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Der Koch und seine Toten
Der Koch und seine Toten
Der Koch und seine Toten
eBook227 Seiten3 Stunden

Der Koch und seine Toten

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Über dieses E-Book

Der Koch Benno Wolf sieht sich fast am Ziel seiner Wünsche: Er wird bald seine schöne Freundin heiraten und mit ihr eine Familie gründen. Da findet er im Hof hinter seiner Küche eine Leiche ohne Kopf und daneben liegt sein Messer. Er steht unter Mordverdacht. Die Freundin geht auf Distanz zu ihm. Aus seinem Glück wird nichts werden. Um es zu retten tappt er los, ohne zu wissen, wie er es anstellen soll, den Mörder zu finden. Und ohne zu ahnen, dass es eine böse Geschichte gibt, die siebzig Jahre nach dem Krieg aus den Harzbergen kriecht und sich ihre Opfer sucht.
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum28. Feb. 2018
ISBN9783746704159
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    Buchvorschau

    Der Koch und seine Toten - Edward Mosch

    cover.jpg

    Edward Mosch

    Roman 

    „Der Koch und seine Toten" 

    1

    Gegen siebzehn Uhr dreißig betrat Benno Wolf in Halberstadt die Küche des Hotels ‚Brockenblick‘, um sie für das Abendgeschäft vorzubereiten. Er machte das Licht an, ließ Wasser ins Bain-Marie, entzündete zwei der Gasflammen am Herd und fing an, ein wenig Velouté und Demi Glace aufzukochen und mit einem Schneebesen glatt zu rühren. Sein Chef rechnete mit einem schwachen Geschäft an diesem Sonntagabend. Darum machte er nur wenig von den beiden Grundsaucen warm und dazu etwas Sauce Bolognese, goß sie in Wasserbadkasserollen, stellte sie im dampfenden Bain-Marie warm, schaltete die Friteuse ein und sah nach, ob er Zitronenscheiben nachschneiden mußte, ob genug gehackte Petersilie da war und ob das Mehl in der flachen Schale sauber war, in der er Fleischstücke wälzen würde.

    Wenn tatsächlich wenig zu tun war, dann sollte er nebenbei eine Kalbskeule ausbeinen und zerlegen, dann wäre für morgen vorgesorgt. Er zog den Wetzstahl aus der Messertasche, tauchte ihn kurz ins Wasserbad und begann mit raschen Bewegungen das Fleischmesser abzuziehen. Das gleichmäßige, helle Schleifgeräusch wurde von den gekachelten Wänden zurück geworfen und mitten in diesem singenden Ton gab es etwas, das ihn störte. Es war ihm erst nicht bewußt, daß es so war, und schon gar nicht, was ihn störte. Dann blieb sein Blick auf der offenen Messertasche hängen. Von da kam die Beunruhigung her. Benno Wolf legte Wert darauf, sein Werkzeug sauber und komplett bei sich zu haben, und jetzt spürte er dunkel etwas Unregelmäßiges, Falsches und das war dicht bei ihm. Dann begriff er. Sauber nebeneinander steckten sein Officemesser, das große Schlagmesser, das Tourniermesser, das Tranchiermesser und sein Filetiermesser in ihren Halterungen. Die Stelle, an der das Ausbeinmesser sein sollte, war leer. Er hörte auf zu schleifen und starrte die Messertasche an. Zum Ausbeinen der Keule würde er das Ausbeinmesser brauchen. Wo hatte er es liegenlassen? Heute war sein dritter Arbeitstag als Alleinkoch in diesem Hotel. Vieles war hier noch ungewohnt und vermutlich war das Messer irgendwo liegengeblieben, weil ihn etwas abgelenkt hatte. Jetzt ging er in Gedanken durch, für was er es zuletzt benutzt haben könnte. Freitag war Salat angeliefert worden, zwei Pakete Frittierfett, Tomatenmark und Pilzkonserven. Bis auf den Salat waren das Sachen, die er in den Keller, ins Magazin gebracht hatte, nicht ins Kühlhaus, welches draußen im Hof stand. Er ging nach unten. Eine schmale, gewundene Treppe aus Stein führte in den Keller. Er mußte, obgleich nicht besonders groß, den Kopf einziehen und ekelte sich wieder vor dem fauligen, schwer süßlichen Blutgeruch, der ihm von unten entgegenkam.

    Sein Chef, Horst Winter, fünfundsiebzig Jahre alt, ging regelmäßig zur Jagd und hatte die Angewohnheit, die Köpfe der erlegten Rehe oder Sauen als Jagdtrophäen in einer halb mannshohen Tonne im Keller, neben dem Magazin, aufzubewahren, bis die Fäule soweit fortschritt, daß der Geruch oben bei den Gästen ankam, so hatte Victoria, die Frau seines Chefs, hinter vorgehaltener Hand geklagt. Benno mochte deswegen und wegen seiner Enge das Magazin nicht. Aber er mußte sich dort auch umziehen, weil es keinen anderen Raum dafür gab. Er machte Licht und quetschte sich, den Bauch einziehend, zwischen den aufeinander gestapelten Kartons und den Kartoffel- und Zwiebelsäcken durch, bis zu den Paketen mit dem Frittierfett. Vielleicht hatte er eines aufgeschnitten, um einen Block Fett mitzunehmen. Das Messer war nicht da. Beim Rückweg sah er in den Nebenraum, wo die Tonne mit den Köpfen stand. Konnte ja sein, daß sich der Chef sein Messer ausgeliehen hatte. Nichts. Aber am Freitagmorgen war doch auch der Metzger dagewesen mit vakuumierten Oberschalen, Filets und ein paar Roastbeefs.

    Benno tappte, so rasch es ihm möglich war, die Treppe hoch und wunderte sich, warum er nicht gleich darauf gekommen war. Ein Roastbeef hatte er gleich im Hof aus der Verpackung geschnitten, um nicht wegen ihr erneut zu den Müllcontainern laufen zu müssen, die beim Kühlhaus standen, und war dann mit dem Fleisch in die Küche gegangen, hatte es pariert, einen schönen Fettstreifen stehen gelassen und dann gleichmäßig große, tiefdunkelrote Rumpsteaks daraus geschnitten, sie in eine Chromarganschale gelegt und mit Öl übergossen. Sicher lag das Messer da, wo er die Verpackung aufgeschnitten hatte.

    Es war jetzt kurz nach achtzehn Uhr, eine erste Bestellung könnte jeden Moment kommen. Rasch lief er den Gang entlang, der zu den Toiletten führte und der an seinem Ende einen Ausgang zum Hof hatte. An diesem Oktoberabend war der Hof schon dunkel wie eine schwarze Grube, in die er hineintappte, erst allmählich erkannte er die Umrisse des Kühlhauses, die Rückwand des Hotels, die schwache Lampe über dem Hinterausgang, die drei Stufen, die in den Hof führten. Und dann die Gestalt, neben der Treppe sitzend, mit dem Rücken an der Hauswand lehnend. Wie beim Friseur, dachte Benno, denn wie beim Haareschneiden trug die Gestalt von den Schultern bis zum Bauch, die ganze Brust verdeckend, einen Umhang. Benno Wolf sah hin, einmal, zweimal und mit jedem Mal war ihm mehr, als gäbe der Boden unter ihm nach und er schwebe frei in der Luft. Der Gestalt, die da saß, fehlte der Kopf und der Umhang war kein solcher, sondern das ausgeströmte Blut, das den Menschen dort wie auf einem Frisierstuhl, unter einem Tuch wartend, aussehen ließ. Und gleich daneben lag sein Ausbeinmesser.

    „Nicht erschrecken!"

    Aus dem Schatten trat ein großer, hagerer Mann von etwa fünfzig Jahren auf Benno Wolf zu und zeigte mit einer abwehrenden Geste auf den Toten. Benno sah, daß seine Hand zitterte.

    „Szymczak. Dr. Filip Szymczak." Benno Wolf trat zwei Schritte zurück, Richtung Hauseingang, um zu flüchten. Er war etwas korpulent geworden in den letzten Jahren, und dieser Mann hatte längere Beine. Bevor er die Treppe erreichte, würde ihn der… Benno blieb stehen. Wenn jetzt sein Chef dazu käme, dachte er, wenn man ihn so stehen sah, in der Lage. Und gerade hatte er diese Stelle angetreten. Man kannte ihn noch gar nicht, würde kein Vertrauen zu ihm haben und ihn sogar verdächtigen. Was sollte er jetzt tun in dieser Lage?

    „Oh Gott", sagte Benno und setzte sich auf die unterste Treppenstufe.

    „Wir könnten es so machen, hörte Benno das nervöse Haspeln von Szymczaks Stimme, „daß Sie mich hier nicht gesehen haben und ich sah Sie auch nicht, darauf könnten Sie sich absolut verlassen!

    „Machen wir es so", flüsterte Benno, erhob sich und wollte die Treppe hochkriechen. Die Tür über ihm öffnete sich, Licht fiel heraus und Victoria, die Frau seines Chefs, stand da.

    „Zweimal Zigeunerschnitzel, einmal mit Fritten, einmal mit Reis. Die Salate können schon kommen."

    Sie sah ihn an und stieg die paar Stufen hinab in den Hof.

    2

    „Das ist meines", flüsterte Benno, als ihm Kommissar Riemschneider das Ausbeinmesser unter die Nase hielt. Er hockte immer noch auf der Treppe und war wie betäubt. Er spürte es kaum, wenn ihn einer der vorbei gehenden Leute streifte. Alles hatte so gut angefangen mit der neuen Stelle. Er verdiente etwas weniger Geld, als in seinem alten Job in Neuss, aber seine Chefs, das Wirtsehepaar Winter, waren erstaunlich fürsorglich und hatten ihm sogar ein Zimmer am Rand der Innenstadt besorgt.

    Er sah, wie ein Polizist an Riemschneider herantrat.

    „Das sind handgefertigte italienische Schuhe. Ganz neu, ein bißchen Blut ist in einen reingelaufen. Stammt vermutlich vom Opfer. Im linken Schuh klebt noch das Etikett mit den Daten und dem Firmennamen darin, wogegen es im rechten fehlt, sagte der Mann. „Und die Schuhe stehen vor den Füßen des Toten. Seltsam.

    „Sicher hat er sie sich nicht selbst ausgezogen im kühlen Hof. Das muß der Mörder getan haben, meinte der Kommissar. „Ist schon merkwürdig! Benno sah erst jetzt die Schuhe. Der Polizist gab Riemschneider etwas in die Hand. „Der Ausweis des Toten, rief der Kommissar, „lautend auf den Namen Pietro Marconi. Italienischer Staatsbürger. Kennt jemand den Namen?

    „Ich", sagte Victoria.

    „Woher kennen Sie Marconi, Frau Winter? „Aus dem KZ Mittelbau Dora, antwortete ihr Mann. Er legte einen Arm um ihre Schultern, „sie war als Zwangsarbeiterin dort."

    Benno sah die Winters an. Zwei alte Leute von über siebzig, sie hielten sich jetzt bei der Hand und als sie seinen Blick bemerkten, sahen sie ihn ernst, und wie er fand, mißtrauisch an. Sicher fühlten sie sich elend und hatten Angst. Ihm war nach Weinen zumute. Durch den Schleier seiner feucht werdenden Augen sah er den grell ausgeleuchteten Hof, die Männer der Spurensicherung in ihren weißen Kunststoffanzügen und diesen Doktor Szymczak, der gerade mit dem zweiten Kripobeamten sprach. Benno konnte ihn nicht hören, nur sehen, wie er mit seinen langen Armen vor dem Kripobeamten herumfuchtelte und theatralisch den Kopf in den Nacken warf. Sicher hat er es getan, dachte Benno. Jetzt erregte sich Szymczak so, daß sein Geschrei im ganzen Hof zu verstehen war.

    „Sie verdächtigen mich? Ungeheuerlich! Ich bin ganz zufällig hier! Weil ich aus der Toilette kam und in die falsche Richtung lief. Ein Versehen, die falsche Richtung eben." Das ist ein Neurotiker, dachte Benno, wie aus einer Maschinenpistole kommen die Worte rausgeschossen. Jetzt trat er dicht an den Beamten heran und bleckte die Zähne, als wollte er ihn beißen.

    „Und wenn ich´s gewesen wäre, dann müßte ich doch den Kopf des Toten haben! Wo ist er? Sie suchen herum, aber der Kopf fehlt." Das schien zu stimmen. Es war alles da, auch die Mordwaffe, wie Benno glaubte, aber der Kopf fehlte. Szymczak machte einen Schritt auf ihn zu.

    „Fragen Sie doch diesen Herrn, es ist doch sein Messer, womit es gemacht wurde!" Wie versteinert hörte Benno auf das unverständliche Gemurmel, mit dem der Kriminalbeamte antwortete und ihn dabei anblickte.

    „Ach was, erst ins Labor. Quatsch!", schnaubte Szymczak, hockte sich auf eine leere Getränkekiste und verfiel in ein stumpfsinniges Brüten.

    „Was soll ich meinem Verwandten sagen? Schon seit gut einer Stunde erwartet er mich." Szymczak sprang auf und rannte erregt hin und her.

    „Wie heißt ihr Verwandter?", hörte Benno den Beamten fragen, der ihn dabei weiter ansah.

    „Richard Brünn." Einen Moment hielten die Leute der Spurensicherung, der Arzt und die zwei Kripobeamten in ihren Bewegungen inne. Auch die alten Winters schienen aus ihrer Traurigkeit zu erwachen und hoben die Gesichter.

    „Wenn Sie so freundlich sein wollen, uns zum Präsidium zu begleiten. Wir verständigen Herrn Brünn umgehend. Haben Sie Gepäck, Herr Doktor?"

    Dieser Richard Brünn scheint Eindruck zu machen, dachte Benno und versuchte den forschenden Blick dieses Beamten, der ihn weiter ansah, zu ignorieren.

    Kommissar Riemschneider trat zu einem Polizisten. Benno konnte nicht verstehen, über was sie sprachen. Aber weil ihn jetzt beide ansahen, glaubte er, daß es um ihn ging. Noch immer war Benno in Gedanken bei Szymczak und wunderte sich über die Beflissenheit, mit der die Polizei den Kerl behandelte, der so offensichtlich mit dem Mord zu tun hatte und darum, seiner Meinung nach, anders angefaßt gehörte. Benno schüttelte ungläubig den Kopf und lächelte den Kommissar an, als der auf ihn zutrat.

    „Herr Wolf, ich verhafte Sie. Sie werden verdächtigt, diese Tat begangen zu haben."

    3

    Sie saßen jetzt alle, Benno, die Winters und Szymczak, um einen ovalen Tisch versammelt in einem größeren Raum im Präsidium. Die Stühle zu Bennos rechter und linker Seite waren unbesetzt, während Szymczak dicht bei Herrn und Frau Winter sitzen durfte und gelegentlich einen raschen Blick über den Tisch hinüber auf Benno warf, der unruhig auf seinem Sitz herum rutschte. Daß man ihn nicht bei den anderen sitzen ließ, sondern absonderte, ihn damit hervorhob und zeichnete als einen, der nicht mehr zu den normalen Menschen gehörte, quälte Benno nicht. Es war ihm momentan sogar ziemlich gleich. Was ihn nervös machte, war sein Taschenkalender. Vorhin waren ihm alle seine Gegenstände abgenommen worden, darunter auch der Kalender. Der war fast ohne Eintragungen, und die wenigen Kritzeleien darin ohne weitere Bedeutung. Aber ganz vorne, gleich nach dem Deckblatt, stand in der Rubrik ‚Im Notfall zu verständigen‘ Milanas Name, ihre Telefonnummer und Adresse. Wenn sie das lesen würden und Milana anriefen, wenn sie ihr sagten, daß er in Untersuchungshaft genommen wurde… Alles sollten sie mit ihm anstellen, aber Milana durfte nicht erfahren, daß er ins Gefängnis mußte.

    Benno schnappte hörbar nach Luft. Die beiden Kripobeamten hinter ihm, die von einem zum anderen liefen, stockten. Daß sie da herumliefen und er sie zeitweise nicht sehen konnte, quälte Benno. Es war ihm dabei, als stochere ein Zahnarzt mit einer Nadelspitze in einen offenen Nerv herum.

    Er zog seine Schultern zusammen. Jedesmal, wenn der Dicke, dieser Riemschneider, sich ihm näherte, hinter seinem Rücken den Schritt verlangsamte, war es Benno, als würde er aufgefordert aufzustehen und etwas zu tun, zu sagen, eine Tat zu begehen, damit die Luft, die er anhielt, wieder strömte und der Kommissar nicht länger hinter ihm stehen bleiben mußte. Er fühlte sich schuldig, allein dadurch, daß er sitzenblieb, weiter die Luft anhielt und nichts tat, was den Kommissar Riemschneider aus seiner ihm sicher unbequemen Haltung in seinem Rücken, erlösen würde.

    Er seufzte. Das passierte, ohne daß er es kommen gefühlt hatte.

    „Sagten Sie etwas?" Der Kommissar trat näher an ihn heran.

    Benno wandte sich halb um.

    „Tut mir leid."

    „Was tut Ihnen leid?"

    „Ich wollte nicht seufzen. Es ist einfach geschehen." Er hoffte, daß dies so verstanden würde und ihn der Kommissar in Ruhe ließe und jetzt nicht Anlaß sähe, in ihm herum zu bohren, nur weil er unbeabsichtigt geseufzt hatte.

    „Sie haben noch vor kurzem in Neuss gekocht. Warum sind Sie da weggegangen?"

    Er will mich anschuldigen. Benno dachte das nicht, er fühlte es so, und es betäubte ihn. Der Beamte kam ihm wieder in den Sinn, der ihn ständig angestarrt hatte. Der war sicher mit diesem Riemschneider unter einer Decke. Dann fiel ihm die dicke, hängende Unterlippe des Kommissars auf. Er betrachtete den schweren Mann.

    Eine häßliche, hängende Unterlippe. Es war ihm, als sei Riemschneider so ein Gesicht beschert worden von all den Verdächtigen vieler Jahre, mit denen er sich hatte befassen müssen. Von Leuten, die im Verhör lange leugneten und dann doch zusammenbrachen, die dann wie welker Salat in ihren Stühlen hingen, die Form verloren und plötzlich alt aussahen. Die hatten das Gesicht des Kommissars gezeichnet. Und jetzt sah er in ihm eine dieser Figuren, die es bald den anderen aus seiner langen Praxis gleichtun würde. Wenn er etwas wartete, dann ginge es mit Benno auch bald so nach unten. Als wolle er ihn dazu ermuntern, zeigte er diese hängende Unterlippe, die schon den Weg wies. Und das alles nur, weil Benno aus Versehen geseufzt hatte.

    „Sie haben doch in Neuss gekocht?"

    „Ja, hab ich."

    „Und, hat es Ihnen da nicht mehr gefallen oder warum sind Sie sonst weggegangen?"

    „Also, die haben alles auf asiatisch umgestellt. Thai-Küche und so. Konnte ich nicht."

    „Sie wurden entlassen?" Benno nickte. Er sah immer noch auf diese Lippe und brachte es nicht fertig, wegzusehen.

    „Sie haben also Ihren Job an Ausländer verloren. Und hier kriegen Sie sicher weniger Geld, als drüben. Sind Sie denen böse?" Benno versuchte zu verstehen, worauf der Kommissar hinauswollte.

    Er stützte sein Kinn in die Hände und überlegte, ob er den Ausländern oder sonstwem böse war.

    Das war kein schlechter Job gewesen. Allerdings Nachtarbeit. Die Gäste, meist Düsseldorfer Huren und ihre Zuhälter, die mitten in der Nacht, oder am frühen Morgen Station machten in der Kneipe, in der er kochte.

    Die Arbeit war ziemlich einfach gewesen: Dicke Steaks für die Zuhälter, so englisch gebraten, daß das Blut raus spritzte, wenn sie das Fleisch anschnitten und Salate mit Ei für die Damen. Aber dann übernahm ein neuer Besitzer den Laden und der wollte es auf asiatisch haben. Die Mädchen waren jetzt vor allem Koreanerinnen und Vietnamesinnen, das Essen war danach: fernöstliche Spezialitäten. Für den neuen Chef rechnete es sich, er legte finanziell zu und konnte sich in Ruhe von den Nutten kraulen lassen. Benno verlor seine Stelle, weil er asiatische Küche nicht konnte. Er suchte nach einem neuen Job und merkte auf einmal, daß es von Thai-Kneipen, Sushi-Bars, vegetarischen Lokalen, türkischen, italienischen, spanischen Restaurants nur so wimmelte. Aber er konnte weder japanisch noch türkisch kochen, sondern nur deutsche Küche und das, was auf der Karte als ‚international‘ bezeichnet wird: Cordon bleu, Boeuf Stroganoff und so weiter. Einen so ausgerichteten Laden fand er in Halberstadt.

    Benno blickte den Kommissar an.

    „Nö, bös bin ich denen nicht und es hat ja auch was Gutes: Ich wohn endlich näher bei meiner Freundin als früher."

    „Aber Sie mußten bis hierhin gehen,

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