Milliardengräber: Regierungsbunker in Ost und West
Von Gotthold Schramm
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Buchvorschau
Milliardengräber - Gotthold Schramm
Das Buch
3.000 Personen, darunter Eliten des Bonner Staates, sollten 30 Tage einen Krieg, der mit Atomwaffen geführt worden wäre, im Regierungsbunker Ahrweiler überleben. Bis 1997 blieb der Bunker betriebs- und einsatzbereit.
In zwölf NATO-Stabsübungen wurden vom Bunker aus der Ersteinsatz von Nuklearwaffen gegen Staaten des Warschauer Vertrages und die Durchsetzung der Notstandsgesetze geprobt.
Der Autor fragt nach Sinn und Zweck dieses Bauwerkes, dem Gigantismus, seiner Sicherheit und der politischen und militärischen Aufgabenstellung. Dabei stieß er auch auf die faschistische Vergangenheit der Bauherren. Und er stellte ebenfalls Vergleiche an zum Regierungsbunker der DDR nordöstlich von Berlin bei Prenden.
Der Autor
Gotthold Schramm, Jahrgang 1932, 38 Jahre Mitarbeiter des MfS, davon dreißig Jahre bei der Aufklärung (HV A). Zuständig für Spionageabwehr und Gegenspionage. Letzter Dienstgrad Oberst.
Mitautor der Reihe zur Geschichte der Aufklärung der DDR, u. a. »Topspione in Westen«, »Angriff und Abwehr« und »Konterspionage« sowie zu den Ereignissen in Chile 1970 bis 1973 (»Der Junta entronnen«).
Seine letzte Publikation beschäftigte sich mit der Neuausrichtung des Bundesnachrichtendienstes (»Die BND-Zentrale in Berlin«).
Impressum
ISBN eBook 978-3-360-51020-4
ISBN Print 978-3-360-01851-9
© 2013 edition ost im Verlag Das Neue Berlin, Berlin
Umschlaggestaltung: Buchgut, Berlin
unter Verwendung eines Motivs von ullsteinbild-Meldepress
Fotos: Archiv Gotthold Schramm, Robert Allertz
Das Neue Berlin Verlagsgesellschaft mbH
Neue Grünstr. 18, 10179 Berlin
Die Bücher der edition ost und
des Verlags Das Neue Berlin
erscheinen in der
Eulenspiegel Verlagsgruppe
www.edition-ost.de
Gotthold Schramm
Milliardengräber
Regierungsbunker in Ost und West
Prolog
Im Sommer 2014 werden wir daran erinnert, dass 100 Jahren zuvor ein Schuss fiel, der am Ende vermutlich zehn Millionen Menschen das Leben kostete. Dieser gewaltige Völkermord ging als Erster Weltkrieg in die Geschichte ein. Der blutigste Mordacker lag bei Verdun, einer Stadt im Nordosten Frankreichs. Etwa 800.000 Soldaten, Deutsche und Franzosen, verloren dort ihr Leben oder ihre Gesundheit. Die Erde soff Blut und wurde derart umgepflügt von Bomben und Granaten, dass man ihre Verunstaltung noch nach 100 Jahren sehen kann. Und ferner sind die zernarbten oberirdischen und unterirdischen Trümmer der Festungsbauten zu besichtigen, deren Namen – etwa Fort Douaumont oder Fort Vaux – nicht nur durch die jeweilige patriotische Presse, sondern vor allem durch die Kunst bekannt wurden. Stellvertretend verwiesen sei nur auf Arnold Zweigs »Erziehung vor Verdun«, Erich Maria Remarques »Im Westen nichts Neues« oder Ernst Barlachs Lithografien und Plastiken. Auch er wurde vom Kaiser als Landwehrmann gen Frankreich als Nachschub für die »Blutpumpe« befohlen.
Die Festungsbauten bei Verdun folgten dem Muster des 18. und 19. Jahrhunderts und standen in der Tradition jahrhundertealten militärischen Denkens, einer Art immobiler Ritterrüstung: Wer hinter einer dicken Mauer sitzt, kann nicht besiegt werden. Diese Vorstellung erledigte sich mit den modernen Feuerwaffen, weshalb man sich darauf verlegte, auch in die Tiefe zu bauen. Die oberirdischen Festungen bekamen Keller auf mehreren Etagen. Auch jene vor Verdun, die nicht ohne Grund von den Soldaten den Beinamen »Sargdeckel« erhielten.
Gleichwohl wurden auch nach jenem grausigen Krieg 1914-18 weiter militärische Bunker errichtet, oberirdische und unterirdische, Hochbunker und Tiefbunker. Meterdicker Stahlbeton sollte den stärksten Bomben widerstehen. Aber wie militärisch sinnlos diese Befestigungslagen waren angesichts mobiler Marschkommandos, zeigte das Beispiel Brest. Die vorwärtsstürmende faschistische Wehrmacht ließ die belorussische Festung einfach links liegen. Womit nichts gesagt ist gegen den Heldenmut der tapferen Verteidiger, die noch tagelang kämpften, obgleich sie doch schon längst im okkupierten Hinterland lagen.
Der Bunkerbau hatte trotz solcher Erfahrungen nach dem Zweiten Weltkrieg Konjunktur, was ursächlich auf die beiden Atomschläge der USA auf unbefestigte japanische Städte zurückzuführen war. Alsbald endete nämlich das Atombombenmonopol der Vereinigten Staaten, und es begann – im Kontext des Kalten Krieges – das Wettrüsten zwischen den beiden Supermächten. Deren Wettlauf sollte zum bekannten Overkill führen, d. h. bald reichten die auf beiden Seiten angehäuften Nuklearwaffen aus, die Erde nicht nur einmal, sondern gleich mehrmals zu vernichten. Das war auch in militärischer Hinsicht hirnrissig. Doch militärisch-industrielle Komplexe denken weder logisch noch vernünftig, sie haben ihre eigenen Gesetze. Egal, welcher Ideologie sie folgen.
Im Zuge der nuklearen Hochrüstung entstanden sogenannte Atombunker, in die sich insbesondere militärisches und ziviles Führungspersonal im »Ernstfall« zurückziehen sollte, um von dort aus das Kriegsgeschehen zu kommandieren. Kann man in den 40er und 50er Jahren noch gehöriges Unwissen über die Konsequenzen von Kernwaffenschlägen und deren Folgewirkungen in Rechnung stellen, so lagen später gesicherte Erkenntnisse vor. Diese führten zwangsläufig zu der Frage: Welchen Sinn macht es, wenn die Häuptlinge zwei, drei Wochen den Enthauptungsschlag überleben, um dann – nach dem zwangsweisen Verlassen des Schutzbunkers – festzustellen, dass »draußen« nichts mehr ist denn strahlende Asche und ein einziger Friedhof? Mithin verdienten auch diese Bunkeranlagen die seinerzeit in Verdun gebräuchliche Bezeichnung: Sargdeckel.
Wegen des quantitativen und qualitativen militärischen Gleichgewichts zwischen NATO und Warschauer Vertrag war keine Seite in der Lage, ihre strategischen Ziele zu erreichen, nämlich den potenziellen Gegner militärisch zu bezwingen. Der eine Zeit lang von beiden Seiten favorisierte schnelle und wenn möglich konventionell begrenzte Waffengang wäre alsbald mit hoher Wahrscheinlichkeit in einen allgemeinen und unbegrenzten Nuklearkrieg umgeschlagen. Interessant ist, dass später alle Szenarien für Manöver auf beiden Seiten, insbesondere Generalstabsübungen, nach dem ersten angenommenen nuklearen Schlagabtausch endeten. Die weitere logische Abfolge hätte nämlich den Aberwitz offenbart.
Trotzdem wurden auf beiden Seiten bis in die 80er Jahre hinein Atombunker in rheinischen Fels und auf märkischen Sand gebaut und diese auch unterhalten. Einschließlich gelegentlicher Übungen »unter gefechtsnahen Bedingungen«. Unter Wikipedia kann man noch heute, im Jahre 2013, die anrührend-verharmlosende und anachronistische Erklärung zum Thema »Atomschutzbunker« lesen: »Durch die zunehmende Verbreitung von Kernwaffen seit Ende des Zweiten Weltkrieges sind die Anforderungen an Bunker erheblich gewachsen. Bunkeranlagen, die dem Zivilschutz, dem Schutz von Regierungen und neuralgischen Teilen der Militärs und dessen Infrastruktur dienen, müssen den massiv gewachsenen Belastungen durch diese Waffen widerstehen.
Es sind nicht nur die erheblich höheren Druckkräfte, sondern auch der zusätzlich notwendige Schutz vor radioaktivem Niederschlag (Fallout), die bei der Konstruktion beachtet werden müssen.
Um den sehr großen Druckkräften eines nuklearen Schlages zu begegnen, werden atomsichere Anlagen unterirdisch oder in Bergen angelegt. Häufig kommt bei großen oder sehr wichtigen Anlagen eine zweischalige Konstruktionsform zum Einsatz. Die äußere Schale ist ein sehr stark gepanzerter, meist quaderförmiger Hohlkörper.
Dieser Bau soll sowohl die immense Druckwelle abfangen als auch, je nach Konstruktion, direkte Angriffe mit bunkerbrechenden Waffen abwehren. Die äußere Schale dient zusätzlich als erste Barriere gegen den Fallout sowie andere Bedrohungen durch ABC-Waffen.
Die eigentlichen Einrichtungen des Bunkers, Infrastruktur, Kampfstände, Wohnbereiche usw., werden in einen oder mehrere eigenständige Container eingebaut. Im Inneren der äußeren Schale werden diese Zellen mit Feder-/Dämpfersystemen schwingfähig eingebaut. Durch dies wird eine Entkoppelung der Container gegenüber Bewegungen und Verformungen der äußeren Schale erreicht. Durch die Entkopplung kann die Widerstandskraft gegen atomare Schläge deutlich erhöht werden. Die einzelnen Zellen sind in sich ebenfalls ABC-sicher.
Anders als Bunker, die nur für die konventionelle Kriegsführung ausgelegt sind, sollen Atomschutzbunker für einen längeren, definierten Zeitraum Schutz bieten. Konventionelle Bunker dienen nur als Unterschlupf während eines direkten Angriffs und werden nach kurzer Zeit wieder verlassen.
Atomschutzbunker dagegen müssen aufgrund der Eigenheiten der nuklearen Kriegsführung längere Zeit vollständig autark bestehen. Insbesondere wegen der radioaktiven Verseuchung des Umlands muss eine solche Anlage sinnvollerweise einige Wochen das Überleben ermöglichen. Hierzu zählt allem voran die ABC-sichere Versorgung mit Wasser, Energie und Atemluft. Im Weiteren muss die Versorgung mit Nahrung und medizinischer Versorgung über einen langen Zeitraum gegeben sein. Sofern die Anlage taktische oder strategische Aufgaben übernehmen soll, müssen auch diese über den geplanten Einsatzzeitraum gewährleistet werden.«
Das ist das naive Denken der 50er Jahre. Spätestens seit Tschernobyl und Fukushima hat auch der letzte Zivilist eine dunkle Ahnung bekommen, welche verheerenden Konsequenzen konzentrierte Kernwaffenschläge haben dürften und wie realitätsfern solches pseudowissenschaftliches Geschwurbel ist.
Mit dem Wissen von heute und den Erfahrungen der Vergangenheit habe ich mir einmal die beiden Regierungsbunker in der alten Bundesrepublik und in der DDR angeschaut, diese Milliardengräber, die im Geiste der angedrohten wechselseitigen thermonuklearen Vernichtung errichtet worden sind.
Die Zahl der Bunker in Deutschland reicht an die hundert, viele wurden bereits in der Nazizeit errichtet und sind für dieses Buch ohne Relevanz. In der DDR und in der BRD entstanden während des Kalten Krieges eine Reihe von »Atomschutzbunkern«, auch in Westberlin: Die sogenannte Mehrzweckanlage Kudamm-Karree für knapp viertausend Personen wurde 1973/74 gebaut (Ironie der Geschichte: unter der Komödie und dem Theater am Kurfürstendamm). Der Bunker kann seit 1999 besichtigt und auch für private Veranstaltungen gemietet werden.
Gotthold Schramm und Gabriele Gast im ehemaligen Regierungsbunker in der BRD Ahrweiler, 2009
Ende der 70er Jahre entstand nordöstlich von Berlin der »Komplex 5000« mit verschiedenen Objekten. Von dort aus sollte im Krisen- und Kriegsfall die Kommunikation der Partei- und Staatsführung der DDR, der NVA und der verbündeten Streitkräfte gewährleistet werden. Zu diesem Komplex gehörte die zwischen 1978 und 1983 errichtete Bunkeranlage in Prenden mit der Deckbezeichnung »Perle«. Mit 7.500 Quadratmetern war sie die größte unterirdische Atomschutzanlage auf dem Gebiet der DDR, und gemessen an ihrer technischen Ausstattung »das wohl aufwendigste Bauwerk seiner Art im gesamten Ostblock«, wie es heute heißt.
Große Teile der dreigeschossigen Anlage waren elastisch gelagert, um auch die Stoßwelle einer Kernwaffendetonation abfangen zu können. Knapp 350 Personen, darunter die Mitglieder des Nationalen Verteidigungsrates und dessen Vorsitzender Erich Honecker, hätten dort Zuflucht gefunden. Umgangssprachlich wird das Objekt daher auch als »Honecker-Bunker« bezeichnet. Es wurde nach dem Ende der DDR von der Bundeswehr übernommen und 1993 versiegelt.
Die oberirdischen Tarnaufbauten sind inzwischen abgetragen worden. Die darunter befindlichen Zugänge und Betonhauben für Zu- und Abluft wurden wegen des einsetzenden Bunkertourismus von der örtlichen Forstbehörde zugeschüttet. Inzwischen steht die Anlage jedoch unter Denkmalschutz. Wenn man in der Dorfmitte von Prenden die Tafel unweit der Kirche studiert, auf der die Sehendswürdigkeiten und Besonderheiten des Ortes und seiner Umgebung dem Wanderer mitgeteilt werden, so sucht man vergebens jeglichen Hinweis auf diese Hinterlassenschaft. Auf der Karte ist nichts mitgeteilt. Beim unweit gelegenen Klosterfelde ist ein »Militärisches Schutzgebiet« ausgewiesen, doch was es damit auf sich hat, erfährt man nicht.
Zu jenem »Komplex 5000« gehörte etwa ein halbes Dutzend weiterer unterirdischer Anlagen, darunter auch der Führungsbunker des MfS mit der Bezeichnung 17/5005. Dieser »Mielke-Bunker« befand sich nördlich von Biesenthal und wurde 1993 ebenfalls versiegelt.
Eingang zur Dokumentationsstätte im Ahrtal
Im Nachhinein spricht man von »Bunkerwahnsinn«. Das ist insofern angebracht, als auch hinsichtlich Anzahl, Größe, Funktion und Ausstattung in West wie Ost vertretbare Maßstäbe überschritten wurden. Dafür können weder Konstrukteure, Bauausführende noch die für die Unterhaltung und Sicherung Verantwortlichen haftbar gemacht werden. Ungeachtet dessen nämlich sind zwar viele Bunkerbauten in Ost und West, und das gilt in besonderem Maße für die Regierungsbunker in Marienthal (BRD) und in Prenden (DDR), hervorragende ingenieurtechnische Leistungen. Aber bei der Beurteilung dieser Bauten stehen nicht sie im Vordergrund, sondern der politisch-historische Kontext, in den sie zu stellen sind.
Und: Bunker waren nicht nur passive Schutzanlagen. Sie waren Teil aktiver militärstrategischer Planungen. Und diese waren stets offensiv. Angriff wird bis heute von Militärs unverändert als die wirksamste Form der Verteidigung angesehen. Keiner der Entscheider, der sich in den Bunker flüchtete, verbummelte dort die Zeit in Erwartung eines Angriffs der Gegenseite. Vermutlich lief da schon schon der eigene.
Absperrgitter am Ende der Dokumentationsstätte. Dahinter ist der »zurückgebaute« Teil des Bunkers
Über die Bunker gibt es etliche Publikationen. Kaum ein Detail, das nicht vermessen, fotografiert und beschrieben worden ist. Es gibt Vereine und Interessengemeinschaften in Ost wie West, die sich mit diesen Relikten des Kalten Krieges beschäftigen, die die Besucher an jene Zeit erinnern, in der die Menschheit sich am Abgrund der nuklearen Selbstvernichtung bewegte. Ja, das Gleichgewicht des Schreckens sicherte den Frieden, und viele lokale und regionale Konflikte, deren Zeugen wir seit 1990 sind, gab es damals aus Angst vorm großen Krieg nicht. Aber der Frieden ist seit dem Ende des Warschauer Vertrages keineswegs ausgebrochen, im Gegenteil: Waffengewalt wird inzwischen als legitimes Mittel der Politik betrachtet.
Atombunker und was von ihnen übrigblieb sind darum nicht nur Zeugnisse der Vergangenheit, sondern aktive Mahnmale. Sie führen uns vor Augen, wohin Rüstungswahn und deformiertes Denken führen können. Bunker sind der betongewordene Appell: Niemals wieder! Und zugleich die Aufforderung an alle, uns der schrankenlosen Rüstung und der Militarisierung der Außenpolitik zu widersetzen.
Ich bin Ostdeutscher, einst Bürger der DDR. Einen Großteil meines Berufslebens habe ich in der Aufklärung gearbeitet. Seit Mitte der 50er Jahre befasste ich mich mit den Geheimdiensten der Bundesrepublik. Zu diesem Bereich gehörten auch die für den Verfassungsschutz und die Zivile Verteidigung, etwa die Notstandsgesetzgebung, zuständigen Führungsabteilungen des Bundesministeriums des Innern.
Über verschiedene Quellen erfuhren wir in der DDR bereits in der Planungsphase vom Mammutbunker in Marienthal, der als ziviler Bunker letztlich auch militärische Aufgaben erfüllen sollte. Er kam darum auf die Liste jener Objekte in der Bundesrepublik, die vom Nachrichtendienst aufzuklären waren. Ich unterstelle: So verhielt es sich »drüben« nicht anders, als später auf unserer Seite der »Honecker-Bunker« konzipiert wurde.
Seit Ende der 50er Jahre existierte