Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Staller und der Mann für alle Fälle: Mike Stallers achter Fall
Staller und der Mann für alle Fälle: Mike Stallers achter Fall
Staller und der Mann für alle Fälle: Mike Stallers achter Fall
eBook484 Seiten6 Stunden

Staller und der Mann für alle Fälle: Mike Stallers achter Fall

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Ein Dutzend Messerstiche in die Brust machen aus der attraktiven und gut situierten Britta Piel einen Fall für Kommissar Bombach. Ihr letzter Besucher war Steve, ein männlicher Escort. Problem gelöst? Eher nicht, glaubt Polizeireporter Mike Staller. Man bringt doch nicht seine beste Kundin um! Nur: Wer war es dann? Der Ehemann hat zumindest kein Alibi. Allerdings lebte das Paar in einer offenen Beziehung und Seitensprünge waren akzeptiert. Wo ist also das Motiv? Auch Steve ist verheiratet und seine Frau hasst seinen Job. Zu viele Möglichkeiten und zu wenig Beweise, findet Staller.

Es stellt sich heraus, dass der verdächtige Escort schon einmal vom Tod einer Kundin profitiert hat. Sie hinterließ ihm eine teure Wohnung in Alsternähe und eine beachtliche Summe Geld. Für Kommissar Bombach steht damit fest: Steve muss der Mörder sein. Das Problem ist nur, dass es keinerlei stichhaltige Beweise gibt. Und dieses Mal ist auch keine Erbschaft im Spiel.

Bei der Recherche nach Hintergründen findet Staller zwei Dinge heraus: Britta Piel und ihr Mann hatten kürzlich Streit. Die Ehe war wohl doch nicht so problemlos, wie sie nach außen wirken sollte. Außerdem zeigt die Frau von Steve etliche Auffälligkeiten, die auf eine gestörte Psyche hindeuten können. Für den Reporter stellt sich die Frage: Ist die Frau Opfer oder Täter? Dann passiert ein zweiter Mord und wieder findet die Tat unmittelbar nach einem Besuch von Steve statt.

Kommissar Bombach und Polizeireporter Staller sind uneins wie selten. Jeder versucht auf seine Weise den Fall zu lösen. Am Ende hat, wie so oft, der Reporter die Nase vorn, aber auch er kann nicht verhindern, dass es zu einem turbulenten Showdown kommt.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum4. Nov. 2019
ISBN9783749771585
Staller und der Mann für alle Fälle: Mike Stallers achter Fall
Autor

Chris Krause

Chris Krause, geboren und aufgewachsen in Hamburg, ist bekannt als Fernsehjournalist und Autor vieler erfolgreicher Sendungen wie „Schillerstraße“ und „Genial daneben“. Zu Beginn seiner Laufbahn arbeitete er mehrere Jahre als Polizeireporter für RTL und andere Sender. Dabei sammelte er Erfahrungen bei unzähligen Kriminalfällen im In- und Ausland. Aus diesen vielfältigen Erlebnissen entstanden die beiden Protagonisten, die nun bereits den zwölften Fall der „Staller“-Reihe lösen. Krauses unbändiger Drang, spannende Geschichten zu erzählen, fesselt seine Leser bis zur letzten Seite. Der Hamburger Polizeireporter Mike Staller und Kommissar Bombach verleihen mit ihrer humorvollen Interaktion auch bedrückenden Fällen stets eine leichte, unterhaltsame Note mit jeder Menge Lokalkolorit. Mit seinem Debütroman „Staller und der Schwarze Kreis“ drang Krause 2012 beim Wettbewerb um den besten Roman Norddeutschlands unter vielen hundert Einsendungen gleich auf einen der vordersten Plätze vor. 2017 kam der Band "Staller und der unheimliche Fremde" auf die Shortlist zum Leserpreis Krimi beim größten deutschsprachigen Buchportal LovelyBooks.

Mehr von Chris Krause lesen

Ähnlich wie Staller und der Mann für alle Fälle

Titel in dieser Serie (2)

Mehr anzeigen

Ähnliche E-Books

Thriller für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Verwandte Kategorien

Rezensionen für Staller und der Mann für alle Fälle

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Staller und der Mann für alle Fälle - Chris Krause

    Der Anblick, den die Tote bot, war außerordentlich unerfreulich.

    Nicht dass Kommissar Bombach normalerweise Freude empfand, wenn er eine Leiche betrachtete. Aber in diesem Fall war sein Widerwillen noch deutlich ausgeprägter als üblich.

    „Da wollte aber jemand auf Nummer sicher gehen", erklang die halblaute Stimme von Polizeireporter Michael Staller hinter dem Kommissar.

    „Oder dieser Jemand war richtig sauer." Der Polizist verzichtete darauf sich zu erkundigen, warum der Journalist wieder einmal unglaublich schnell an einem Tatort auftauchte. Eine vernünftige Antwort würde er sowieso nicht bekommen. Und im Moment stand er angesichts des Zustands des Leichnams noch halb unter Schock.

    „ … zehn, elf, zwölf, zählte Staller, während er mit dem Finger auf die Einstiche im Oberkörper der Frau wies. „Und vermutlich jeder für sich allein tödlich.

    „Ein Beispiel für Übertötung wie aus dem Lehrbuch." Der Kommissar trat einen Schritt zur Seite und bückte sich zum Kopf der Frau herunter. Ihr Gesicht war zur Seite gedreht und nahezu vollständig von dichtem, dunkelbraunem Haar bedeckt. Sie trug nur einen dünnen, blauen Seidenkimono, der von einem Gürtel in der Taille zusammengehalten wurde. Bombach fuhr mit dem Zeigefinger seiner rechten Hand, die in einem Einmalhandschuh steckte, von der Stirnmitte zur Seite und schob die Strähnen fort.

    Deutlich hörbar saugte der Polizeireporter Luft durch die Zähne ein, als er sah, was unter den Haaren verborgen war.

    „Meine Güte, so etwas habe ich ja noch nie gesehen! Bombach schüttelte angewidert den Kopf und wandte den Blick ab. „Lass uns rausgehen, ja?

    „Unbedingt. Ich bin keinesfalls scharf darauf, mir das noch länger anzusehen", stimmte Staller eilig zu und drehte sich bereitwillig um. Gemeinsam verließen sie das Wohnzimmer und zogen sich in den Flur der geräumigen Altbauwohnung zurück.

    Dort war gerade der Mediziner eingetroffen und wirkte gewohnt mürrisch. Warum konnte es eigentlich fast nie einen gut gelaunten und fröhlichen Arzt an einem Tatort geben, fragte sich Bombach, der stumm auf die Tür zum Wohnzimmer deutete. Das hing vermutlich damit zusammen, dass die Patienten dieser Berufsgruppe auch nicht gerade Stimmungskanonen waren.

    „Solltest du vielleicht mal einen Blick in diese Handtasche wagen?" Staller deutete auf eine Kommode unter einem ovalen Garderobenspiegel. Dort stand das eindeutig weibliche Accessoire und sah teuer und gleichzeitig ein wenig verloren aus.

    „Möchtest du mir mal wieder meine Arbeit erklären? Aber halt – ich muss wohl dankbar sein, dass du nicht gleich selber nachgeschaut hast." Der Kommissar öffnete den Reißverschluss und warf einen skeptischen Blick in das Innere der Tasche, die etwa das Format eines Schuhkartons besaß. Überrascht stellte er fest, dass er kein unübersichtliches Chaos vorfand, sondern nur einige wenige Gegenstände, darunter eine Art Brieftasche aus weichem Nappaleder. Geschickt blätterte er die Fächer durch und fand nach kurzer Suche einen Personalausweis.

    „Britta Piel, 43 Jahre alt und gemeldet in der Martinistraße. Also ist das hier nicht ihre Wohnung", schlussfolgerte er.

    „Das stimmt so zwar nicht unbedingt, aber belassen wir es mal dabei. Der Reporter sah sich um. „Fällt dir etwas auf bei dieser Bude?

    Bombach zog fragend die Augenbrauen hoch. „In welcher Hinsicht? „Na, so generell. Ein erster Eindruck sozusagen.

    „Keine Ahnung, was du meinst. Großzügige Räume, gehobene Einrichtung, sauber und ordentlich. Nichts Auffälliges."

    „Lass uns mal einen kleinen Rundblick wagen, schlug Staller vor und ging auch gleich los, ohne auf eine Zustimmung zu warten. „Hier, die Küche. Was siehst du?

    Der Kommissar ließ seine Blicke schweifen. „Zwei Rotweingläser und eine halbleere Flasche. Bordeaux, daher vermutlich teuer. Sie hatte also Besuch. Und schon notieren wir einen ersten Verdächtigen. Das war ausnahmsweise mal ein guter Gedanke von dir, Mike!"

    Staller nahm das ungewohnte Kompliment überhaupt nicht zur Kenntnis, sondern öffnete mit einem Taschentuch den Kühlschrank. Seine Anwesenheit an einem Tatort wurde nur geduldet, weil er so professionell agierte, dass durch ihn keine Spuren zerstört wurden.

    „Suchst du einen Snack?"

    „Das wäre ja nun eindeutig deine Kernkompetenz, Bommel. Staller spielte auf den legendären Appetit des Kommissars an. „Nein, ich wollte auf etwas anderes hinaus. Wie beurteilst du den Inhalt dieses Kühlschranks?

    Bombach trat einen Schritt zur Seite und schaute an seinem Freund vorbei. Die vier Hauptfächer wirkten ausgesprochen übersichtlich, was die Bestückung mit Lebensmitteln anging.

    „Hm. Satt wird man davon nicht."

    „Genau! Der Inhalt erinnert mich an das Ferienhaus eines Freundes in Österreich, wo ich manchmal zum Skilaufen hinfahre. Das wird nicht offiziell vermietet, aber es kommen immer wieder Familienangehörige oder Freunde dorthin. Deshalb finden sich da im Kühlschrank auch immer solche Lebensmittel, die nicht unmittelbar verderben und die die Nachfolger nutzen könnten. Senf, Ketchup, Margarine, Gewürzgurken – all so ein Zeug. Aber kein Aufschnitt, Salat, Käse, Milch oder was man sonst in Kühlschränken findet."

    „Und was sagt dir das, Sherlock?"

    „Ich vermute, dass die Bude nicht dauerhaft bewohnt ist. Hast du dir das Wohnzimmer angesehen?"

    „Da lag eine Leiche – das hat mich ein bisschen abgelenkt."

    Der Reporter überging den sarkastischen Einwurf. „Egal wie ordentlich du bist – in einem Raum, der regelmäßig genutzt wird, findest du bestimmte Gegenstände des alltäglichen Gebrauchs. In diesem Fall wären das ein Buch, eine Zeitung, eine Flasche Wasser – irgendwas. Aber da steht nichts."

    „Jetzt wo du es sagst …", brummelte der Kommissar und schloss nachdenklich die Augen.

    „Wenn du fertig bist mit deinem Nickerchen, dann können wir uns ja weiter umsehen, schlug Staller munter vor und ging voraus. Er überquerte den Flur und wählte eine Tür rechts vom Wohnzimmer, das inzwischen hell erleuchtet war. „Hab’ ich‘s mir doch gedacht!

    „Du denkst? Das macht mir Angst", stellte Bombach fest und sah sich in dem Raum um. Es handelte sich ganz offensichtlich um das Schlafzimmer und hier gab es deutliche Anzeichen von Benutzung. Das Bettzeug, elegant silbrig glänzender Satin, auf dem komfortablen Doppelbett war zerwühlt und hing teilweise über die Bettkante hinaus.

    „Bekommst du es hin, die Ereignisse des gestrigen Abends grob zu rekonstruieren oder soll ich das für dich machen?", fragte der Reporter süffisant.

    „Die gute Frau Piel hatte Besuch, mit dem sie Rotwein trank und ein Schäferstündchen hielt. Und es war vermutlich nicht ihr Mann, falls sie denn einen hat. Der unbekannte Mann – oder auch die Frau, ich bin da unvoreingenommen – glänzt durch Abwesenheit und Frau Piel ist tot, fasste der Kommissar zusammen. „Und damit du keinen Höhenflug bekommst, ergänze ich noch um meine eigenen Beobachtungen: Es gibt keinerlei Einbruchsspuren, was bedeutet, dass sie ihren Mörder oder ihre Mörderin freiwillig in die Wohnung gelassen hat.

    „Ausgezeichnet, Watson, du besitzt ja lichte Momente! Ich würde sagen, dass es Gesprächsbedarf mit dem Herrn gibt, der hier zu Besuch war", meinte Staller leichthin, nachdem er eine Runde durch den Raum gedreht und in jede Ecke einen Blick geworfen hatte.

    „Woher weißt du, dass es ein Mann war?"

    „Sicher kann ich natürlich nicht sein. Aber wenn ich mir diesen Papierkorb so ansehe, dann sprechen einige Indizien dafür."

    Bombach warf einen Blick in das Corpus Delicti und nickte zustimmend. „Ein benutztes Kondom ist ein Argument. Kein zwingendes, aber ein sehr gutes. Was machst du da?"

    „Meinen Überblick vervollständigen, bemerkte der Reporter ganz ungezwungen und öffnete weiter die Türen des großen, mattweißen Kleiderschrankes, der gegenüber dem Bett seinen Plate hatte. „Etwas Bettwäsche, Handtücher und praktisch keine Kleidung. Gleiches Prinzip wie beim Kühlschrank.

    „Es wird ja kein Problem sein festeustellen, wem die Wohnung gehört. Dann finde ich auch heraus, warum es hier so steril wirkt."

    „Freu dich, Bommel! Die vielen Hausaufgaben, die du bis jetzt schon hast, bedeuten vor allem, dass du einen Haufen Spuren und Hinweise besitzt! Solltest du dir nicht langsam ein paar Dinge aufschreiben?"

    „Bisher kann ich mir noch alles ganz gut merken, antwortete der Kommissar säuerlich. „Hast du heute eigentlich keinerlei Geier dabei, die die grausigen Einzelheiten der Toten in Großaufnahme filmen wollen?

    „Eddy und sein Assi warten unten vor dem Haus. Es reicht, wenn sie den Abtransport drehen. Die Bilder sind ein bisschen zu verstörend für unser Publikum. Immer mittwochs und sonntags wurde KM – Das Kriminalmagazin" für eine Stunde am Abend gesendet. Neben aktuellen Fällen gab es Sicherheitstipps, Fahndungen der Polizei und Reportagen aus der Welt der Kriminalität. Die Sendung hatte generell einen guten Ruf, was zum großen Teil Staller zu verdanken war, der als Chefreporter großen Einfluss auf die Inhalte nahm. Früher hatte er das Magazin auch moderiert, aber mit der Zeit fehlte ihm die Arbeit vor Ort an den Fällen. Jetzt war seine Kollegin Sonja Delft das Gesicht der Sendung und der Reporter tat wieder das, was er am meisten liebte: Er war auf der Straße, recherchierte Fakten und Ereignisse und sprach mit den Menschen, die in einen Fall involviert waren. Sein großes Talent bestand darin, dass er blitzschnell Vertrauen zu den unterschiedlichsten Typen aufbauen konnte und deshalb oft Dinge in Erfahrung brachte, die der Polizei verborgen blieben. Diese Eigenschaft führte gelegentlich zu Konflikten mit seinem Freund Bombach, der dem Reporter Eigenmächtigkeit und unzulässige Methoden unterstellte. Dabei war Michael Staller ein durchaus gesetzestreuer Bürger, der nur dann etwas großzügiger in der Auslegung von Vorschriften wurde, wenn dies zulasten eines Kriminellen ging.

    „Nanu? Seit wann bist du so rücksichtsvoll? Blut ist doch dein Treibstoff?"

    „Jetzt verwechselst du mich aber mit Zenzi, das ist nicht fair!"

    Helmut Zenz war der Chef vom Dienst bei KM und der Prototyp des Boulevardjournalisten. Seine Aufgabe war es, abwechslungsreiche und bildstarke Sendungen zusammenzustellen, damit das Interesse der Zuschauer nie erlahmte. Zenzi, wie er hinter seinem Rücken von den Kollegen genannt wurde, war zwar ein Fachmann erster Güte, aber menschlich eher zweifelhaft. Sein Satz: „Ich brauche noch ’ne geile Leiche" - ausgesprochen in einer eher ereignisarmen Woche – fasste seinen Stil ganz gut zusammen und sorgte je nach Gemütslage der angesprochenen Kollegen entweder für Abscheu oder verhaltene Heiterkeit.

    Der Mediziner trat aus dem Wohnzimmer und zog mit geübten Bewegungen seine Gummihandschuhe aus. „Das wär‘s. Von mir aus kann sie weggebracht werden."

    Bombach öffnete den Mund und wollte eine Frage stellen, wurde aber abgewürgt, denn der Doc redete gleich weiter.

    „Todeszeitpunkt gestern Abend zwischen 22 und 24 Uhr, ursächlich für ihr frühes Ableben waren die Stichverletzungen und ihr Gesicht ist vermutlich postmortal so zugerichtet worden. Alles Weitere, wenn ich sie auf dem Tisch hatte." Er wandte sich ab zum Gehen.

    „Die Tatwaffe?", traute sich Bombach noch zu fragen.

    „War ein Messer", grunzte der Arzt unwillig und verließ eilig die Wohnung.

    „Ach was, murmelte der Kommissar halblaut. „Da wäre ich jetzt von alleine nicht drauf gekommen. Mann, der hat aber wieder eine Laune heute …

    „So, wie es aussieht, hat der Täter das Messer aber mitgenommen oder habt ihr was gefunden?"

    „Nein, nichts. Das wäre mir wohl aufgefallen."

    „Na, sicher kann man da nicht sein, grinste Staller und zog seinen Freund aus der Wohnung. „Du kannst dich jetzt für meine großartige Unterstützung bei der Tatortbegehung bedanken, indem du unten ein kleines Interview zur Sache gibst. Das machst du doch sicher gern.

    „Großartige Unterstützung? Der Kommissar schüttelte entsetzt den Kopf. „Du und deine Wahrnehmung.

    „Ja, ja, wenn du meinst. Los, komm, wir drehen unten auf der Straße!"

    * * *

    „Wenn unser Chefreporter es nicht für nötig hält pünktlich zu unserer Themenkonferenz zu erscheinen, dann ist mir das scheißegal. Wir fangen jetzt an!"

    Das grobschlächtige Gesicht von Helmut Zenz war tiefdunkelrot angelaufen, wie immer, wenn er sich echauffierte, was oft vorkam. Auf seiner Stirn pulsierte dann eine Ader und die Schweißflecken unter seinen Armen wurden größer und dunkler. Seine schon im Normalfall nicht sonderlich sympathisch wirkende Erscheinung litt darunter natürlich.

    „Er hat sich bei mir gemeldet. Eddy und er sind in der Schenkendorfstraße. Dort wurde eine Leiche entdeckt. Erstochen, meldete sich Sonja Delft zu Wort. Sie saß neben dem freien Stuhl von Staller am Konferenztisch und machte mit ihrem freundlichen Gesicht und dem bezaubernden Lächeln einen ganz anderen Eindruck als der cholerische Chef vom Dienst. „Ich soll ihn entschuldigen. Er kommt, so schnell er kann.

    „So, so, hm, na gut." Zenz war hin- und hergerissen. Einerseits hasste er Unpünktlichkeit wie die Pest, andererseits war ein Mordfall immer ein kleines Geschenk für ihn. Auch wenn die Mehrheit der Zuschauer mehr an Betrügereien und Einbrüchen interessiert war – einfach, weil es sie eher betraf – für den CvD waren Mordfälle die Kirsche auf dem Sahnehäubchen.

    „Wir können ja trotzdem anfangen. Ich informiere ihn über alles, sobald er wieder im Büro ist", schlug Sonja mit unschuldigem Augenaufschlag vor.

    „Meinetwegen, knurrte Zenz, dem das gute Verhältnis zwischen der Moderatorin und dem Reporter schon immer suspekt war. Stets witterte er Verrat, Intrige oder Heimtücke. Und wenn es dann um exponierte Personen ging, wie im Fall von Mike und Sonja, dann war er gleich doppelt auf der Hut. Dabei entging ihm völlig, dass bei KM", im Gegensatz zu vielen anderen Redaktionen, nicht Neid und Konkurrenzdenken, sondern Kollegialität und Hilfsbereitschaft vorherrschten. Dies widersprach aber seiner Auffassung von Arbeit im Medienbereich.

    „Wie sieht es also aus mit langfristigen Themen? Hat sich irgendwer die Mühe gemacht, mal einen Gedanken an einen echten Aufreger zu verschwenden?"

    Ein unhörbares Seufzen füllte den Raum. Zenz besaß eine große Begabung darin, positives menschliches Miteinander zu sabotieren. Stets unterstellte er das Schlechteste und es grenzte an ein Wunder, dass die Redaktion nicht längst offen meuterte. Möglicherweise lag dies nur daran, dass er es auf der anderen Seite schaffte, die Quoten von KM durch seine Sendeplanung konstant auf hohem Niveau zu halten.

    „Ich hätte da eine Idee!" Die Sprecherin war eine sehr junge Frau mit einem ausdrucksstarken Gesicht und selbstbewusster Körperhaltung. Sie hatte ein Praktikum in der Redaktion absolviert und dabei so zu überzeugen gewusst, dass sie nunmehr eine Art feste freie Mitarbeiterin war. Ziemlich sicher würde ihr bei der nächsten Gelegenheit ein Volontariat angeboten werden.

    „Dann lass mal hören, Mäuschen! Zenz klang immer noch verärgert. Die nonverbale Reaktion auf seine sexistische Wortwahl bekam er entweder nicht mit oder ignorierte sie mühelos. Bezeichnend war, dass er sich Namen von Kolleginnen und Kollegen hervorragend merken konnte, wenn er den Eindruck hatte, dass diese im Rang gleichwertig oder höher als er angesiedelt waren. Alle anderen blieben der Volontär oder die Dings aus dem Schnitt".

    „Ich heiße Isa. Ein relativ einfacher Name, der sich ziemlich gut merken lässt", erklärte die Sprecherin mit eisiger Beherrschung. Zustimmendes Gemurmel bewies, dass diese Abgrenzung Gefallen in der Runde fand. Sonja nickte Isa anerkennend zu.

    „Ja, ja, schon gut. Was ist nun mit dem Themenvorschlag?" Zenz ließ sich nicht anmerken, dass er diese Zurechtweisung als solche erkannt hatte.

    „In den letzten Monaten hat Gewalt gegen Flüchtlinge eine große Rolle gespielt und ist entsprechend medial begleitet worden."

    „Oh, bitte nicht!" Zenz verdrehte theatralisch die Augen.

    „Darüber ist völlig in den Hintergrund gerückt, dass es ebenfalls eine deutliche Zunahme an Gewalttaten gegenüber Homosexuellen gab. Dabei handelt es sich zwar selten um Tötungsdelikte, aber die Bandbreite geht von einfacher Schikane bis zur schweren Körperverleteung. Fakt ist: Schwule und auch Lesben sind in Hamburg nicht mehr sicher." Isa hatte gelernt Themenvorschläge prägnant und auf den Punkt zu präsentieren. Kurze, zustimmende Bemerkungen aus dem Kollegenkreis bewiesen dies.

    „Echt jetzt? Du willst einen Beitrag über Tuntenklatschen machen? Der CvD beherrschte seine Bild-Schlagzeilen wie kein Zweiter. „Und wen soll das interessieren?

    „Unabhängig davon, wie man persönlich zum Thema Homophobie steht, sprechen die Zahlen eine klare Sprache, antwortete Isa, ohne auf seinen erneuten Ausfall näher einzugehen. „Verbrechen mit einem homophoben Hintergrund verbuchen im letzten Jahr die höchsten prozentualen Steigerungsraten überhaupt. Wenn das die Angelegenheit nicht zum Top-Thema macht, dann weiß ich auch nicht.

    „Gibt es zu dieser nebulösen Aussage auch eine Quelle? Und damit meine ich eine richtige Quelle und nicht das Landesamt der Leckschwestern." Zenz war dabei, sich selbst zu übertreffen.

    „Polizeiliche Kriminalstatistik, entgegnete Isa knapp. „Ich halte die für seriös.

    „Die ist doch noch gar nicht veröffentlicht", konterte der CvD.

    „Ich weiß. Das heißt aber nicht, dass nicht einzelne Statistiken fertig erstellt sind."

    „Und da hat dir ein Vögelchen etwas zugezwitschert."

    „Ganz genau."

    „Was macht dieses Vögelchen denn? War es vielleicht der schwule Bote für interne Post, der mal eine naive Jungjournalistin für seine Zwecke einspannt?"

    „Nein, es handelt sich um einen Kriminaldirektor aus dem Landeskriminalamt."

    „LKA? Wie kommst du an so eine Quelle?"

    „Das bleibt mein Geheimnis als naive Jungjournalistin, konterte Isa völlig ruhig. „Ich kann die Zahlen beibringen, wenn es erforderlich ist.

    Sonja hatte, wie alle Mitarbeiter in der Runde, den Schlagabtausch fasziniert verfolgt und war stolz auf die junge Frau. Gemeinsam mit Staller hatte sie Isa vor einigen Monaten die Chance gegeben bei KM hineinzuschnuppern. Beide waren sich des Risikos bewusst gewesen, denn Isa war alles andere als einfach. Sie hatte sich in der Vergangenheit immer wieder in Themen und Ansichten verbissen und dann kompromisslos daran festgehalten, auch wenn dieser Einsatz völlig sinnfrei war. Aber seit einiger Zeit schien sich ihr Übereifer in eine sanfte Beharrlichkeit zu verwandeln, die den Umgang mit Isa einfacher machte. Außerdem hatte sich gezeigt, dass ihr blitzschneller Verstand und ihre offene Art auf Menschen zuzugehen sie zu einer wirklich guten Reporterin machen würden, wenn sie weiterhin bereit war sich das Handwerkszeug anzueignen.

    „Also ich finde das erschreckend, befand die Moderatorin. „Hast du denn schon eine Idee, wie man die Geschichte aufziehen könnte?

    Helmut Zenz warf ihr einen bitterbösen Blick zu, hielt aber überraschenderweise den Mund.

    „Als roten Faden stelle ich mir einen Protagonisten vor, der solche Gewalt schon erfahren hat. Wir begleiten ihn mit der Kamera an den Ort, wo es geschehen ist und arbeiten so das Vergangene auf. Darüber hinaus gehen wir mit ihm los und besuchen vergleichbare Orte – Klubs, öffentliche Plätze, Bars – aber diesmal mit versteckter Kamera. Dann dokumentieren wir, was er so erlebt."

    Beifälliges Raunen in der Runde zeigte an, dass dieser Vorschlag viel Zustimmung fand. Sonja nickte abermals anerkennend. „Das klingt vielversprechend, finde ich. Was meinst du, Helmut?"

    Die Situation war nicht einfach für den Chef vom Dienst. Einerseits war das positive Votum der Kollegen klar erkennbar. Außerdem hatte die Idee Hand und Fuß. Dem gegenüber stand seine persönliche Einstellung, dass Homophobie und die daraus eventuell entstehende Gewalt für ihn kein Thema war.

    „Wir machen das so: Du arbeitest ein Treatment aus und suchst nach Protagonisten. Danach entscheiden wir, ob die Story trägt. Aber bitte mit Zug zum Tor! Ich möchte nicht wochenlang auf ein Ergebnis warten." Damit war das Thema erledigt und Isa gönnte sich ein kleines, fast unsichtbares Lächeln. Sonja blinzelte ihr verschwörerisch zu und zeigte unauffällig ihren erhobenen Daumen.

    „Und wie schaut es bei den übrigen Gestalten hier aus? Hat vielleicht noch jemand ein richtiges Thema in der Pipeline?"

    Eine gute halbe Stunde und einige verbale Ausfälle des CvD später saßen Sonja und Isa im Büro der Moderatorin und atmeten erst einmal tief durch.

    „Große Klasse, wie du Zenzi ausgebremst hast, Isa. Ruhig, sachlich und trotzdem klar und deutlich. Respekt!"

    „Ach weißt du, an dem arbeite ich mich doch nicht ab. Das führt zu nichts, der ist einfach unbelehrbar. Er soll merken, dass mir manches nicht passt und das war es dann auch. Mir geht es mehr um meine Themen."

    „Hast du wirklich schon Daten aus der neuesten Kriminalstatistik?"

    „Ja, habe ich. So viel habe ich inzwischen begriffen, dass ich Zenzi belastbare Fakten entgegenhalten muss, wenn ich etwas erreichen will. Dass er sich nicht für Gewalt gegen Homosexuelle begeistert, war ja zu erwarten."

    „Also ich finde auch, dass das ein Thema ist. Die Zahlen scheinen ja wirklich erschreckend zu sein."

    Es klopfte leise an der Tür.

    „Ja? Sonja schaute überrascht hoch. Anklopfen war nicht der Regelfall bei KM".

    „Ich dachte, dass ihr vielleicht Lust auf einen leckeren Kaffee hättet, nach eurer Themenkonferenz!" Jutta Brehm, die Sekretärin und gute Seele der Redaktion, stand mit einem Tablett in der Hand in der Tür und lächelte schüchtern.

    „Du kannst offenbar Gedanken lesen, entgegnete Sonja und winkte einladend. „Unsere Nerven wurden ein kleines bisschen strapaziert. Da kommst du genau richtig!

    Die junge Sekretärin trat an den Schreibtisch und stellte drei dampfende Becher und eine Schale Kekse ab.

    „Drei Becher? Ah, du willst dich ein bisschen zu uns setzen! Warte, ich hole noch einen Stuhl", bot Isa an.

    Bevor Jutta antworten konnte, trat Staller mit seinen großen, federnden Schritten in den Raum und grüßte gut gelaunt in die Runde.

    „Ah, meine drei Lieblingskolleginnen an einem Ort zusammen. Ich bin ein sehr glücklicher Mann!"

    „Ja, vor allem, weil du eine neue Folge von Zenzi, der Ewiggestrige verpasst hast", schmunzelte Sonja.

    „Jutta, du bist ein Schate, wie immer", flirtete Staller unverhohlen.

    Die Sekretärin errötete heftig und richtete sich ganz auf. Das brachte ihre beachtliche Oberweite voll zur Geltung und half ihr den Bauch einzuziehen. Sie war das, was man im besten Sinne ein Vollweib nennen würde, haderte selbst aber ständig mit ihrer Figur. Neben unzähligen Diäten, die sie immer wieder abbrach, weil sie einfach zu genussvoll aß, versuchte sie alle optischen Tricks, die ihre Figur strecken sollten. Dazu gehörten entsprechende Garderobe, geschickte Haltung und, was niemand wusste, spezielle figurformende Unterwäsche.

    „Ach Mike, das mache ich doch gerne für euch!" Sie schenkte ihm ein strahlendes Lächeln, wandte aber sofort den Blick wieder ab. Bestimmt hatte sie noch Schokoladenreste in den Zähnen! Denn auf dem Weg über den Flur hatte sie unbedingt einen der Kekse probieren müssen …

    „Hmm, köstlich! Der Reporter hatte einen Schluck des nachtschwarzen Gebräus probiert und schnalzte genießerisch mit der Zunge. „Kein Vergleich mit dem Flüssigteer aus der Redaktionsküche. Dein Kaffee ist immer eine Wucht, Jutta!

    Solcherart mit Komplimenten überschüttet, schwebte die Sekretärin entrückt zur Tür. Erst als sie allen Anwesenden den Rücken zuwandte, atmete sie erleichtert aus.

    Als die Tür ins Schloss gefallen war, mahnte Isa halblaut und verschmitzt grinsend: „Noch drei Sätze und sie hätte dich hier und gleich auf dem Schreibtisch genommen! Ich hoffe, du spielst nicht mit ihren Gefühlen!"

    Sonja unterdrückte ein Prusten, während Staller den Blick irritiert zwischen den beiden Frauen hin- und herwandern ließ. „Was habt ihr denn nun schon wieder? Ich war nur ein bisschen nett. Jutta hat das verdient, sie ist nämlich eine ganz Liebe!"

    „Du merkst es wirklich nicht, oder?" Isa schüttelte in gespielter Verzweiflung den Kopf.

    „Hab’ ich irgendwas verpasst?", wandte sich Staller Hilfe suchend an Sonja.

    „Höchstens, dass Jutta jetzt ihr Höschen wechseln gehen muss", antwortete stattdessen Isa trocken. Der Reporter starrte sie verständnislos an.

    „Was Isa in ihrer bekannt direkten Art zu vermitteln versucht, ist die allen außer dir bekannte Tatsache, dass unsere herzensgute Jutta einarmig den Atlantik durchschwimmen würde, wenn du nur auf der anderen Seite lächelst, erklärte die Moderatorin. „Da wir dir das bisher etwa hundertmal erklärt haben, hast du entweder ein sehr schlechtes Gedächtnis oder bist extrem begriffsstuteig.

    „Letzteres", entschied Isa.

    „Also bitte!, protestierte der Reporter. „Kann man nicht einmal mehr einfach nett und freundlich zu einem lieben Wesen sein, ohne dass ihr irgendeine Romanze dort hineindichten müsst? Jutta kann das ganz sicher alles richtig einordnen!

    „Sie hat den lebensgroßen Promo-Aufsteller von dir zu Hause in ihrem Wohnzimmer stehen. Und ich wette, dass sie ihn abends mit ins Schlafzimmer nimmt", behauptete Isa frech.

    „Woher weißt du das denn?" Sonja war jetzt ebenfalls verblüfft.

    „Ich war mal bei ihr. Sie wollte, dass ich ihr ein Fitness-Programm zusammenstelle. Hab‘ ich natürlich gemacht. Isa hatte in einer ihrer Phasen" exzessives Kampfsporttraining betrieben und seitdem, auch wenn sie das ungesunde Maß ihres Einsatzes gebremst hatte, permanent ihren Körper hervorragend in Form gehalten.

    „Sie hat …? Staller fehlten die Worte. „Im Ernst?

    „Jepp."

    „Das glaube ich nicht."

    „Geh hin, schau es dir selber an."

    „Was soll man dazu sagen?"

    „Na ja, du siehst ja auch ganz schnuckelig darauf aus", mischte sich Sonja ein.

    „Kein Wunder, flachste Isa. „Photoshop macht´s möglich.

    „Jetzt werd hier mal nicht frech, Frollein, empörte sich Staller mit gespieltem Ernst. „Sonst hat dein Poppes aber Kirmes!

    „Vielleicht steh’ ich da ja drauf?" So leicht ließ Isa sich nicht unterkriegen.

    „Okay, okay! Sonja hob den beiden Wortakrobaten beschwichtigend die Handflächen entgegen. „Darf ich kurz daran erinnern, dass wir nicht ausschließlich zum Vergnügen hier sind. Was hat es mit der Leiche auf sich, Mike?

    „Sie ist tot."

    Auf der Stirn der Moderatorin bildete sich eine steile Falte. Allerdings verzichtete sie auf eine Entgegnung und beschränkte sich darauf, den Reporter ärgerlich anzublitzen.

    „Entschuldigung. Ich habe halt einen gewissen Bremsweg. Es handelt sich um eine Frau Anfang vierzig. Regelrecht abgestochen mit einem Dutzend Löcher in der Brust. Zusätzlich hat ihr der Mörder das Gesicht hergerichtet wie einen Krustenbraten. Da waren offensichtlich eine Menge Emotionen im Spiel. Am Abend hatte sie noch Besuch. Ein Mann, mit dem sie auch geschlafen hat. Wenn er nicht der Mörder war, dann zumindest ziemlich sicher derjenige, der sie zuletzt gesehen hat."

    „Und was haben wir?"

    „Bilder vom Abtransport der Leiche. Der Tatort war ein bisschen zu blutig für Aufnahmen. Das möchte niemand sehen. Und Bommel hat das, was ich euch jetzt auch berichtet habe, in bewährter Qualität in die Kamera gestammelt."

    Alle drei wussten, dass der Kommissar ein hervorragender Interviewpartner war, der mit prägnanten, klaren Sätzen auch komplizierte Sachverhalte verständlich wiedergeben konnte.

    „Und wie geht es jetzt weiter?", wollte Sonja wissen.

    „Die Autopsie dürfte wohl keine Überraschungen ergeben. Vielleicht liefert die Spurensicherung irgendetwas, das hilfreich ist. Aber in erster Linie brauchen wir den ominösen Besucher. Und dann kommt es darauf an, was der zu erzählen hat."

    „Können wir etwas tun?", erkundigte sich Isa.

    „Nein, das glaube ich nicht. Ich gebe es nur ungern zu, aber momentan liegt der Ball bei Bommel im Feld. Ich werde mal nachdenken, aber viele Möglichkeiten für uns sehe ich nicht."

    Es war allseits bekannt, dass Staller sich keinesfalls darauf beschränkte, den Verlauf von Ermittlungen zu dokumentieren. Wo immer es möglich war, setzte er eigene Nachforschungen in Gang. Oft führte das zu erstaunlichen Ergebnissen, wenn zum Beispiel Zeugen eine Aversion gegen die Polizei hatten, dem sympathischen Reporter jedoch gewollt oder ungewollt Details preisgaben. Da Bombach und er somit auf ganz unterschiedliche Quellen und Verfahrensweisen zurückgriffen, ergänzte sich ihre Arbeit hervorragend. Allerdings entstand auch häufig eine Art Wettkampf, wer denn schneller die besseren Informationen beschaffen konnte.

    „Muss ich sonst noch etwas wissen? Gab es Neuigkeiten bei der Konferenz?"

    „Zenzi hat mich Mäuschen genannt", grinste Isa.

    „Autsch! Konnte er den Raum ohne fremde Hilfe auf seinen eigenen Beinen verlassen?"

    „Natürlich. Ich schlage keine Schwächeren." Das meinte sie ganz ernst.

    „Helmut hatte selbst für seine Verhältnisse einen sportlichen Auftritt heute, brachte Sonja etwas Ernst in das Gespräch. „Irgendwann rastet noch mal einer von uns aus. Eigentlich sollte man ihm das nicht durchgehen lassen.

    „Man kann ihm in der Tat nur eines zugutehalten: Er ist kein Sexist." Sonja und Isa holten gleichzeitig tief Luft, um zu widersprechen.

    „Moment, lasst mich ausreden! Es ist doch offensichtlich, dass ihm das Geschlecht völlig wurscht ist. Er pampt alle an, egal ob Männlein, Weiblein oder Meerschweinchen."

    „Auch wieder wahr, räumte Sonja ein. „Allerdings macht das die Sache nicht besser. Gehen wir an die Arbeit?

    * * *

    „Dreiviertel, halb, halb, dreiviertel, voll, eins, zwei, drei …"

    Fast unhörbar murmelte der Mann auf der Rudermaschine die Anweisungen für die Startschläge vor sich hin, während seine Muskeln sich abwechselnd anspannten und entspannten. Der Rollsite flog über die chromglänzenden Streben und das Zugseil verursachte ein pfeifendes Geräusch.

    Obwohl es drei Rudergeräte gab, war um diese frühe Tageszeit nur eines besetzt. Während des Workouts glitt der Blick der Trainierenden über die Tennisplätze vor den großzügigen Fensterfronten eines der exklusivsten Fitnesscenters der Hansestadt. Auf dem Gelände des historischen Klipper Tennis- und Hockey-Clubs war ein Tempel für Körperkultur entstanden, der nahezu alle vorstellbaren Wünsche erfüllte. Natürlich hatte dies seinen Preis, aber dafür blieben die Besucher vor prolligen Posern und Verkäufern zweifelhafter Substanzen bewahrt.

    Stefan Weidemann ruderte gleichmäßig wie ein Uhrwerk. Mittlerweile war er zu einem ambitionierten Streckenschlag übergegangen und die ersten Schweißperlen auf dem gut bemuskelten Körper sorgten für einen dezenten Glanz. Als Jugendlicher war er einige Jahre in einem Ruderverein aktiv gewesen und wusste daher, wie gut dieser Sport fast alle Muskelgruppen des Körpers ansprach. Zum Aufwärmen vor dem Gerätetraining nutete er daher immer die Rudermaschine.

    Nach 15 Minuten schaltete sich das Gerät selbstständig ab. Weidemann zog das Handtuch, das er über den Rollsite gelegt hatte, hervor und wischte sich Gesicht und Arme ab. Sein Atem ging noch einigermaßen gleichmäßig, was auf einen guten Trainingszustand schließen ließ. Seine ganze Erscheinung bestätigte diesen Eindruck. Der Körper wirkte definiert, aber keinesfalls aufgepumpt. Breite Schultern und ein V-förmiger Rücken verschlankten sich zu einer schmalen Taille mit einem Bauch, an dem kein Fett zu erkennen war. Die Beine unter der Radlerhose waren muskulös, aber schlank. Blondes Haar umrahmte ein Gesicht, das gleichzeitig markant und freundlich wirkte. Die blauen Augen blitzten und verrieten eine Spur Humor, aber gleichzeitig eine gewisse Tiefe der menschlichen Empfindungen. Kurz – Stefan Weidemann war ein Typ, bei dem Frauen schwach wurden und mit dem Männer jederzeit ein Bier trinken würden. Wenn man einbezog, dass der sportliche Eindruck ihn sicher jünger machte, mochte er etwa Mitte vierzig sein.

    „Dein Fitness-Drink, Stefan!"

    Die Angestellte des Klubs brachte ihm eine Trinkflasche und himmelte ihn dabei so offensichtlich an, dass es schon fast komisch wirkte.

    „Danke, Dani! Er schenkte ihr ein Lächeln, das ihn sofort mindestens fünf Jahre jünger machte. „Du bist meine gute Fee hier!

    Die Angesprochene schien auf der Stelle dahinzuschmelzen und suchte nach Gründen den Kontakt zu verlängern. „Kann ich vielleicht sonst noch etwas für dich tun?" Der Augenaufschlag versprach mehr als nur ein Wässerchen oder ein frisches Handtuch. Dabei war sie bestimmt zwanzig Jahre jünger als er.

    „Im Moment bin ich wunschlos glücklich!" Er zwinkerte ihr schelmisch zu und nahm einen Schluck aus der Flasche.

    „Wenn etwas ist, ich bin dahinten am Tresen. Du kannst dich jederzeit an mich wenden", säuselte Dani noch und konnte ihre Augen kaum von seinem straff über der Brust gespannten T-Shirt wenden.

    „Weiß ich doch, danke dir!"

    Nachdem sie sich widerwillig entfernt hatte, schmunzelte Weidemann still in sich hinein und schlang das Handtuch um seine Schultern. Es tat gut, die Reaktion eines so jungen Mädels zu registrieren. Auch wenn er das unausgesprochene Angebot niemals wahrnehmen würde.

    Eine Treppe tiefer wandte er sich den Gewichten zu. Sein Körper war sein Kapital, deswegen investierte er viel Zeit, um ihn in perfektem Zustand zu erhalten. Dabei legte er Wert auf große Ausgewogenheit. Das Ergebnis sollte sportlich, aber nicht übertrieben muskulös aussehen. Daher bevorzugte er maßvolle Gewichte mit eher vielen Wiederholungen. Außerdem machte er regelmäßig Übungen nur mit dem eigenen Körpergewicht, wie Arm- und Seitstütee. Gelegentlich belegte er auch Kurse, mit denen er seine Beweglichkeit trainierte und je nach Wetter drehte er auch regelmäßig seine Laufrunden.

    Nach etwa 75 Minuten beendete er seine Übungseinheit und machte sich auf den Weg zum Umkleideraum. Zwischendurch winkte er verabschiedend nach hinten zum Tresen, wo Dani gerade mit einem Tuch nicht vorhandene Flecken wegpolierte. Sie warf ihm eine Kusshand zu.

    Der Vorteil des Klubs bestand darin, dass neben den immer aktuellsten Geräten ein Wellnessbereich zur Verfügung stand, der keine Wünsche offenließ. Großzügige Pools, sowohl innen als auch außen, verschiedene Saunen und Ruheräume standen den Mitgliedern zur Verfügung. Weidemann verbrachte meistens mindestens drei Stunden auf der Anlage.

    Eine gute Stunde später verließ er den Spa-Bereich und zog sich an. Sein Freizeitlook bestand aus einem modischen T-Shirt, Chinos und Sneakern. Die Sporttasche und eine dünne Jacke warf er sich lässig über die Schulter und sprang entspannt die Treppe hoch in den ersten Stock. Eine breite Doppeltür führte aus dem Fitnessbereich in ein angeschlossenes Restaurant, das sich auf die Bedürfnisse der Sportler eingestellt hatte. Nach kurzem Überlegen entschied er sich für einen Platz auf der Terrasse. Die Frühsommersonne schien gerade so warm, dass es angenehm war. Und natürliche Bräune war deutlich attraktiver als die vom Besuch im Sonnenstudio. Wie gesagt: Sein Körper war sein Kapital. Gesunde Gesichtsfarbe gehörte dazu. In einer immer oberflächlicher werdenden Gesellschaft musste man sich den Zwängen der Trends beugen.

    Er bestellte den angebotenen Business-Lunch, bestehend aus gegrilltem Fisch und Salat, Nachtisch und einem Kaffee. Dazu eine große Flasche stilles Wasser. Auch hier wurde er von der Bedienung, einer weiteren aus der schier unerschöpflichen Riege gut aussehender junger Frauen, mit besonderer Aufmerksamkeit bedacht.

    Während er auf das Essen wartete, warf er einen Blick in seinen Terminplaner. Für den Abend war ein Besuch im Schauspielhaus vermerkt. Ansonsten stand der Tag zu seiner freien Verfügung. Stefan Weidemann lehnte sich in den bequemen Lounge-Sessel zurück und wandte sein Gesicht mit geschlossenen Augen der Sonne zu. Er fühlte sich frisch und entspannt. Sein neues Leben gefiel ihm.

    * * *

    Thomas Bombach stand vor dem Haus in der Martinistraße und holte tief Luft. Im Laufe seiner Jahre bei der Polizei hatte er oft genug den Boten schlechter Nachrichten geben müssen. Eine gewisse Routine hätte man also unterstellen können. trotzdem fiel es ihm immer wieder schwer, die entscheidenden Sätze auszusprechen: Es tut mir sehr leid, aber Ihr Mann oder Ihre Frau ist tot. Wir müssen leider von einem Verbrechen ausgehen. Wie unterschiedlich doch die Reaktionen auf diese stets gleiche Eröffnung ausfielen! Manche Menschen erstarrten förmlich und brauchten Minuten, bis sie wieder zu einem normalen Satz fähig waren. Andere brachen spontan in Tränen aus und waren überhaupt nicht zu beruhigen in ihrem Leid. Das war aus den verschiedensten Gründen der schlimmste Fall. Zum einen besaß der Kommissar durchaus ein ausgeprägtes Empathievermögen. Auf der anderen Seite waren die ersten Stunden einer Mordermittlung oft die wichtigsten. Nahe Angehörige konnten in vielen Fällen wichtige, ja sogar entscheidende Hinweise zur Aufklärung des Verbrechens geben. Waren sie hingegen vernehmungsunfähig, dann verschaffte das dem Täter unter Umständen den Vorsprung, den er brauchte, um wichtige Spuren zu verwischen.

    Mit einiger Anstrengung riss sich Bombach aus diesen Überlegungen und drückte auf das Klingelschild mit dem Namen Piel. Vielleicht war ja überhaupt niemand zu Hause.

    Der Türöffner summte nachdrücklich und der Kommissar drückte die schwere Holztür energisch auf. Beim Treppensteigen in den zweiten Stock konnte er sich für das Kommende wappnen.

    Oben angekommen fand er die Wohnungstür halb offen vor, aber niemanden, der ihn erwartete. Das kam ihm seltsam vor.

    „Hallo?", machte er sich vorsichtig bemerkbar.

    „Komm rein, Thomas, ich bin

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1