Drei Musketiere - Eine verlorene Jugend im Krieg, Band 20
Von Frank Hille
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Rezensionen für Drei Musketiere - Eine verlorene Jugend im Krieg, Band 20
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Buchvorschau
Drei Musketiere - Eine verlorene Jugend im Krieg, Band 20 - Frank Hille
Günther Weber, Mogilew, 27. Juni 1944
Vor drei Minuten hatte eine explodierende Granate das Leben des SS-Panzergrenadiers Alfred Becker beendet. Das 12-Zentimeter-Geschoss war direkt im Schützenloch des Soldaten eingeschlagen und hatte dessen Körper zerrissen. Als sich der Explosionsqualm verzogen hatte konnte man an dieser Stelle einen gut anderthalb Meter tiefen und knapp zwei Meter breiten Trichter sehen. Von dem 18jährigen Soldaten waren rein gar keine Überreste mehr vorhanden, die höllische Explosionsenergie und die Splitter des Geschosses hatten seinen Körper pulverisiert. Günther Weber hatte zu Beginn der Offensive der Sowjets mit einer heftigen Artillerievorbereitung gerechnet und wollte seine Männer nicht nur in den Gräben konzentrieren, sondern im Gelände vereinzeln. Diese Deckungslöcher sollten nur so lange besetzt bleiben wie der Gegner schoss. Dann würden die Männer wieder Positionen in den Schützengräben einnehmen, um eine geballte Feuerkraft der Einheit zu gewährleisten. Weber wusste ganz genau, wie stark belastend das einsame Hocken in so einem Schützenloch war, und deswegen wollte er diese Deckungen nur für die Zeit des Granatbeschusses besetzen lassen. Dass es einen überall erwischen konnte war allen Männern klar gewesen, in so weit war es ihnen auch relativ unwichtig erschienen, welche Positionen sie wo besetzen mussten. Weber hatte den Tod des Grenadiers Becker als Führer des Kampfverbandes formal zu verantworten, aber so eine Art von Verantwortung kam in seinen Gedanken gar nicht vor. Verantwortlich zu handeln hieß für ihn seine Männer richtig einzusetzen, den Gefechtsauftrag zu erfüllen, und vor allem, Verluste zu vermeiden. Dass ein Geschoss einen seiner Männer tötete oder verwundete konnte er nicht beeinflussen.
Wie erwartet, war das Bataillon von Minsk verlegt worden, und zwar nach Mogilew. Damit waren die SS-Männer jetzt in die 4. Armee eingegliedert. Die Sowjets hatten nicht eine einzige Hauptstoßrichtung für ihre Offensive gewählt, sondern Aufgaben an ihre Kräfte an drei Frontabschnitten übertragen. Im ersten nördlich gelegenen Abschnitt sollte die 3. deutsche Panzer-Armee vernichtet, und die festen Plätze Witebsk und Orscha eingenommen werden. Im zweiten Abschnitt war die Liquidierung der 4. Panzer-Armee als Ziel ausgegeben worden. Im dritten Abschnitt sollte Bobruisk eingenommen und die 9. Armee vertrieben werden. Ein Blick auf die Karte machte klar, dass Bobruisk und Witebsk die Ausgangspunkte einer Zangenbewegung sein würden, deren Spitzen sich dann im Verlauf der Operation hinter Minsk vereinen, und so einen Kessel von ungeahnten Ausmaßen bilden sollten. Sollte dies gelingen, würde sich der größte Teil der Heeresgruppe Mitte in einer eisernen Umklammerung befinden. Auf der deutschen Seite sprach niemand von den Kräfteverhältnissen, aber es erschien eigentlich sehr wahrscheinlich, dass die Sowjets sowohl bei den Soldaten als auch bei den Waffen ein deutliches Übergewicht aufweisen würden. Wäre dies der deutschen Führung näher bekannt gewesen hätte dies sicher Gefühle in der Nähe der Verzweiflung hervorgerufen. 850.000 deutschen Soldaten standen 1.400.000 Rotarmisten gegenüber, 560 deutsche Panzer und Sturmgeschütze würden gegen 5.200 russische antreten müssen, gerade einmal 3.200 deutsche Geschütze würden 31.000 gegnerischen gegenüberstehen. 600 deutsche Flugzeuge würden im Gefecht auf 5.300 sowjetische treffen. Der Kampf war von vornherein entschieden. Weißrussland würde vermutlich in überraschend kurzer Zeit von den Sowjets besetzt sein werden.
Die deutschen Einheiten, die die Verteidigungsstellungen ausgebaut hatten, waren sehr überlegt vorgegangen. Es gab zwei gut angelegte Hauptverteidigungslinien vor Mogilew, danach existierte aber praktisch nichts mehr, nur frei durchstoßbares, aber sehr bewaldetes Hinterland ohne größere Hindernisse. Günther Weber interessierte das momentan überhaupt nicht, er hatte den Auftrag, zusammen mit den anderen Truppen die Stellungen zu halten. Als er die Stellung inspiziert hatte war ihm aufgefallen wie schwach die Ausrüstung mit schweren Abwehrwaffen war. Zwischen der ersten und zweiten Linie waren einige wertvolle Acht-Acht-Flakgeschütze gut getarnt eingegraben worden, wenige 5-Zentimeter-PAK standen mit in der Linie. Weiter hinten waren ein paar Panzer postiert worden, aber diese waren so kostbar, dass man sie nur im Falle eines brutalen und heftigen Einbruchs der Sowjets in den Kampf werfen wollte. Es handelte sich um Panzer IV Ausführung G, also Typen mit der 48 Kaliber langen 7,5-Zentimeter Kampfwagenkanone, Kettenschürzen und breiten Ostketten. Diese Panzer waren ein gutes Beispiel für eine gelungene Kampfwertsteigerung, denn sie waren den T 34 in der Feuerkraft immer noch überlegen. Der mittlerweile übliche Mangel an Panzerabwehrwaffen sollte durch die Ausstattung der Infanterie mit Panzerfäusten ausgeglichen werden. Für Weber war schon allein dieser Fakt ein untrügliches Zeichen für den nahenden Zusammenbruch der Ausstattung mit schweren Waffen. Diese „Westentaschenartillerie", wie er sarkastisch zu seinen Offizieren sagte, war doch immer ein noch nicht ausgereifter Notbehelf. Mit einer Reichweite von maximal 30 Metern war es eher eine selbstmörderische Waffe, denn der Schütze musste erst einmal in eine günstige Angriffsposition kommen. Eine Bekämpfung feindlicher Panzerkräfte auf Distanz lag also nur bei den starken Rohrwaffen. Wenn die gegnerischen Panzer mit Tempo in die Stellungen eingebrochen wären würde es sehr schwierig werden sie zu vernichten. Aber ein entschlossener und kaltblütiger Soldat mit einer Panzerfaust konnte einen herumkurvenden Kampfwagen vernichten.
Die Russen hatten ihr Vorbereitungsfeuer von der Intensität und der Dauer nach den zu beschießenden Zielen unterschiedlich geplant. Von der Aufklärung ermittelte lohnenswerte deutsche Ziele wurden 90 Minuten unter Beschuss genommen, die Hauptkampflinie und die Verteidigungsstellungen insgesamt 35 Minuten. Die Rohrdichte bei den Russen lag bei rund 180 Geschützen pro Kilometer, aller knapp 6 Meter stand eine Artilleriewaffe. Günther Weber war mit seinen Männern in den Erdbunkern verschwunden und hoffte auf keinen Treffer auf den Unterschlupf. Mit ihm saßen fünf Soldaten in dem nur durch eine flackernde Kerze erleuchteten modrig riechendem Raum. Weber ließ unter seinem Stahlhelm hervor heimlich Blicke schweifen, er beobachtete die Männer. Es waren vier Grenadiere, die ihre Karabiner zwischen die Beine gestellt hatten, der fünfte war ein Unterscharführer, der seine MPi 40 über die Beine gelegt hatte. Drei der Männer waren erfahrene Soldaten, die weiß Gott nicht das erste Mal unter Beschuss lagen. Zwei waren gerade 17Jahre alt und seit drei Wochen in der Einheit.
„Na ja sagte einer jetzt „der Iwan muss wohl überzählige Bestände abbauen, dass er so heftig und lange trommelt.
„Die haben wenigstens Munition im Überfluss, das ist bei uns ja immer mehr Mangelware erwiderte ein anderer „habt ihr schon gemerkt, dass die Gewehrpatronen aus lackiertem Blech bestehen? Das erklärt auch so manchen Hülsenklemmer.
„Meine MPi begleitet mich seit 1942 sagte der Unterscharführer „das ist eine ganz solide Waffe, die eigentlich so gut wie nie versagt. Natürlich hat sie eine recht geringe Durchschlagskraft, das ist schon von Nachteil. Und der Iwan hat mit der Schpagin was Besseres. Und die ist auch nicht so empfindlich wie meine Spritze.
Alle rauchten, keiner zeigte Anzeichen von Angst, die Hände, die die Zigaretten hielten, zitterten nicht.
Das sind genau die Menschen die wir haben wollten dachte Weber, und er vernachlässigte vollkommen, dass er selbst Produkt so einer Erziehung war. Furchtlose, nüchterne Kämpfer, denen klar war, dass ein winziger Granatsplitter ihnen das Leben nehmen konnte, sie waren darauf eingestellt. Sie gingen mit der Überzeugung in ein Gefecht, dass sie im Auftrag ihres Landes und seiner Bevölkerung für deren Wohl handeln würden, und das gab Ihnen eine große Erdung und auch Zuversicht an das Gelingen ihrer Sache. Die russische Artillerie schoss ununterbrochen weiter. Wenn große Brocken in der Nähe einschlugen bebte der Boden. So wie diese sechs Männer hockten viele Soldaten in ihren Deckungen, wie Mäuse, die nicht nach oben kommen konnten, weil draußen ein wütender Bauer auf sie wartete, um sie zu töten. Was bei den SS-Männern aber im Vergleich zu den Mäusen ganz anders war, war natürlich die Größe, aber auch die Farbe des Fells, also der Uniform.
Die SS war schon immer ein Vorreiter im Einsatz von Tarnkleidung gewesen. Die verschiedenen Muster wiesen unterschiedliche Formen und Farben auf, und waren auch für unterschiedliche Gebiete vorgesehen. Zwei der Männer trugen Tarnjacken mit einem Erbsenmuster, und dieses war gut für das Erscheinungsbild des Grabensystems geeignet. Besonders bei Gefechten in bewaldeten Gebieten waren überaus günstige Erfahrungen mit einen braun-grünen Flecktarnmuster gemacht worden. Für Weber war das schon interessant, denn er ging davon aus, dass sie die Linien nicht lange halten würden. In seinem Gepäck hatte er eine Tarnjacke mit einen für den Wald geeigneten Muster. Das hinter ihnen liegende Gebiet war in der Art eines riesigen Schachbretts angelegt. Größere nach Westen führende Verbindungen wurden in ungleichen Abständen durch von Norden nach Süden angelegte Wege in Quadrate aufgeteilt, und das wiederholte sich viele Male, so dass man sich tatsächlich entweder auf den breiteren Verbindungen schneller, oder tiefer im Waldgebiet, entsprechend langsamer vorwärts bewegen konnte, da auch die Qualität der Wege recht unterschiedlich war. In diesem Labyrinth waren die inneren Verbindungen simple unbefestigte Waldwege, die größeren nach Westen führenden konnte man als Rollbahnen bezeichnen, da sie recht breit und zum Teil ordentlich befestigt waren.
Günther Weber machte sich Gedanken über den Verlauf der russischen Offensive, zumindest, was an zu erwartenden Auswirkungen seinen Verband anging. Zweifellos würde der Gegner keine Mühe haben die schwachen deutschen Stellungen zu durchbrechen und die feindlichen Kräfte nach Westen zu drücken, also zum Teil in das Waldgebiet hinein. Webers Bataillon wäre vermutlich davon betroffen.
Er musste sich also schon jetzt Gedanken machen müssen, wie er sein Bataillon unter diesen Geländebedingungen führen sollte.
Martin Haberkorn, 28. Juni 1944, auf dem Weg nach Hamburg
Der schlanke Oberleutnant zur See in der makellosen Uniform und mit dem Ritterkreuz um den Hals zog die Blicke der Reisenden in dem Zug auf sich, aber er steuerte kein separates Coupé an, sondern ein ganz normales Abteil. Dort hatte er noch einen Fensterplatz belegen können. Seinen Holzkoffer hatte er in der Ablage über den Sitzen verstaut. Der Waggon war wie die anderen auch bald bis auf den letzten Platz belegt gewesen, und später gekommene Reisende mussten sich auf den Waggonplattformen oder in den Gängen aufhalten. Martin Haberkorn war klar gewesen, dass diese Reise nicht angenehm werden würde, denn von Brest bis Hamburg waren es rund 1.430 Kilometer. Die Strecke führte in einer leicht nach Norden ansteigenden Linie erst nach Belgien, und ab Aachen wurde die Streckenlinie steiler nach Norden gebogen, um dann Hamburg zu erreichen. Leider war das alles Theorie, denn am 6. Juni waren die Alliierten in der Normandie gelandet. Die Bahnstrecke in Frankreich verlief in unmittelbarer Nähe des Kampfgebietes, und damit war es ausgeschlossen, diese Route zu nutzen. So war der Fahrplan den Gegebenheiten angepasst worden, und der Zug würde erst von Brest aus nach Süden schwenken, und dann im französischen Kernland befindliche Strecken nutzen. Die Alliierten hatten schnell und mühelos die absolute Luftherrschaft errungen und einer ihrer Zeitvertreibe bestand schon jetzt darin, im Hinterland Jagd