies Stück der Straße und neben der zerstörten Häuserzeile hatten die Retter geborgene Leichen aus den freigelegten Luftschutzräumen gelegt. In den Ruinen brannten die noch erhaltenen Obergeschosse aus, durch die durch die Bombenexplosionen weggefegten Fassaden konnte man in die Zimmer hineinsehen. Haberkorn erkannte ein Schlafzimmer, in dem die Betten noch standen und auch die Kleiderschränke weitestgehend unversehrt geblieben waren. Über einer Bruchkante des Wohnungsbodens hing eine Stehlampe über dem Abgrund, an einer Wand bewegte sich ein Bild leise im Luftzug des durch die Flammen verursachten Sogs. Er stellte sich vor, wie die Bewohner sich das Geld abgespart hatten, um sich wenigstens für die knappen Stunden der Freizeit nach der langen Arbeit etwas Gemütlichkeit schaffen zu können. Aber auch diese Zeit war nicht sorgenfrei, denn die an Intensität zunehmenden Luftangriffe setzten die Menschen nach den langen und harten Schichten in den Betrieben, nach ihren ständig schwieriger werdenden Bemühungen ausreichend Nahrung und Kleidung ergattern zu können noch mehr unter Druck, und zu der körperlichen Auslaugung kam nun auch noch die permanent vorhandene Lebensbedrohung aus der Luft dazu. Keiner der Leute machte sich allzu große Illusionen über die Wirksamkeit der Schutzbauten unter den Häusern, denn die Gefahr der Luftangriffe war viel zu lange unterschätzt worden und es gab kaum ausreichend bombensichere Bauwerke.
Auch das war für Haberkorn ein deutliches Zeichen der lange vorhandenen vollkommenen Unterschätzung des Gegners, und diese Arroganz hatten heute wieder etliche Hamburger mit ihrem Leben bezahlen müssen.
Günther Weber, 7. Juli 1943, vor Orel
Die kampftrainierten SS-Männer hatten sich immer nur sprungweise und unter Nutzung der Bombentrichter langsam Meter für Meter an die vier „Ferdinand" heranarbeiten können. Die hinter ihnen stehenden eigenen Panzer und die noch weiter rückwärts postierten Nebelwerfer und Artilleriegeschütze feuerten in schneller Folge auf die russischen Stellungen, aber das war keineswegs als separate Unterstützung für die vorgehenden Infanteristen gedacht, sondern gehörte zum allgemeinen Angriffsplan. Beide Seiten hatten ohnehin erhebliche artilleristische Kräfte an diesem Abschnitt konzentriert und Günther Weber war von dem fast gar nicht pausierenden Beschuss selbst als erfahrener Frontkämpfer durchaus beeindruckt. Aus der Sicht der Russen, die in der defensiven Rolle waren und diese auch extra mit Vorbedacht eingenommen hatten, war dies ein Mittel, mit dem heftigen Beschuss dem Gegner möglichst hohe Verluste beibringen zu können, ohne die eigenen infanteristischen Einheiten der Angriffswucht der Deutschen direkt auszusetzen.
Im Vorfeld von „Zitadelle" hatte es zwischen Hitler und dem deutschen Generalstab erhebliche Meinungsunterschiede zum weiteren Vorgehen im Osten gegeben. Während Hitler anfangs vor allem argumentierte, die Wehrmacht und die anderen Streitkräfte erst wieder auf eine angemessene Schlagkraft bringen zu müssen und bis dahin defensiv zu bleiben, wollten die Generäle die strategisch zu einem Angriff geradezu einladende Situation um Orel, Kursk und Belgorod herum mit einen offensiven Vorgehen ausnutzen. Ursprünglich bereits für das zeitige Frühjahr 1943 geplant, scheiterte diese Vorstellung aber an den Differenzen der Befehlshaber der einzelnen Heeresgruppen und Großkampfverbände, der langanhaltenden Schlammperiode und auch an